EinzeltestStorck Fascenario 0.6

Unbekannt

 · 15.07.2010

Einzeltest: Storck Fascenario 0.6Foto: Uwe Geißler
All inclusive...

Systemintegration bleibt ein spannendes Thema im Rennradbau – der seit langem mutigste Vorstoß kommt nun von Markus Storck. Er präsentiert das ”Fascenario 0.6” mit integrierten Bremsen. TOUR konnte den fast serienreifen Prototypen als erstes Magazin Probe fahren.

Fahren ja, aber nicht testen – eigentlich findet unter diesen Bedingungen bei uns kein Rennrad den Weg ins Heft. Aber der Rennrad-Jahrgang 2011 verspricht schon jetzt ein solches Feuerwerk neuer und deutlich weiterentwickelter Rennräder, dass wir den Rennrad-Fans nicht vorenthalten wollen, was da auf sie zukommt. Nach dem neuen Leichtbaurahmen des kanadischen Herstellers Cervélo (siehe TOUR 6/10 ->) wirft nun ein deutscher Hersteller seinen Hut in den Ring. Auf Storcks brandneues “Fascenario 0.6” waren auch wir gespannt: Nicht nur, weil das Rad mit einem Gesamtgewicht unter sechs Kilo angekündigt war. Aus Bad Camberg drang auch die Kunde, dass Storck in Sachen Systemintegration eine neue und bemerkenswerte Entwicklungsstufe erreicht habe.

Als Marketingchef Mario Kuban den Renner in die Redaktion schiebt, sieht man sofort, was damit gemeint ist – weil man nichts sieht: Das Rad scheint keine Bremsen zu haben. Doch sie sind natürlich da. Gut versteckt. Integriert eben. Die Vorderradbremse verbirgt sich in den Gabelscheiden der Carbongabel, die Hinterradbremse in den enorm voluminösen Sitzstreben. Beim Zeitfahrrad “Aero 2” hat Storck diese Technik im vergangenen Jahr zum ersten Mal eingesetzt, jetzt setzt er damit beim klassischen Straßenrad Maßstäbe bei der Integration von Komponenten in den Rahmen. Und: Es scheint auch keine Zugeständnisse in anderen Disziplinen des Rahmenbaus zu erfordern – auch beim Leichtbau und bei der Rahmensteifigkeit hält Storck mit dem “Fascenario 0.6” Anschluss an die Spitze.

Schauen wir genauer hin, wie Storck die Idee, die der einstige TOUR-Techniker Hans-Christian Smolik vor rund 25 Jahren schon einmal als filigrane Schweiß- und Schmirgelarbeit präsentierte, in Carbon umsetzt: Die der Vorderbremsarme sind auf der Innenseite der “Scapula”- Gabel von THM fest einlaminiert und untrennbar mit den Bremsschuhen verbunden. Sie werden nach dem VPrinzip seitlich vom Bremszug an gesteuert, der durch ein Loch im Gabelkopf zum rechten Bremsarm führt. Durch ein weiteres Loch auf der Rückseite ist die Klemmschraube für den Zug erreichbar. Außer der Zugspannung gibt es nichts weiter einzustellen; neue Bremsbeläge können und müssen an der montierten Bremse in die Belaghalter ein gesetzt werden. Am Hinterrad hat Storck das Prinzip der THM-Gabel in den Sitzstreben aufgegriffen, dort sind die Bremsarme mit dem Rahmen verschraubt, die Langlöcher lassen dabei zumindest eine Einstellung der Beläge in der Höhe zu. Bei den ersten Funktionsproben im Stand wirkt das alles sehr vertrauenerweckend, wie überhaupt das ganze Rad bereits ein hohes Maß an Perfektion und Serienreife ausstrahlt. Improvisiert wirkt daran nichts.

Vorne Licht, hinten Schatten

Trotzdem beginnt der Fahrtest verhalten. 5,5 Kilogramm Fahrrad sind ein Hauch von Nichts, der nach Gewöhnung verlangt. Das Bewusstsein, das einzige fahrbare Rad des neuen Typs durch den Verkehr zu pilotieren, tut ein Übriges. Doch die Bremsen schaffen schnell Vertrauen, sie funktionieren wie gewohnt, es gibt einen definierten Druckpunkt. Bekannte Komponenten wie Shimanos elektrische “Di2”-Schaltung und solide Syntace-Teile helfen über das mulmige Gefühl hinweg, das jedes noch so leise Knacken des Rades beim Beschleunigen verursacht. Das Fahrer gewichtslimit von 85 Kilogramm verspricht dem Tester aber genügend Reserven. Der Vortrieb, den das Fliegengewicht beim beherzten Tritt aufs Pedal entwickelt, ist absolut eindrucksvoll.

Der erste Härtetest der vorderen Bremse überrascht ebenfalls positiv: Die Bremskraft ist über jeden Zweifel erhaben, auch der Druckpunkt stimmt. Zur mäßigen Dosierbarkeit trägt möglicherweise auch die Carbonfelge bei. Ein paar konsequente Bremsungen mit dem hinteren Stopper bringen aber die Ernüchterung. Die Bremse funktioniert zwar, verursacht aber schon beim Anbremsen ein so lautes Quietschgeräusch, dass Autofahrer sofort rechts ran fahren. Je härter der Zug an der Bremse, desto lauter wird es und steigert sich bald zu einem unerträglichen Geschrei. Auf der restlichen Fahrt bleibt die Hinterradbremse lieber arbeitslos. Bis das Rad in Serie geht, soll das Bremsenquietschen beseitigt sein, verspricht Kuban. Wie, das will er uns so genau noch nicht verraten. Man darf also auf die Eurobike und den ersten Test gespannt sein.

Leichter und steifer

Das Rahmenset-Gewicht gibt Storck mit 1.750 Gramm an, was zunächst alles andere als sensationell klingt. Das ändert sich, wenn man weiß, dass zum “Fascenario”- Rahmen-Set neben Gabel und Steuersatz auch der “Power Arms SL”-Kurbelsatz und eben die neuen Bremsen gehören. Rechnet man das runter, kommen Rahmen und Gabel auf weniger als 1.000 Gramm, der nackte Rahmen allein wiegt um die 600 Gramm – darauf gründet der Namenszusatz “0.6” des Fascenario. Nachprüfen konnten wir das bei diesem ersten Fahrtest nicht, denn wir durften das Rad nicht demontieren und vermessen. Beim gewogenen Gesamtgewicht von 5,5 Kilogramm ohne Pedale und den verbauten Serienkomponenten erscheinen die Werte aber durchaus glaubhaft. Zudem verspricht Storck, dass der Rahmen nochmals um zehn Prozent steifer sei als der “Fascenario 0.7 IS”. Das “Fascenario 0.6” wird dem breiten Publikum im September auf der Eurobike präsentiert und soll dann auch schon in den Läden zu haben sein. Das Rahmen-Set mit Gabel, Steuersatz, Tretlager, Kurbeln und Bremsen wird 7.499 Euro kosten und ausschließlich für die Montage der “Di2” vorbereitet sein. Unser Einzelstück war vermutlich noch teurer – und trotz aller Vorsicht hat es am Ende doch noch einen Kratzer abbekommen: Beim Fototermin blies eine Windböe das Federgewicht einfach um.

  Aufgeräumt: Die versteckten Bremsen und die saubere Integration von Shimanos „Di2“ lenken den Blick beim Storck „Fascenario 0.6“ auf die Grundformen des Rennrades.Foto: Uwe Geißler
Aufgeräumt: Die versteckten Bremsen und die saubere Integration von Shimanos „Di2“ lenken den Blick beim Storck „Fascenario 0.6“ auf die Grundformen des Rennrades.
  Zügig auf Tempo: Das Fahrverhalten des 5,5 Kilogramm leichten Storck verdient den Ausdruck leichtfüßig, an die nervöse Lenkung gewöhnt man sich schnell.Foto: Uwe Geißler
Zügig auf Tempo: Das Fahrverhalten des 5,5 Kilogramm leichten Storck verdient den Ausdruck leichtfüßig, an die nervöse Lenkung gewöhnt man sich schnell.
  Angelehnt: Die hintere Bremse folgt dem gleichen Prinzip wie vorn, die geschraubten Bremsarme bieten immerhin eine vertikale Einstellung.Foto: Uwe Geißler
Angelehnt: Die hintere Bremse folgt dem gleichen Prinzip wie vorn, die geschraubten Bremsarme bieten immerhin eine vertikale Einstellung.
  Avant gardistisch: Die Gabel mit Bremsarmen und -schuhen aus einem Stück kommt von THM, die Zugverlegung dürfte fummelig sein.Foto: Uwe Geißler
Avant gardistisch: Die Gabel mit Bremsarmen und -schuhen aus einem Stück kommt von THM, die Zugverlegung dürfte fummelig sein.