Der spektakulärste Prototyp bei der “Dauphiné” kommt von BMC und könnte künftig die fünf Jahre alte Timemachine Road ersetzen. Der aktuelle Aero-Bolide des französischen Teams AG2R ist mit 210 Watt im TOUR-Test zwar immer noch ziemlich schnell, wurde in den vergangenen Monaten aber von einigen Modellen überholt. Daran wollen die Schweizer allem Anschein nach etwas ändern. Oder wie soll man den werbewirksamen “Create Speed”-Schriftzug auf dem Unterrohr sonst deuten?
Der potenzielle Nachfolger, mit dem Altmeister Greg van Avermaet (Belgien/38) und Kletterspezialist Ben O’Connor (Australien/27) erstmals wenige Wochen vor der Tour de France unterwegs waren, sieht bereits auf den ersten Blick schnell aus. Durch die Aufhebung der 3:1-Regel, die die Abmessung der Rohrquerschnitte vorschreibt, ist vor allem das Steuerrohr im Vergleich zur aktuellen Timemachine Road in die Länge gewachsen. Daraus resultiert ein aerodynamisch günstigeres Profil, das wie die Kammtail-Profile des Unter- und Sitzrohrs die Aero-Leistung begünstigen dürften.
Ein echter Hingucker ist die Gabel: Durch die extrem weit ausgestellten Holme würde vermutlich sogar ein breiter Gravelreifen hindurch passen, wie auf den Bildern zu erkennen ist. Dafür ist das neue BMC natürlich nicht konzipiert. Stattdessen soll durch die spezielle Konstruktion der Luftstrom offenbar störungsfreier um die Rennmaschine gelenkt werden - und es dadurch schneller sein.
Neben dem Prototypen, der durch die UCI als solcher gekennzeichnet ist, feierte beim Team AG2R bei der Dauphiné-Rundfahrt auch Campagnolos neue Super Record Wireless ihr Renndebüt. Die Top-Schaltgruppe hatte das italienische Traditionsunternehmen kurz vor dem Auftakt des einwöchigen Etappenrennens vorgestellt.
Ridley stellte dem Lotto-Dstny-Team ebenfalls ein neues, bislang unveröffentlichtes Gefährt zur Verfügung. Im Gegensatz zum BMC fällt der Prototyp gewöhnlicher aus und könnte eine Ergänzung zu den bisherigen Arbeitsgeräten der belgischen Mannschaft sein. Bislang hat der World-Tour-Absteiger vornehmlich das aero-optimierte Noah Fast sowie das leichte Helium SLX im Einsatz. Das bei der Dauphiné-Rundfahrt gesichtete Modell, mit dem Jungprofi Maxim van Gils (Belgien/23) zum Auftakt auf Rang fünf sprintete, könnte in Zukunft beide Kategorien abdecken.
Ridley wäre nicht der erste Hersteller, der diesen Weg einschlägt. Specialized macht dies seit Jahren mit dem S-Works Tarmac SL7 vor, Giant präsentierte im vergangenen Jahr mit dem Propel Advanced ebenfalls einen vielseitigen Allrounder, der den Spagat aus Aerodynamik und Gewicht meistert. Auch Colnago stellt Superstar Tadej Pogacar (Slowenien/24) mit dem V4Rs “nur” eine Rennmaschine zur Verfügung.
Der Prototyp ist mit großer Wahrscheinlichkeit schneller als das Helium, dessen Rahmen-Set allerdings auch kaum nennenswerte Aero-Merkmale trägt. Im Vergleich zum Noah Fast, das im TOUR-Test 212 Watt bei 45 km/h benötigt, fallen die Rohrformen dagegen deutlich runder aus, wodurch die Neuheit an Schnelligkeit einbüßen dürfte. Aber dafür leicht ist? Es bleibt abzuwarten, wann Ridley den Vorhang offiziell lüftet.
Bei der Dauphiné ist Israel-Premier Tech zwar nicht am Start, dennoch schürte das Team in Person von Kletterspezialist Dylan Teuns (Belgien/31) zuletzt die Gerüchteküche über ein neues Modell von Factor. Im Netz kursiert ein Foto, das Teuns während einer Trainingsfahrt in den Bergen auf einem unveröffentlichten Renner des britischen Herstellers zeigt. Ein Nachfolger des O2 VAM?
Wie auf dem Bild zu erkennen ist, dürfte Factor das Leichtbau-Modell im Vergleich zum aktuellen O2 nochmal etwas abgespeckt haben. Keine leichte Aufgabe, schließlich liegt das Bergrad in Top-Ausstattung schon jetzt nur knapp über dem UCI-Gewichtslimit. Im TOUR-Testlabor erreichte das Rahmen-Set mit 1160 Gramm zudem einen rekordverdächtigen Wert. Speziell das Oberrohr und die Sitzstreben des unveröffentlichten Factor sind äußerst filigran konstruiert, insgesamt sind alle Carbonrohre auf das Wesentliche reduziert.
Die Tage bis zum Tour-de-France-Auftakt an der nordspanischen Atlantikküste dürften spannend bleiben. Vielleicht kommen auch noch andere Hersteller aus der Reserve und unterziehen ihre Prototypen einem Härtetest im Rennbetrieb, ehe es zur großen Materialschau bei der Tour de France geht.