EinzeltestBella Ciao Ingegnere - Bella Figura auf dem Retro-Rennrad aus Stahl

Unbekannt

 · 22.06.2021

Einzeltest: Bella Ciao Ingegnere - Bella Figura auf dem Retro-Rennrad aus StahlFoto: Kerstin Leicht

Ist der Singlespeed-Trend nicht längst im Baumarkt angekommen? Das Stahlrennrad Ingegnere von Bella Ciao tritt den Gegenbeweis an: Sein Design schöpft aus eigenen Quellen, seine Technik ist nicht nur „retro“

Gerade hatte ich mein nagelneues Rennrad ausgepackt, ein Update auf den Stand der Zeit. Alles aus Plastik, innenverlegte Züge, Scheibenbremsen, ein bisschen Aero. Schön, und gut ohnehin. Aber auch das erste Rennrad, das ich wohl nicht mehr selbst reparieren kann. Und dazu ein Rad, dessen verfeinerte Technik aus der Nähe gar nicht mehr so fein aussieht. Mit Plastikkäppchen, die schnödes Stahlblech verstecken und einer Tretkurbel, die von vorne hui, aber von hinten pfui aussieht.

Daneben das Bella Ciao. Der totale Gegenentwurf. Mit glänzend polierten Felgen aus Aluminium, einer silbern schimmernden Alu-Kurbel und einem spindeldürren Stahlrahmen. Ein fast plastikfreies Fahrrad ohne versteckte Geheimnisse und Überraschungen. Auf den ersten Blick ein weiteres Retro-Singlespeed – und damit irgendwie aus der Zeit gefallen.

  Die geösten und polierten Alu-Felgen sind eine SonderanfertigungFoto: Kerstin Leicht
Die geösten und polierten Alu-Felgen sind eine Sonderanfertigung

Italienische Eleganz, kombiniert mit historischer Sitzposition: Das Ingegnere ist sehr kurz gebaut

Vor einigen Jahren war ein Stahlrennrad ohne Schaltung das urbane It-Bike. Zeitgeistig, kulturell abgestützt durch zwei Grundannahmen. Erstens: Fahrradkurier zu sein ist cool. Zweitens: die großstädtischen USA sind cool. Beides hat sich relativiert. Aber Matthias Maier, der Mann hinter Bella Ciao, schürft seine Inspiration ohnehin andernorts: „Ich habe zwei Jahre in Mailand gearbeitet“, sagt er, „und da habe ich diese Art Fahrrad immer wieder gesehen. Die Bauform steht für mich für urbane italienische Fahrradkultur. Als ich eines angestaubt bei einem Radhändler unter der Decke hängen sah, musste ich es unbedingt haben.“ Maier kaufte es, fuhr es, und es war Liebe. Einmal auf den Radtyp geprägt, fielen ihm diese Räder immer öfter auf – und er erkannte, dass sie jahrzehntelang mit nur geringen Veränderungen gebaut wurden. Sein Gefühl sagte ihm, dass diese Mischung aus „italienischer Leichtigkeit, Charme, Verbindlichkeit und Beiläufigkeit“ auch andere Radler begeistern könnte.

Schlichte Schönheit: Die aufwendige Pulverbeschichtung auf den Stahlrohren erinnert an Leder mit Patina

Der Haken an der Sache: „Den qualitativen Höhepunkt hatten die Räder in den 50er- und 60er-Jahren. Danach ging es bergab.“ Import? Keine Option. Eigene Fertigung in Italien? Maier erwähnt Probleme mit Termintreue und Qualität. Also realisiert er die Marke als eigenes Projekt. Seit 2009 fertigt Bella Ciao Räder mit italienischen Rahmen und überwiegend europäischen Zutaten in Deutschland. Nicht als rückwärtsgewandte Kopien eines historischen Vorbildes, sondern als dessen zeitgemäße Nachkommen.

Maier betont deshalb die Qualität. Unser karg ausgestattetes Testrad kostet 1.500 Euro. Ein Rad, das für Laien ähnlich aussieht, ließe sich auch 1.000 Euro billiger bauen. Vor Korrosion geschützt, leichtgängig, aufwendig verarbeitet: Die mit Ziegenleder umnähten Lenkergriffe, der lederne Brooks-Sattel, mit O-Ring verfeinerte Stellschrauben am Bremszug oder die kugelgelagerten MKS-Pedale überzeugen. Die eigens entwickelte, farblich an abgegriffenes Leder erinnernde Pulverbeschichtung ist makellos. Hochwertige Technik, optisch schlüssig komponiert.

Doch nur zum Anfassen ist die Stahl-Schönheit nicht gedacht, und die seltsame Geometrie macht obendrein neugierig: Das vordere Rahmenteil ist ähnlich konstruiert wie bei einem Rennrad, doch das Heck ist etwa acht Zentimeter länger. Dazu kommt ein rückwärts gebogener Lenker, der die Sitzlänge im Vergleich zum Rennrad etwa 20 Zentimeter verkürzt – die Hände finden sich, von der Seite gesehen, knapp hinter dem Gabelschaft. Klingt nach nervösem, kopflastigem Fahrverhalten? Ja, so ist das auch.

Bis zu italienischer Lässigkeit sind einige Übungsmeter nötig. Auf denen rollt es munter, die Übersetzung von 48 zu 18 Zähnen fühlt sich zwischen 25 und 30 km/h richtig an. Nichts klappert, die Bremsen funktionieren, und vielleicht hat auch eine Signora einen freundlichen Blick riskiert. Ja, man kann wunderbar auf einem schönen Rad ohne Gangschaltung fahren. Aber die historische Sitzposition passt wirklich nur zu städtischen Kurzstrecken, zu längeren Touren lädt das Rad nicht ein.

Ausstattung:

  Der kurze Rahmen führt zu einer historischen SitzpositionFoto: Kerstin Leicht
Der kurze Rahmen führt zu einer historischen Sitzposition

Preis/Gewicht: 1.495 Euro/11,8 Kilo

Rahmen/Gabel: Stahlrohr Dedacciai Zero Uno

Antriebskomponenten: Sturmey Archer

Laufräder: Bahnradnaben von Sturmey Archer; geöste, polierte Alu-Felge, 36-Loch Reifen Continental Contact Speed 32-622

Bremsen: Tektro R559 Dual Pivot

Ausstattung: MKS-Pedale; Alu-Lenker, 50 cm breit; Tange-Steuerlager Levin, 1 Zoll, geschraubt; Brooks-Sattel Professional

Stil ist für Sie alles?