Thomas Juschus, dpa
Die schlimmen Bilder von Mallorca sind immer noch präsent. «Der Unfall war ein Riesenschreck», erinnert sich Bahnrad-Bundestrainer Lucas Schädlich an die bangen Stunden Mitte Januar. Sechs seiner Radprofis lagen teils mit schweren Knochenbrüchen am Straßenrand, nachdem ein 89-jähriger Spanier mit einem Auto in die Trainingsgruppe gefahren war. Neun Monate später sind die Folgen weitestgehend verarbeitet.
«Der Unfall war ein gravierender Einschnitt. Wir sind glücklich und dankbar, dass alle wieder auf dem Rad sitzen», sagt Schädlich. Benjamin Boos ist nach einer Lendenwirbeloperation längst wieder hergestellt. «Auch mental ist der Unfall abgehakt», betont der 21-Jährige, der dem Kader für die am Mittwoch beginnenden Weltmeisterschaften in Chile angehört.
Das gilt auch für Max-David Briese und Moritz Augenstein, die ebenfalls in den Unfall verwickelt waren. Lediglich Tobias Buck-Gramcko, ehemaliger U23-Europameister in der Einerverfolgung, ringe nach einem weiteren Sturz im Sommer weiter um seine Rückkehr.
Der Trainingsunfall war ein schwerer Einschnitt. Dabei ging es gerade wieder aufwärts. Bei der WM 2024 in Kopenhagen gehörte Boos zum deutschen Männer-Vierer, der sich nach mehr als zwei Jahrzehnten aus der Versenkung zurückmeldete. Erstmals seit 2002 holte das Quartett mit Bronze wieder eine WM-Medaille in der einstigen deutschen Paradedisziplin. Vor allem junge Fahrer wie der Erfurter Boos und Tim Torn Teutenberg aus Köln standen für den Umbruch und Aufschwung.
In Chile will Bundestrainer Schädlich mit Boos (22), Felix Groß (27/Leipzig), Ben-Felix Jochum (21/Wuppertal) und Moritz Binder (19/Hannover) den Verjüngungsprozess fortsetzen. «Ich möchte die Männer weiterbringen. Es muss eine Entwicklung im Vierer stattfinden. Das ist relativ einfach an gefahrenen Zeiten festzumachen», sagte Schädlich. Der 36-Jährige, zuvor sieben Jahren sehr erfolgreich im Juniorinnen-Bereich für German Cycling (früher Bund Deutscher Radfahrer) tätig, hatte erst kurz vor dem Unfall die Position des Cheftrainers von Sven Meyer-Zacharias übernommen.
Den Schwung der Bronzemedaille von Kopenhagen will der Vierer mit nach Südamerika nehmen. «Der dritte Platz war ein Riesenerfolg. Das war eine ganz wichtige Motivations-Dosis», sagt Schädlich, der in Santiago aber auf World-Tour-Profi Teutenberg verzichten muss. Der Kern der Mannschaft mit Groß und Boos stehe aber. «Wir müssen jetzt die nächsten Schritte gehen. Und wir wissen, was dafür notwendig ist», sagt Schädlich, der im Idealfall in Chile den deutschen Rekord (3:48,861 Min.) knacken will.
In früheren Zeiten wurden in der 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung dritte Plätze eher als Misserfolg angesehen. Denn der Vierer war einst eine deutsche Erfolgsgeschichte. Fünf Olympiasiege und 16 Weltmeistertitel fuhren deutsche Mannschaften in der Vergangenheit ein. Beim Olympia-Triumph in Sydney 2000 hatten Robert Bartko und Co. als erstes Team die Vier-Minuten-Schallmauer durchbrochen.
Ab 2002 begann aber der Abwärtstrend, teilweise wurde in der Vergangenheit sogar die Olympia-Teilnahme verpasst. Längst sind andere Nationen wie Großbritannien oder Australien vorbeigezogen. Der Weg zurück an die Spitze ist noch weit.
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