Solide und vergleichsweise preiswerte Basis, dafür maßgeschneidert im Aufbau: Individuell konfigurierbare Räder sind seit vielen Jahren eine Stärke der Hamburger Marke Stevens. Den Aero-Renner Arcalis gibt es als Flaggschiff der Stevens-Flotte gar nicht von der Stange, sondern ausschließlich individuell konfiguriert aus dem Baukasten. Von der Bereifung über die Übersetzung bis zur Lenkerbreite lässt sich beim Händler oder im Online-Konfigurator aus einer Vorauswahl von Komponenten das persönliche Wunschrad zusammenstellen; auf diese Weise kann die Preisspanne für das Rad von 3700 bis knapp 10.000 Euro reichen. Es kam in seiner Grundform 2021 auf den Markt und firmiert seither als einziger ausgewiesener Wettkampfrenner im Portfolio. Zwar wirkte das Rahmendesign von Anfang an wenig eigenständig, es konnte in der Vergangenheit aber schon mehrfach in Tests zeigen, dass es über aerodynamisches Potenzial verfügt. Die äußerlichen Veränderungen durch die letztjährige Überarbeitung muss man mit der Lupe suchen; wichtiger ist aber, dass das Set dadurch deutlich leichter geworden ist. Auf dieser Basis verdienten sich die Nordlichter in diesem Jahr mit Top-Ausstattung schon eine Testnote mit einer Eins vor dem Komma.
Unser Testrad kalkulierte Stevens mit spitzem Stift bis an die Preisobergrenze heran. Dabei suchten die Hanseaten bewusst Teile aus, die eine möglichst gute Aerodynamik versprechen. Mit hochwertigen und pfeilschnellen DT Swiss-Laufrädern, einem teuren Carbon-Cockpit von Vision und erstklassigen Reifen ist das Arcalis ausgestattet wie ein Profirad und fährt sich auch beinahe so. Die wesentlichen Kompromisse, die das Rad unter die Preisgrenze von 7000 Euro drücken, beschränken sich auf Shimanos Ultegra-Gruppe und einen recht einfach wirkenden Sattel. Selbst die Laufräder können als High-End-Material durchgehen: Die ARC 1400 sind ebenso schnell wie die Top-Modelle der Schweizer Marke und nur wenige Gramm schwerer als die Laufräder, wie sie von Profis gefahren werden.
Mit diesem Set-up sichert sich das Stevens in den Schlüsselkategorien vordere Plätze. Im Windkanal wird es den Erwartungen gerecht und liefert mit 209 Watt ein ordentliches Ergebnis ab. Mit Storck, Canyon, Scott und Cube sind nur wenige Wettkampfrenner etwas schneller. Auch beim Gewicht platziert es sich dank der gewählten Teile relativ weit vorne in der Rangliste, die meisten Konkurrenten dieser Preisklasse sind schwerer, teils sogar deutlich. Ein Charakteristikum kann das Arcalis aber auch nach der jüngsten Überarbeitung nicht ablegen: Das Rad fährt sich extrem hart, weil die Sattelstütze bei Fahrbahnstößen kaum nachgibt. Erstaunlicherweise kann das der einfache Sattel etwas kaschieren, weil er sich ausgesprochen bequem fährt. Dennoch ist der Unterschied zu den komfortableren Kandidaten in diesem Testfeld deutlich spürbar. Die Stütze mit Versatz, die optional erhältlich ist, dürfte minimal besser federn. Doch damit fällt die Sitzposition noch gestreckter aus als ohnehin schon. Auch der Lenker schluckt Vibrationen nur mäßig, und der schmale 25-Millimeter-Reifen auf dem Vorderrad hält sich mit nutzbarem Federkomfort ebenfalls zurück. Für gemütliches Cruisen auf der Langstrecke eignet sich das Arcalis also nur bedingt – auch weil obendrein die Sitzposition betont rennmäßig ausfällt.
Die maximal mögliche Reifenbreite ist mit 30 Millimetern für heutige Verhältnisse eher knapp bemessen. Komfortabel abstimmen lässt sich das Rad mit den im Konfigurator erhältlichen Optionen somit kaum, wenn man von einer bergfreundlichen Übersetzung absieht. Prädestiniert ist das Stevens dagegen für Solofluchten sowie harte Antritte. Kräftige Sprinter profitieren von einem ausgesprochen fahrstabilen Rahmen-Set. Mit seinem direkten, sehr berechenbaren Fahrverhalten bleibt es auch bei hohem Tempo zuverlässig in der Spur. Aufbauen lässt sich das Rad mit allen Rennrad-Schaltungen von SRAM und Shimano, auch eine preiswerte mechanische 105-Gruppe ist am Arcalis noch möglich. Dazu kommen Laufräder von DT Swiss oder Zipp in allen Preiskategorien – so lässt sich beispielsweise ein unschlagbar günstiger Aero-Flitzer konfektionieren, der zumindest in der Ebene kaum langsamer als ein Profi-Bolide ist. Abgerundet wird das Angebot von vier frei wählbaren Farbvarianten und einem Crash Replacement innerhalb der ersten zwei Jahre. Etwas mager ist die Garantie auf Rahmenbruch, welche die gesetzliche Gewährleistung von zwei Jahren nicht überschreitet.
Gewicht (25 Prozent der Gesamtnote): Für die Bewertung zählt das gewogene Komplettradgewicht in der einheitlichen Testradgröße 56–57 Zentimeter. Wir weisen zur Orientierung aber auch die Laufradgewichte aus. Die Notenskala ist so gelegt, dass bei einem mittleren Streckenprofil von 1.000 Höhenmetern pro 100 Kilometer die physikalische Wirkung von Gewicht und Aerodynamik für die Durchschnittsgeschwindigkeit vergleichbar ist. Zur Orientierung: Die aerodynamische Optimierung des Rades kann auf solch einer Strecke bis zu knapp vier Kilogramm Gewicht kompensieren. Gleichzeitige Bestnoten in Gewicht UND Aerodynamik schließen sich aus, aber es gibt Rennräder, die einen sehr guten Kompromiss finden. Ist die Strecke bergiger als unsere Referenzstrecke, nimmt die Bedeutung des Gewichts zu, ist die Strecke flacher, wird die Aerodynamik wichtiger.
Luftwiderstand (25 Prozent der Gesamtnote): Dynamisch gemessen im Windkanal, mit TOUR-Dummy, drehenden Rädern, bewegten Beinen und über ein großes Spektrum von Anströmwinkeln. Verdichtet zu einer Aerodynamik-Note für typische Umweltbedingungen.
Frontsteifigkeit (10 Prozent der Gesamtnote): Wichtige Größe für die Lenkpräzision und das Vertrauen ins Rad bei hohem Tempo, ermittelt im TOUR-Labor. Es wird eine Gesamtsteifigkeit am fahrfertig montierten Rahmen-Set ermittelt, also inklusive Gabel. Die Steifigkeitswerte werden gedeckelt. Ziel sind nicht unendlich steife, sondern ausreichend fahrstabile Rahmen.
Tretlagersteifigkeit (10 Prozent der Gesamtnote): Verrät, wie stark der Rahmen bei harten Tritten, zum Beispiel im Sprint, nachgibt. Diese Messung findet ebenfalls im TOUR-Labor statt, mit einer realitätsnahen Aufspannung, bei der sich der Rahmen wie im Fahrbetrieb verformen kann.
Komfort Heck (10 Prozent der Gesamtnote): Ein Maß für die Nachgiebigkeit bei Fahrbahnstößen, gemessen im TOUR-Labor. Es wird ein Federweg bei Belastung der Sattelstütze gemessen. Der Messwert korreliert sehr gut mit den Fahreindrücken und dem Komfortempfinden. Gute Noten bedeuten auch eine ordentliche Fahrdynamik, die sich auf schlechten Straßen positiv auf die Geschwindigkeit auswirkt.
Komfort Front (5 Prozent der Gesamtnote): Analog zum Heck wird die Verformung des Lenkers unter Last ermittelt. Eine gute Note bedeutet viel Federkomfort, was die Hände auf langen Touren entlastet. Starke Sprinter, die viel Steifigkeit wünschen, sollten aber eher auf einen steifen Lenker achten.
Schalten (5 Prozent der Gesamtnote): Die Schalteigenschaften werden im Fahrtest ermittelt. Bewertet wird nicht der Preis oder die Qualitätsanmutung einzelner Komponenten, sondern ausschließlich die Funktion des gesamten Getriebes. Dabei spielen beispielsweise auch die Zugverlegung, die Qualität der Züge und die montierte Kette eine Rolle.
Bremsen (5 Prozent der Gesamtnote): Ähnlich wie beim Schalten zählt auch hier der Test auf der Straße, es fließen zusätzlich die Erfahrungen aus unseren unzähligen Tests von Bremsen mit in die Bewertung ein. Dabei wird nicht das Bauteil selbst, sondern die Funktion als Zusammenspiel von Bremskörper, Belägen und Scheiben bewertet: Wie gut lassen sich die Bremsen modulieren? Wie standhaft sind die Bremsen, wie lang sind die Bremswege?
Reifen (5 Prozent der Gesamtnote): Bewertet werden Rollwiderstand und Grip – soweit bekannt aus einem unserer unabhängigen Reifentests oder anhand des Fahreindrucks. Die Gesamtnote wird arithmetisch aus den prozentual unterschiedlich gewichteten (Prozentangaben in Klammern) Einzelnoten gebildet. Sie bringt vor allem die sportlichen Qualitäten des Rades zum Ausdruck.
Die Gesamtnote wird arithmetisch aus den prozentual unterschiedlich gewichteten (Prozentangaben in Klammern) Einzelnoten gebildet. Sie bringt vor allem die sportlichen Qualitäten des Rades zum Ausdruck.