InterviewADFC beklagt “illegale” Radwegbenutzungspflicht

Kristian Bauer

 · 11.10.2023

Interview: ADFC beklagt “illegale” RadwegbenutzungspflichtFoto: ADFC Hamburg
Radwegbenutzungspflicht auf schlechten Radwegen
Die Radwegbenutzungspflicht sorgt immer wieder für Ärger: Radfahrer werden auf gefährliche Wege gezwungen, wo das nicht erforderlich wäre. Der ADFC Hamburg fordert jetzt „illegale Radwegebenutzungspflichten“ in der Stadt abzuschaffen.

Blaue Schilder mit weißem Radsymbol zwingen bis heute Radfahrer auch in Hamburg auf alte, kaputte und gefährliche Wege. Anlässlich des 25. Jahrestags der Fahrradnovelle, die am 1. Oktober 1998 in Kraft trat, fordert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, diese illegalen Radwegebenutzungspflichten aufzuheben und gute Radinfrastruktur zu schaffen. TOUR hat mit Dirk Lau, Pressesprecher des ADFC Hamburg, gesprochen.

Dirk Lau ADFC HamburgFoto: StahlpressDirk Lau ADFC Hamburg

TOUR: Was sind für Sie illegale Radwegbenutzungspflichten“

Dirk Lau: Als illegal bezeichnen wir, dass es sich um eine rechtswidrige Anordnung der Polizei handelt. Rechtswidrig, weil sie im Widerspruch steht zu dem, was das Gesetz, was die Straßenverkehrsordnung vorschreibt. Die Novellierung der Straßenverkehrsordnung 1998 sagt, dass Radwegebenutzungspflichten nur dann angeordnet werden dürfen, wenn bestimmte Mindestanforderungen erfüllt werden in Bezug auf die Qualität und den Zustand der Radwege. Das findet hier einfach seit 25 Jahren nicht statt. Es wurde 1998 alles flächendeckend, was irgendwie nach Radweg aussah, von der Innenbehörde respektive Polizei, als benutzungspflichtig eingestuft. Und seit 1998 klagen Radfahrende hier in Hamburg mühsam dagegen an. Sie haben auch teilweise Erfolg, aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wir haben alle Hauptstraßen in Hamburg untersucht nach 25 Jahren und es gibt viele, die zu 100 Prozent die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Das heißt schmal, kaputt, alt, miese Verkehrsführung.

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TOUR: Welche Voraussetzungen für die Radwegbenutzungspflicht werden in Hamburg konkret verfehlt?

Dirk Lau: Der typische Hamburger Radweg an einer Hauptverkehrsstraße ist ein Meter bis 1,50 Meter breit. Es gibt Radwege, die existieren gar nicht an Hauptverkehrsstraßen, aber trotzdem steht dort ein blaues Schild. Das entspricht in keinster Weise den heutigen technischen Standards. Dann ist es die absolute Unzulänglichkeit der Oberfläche. Klassischerweise werden Pflastersteine verlegt. Das sind keine klassischen Pflastersteine, sondern so backsteinartige, rote Steine, bei denen jeder sofort mit dem Rennradreifen auf den glatteren Asphalt ausweicht, wenn er bei Sinnen ist. Und viele weichen dann auf den Gehweg aus, weil die mit glatteren Platten versehen sind. Die, Breite ist in jeder Hinsicht indiskutabel und komplett veralteter Standard eben halt aus den Sechzigern. Die Breite wird da kaum angepasst. Auch bei sogenannten Grundinstandsetzungen wird das kaum angepasst, sondern es wird, wenn wir Glück haben, noch ein zusätzlicher Backstein danebengelegt. Und dann haben sie natürlich absolut unzulängliche Wegführung. Sie werden da an Kreuzungen geleitet, zusammen mit Fußgängern müssen sie dann queren werden also jedes Mal ausgebremst. Gerade wenn sie Rennrad fahren, ist es nirgendwo möglich schneller zu fahren - also jedenfalls nicht auf den als benutzungspflichtig angeordneten Radwegen. Das ist, das sind die 3 großen Kritikpunkte, die wir haben, und das ganze macht natürlich nur Sinn, wenn Sie das unter Rechts- und Verkehrssicherheitsaspekten betrachten. Sie werden auch als Rennradfahrer in die klassischen Abbiegesituationen gezwungen, wo sie eben alle auf Radwegen aus dem Sichtfeld des motorisierten Verkehrs geführt werden und dann die gefährliche Rechtsabbiegesituation entsteht, wenn der LKW oder das Auto dann rechts abbiegen.

Radwegbenutzungspflicht auf schlechten RadwegenFoto: ADFC HamburgRadwegbenutzungspflicht auf schlechten Radwegen

TOUR: Kennt die Polizei die Rechtslage zum Thema Radwegbenutzungspflicht nicht oder hat sie ein zu autofreundliches Bild?

Dirk Lau: Hier in Hamburg haben wir leider die Situation, dass die Straßenverkehrsbehörde leider bei der von der SPD geführten Innenbehörde angesiedelt ist. Und die haben nicht wirklich die Verkehrssicherheit von Radfahrenden und Fußgängerinnen im Blick, sondern die haben andere Kriterien, die sie selber definieren. Das sind dann so Kriterien von gestern wie die sogenannte Leichtigkeit des Verkehrs oder KFZ-Verkehrsfluss. Es ist politisch gewollt, dass der motorisierte Verkehr fließt und Verkehrssicherheitsaspekte werden nicht priorisiert. Die Polizei muss eigentlich die Gefahrenlage nachweisen um eine Radwegbenutzungspflicht anzuordnen. Solche Einzelfallprüfung ist es hier nicht – da hätte die Polizei auch bis ins nächste Jahrtausend zu tun. Das ist rechtswidrig aus unserer Sicht und die einzige Lösung wäre es einfach alle flächendeckend aufzuheben. Gleichzeitig braucht es natürlich auch eine sichere Radinfrastruktur, die geschaffen wird.

TOUR: Wenn ein Radweg gefährlich ist wegen Schmutz oder Schnee - haben Sie da Rückmeldungen, was passiert, wenn man dann auf der Straße fährt?

Dirk Lau: Wir empfehlen Radfahrenden, dann aus Sicherheitsgründen und Selbstschutz auf der geräumten Fahrbahn zu fahren. Das ist ja der Klassiker: zuerst wird die Fahrbahn gereinigt und wenn wir Glück haben auch noch die Radwege. Das heißt wir empfehlen den Leuten natürlich nicht den gefährlichen verschmutzten oder vereisten Weg zu benutzen. Was dann passiert, ist natürlich auch klar: viele Autofahrer drehen durch. Je mehr Radfahrende auf Hauptverkehrsstraßen die Fahrbahn benutzen, umso aggressiver werden einige Autofahrer. Weil eben Politik und Polizei nicht aufklären: Das machen die nicht, um euch zu ärgern, sondern das machen die aus Sicherheitsgründen und Leute bitte seid euch bewusst, dass euch die Straße nicht allein gehört.

TOUR: Jeder Radfahrer kennt die Situation: ein Radweg mit oder ohne Radwegbenutzungspflicht ist nicht befahrbar oder zu gefährlich und man fährt auf der Straße. Dann wird man oft von Autofahrern genötigt. Bräuchten wir da eine Aufklärungskampagne?

Dirk Lau: Das ist klar, ist das nicht nur ein Hamburger Problem. Das ist deutschlandweit, aber wir leben im Autoland Deutschland.

TOUR: Was kann ich als einzelner Radfahrer machen gegen eine offensichtlich illegale Radwegbenutzungspflicht?

Dirk Lau: Widerspruch einlegen. Wir als Verein können Öffentlichkeitsarbeit machen, aber wir können nicht klagen, deswegen ermuntern wir und helfen den Leuten auch. Durch Beratung beim Widerspruch gegen diese Anordnung. Diese Radwege Benutzungspflicht ist ein Fahrverbot auf der Straße und eine Einschränkung ihres Rechts. Alle Klagen die wir unterstützt haben und von denen ich weiß, sind auch erfolgreich vor Gericht, weil es eben einfach so offensichtlich ist, dass die Mindestanforderungen, die das Gesetz vorschreibt, nicht erfüllt werden. Nur der Weg übers Gericht dauert und wenn das Gericht entschieden hat, dauert es bis tatsächlich auf der Straße was passiert, das Schild wegkommt. Es ist ein langwieriger Prozess.

Hintergrund Radwegbenutzungspflicht:

Alle Wege, die mit einem blauen Verkehrszeichen (Radweg, bzw. gemeinsamer/getrennter Geh- und Radweg) ausgewiesen werden, sind benutzungspflichtig und müssen auch benutzt werden. Selbst wenn die Ausschilderung fragwürdig ist. Ausnahme: der Weg ist objektiv unbenutzbar (vereist, stark beschädigt, von falsch parkenden Fahrzeugen blockiert). Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.11.2010 sagt „Radfahrer haben grundsätzlich die Fahrbahn zu benutzen.“ Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine besondere Gefahrenlage besteht.

So ist die Rechtslage in Deutschland

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