Unbekannt
· 25.05.2016
Für 400 Euro kauft mancher sich eine Radhose oder ein Paar Rennradschuhe. Beim Discounter Decathlon gibt’s für 399 Euro ein ganzes Rennrad. Wie nah kommt das Sparpaket an eine moderne Rennmaschine?
Ein Schnäppchen? Oder rausgeworfenes Geld? So richtig einschätzen kann ich das nicht, als ich der Kassiererin im Decathlon-Markt in Leipzig-Paunsdorf 400 Euro über den Tresen schiebe. So viel, präzise 399 Euro, kostet das Rennrad, das ich soeben gekauft habe: ein Triban 500 der Decathlon-Eigenmarke B-Twin. Ein 10,6-Kilo-Rad mit stabilem Alu-Rahmen und Stahlgabel, beides dem ersten Anschein nach gut verarbeitet. Skeptisch bin ich trotzdem, vor allem wegen der Ausstattung. Die 3 x 8-Schaltung mit altmodisch wirkenden Schaltbremshebeln stammt vom wenig bekannten Hersteller Microshift aus Taiwan. An einem Serienrad habe ich sie noch nie gesehen. Die Schriftzüge auf Kurbel, Naben und Felgen sagen mir nichts. Immerhin machen Lenker und Sattel einen ordentlichen Eindruck. Die Reifen ziert gar der renommierte Name Hutchinson.
Das richtige Gefühl
Erste positive Überraschung: Weil das Rad ein Vorführmodell mit leichten Gebrauchsspuren ist, bekomme ich mehr Wechselgeld heraus als erwartet. 359 Euro zahle ich am Ende. Zuvor hatte mich der Berater darauf hingewiesen, dass alle Inspektionen innerhalb des ersten Jahres kostenlos wären. Verbunden mit der lebenslangen Garantie auf Rahmen, Gabel, Lenker und Vorbau klingt das nach einem fairen Deal. Nicht ganz so überzeugend fiel die Beratung aus. Für meine Körpergröße von 1,80 Metern riet mir der Verkäufer dringend zum XL-Rahmen. Nach einer kurzen Proberunde im Laden mit viel zu weit im Sitzrohr steckender Sattelstütze folgte ich aber meinem Gefühl und wählte den L-Rahmen.
Wieder in München, prüfe ich vor der ersten Testrunde alle Schraubverbindungen. Der Montagezustand ist okay, nur die Schraube der Sattelklemmung hätte fester angezogen sein können. Die Sitzposition ist schnell eingestellt, die Alu-Stütze mit ungewöhnlichen 29,7 Millimetern Durchmesser verfügt über eine praktische Skala; das Steuerrohr ist recht kurz, doch dank der sechs Distanzringe à fünf Millimeter bringe ich den Lenker problemlos auf meine Höhe. Noch schnell die beim Kauf montierten Hakenpedale gegen Klickies getauscht, die Reifen aufgepumpt, und los geht’s.
Was soll ich sagen? Schon nach fünf Minuten habe ich vergessen, dass dies mit Abstand das billigste Rennrad ist, auf dem ich in den vergangenen 25 Jahren gesessen habe. Die Fuhre funktioniert einfach. Der Lenker ist so gebogen, wie ich mir das wünsche: Der Oberlenker leicht zum Fahrer hin angewinkelt, schön dick, mit griffigem Band umwickelt. Auch mit dem Sattel komme ich klar. Für lange Touren ist er einen Tick zu schmal, doch ich habe auf teureren Rädern schon schlechter gesessen.
Härtetest über 216 Kilometer
Die eigentliche Überraschung ist das Schaltsystem. Die seitlich aus den Microshift-Hebeln austretenden Züge erinnern an ältere STI-Hebel von Shimano. Doch die Mechanik funktioniert anders als bei Shimano. Hinter den Bremshebeln befinden sich zwei Schalthebel, ähnlich wie die Schalttasten der elektrischen Di2. Ein großer Hebel dient zum Rauf-, ein kleiner zum Runterschalten, beide sind vom Unterlenker und von den Bremsgriffen aus erreichbar. Die Hebelwege sind kurz, die Bedienkräfte nicht zu hoch, die Schaltpräzision ist tadellos.
Das einzige, was mich stört, ist das etwas breitbeinige Fahrgefühl. Das liegt indes weniger an der Dreifach-Kurbel, bei welcher der Pedalabstand naturgemäß etwas größer ist als an Zweifach-Kurbeln. Vielmehr ist die Vierkantachse länger als nötig. Wäre sie 15 Millimeter kürzer, würden Kurbeln und Kettenblätter immer noch locker an den Kettenstreben vorbei drehen. Fazit der Jungfernfahrt: keine besonderen Vorkommnisse; der leichte Seitenschlag am Hinterrad ist schnell herauszentriert.
Nun sind 40 Kilometer keine Belastung für ein neues Rad. Um herauszufinden, was das Triban 500 wirklich aushält, beschließe ich nach einigen weiteren Fahrten, meine erste längere Tour der Saison damit zu bestreiten: ein 200-Kilometer-Brevet zwischen Altmühltal und Donau. Was für ein Kontrast zu meinem Saisonhöhepunkt 2015 bei Paris-Brest-Paris! Das Rad, das ich damals fuhr, besaß einen Aero-Rahmen von Scott mit Carbonlaufrädern und elektronischer Schaltung, alles zusammen gut und gerne 10.000 Euro teuer. Nun das Triban 500, das gerade mal ein Dreißigstel kostet. Was ich nie für möglich gehalten hätte: Ich kann nicht sagen, dass ich viel weniger Spaß habe. Natürlich ist das Rad schwerer, weniger aerodynamisch und langsamer als das Scott. Auch kenne ich komfortablere Räder. Doch alles bewegt sich in erträglichem Rahmen. Nach 216 Kilometern in knapp neun Stunden Fahrzeit funktioniert das Triban 500 so gut wie beim Start. Ich fasse es nicht. Gibt es außer dem hohen Gewicht wirklich nichts, woran sich der günstige Preis festmachen lässt?
Wahrer Luxus
Gut, etwas Verbesserungspotenzial bietet das Triban 500 schon. Breitere Reifen, die leichter rollen und besser federn als die extrem schmalen Drahtreifen, wären nicht schlecht. Platz dafür wäre unter den zuverlässigen No-Name-Bremsen locker vorhanden. Die Zähne an den schwarz eloxierten Kettenblättern glänzen nach insgesamt 400 Kilometern silbern. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass die Blätter schnell verschleißen. Ob die Schalthebel eine Gruppenfahrt im Regen schadlos überstehen, bei der die Gischt in die offenliegende Mechanik spritzt, würde ich auch nicht beschwören. Doch für 400 Euro kann man über solche kleinen Schwächen hinwegsehen. Wem das Gewicht egal ist, der bekommt dafür einen fairen Gegenwert. "Ein Rennrad, angenehm bei Fahrten von bis zu drei Stunden" – so preist Decathlon das Triban 500 an. Dieses Versprechen löst das Rad ein – und lenkt den Blick darauf, was vielleicht der wahre Luxus ist: Zeit, seinem Hobby mit Leidenschaft nachzugehen.
GESAMTNOTE 2,7
Preis Komplettrad 399 Euro
Gewicht 10,6 Kilo
Info www.decathlon.de
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 2.039/1.139/32 Gramm
Rahmengrößen** 45, 48, 51 (bis 51 cm jew. mit 26-Zoll-Laufr.), 54, 57, 60, 63 cm
Sitz-/-Ober-/Steuerrohr 510/565/169 mm plus 5 mm Steuersatzkappe
Stack/Reach/STR 564/394/1,43
Ausstattung
Tretlager Prowheel Ounce (50/39/30 Z., BSA)
Bremsen/Schaltung B-Twin/Microshift R8
Laufräder/Reifen/Gewichte B-Twin Aerosport/Hutchinson Equinox 23 mm (v./h.: 1.395/1.935 Gramm)
Messwerte
Lenkkopfsteifigkeit 110 Nm/°: 1,0
Tretlagersteifigkeit 87 N/mm1,0Seitensteifigkeit Gabel 76 N/mm: 1,0
Federweg Gabel 115 N/mm: 5,0
Federweg Sattelstütze 190 N/mm: 2,3
**Gewogene Gewichte.
***Herstellerangabe, Testgröße fett.
****Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.