Sebastian Lindner
· 18.07.2023
Und das – noch ein Grund mehr zum Strahlen – sehr erfolgreich. Zwift, Titelsponsor der Tour de France Femmes, die 2022 zum ersten Mal ausgetragen wurde, veröffentlichte jüngst eine Studie, die sich mit der medialen Aufarbeitung der Tour beschäftigte. Die Zahlen, die das Marktforschungsinstitut Nielsen Sports dabei lieferte, waren beeindruckend.
TOUR: Die Tour de France Femmes avec Zwift verfolgten bei ihrer Erstaustragung 23,2 Millionen Menschen live und sie hatte höhere Einschaltquoten als der Giro d’Italia der Männer. Wie erklären Sie sich diese unglaublichen Zahlen?
Kate Veronneau: Das liegt in erster Linie daran, dass die Menschen erstmals die Möglichkeit bekamen, das Rennen zu verfolgen. Die Menschen hätten es sich schon früher angeschaut, wenn es denn die Chance gegeben hätte. Aber vor der Tour de France Femmes war Frauen-Radsport im TV kaum verfügbar. Das hat sich durch die gute Promotion aber total verändert. Das Rennen wurde in über 190 Ländern übertragen, fast in allen europäischen. Die Verfügbarkeit spielte ein ganz große Rolle.
TOUR: Welche Rolle spielt dabei der Name “Tour de France”?
Kate Veronneau: Die Tour de France zählt zu den größten Sportereignissen der Welt. Das zieht natürlich. Dazu war der Zeitpunkt mit dem Start des Frauenrennens am Tag der letzten Etappe der Männer optimal. Es hat alles ringsherum gepasst. Das Rennen selbst war überragend, die Medien haben die Geschichten der ersten Tour de Frances Femmes sehr gut verkauft. Alle Planeten standen in einer Reihe, sozusagen.
TOUR: Können die Zahlen aus dem Vorjahr noch getoppt werden, wenn die Tour de France Femmes ab dem 23. Juli in ihre zweite Auflage geht?
Kate Veronneau: Ja, davon gehe ich aus. Im letzten Jahr sind durch die Tour auch die Social-Media-Follower im gesamten Frauen-Radsport gewachsen. Teams und Fahrerinnen haben da enorme Wachstumsraten. Das heißt, wir bauen da echte Fans auf. Ich denke, die werden alle wieder einschalten. Und noch weitere, da im Laufe des Jahres auch andere Frauen-Rennen übertragen wurden und wir so die Aufmerksamkeit steigern konnten. Die Menschen lieben den Frauen-Radsport. Und der ist gekommen, um zu bleiben.
TOUR: Was ist der größte Unterschied zwischen dem Frauen-Radsport heute und dem vor vielleicht zehn, fünfzehn Jahren? Sie waren ja früher selbst mal Profi.
Kate Veronneau: Wahrscheinlich, dass man heute davon leben kann. Es gibt einen Mindestlohn in der Women’s World Tour. Und es gibt viel mehr Möglichkeiten, sich zu präsentieren, irgendwo unterzukommen. Damals gab es kaum professionelle Teams, keine Übertragungen im TV. Durch die verbesserte Sichtbarkeit des Sports wird jetzt auch investiert. Dadurch kommen weitere Sponsoren rein. Die Männer-Teams haben dann damit begonnen, Frauen-Mannschaften zu formieren. Durch alle diese Maßnahmen gibt es jetzt viel mehr Frauen mit Profi-Status. Die Teams sind sogar dazu in der Lage, zwei Rennen parallel zu besetzen.
TOUR: Das Wachstum im Frauen-Radsport in den letzten Jahren, aber gerade auch seit der Wiederbelebung der Frankreich-Rundfahrt ist schon enorm. Geht es vielleicht ein bisschen zu schnell?
Kate Veronneau: Ja, es ging alles sehr schnell. Es gibt Nebeneffekte. Ein paar Rennen sind untergegangen. Es gibt Teams, die Probleme haben, hinterherzukommen. Wir haben also schon ein paar Wachstumsschmerzen. Aber ich denke, es ist gut, diese Probleme zu haben. Sie bringen uns voran. Es ist alles noch im Sinne des Sports. Aber ja, ein paar Stellschrauben müssen gedreht werden.
TOUR: Was hat Zwift als Indoor-Marke dazu veranlasst, in den Outdoor-Radsport einzusteigen?
Kate Veronneau: Wir sind interessiert daran, dass der gesamte Radsport wächst, denn dann wächst auch Zwift. Es ist nicht Indoor oder Outdoor, sondern eine Kombination. Wir sehen unsere Online-Plattform als Gelegenheit, um sich draußen auf der Straße zu verbessern. Als wegweisende Errungenschaft im virtuellen Bereich wollen wir auch den Straßenradsport voranbringen. Wir sponsern auch mehrere Teams.
TOUR: Und eben die Tour de France Femmes avec Zwift. Was hat sich das Unternehmen das Titelsponsoring kosten lassen?
Kate Veronneau: Sehr viel. Ich kann keine genaue Zahl sagen. Nur, dass es jeden Cent Wert ist.
TOUR: Wäre der Frauen-Radsport genauso gewachsen, wenn es den virtuellen Indoor-Bereich nicht gegeben hätte?
Kate Veronneau: Ich halte es da wie Asleigh Moolman-Pasio und sage: nein. Denn dadurch wurden unglaublich viele Möglichkeiten kreiert, die Sichtbarkeit und Investment mit sich brachten. Viele der Profi-Frauen nutzen unser Produkt nicht nur fürs Training, sondern auch um sich mit Sponsoren und Fans zu vernetzen. Ich denke da zum Beispiel auch an die Zwift Academy, die es seit 2016 gibt. Es ist die Möglichkeit, sich durch starke Leistungen einen Profi-Vertrag beim Team Canyon - SRAM zu erfahren. Das ist eine bahnbrechende Veränderung. Auch die eSports-Weltmeisterschaften in Kooperation mit der UCI sind eine neue Bühne.
TOUR: Blicken wir noch auf die bevorstehende Tour de France Femmes. Annemiek van Vleuten hat im vergangenen Jahr neben der Tour auch die Vuelta und den Giro der Frauen für sich entschieden. In diesem Jahr fehlt ihr für das erneute Tripple nur noch der Sieg in Frankreich. Folglich geht sie wieder als Top-Favoritin ins Rennen.
Kate Veronneau: Es wird schwer für sie, ihren Titel zu verteidigen. Um mit Annemiek zu konkurrieren, haben viele ihrer Kontrahentinnen, ihr Training umgestellt, viele Top-Fahrerinnen haben Zeit in der Höhe verbracht. Annemiek macht das ganze Peloton besser. Und das könnte so zu ihrem Problem werden. Es wird viele Teamtaktiken geben, die gegen sie laufen.
TOUR: Wer könnte ihr am gefährlichsten werden?
Kate Veronneau: Demi Vollering. Sie hatte ein unglaubliches Jahr bisher und konzentriert sich voll auf die Tour. Aber ich bin auch gespannt, was Kasia Niewiadoma, Marta Cavalli, Veronica Ewers und Mavi Garcia am Col du Tourmalet machen können und wer das abschließende Zeitfahren gewinnt.
TOUR: Was unterscheidet den Frauen-Radsport von den Männern?
Kate Veronneau: Die Rennen sind kürzer und werden dadurch mit einem anderen Stil gefahren. Es ist aggressiver, es gibt frühe Attacken. Man weißt nicht, was passiert, es ist schwerer vorherzusagen. Dazu gibt es ganz andere Charaktere. Viele Frauen konnten lange nicht vom Radsport leben. Deswegen haben sie interessante Hintergrundgeschichten. Andere Jobs oder Sportarten, aus denen sie kommen. Am Ende aber ist es egal, ob Frauen oder Männer. Die Menschen wollen guten Radsport sehen. Und den bekommen sie gerade von beiden Geschlechtern.