Marion Rousse im TOUR-Interview“Bernard Hinaults Nachfolger wird eine Frau sein”

Joscha Weber

 · 26.07.2025

Marion Rousse ist die Hauptverantwortliche der Tour de France Femmes
Foto: Witters/Bernard Papon
Die Tour de France der Frauen erlebte mehrere Anläufe, doch keiner hielt langfristig an. Mit der vierten Ausgabe der Tour de France Femmes scheint nun ein solides Konzept gefunden worden zu sein. Im TOUR-Interview erzählt Tour-Direktorin Marion Rousse, was ihrer Meinung nach bei der Frauen-Tour bereits besser läuft als beim Männerwettbewerb – und warum der nächste französische Toursieger möglicherweise eine Frau sein könnte.

Zur Person: Marion Rousse (Frankreich)

  • Geboren: 17.08.1991 in Saint-Saulve (Frankreich)
  • Profikarriere: 2010-2015
  • Teams: ESGL 93 - GSD Gestion (2010), Vienne Futuroscope (2011-2012), Lotto-Soudal (2013-2015)
  • Wichtige Erfolge: Französische Meisterin (2012)
  • Instagram: @rousse_marion

TOUR: Marion Rousse, die Tour de France der Frauen geht erst in ihr viertes Jahr und ist doch schon auf neun Etappen angewachsen. Zeit für eine erste Bilanz: Wo steht Ihr Projekt?

Marion Rousse: Die Bilanz ist gut. Bei unserem letzten Gespräch (TOUR 7/2022, Anm. d. Red.) ging es um die Premiere der Tour de France Femmes und um ganz andere Fragen. ­Damals mussten wir beweisen, dass dies ein nachhaltiges Projekt ist. Denn es gab bereits früher eine Tour de France der Frauen. Doch die hatte nie ein stimmiges Konzept und ging deshalb pleite. Von dem Moment an, als wir uns bei der ASO sagten, wir wollen eine Tour de France der Frauen, wussten wir: Dieses Mal muss es funktionieren. Wir wollten ein Rennen, das es auch in 100 Jahren noch gibt. Und zumindest im vierten Jahr existieren wir noch. Wir haben all das aufgegriffen, was auch die Tour der Männer ausmacht: Die Tour ist ein kostenloses Spektakel, das zu den Menschen kommt, mit Werbekarawane vorneweg. Und sportlich haben die Frauen mit starken Leistungen bewiesen, dass sie ihren Platz im Fernsehen verdient haben. Zur Premiere ging es noch darum, ob die Tour der Frauen funktioniert. Seit der zweiten Ausgabe geht es um ganz ­andere Fragen: Es geht um die Heldinnen der Landstraße. Ich werde inzwischen vor allem gefragt: Wer gewinnt die Tour? Damit habe ich mein erstes Ziel erreicht.

TOUR: Im Vorjahr erlebte die Tour in Alpe d’Huez ein Herzschlagfinale mit einem dramatischen Kampf um Sekunden zwischen Kasia Niewiadoma und Demi ­Vollering. Lässt sich ein solches Szenario planen?

Marion Rousse: (Lacht) Nein. Ich würde gerne sagen, dass wir Genies sind, aber nein, das geht nicht. Als Veranstalter haben wir davon geträumt, solch ein Rennszenario zu haben, wie wir es letztes Jahr erlebt haben. Oben auf dem Gipfel von Alpe d’Huez, der vielleicht schönsten Zielankunft der Welt, geht es um gerade einmal vier Sekunden, die die Tour entscheiden. Als Demi Vollering die Etappe gewinnt, warteten wir wie gebannt auf Kasia Niewiadoma, um zu wissen, ob sie die Tour gewinnt oder nicht. Das war großartig. Aber es ist klar für jeden, der sich mit Radsport auskennt, dass so etwas nicht jedes Jahr geht. Das Rennen ist unberechenbar. Wir erstellen die Strecke, aber dann sind es die Fahrerinnen, die das Rennen ­machen. Manchmal entwirft man eine Etappe, überlegt sich ein Szenario, und sagt sich: Das wird großartig! Und dann wird die Etappe ein Flop. Und dann gibt es andere Etappen, bei denen man nicht viel erwartet, und dann passieren unglaubliche Dinge. Das ist die Magie des Radsports.

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TOUR: Haben Sie auf Basis dieser Erfahrungen ein klarere Vor­stellung, was Sie als Veranstalter tun müssen, um ein ­spannendes und offenes Rennen zu ermöglichen?

Marion Rousse: Das Besondere am Frauenradsport ist, dass er sich so schnell weiterentwickelt. Was bei der ersten Auflage funktioniert hat, klappt bei der vierten Auflage so nicht mehr. Das Peloton ist nicht mehr das gleiche, das Niveau ist deutlich gestiegen. Und wir tragen dem Rechnung: Wir gehen in diesem Jahr von acht auf neun Etappen. Das ist eine ­starke Botschaft an den Frauenradsport. Unser Rennen ist immer noch sehr jung, es ist erst die vierte Auflage. Aber man sieht ­bereits die Entwicklung, die Tour wird schwerer. In den Vorjahren sind wir stets mit flachen und hügeligen Etappen gestartet, die echten Berge haben wir meist in das finale Wochenende gelegt, weil wir befürchteten, dass die Zeitabstände aufgrund des Leistungsgefälles bereits früh im Rennen sehr groß wären, zu groß, um noch um den Sieg zu kämpfen. Aber wir haben nun erkannt, dass das Niveau insgesamt höher und auch homogener geworden ist. Wir können es uns leisten, die Fahrerinnen früher im Rennen vor echte Schwierigkeiten zu stellen. Die ersten Etappen in der Bretagne werden daher etwas für Fahrerinnen mit Punch sein. Dann folgen zwei Etappen für die Sprinterinnen und ab der 5. Etappe von Chasseneuil-­du-Poitou Futuroscope nach Guéret werden wir Etappenfinals für wirklich starke Fahrerinnen sehen. Die 6. Etappe von Clermont-­Ferrand nach Ambert ist praktisch schon eine Bergetappe und danach wird es noch schwerer. Kurz: Die Tour wird dieses Jahr anspruchsvoller als in den Vorjahren.

TOUR: Ist es ein Vorteil für die Dramaturgie der Tour de France ­Femmes, dass das Rennen nicht wie bei den Männern auf den Champs-Elysées endet?

Marion Rousse: Ich denke schon. Aber man kann das schwer vergleichen, denn die Tour der Männer geht über drei Wochen. Bei einer dreiwöchigen Rundfahrt kann man viel mehr zwischen Sprintetappen, Zeitfahren und Bergetappen wechseln. Für Bergetappen muss man schließlich ins Gebirge fahren und bei neun Etappen erreicht man maximal ein oder zwei verschiedene Gebirge. Unser Rennen hat eher eine Struktur wie Paris-Nizza oder das Critérium du Dauphiné, bei denen man die Berge auch in den letzten Tagen des Rennens platziert, weil man mit einem Höhepunkt abschließen möchte. Für unser Rennen passt diese Dramaturgie sehr gut. Wenn das Rennen immer in Paris ­ankommen muss, schließt das gewisse Dinge für den Verlauf der Rundfahrt aus. Man müsste sehr schnell in die Berge gehen und das wäre bei neun Renntagen nicht möglich.

“Unser Rennen hat eher eine Struktur wie Paris-Nizza oder das Critérium du Dauphiné” - Marion RousseFoto: Getty Images/Julien de Rosa“Unser Rennen hat eher eine Struktur wie Paris-Nizza oder das Critérium du Dauphiné” - Marion Rousse

TOUR: Aber wäre das eine Perspektive: Die Tour zu verlängern und dann auch auf den Champs-Elysées in Paris zu enden?

Marion Rousse: Nun, wir zeigen ja schon jetzt mit den neun Etappen, dass wir größer werden, dass wir vorankommen. Ich werde nichts ausschließen. Aber wir müssen vorsichtig bleiben. Auch wenn sich der Frauenradsport in den letzten Jahren stark und schnell entwickelt hat, so bleibt er immer noch ein sehr fragiles Ökosystem. Wenn wir zu schnell wachsen, verlieren wir die Kontrolle. Das darf uns nicht passieren und das haben wir aus den früheren Versionen dieses Rennens gelernt. Wir müssen vorsichtig bleiben, aber wir dürfen auch weiter träumen.

TOUR: Warum ist der Frauenradsport ein fragiles Ökosystem?

Marion Rousse: Weil wir einfach noch nicht auf dem Niveau des Männerradsports angekommen sind. Wir haben zwar jetzt einen Mindestlohn, was großartig ist. Aber die Mannschaften sind viel kleiner, es sind zehn oder elf Fahrerinnen pro Team, bei den Männern sind es rund 30. Und bei der Anzahl der Betreuer ist es ähnlich. Ich sehe die Tour de France Femmes als Spitze einer Pyramide und für diese braucht es eine stabile Basis. Wenn wir länger werden, könnten andere Rennen dafür Renntage verlieren. Das wäre nicht gut, wir wollen keine anderen Rennen töten. Die Spitze der Pyramide soll hell erstrahlen und Sponsoren und Medien für die ganze Pyramide anziehen. Wir wollen Sichtbarkeit erzeugen.



TOUR: Zurück zum Rennen: In diesem Jahr geht’s von den Hügeln der Bretagne über das Massif Central bis in die Alpen mit einer Bergankunft am Col de la Madeleine am vorletzten Tag. Wird die Tour in diesem Sommer dort und damit früher entschieden?

Marion Rousse: Die Madeleine-Etappe am Samstag ist die Königsetappe, sie ist lang und hart. Und natürlich wird die Gesamtwertung auf dieser Etappe entschieden. Es wird hier schon Abstände geben, ja. Aber für die Schlussetappe am Sonntag haben wir uns etwas Besonderes überlegt: Wir haben den Col de Joux Plane in der Mitte der Etappe platziert, bevor es ins Ziel nach Châtel geht. Wir haben uns gesagt: Ok, wenn am Samstag eine Fahrerin am Col de la Madeleine alles dominiert, wollen wir für den nächsten Tag nicht unbedingt das gleiche Szenario noch einmal, wir wollen zwei Etappen, die sich sehr voneinander unterscheiden. Stattdessen haben wir eine Etappe entworfen, die zu sehr frühen Attacken einlädt, vor allem durch die, die Zeit auf die Führende gut machen müssen. Das könnte dann ein ähnliches Szenario ergeben wie im ­Vorjahr hinauf nach Alpe d’Huez.

TOUR: Mit Mountainbike-Olympiasiegerin Pauline Ferrand-Prévot gibt es eine neue Aspirantin aufs Gesamtklassement. Kann sie schon in diesem Jahr den Traum von einem französischem Tour-Sieg erfüllen?

Marion Rousse: (Lacht) Ich lache, weil ich und Christian Prudhomme (Direktor der Tour der Männer, Anm. d. Red.) uns damit gern gegenseitig aufziehen. Natürlich wartet ganz Frankreich schon so lange auf einen Nachfolger von Bernard Hinault und jedes Jahr haben wir dieses Thema wieder auf dem Tisch. In den letzten Jahren hieß es immer: Vielleicht dieses Jahr? Und dann kam nicht mal ein Franzose aufs Podium (seufzt). Und weil das bei den Männern nicht klappt, sind Christian und ich inzwischen davon überzeugt, dass Bernard Hinaults Nachfolger eine Frau sein wird. Und da fällt einem natürlich als erstes Pauline ein. Ich freue mich sehr, dass sie zurück auf der Straße ist. Sie ist eine echte Persönlichkeit. Was sie letztes Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris geleistet hat (sie ­errang die Goldmedaille im Mountainbike-Cross Country, Anm. d. Red.), war enorm. Ihre Strahlkraft geht weit über den Sport hinaus. Sie wird überall in Frankreich erkannt, ist ein Vorbild für junge Mädchen und motiviert sie, auf das Fahrrad zu steigen. Allein deshalb freut es mich, dass sie zurück ist aus ihrem Straßenradsport-­Ruhestand. Zehn Jahre lang ist sie keine Straßenrennen gefahren und jetzt ist sie zurück, weil sie sagt: Ich möchte die Tour de France der Frauen gewinnen. Dass sehe ich auch als Lob für unsere Arbeit, wenn ein Champion wie Pauline für unser Rennen wieder auf die Straße zurückkehrt. Und übrigens: Ihr Sieg bei Paris-Roubaix (im April 2025, Anm. d. Red.) und ihre Leistungen in anderen Rennen zeigen, dass mit ihr zu rechnen ist. Natürlich muss sie sich wieder daran gewöhnen, in einem engen Peloton zu fahren, das ist im Mountainbikesport anders. Aber sie arbeitet daran, fährt ihren Kolleginnen sogar Sprints an. Vor allem hat sie aber diese einmalige Fähigkeit, sehr weit in den roten Bereich zu gehen. Wenn sie ein Ziel hat, setzt sie alles daran, es zu erreichen. Wenn sie selbst sagt, dass sie binnen drei Jahren die Tour de France der Frauen gewinnen will, dann glaube ich, dass sie das schaffen wird.

TOUR: Sie haben den Boom des Frauenradsports bereits angesprochen: Mehr Rennen und mehr Teams, neue Sponsoren, mehr Konkurrenz an der Spitze, und viele Rennen werden im TV übertragen. Kann sich dieser Trend fortsetzen?

Marion Rousse: Es gibt eigentlich keinen Grund, daran zu zweifeln. Was mich wirklich optimistisch stimmt: Jedes Rennen, das ich sehe, kommentiere oder leite, ist spannend. Das Niveau ist gestiegen, die Leistungen sind zum Teil fantastisch. Beim Flèche Wallonne beispielsweise wäre Puck Pieterse mit ihrer Leistung an der Mauer von Huy die 15. Zeit bei den Männern gefahren. Zahlen wie diese sprechen für sich. Der Frauenradsport wird schneller und das beeindruckt viele. Zum Beispiel Thomas Voeckler (Ex-Profi und Nationaltrainer der Männer, Anm. d. Red.), er hat das Frauenrennen von Paris-Roubaix auf dem Motorrad begleitet, kam danach zu mir und sagte: „Ich bin echt beeindruckt“. Außerdem sind die Fahrerinnen sehr nahbar und zugänglich fürs Publikum. Das schätzen die Leute, sie kommen gern zu ­unseren Rennen. Und die besten Fahrerinnen werden inzwischen überall erkannt. Deswegen bin sich super optimistisch für die Zukunft.

TOUR: Sie waren selbst bis 2015 Profi. Wie hat sich der Frauenradsports seitdem verändert?

Marion Rousse: Alles ist anders als damals. Damals haben wir uns hinter den LKW umgezogen, hatten keinen Bus dafür. Geschlafen haben wir nicht in Hotels, sondern in Schulen, Kasernen oder auch mal in einer Feuerwache. Und das war nicht der Fehler der Veranstalter, sie haben getan, was sie konnten. Sie waren in der Regel Ehrenamtliche und haben nichts an den Rennen verdient. Die Medien haben sich nicht für uns interessiert, es gab keine Übertragungen im Fernsehen und nicht mal im Internet hast du unsere Ergebnisse gefunden. Meine Eltern haben immer mitgefiebert mit mir, aber sie haben erst am Abend, als ich sie anrufen konnte, erfahren, wie ich ­abgeschnitten habe. Und natürlich musste ich zusätzlich arbeiten gehen, denn mit dem Radsport habe ich nichts verdient. Wir haben also einen sehr, sehr langen Weg hinter uns, und die Tatsache, dass ich diese Ära des Radsports erlebt habe, führte dazu, dass ich genau wusste, was verbessert werden muss. Ich hatte die Vision, dass der ­wahre Wert des Frauenradsports anerkannt wird. Dafür brauchte es ein kluges Vorgehen. Hätten wir zu Beginn zu viel gewollt, wären wir vor die Wand gefahren. Jetzt wachsen wir stetig und das ist ­genau richtig. Und inzwischen ist der ­Frauenradsport Lichtjahre von dem Sport entfernt, den ich einmal gemacht habe.

TOUR: Manche Leute sagen, um zu wachsen braucht man Geld. Muss der Frauenradsport neue Geldquellen auftun?

Marion Rousse: Ich finde, wir müssen vorsichtig sein. Der Radsport sollte ein nahbarer und im besten Sinne populärer Sport bleiben. Er ist ein Sport für alle, und darauf bin ich stolz. Wenn du aus einer Arbeiterfamilie kommst, was bei mir der Fall ist, ist die Tour de France ein ­Erlebnis, das vor allem eins ist: gratis. Meine Familie und ich waren auch deswegen dort. Und wenn man nun zum Beispiel anfangen würde, von den Besuchern der Radrennen Eintritt zu verlangen, würde das viel ändern. Wir befinden uns in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit für die Menschen. Und man muss der Wahrheit ins Gesicht schauen: Viele Menschen wissen nicht, ob sie am Ende des Monats noch genug im Kühlschrank haben, damit alle satt werden. Will man wirklich Geld von diesen Menschen verlangen? (Ihre Stimme stockt) Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen. Nein, nein, das kannst du nicht machen.

“Der Radsport sollte ein nahbarer und im besten Sinne populärer Sport bleiben” - Marion RousseFoto: Getty Images/Julien de Rosa“Der Radsport sollte ein nahbarer und im besten Sinne populärer Sport bleiben” - Marion Rousse

TOUR: Der Mindestlohn für weibliche Radprofis in der World-Tour beträgt 38.000 Euro, für Neu-Profis knapp 32.000 Euro. Ist das genug zum Leben?

Marion Rousse: Es fällt mir schwer, hier etwas zu sagen. Denn wenn man bei Null anfängt, ist ein Mindestlohn schon sehr wichtig. Aber zum anderen ist er noch nicht auf dem gleichen ­Niveau wie bei Männern. Doch ich sehe eine Entwicklung. Im Winter war der Wechsel von Demi Vollering (von SD Worx zu FDJ-Suez, Anm. d. Red.) das große Thema im ­Radsport, fast noch größer als der Wechsel von Julian ­Alaphilippe (ihr Lebensgefährte; zweimaliger Weltmeister und mehrmaliger Etappensieger der Tour de France, Anm. d. Red). Die Fahrerinnen stehen mehr im Rampenlicht und das führt auch zu höheren Gehältern, wie bei diesem Transfer (Vollerings Gehalt soll im hohen sechsstelligen Bereich liegen, ein anderes Team bot ihr sogar eine Million Euro Jahressalär, Anm. d. Red.). Du sagst dir, wow, da hat sich was getan. Wir sind von Null auf solche Summen gestiegen – und Champions wie sie haben es sich verdient. Auf der anderen Seite führt das auch zu großen Gehaltsunterschieden, die es bei den Frauen wie bei den Männern gibt. Wir stehen noch ganz am Anfang der Entwicklung des Frauenradsports und ich hoffe, dass mehr Sponsoren in den Frauenradsport investieren und dass dadurch im Ergebnis auch die Gehälter steigen, wie bei den Männern.

TOUR: Aber es liegt auch in Ihrer Hand. Das Gehaltsgefälle zwischen Frauen und Männern im Radsport zeigt sich auch bei den Preisgeldern: Bei der Tour erhält der Sieger weiterhin 500.000 Euro und die Siegerin 50.000 Euro. Werden Sie dies ändern können?

Marion Rousse: Es ist schwierig, ein Rennen mit 21 Renntagen und eines mit neun Tagen zu vergleichen. Wir müssen das vergleichen, was vergleichbar ist. Wenn man die Tour de France Femmes mit Männerrennen vergleicht, die ähnlich lang sind, sieht es anders aus: Im Vergleich zu Paris-Nizza oder dem Critérium du Dauphiné ist die Prämie bei der Tour der Frauen höher. Die Frage nach den Siegprämien begleitet mich seit der ersten Auflage der Tour und das nervt mich ehrlich gesagt etwas. Denn die Prämien sind nicht so entscheidend. Die Fahrerinnen leben nicht von den Prämien, was sie wollen, ist ein faires Gehalt, das ist wichtig. Die Prämien werden ohnehin im Team verteilt, denn dies ist ein Mannschaftssport. Und deswegen habe ich hier ­eine klare Haltung: Wir brauchen gute Gehälter für die Profis und diese erreichen wir auch dank einer attraktiven Tour de France Femmes.

TOUR: Ein erklärtes Ziel von Ihnen und der Tour de France Femmes ist es, mehr Mädchen und Frauen für das Fahrrad und den Radsport zu begeistern. Beobachten Sie hier schon einen Effekt?

Marion Rousse: Ja, ganz konkret: zum Beispiel mit der Kreation der Étape du Tour für Frauen. Es gibt schon sehr lange eine Étape du Tour, die an das Männerrennen angeschlossen ist, ein Jedermannrennen auf der Königsetappe der Tour. Bei der klassischen Étape du Tour haben wir vielleicht drei oder vier Prozent Teilnehmerinnen. Jetzt, zur Étape du Tour im Rahmen der Tour der Frauen, erwarten wir einen Frauen­anteil von fast 40 Prozent. Also man sieht, dass sich etwas bewegt und ich bemerke den Effekt auch, wenn ich mit ­meinem Rad eine Runde drehe: Ich sehe immer mehr ­Frauen auf ihren Rennrädern, ich sehe Paare, die zusammen fahren. Das ist großartig, vor allem, weil ich sehe, dass sich die Frauen selbst weniger Barrieren setzen. Sie wollen Rennrad fahren, sie fahren Rennrad und das ist gut so.

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