Unbekannt
· 23.04.2009
Das gleiche Rad, das Gerdemann oder Ciolek beim Team Milram fahren, kann jeder im Laden so kaufen. Das verspricht Team Milrams Rad-Ausrüster Focus. Im Einzeltest: das ”Izalco Team Milram” als Komplettrad.
Es hat schon seinen Reiz, ein original Teamrad zu fahren – obendrein den aktuellen Boliden des letzten deutschen Teams im Profizirkus – Milram –, in dem Stars wie Linus Gerdemann, Gerald Ciolek oder der aktuelle Deutsche Meister Fabian Wegmann fahren.
Die deutsche Marke Focus verspricht, dass die Team-Räder genau so in den Handel kommen, wie sie vom Team gefahren werden. Die Rahmen-Sets müssten also identische Geometrien haben; Gewichte, Steifigkeiten und Ausstattungsdetails wie Ausfallenden – alles gleich. Umgekehrt könnten Ciolek und Co. zu jedem Focus-Fachhändler gehen und sich eine neue Maschine aus dem Laden holen, sollte das eigene Rad kaputt und der Teamtruck gerade nicht in der Nähe sein.
Ein Indiz dafür, dass das “Izalco Team Milram” eine Profimaschine ist, ist schon der Profi-Preis von stattlichen 7.999 Euro. Das unterscheidet unseren Profirenner von so genannten Team- Replikas anderer Hersteller, die schon zu Preisen ab 1.000 Euro zu haben sind. Solche “Ich-sehe-aus-wie ein-Profirenner” tragen aber lediglich die gleiche Lackierung und das Dekor eines Teamrades. Rahmen-Set, Schaltgruppe, Laufräder und Komponenten sind meist Billig-Teile.
Dagegen liest sich die Teileliste des Focus für Radfreaks wie die Speisekarte eines Sternerestaurants für Gourmets: FSA-Topteile wie Vorbau, Lenker und Sattelstütze, garniert mit Fiziks “Arione”-Sattel in Team-Dekor. Dazu die Schaltgruppe “Red” von SRAM und als Sahnehäubchen Lightweights “Standard III”-Laufräder, beklebt mit Contis “Competiton”-Schlauchreifen. Lecker!
TOUR konnte in der Vergangenheit schon öfter Teamräder, direkt aus den Materiallastern diverser Profimannschaften, testen – zuletzt in TOUR 7/2007. Da waren es das Colnago “Extrem Power Ale-Jet” – damals das Teamrad von Milram –, das Giant “TCR Advanced ISP Team” vom damaligen Team T-Mobile sowie das Specialized “S-Works Tarmac SL” vom kürzlich aufgelösten Team Gerolsteiner. Die Messwerte aus dem Testlabor bestätigten den Profimaschinen, nah an der Serie dran zu sein. Im Detail unterschieden sie sich jedoch. Das Colnago hatte im Vergleich zur Serie für seinen damaligen Piloten Alessandro Petacchi ein zwei Zentimeter längeres Oberrohr und eine Gabel mit schwerem Alu- statt Carbonschaft. Bei Giants “TCR Advanced ISP Team” fehlt uns der Abgleich mit einem Modell aus Serienproduktion, von dem Rad kam nur eine Handvoll Exemplare in den Handel. Bei Specialized waren Profimaterial und Serienräder nach unserer Erkenntnis identisch; allerdings haben uns TOUR-Leser, die beim Gerolsteiner-Ausverkauf (TOUR 12/2008) einen “Tarmac SL” aus den Beständen des Teams gekauft haben, berichtet, dass die Rahmen teilweise schwerer sind als unsere Test exemplare. Ein Indiz dafür, dass zumindest einzelne Rahmen für die Profis überarbeitet wurden. Übrigens: Wenn Profis die Möglichkeit haben, den Rahmen zu beinflussen, wünschen sie sich nach unserer Erkenntnis in erster Linie mehr Steifigkeit.
Jörg Arenz, Produktmanager bei Focus, erklärt, wie die Entwicklung des Izalco-Rahmen-Sets für Milram gelaufen ist: “Als der Deal mit Milram offiziell war, haben wir bei unserem Hersteller in China unterschiedliche Prototypen bauen lassen, mit unterschiedlichen Carbon-Belegungen an Lenkkopf und Tretlager.” Heraus kamen drei Räder mit unterschiedlichen Fahreigenschaften. Die fertig aufgebauten zukünftigen Teamräder fuhr Sprinter Ciolek Probe und entschied sich für das Setup, dass dann zum Haupt-Teamrad für die meisten Rennen wurde – auch für materialmordende Frühjahrsklassiker wie Paris-Roubaix. Dieses Modell, unser aktuelles Testrad, trägt die Zusatzbezeichnung “UD”. Ein zweites, etwas leichteres und weniger steifes Modell, trägt den Zusatz “1K”. Es dient den leichten Rundfahrtspezialisten wie Linus Gerdemann als Hauptarbeitsgerät. Getestet haben wir es bereits in TOUR 3/2009, käuflich ist es lediglich als Rahmen-Set zum Preis von 1.799 Euro.
Im Aussehen ist das Focus ein würdiger Profirenner. Große Focus- Schriftzüge, Milram-Blau und die vielen kleinen Aufkleber der Teilesponsoren wie SRAM, Continental, FSA, Fizik und Lightweigt lassen keinen Zweifel: Das ist das Rad eines Profis (in diesem Fall Niki Terpstra). Vor allem die großflächig weiß lackierten Lightweight- Laufräder haben einen enormen Wiedererkennungswert. Der leicht geslopte Rahmen selbst ist dagegen dezent gehalten. Klarlack auf den runden Carbon-Rohren gibt den Blick auf die Faserstruktur frei, Sitz- wie Kettenstreben sind unspektakulär dimensioniert, der Bremszug ist innen verlegt, die Ausfallenden sind aus Aluminium gefertigt – praktisch und robust angesichts häufiger Laufradwechsel. Im Fahrtest gefiel das Fahrverhalten von Milrams 6,5 Kilo leichter Team-Maschine in jeder Situation. Das Rad mit kurzem Nachlauf lenkt sich agil – auch wegen der leichten Laufräder. Schnelle Abfahrten meistert man immer souverän, Sprints und harte Wiegetritte am Berg bringen das Fahrwerk nicht aus der Ruhe. SRAMs Red schaltet gut, das Bremsverhalten auf den Carbon-Flanken der Lightweights ist vor allem bei Regenfahrten problematisch.
Fazit: Milrams neues Arbeitsgerät ist ein echter Profi. Ausstattung, technische Werte des Rahmen-Sets sind auf hohem Niveau, günstiger bekommt man andere Profiboliden auch nicht. Das Rahmen-Set “Izalco” gehört mit einem Gewicht von 1.650 Gramm nicht zu den leichtesten seiner Zunft und steht daher auch nicht im Verdacht, dass Profis mit getunten Rädern unterwegs sind, die man so nicht kaufen kann. Einziger Wermutstropfen: Die Lightweight-Laufräder sind nicht so erhältlich – “nur” normale Lightweights in der neuen Drahtreifen-Version.
*Testrad-Rahmengröße gefettet; **projiziertes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr/Sattel- Steuer rohrüber höhung bei 75 cm Sitzhöhe (Mitte Sattelgestell–Oberkante Steuersatzdeckel); ***bereinigtes Gewicht für Rahmengröße 57 und Gabelschaftlänge 225 mm; ****in die Note fließen weitere Einzelnoten ein, die wir aus Platzgründen nicht abdrucken können. Die Ausstattung geht bei Kompletträdern mit 60 Prozent in die Endnote ein.