Karriereenden 2023Rohan Dennis - Familienmensch und pingeliges Zeitfahrgenie

Sebastian Lindner

 · 11.12.2023

Bevor Rohan Dennis auf die Straße wechselte, sammelte er zahlreiche Erfolge auf der Bahn. Bis 2012 war er im Oval unterwegs und holte dabei neben dem WM-Titel in der Mannschaftsverfolgung 2010 auch mehrere Silbermedaillen.
Foto: DPA Picture Alliance
Das Jahr 2023 sah das Ende vieler großer Namen im Radsport. Vor allem die Klassiker-Fans müssen sich von einigen Helden verabschieden. Zu den Stars, die ihr Rad an den Nagel hängen, gehört auch Rohan Dennis. TOUR blickt auf seine Karriere zurück.

Klassiker? Kennt Rohan Dennis nicht. Kein einziges Monument hat der Australier in zehn Jahren als Radprofi absolviert. Wenn sich doch mal, ganz selten, eine Strade Bianche oder Dwars door Vlaanderen in frühen Jahren in seinen Rennplan verirrte, steht dahinter in der Regel ein Did Not Finish. Generell lassen sich Eintagesrennen - außgenommen nationale Meisterschaften, Welttitelkämpfe und Olympia - die er absolviert hat, problemlos an den Fingern abzählen.



Warum diese Rennen nicht in das Anforderungsprofil des Rohan Dennis passen, ist schnell ersichtlich. Denn dort gibt es keine Zeitfahren. Doch der Kampf gegen die Uhr war seit jeher die große Stärke des Mannes aus Adelaide. Schon als Junior wird er 2007 mit 17 Jahren Neunter der Junioren-Weltmeisterschaften. Auf der Bahn ist er noch erfolgreicher, holt ein Jahr später den Vize-Weltmeistertitel in der Einerverfolgung, mit dem Team wird er sogar Weltmeister. Zwei Jahre später gelingt der Mannschaftserfolg auch in der Elite, 2012 gibt es WM- und Olympia-Silber in dieser Disziplin.

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Rohan Dennis: Blitzstart in die Profikarriere

2013 vollzieht Dennis, der zuvor schon mehrere Jahre auf der Kontinental-Tour unterwegs ist und dabei auch das Bergtrikot der Tour Down Under gewinnt, den kompletten Wechsel auf die Straße. Er unterschreibt seinen ersten Profivertrag beim amerikanischen Team Garmin - Sharp. Und schnell zeigt sich, dass der Schritt keinesfalls falsch ist. Im Juni wird Dennis beim Zeitfahren des Criterium du Dauphine nur vom amtierenden Weltmeister Tony Martin besiegt. Ins Gelbe Trikot kann er, wenn auch nur für einen Tag, dennoch schlüpfen. Am Ende der Rundfahrt geht er in Weiß als bester Nachwuchsfahrer nach Hause und darf zur Tour de France. Das zeigt, welches Potenzial, auch übers Zeitfahren hinaus, der 23-Jährige mit sich bringt.

Tatächlich geht Dennis in seinen frühen Jahren eher als Allrounder denn als Zeitfahrspezialist durch. Seine ersten fünf Siege als Profi feiert er auf hügeligen Etappen oder im Gewinn kleiner Rundfahrten. Beides gelingt ihm noch in seinem ersten Jahr bei der Tour of Alberta in Kanada. Seine erste Zeitfahr-Weltmeisterschaft kurz danach beendet er als Zwölfter mit mehr als drei Minuten Rückstand auf Tony Martin.

Schon 2014 zeigt sich, wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen für den Australier sind. Denn Mitten in der Saison wechselt Dennis das Team und geht zu BMC. Es geht nicht um Geld oder schlechte Stimmung. Ihm fehlt Allan Peiper. Dennis’ Landsmann ist 2012 Sportdirektor und lotste ihn zu Garmin - zog aber kurz darauf selbst weiter zu BMC. “Meine erste Erfahrung im Profiradsport war mit ihm bei der Tour Down Under, als ich zu Garmin - Sharp gekommen bin. Ich denke, dass er sich am besten um mich kümmern kann”, sagt Dennis über seine Gründe.

Etappensieg bei der Tour de France macht Rohan Dennis zur australischen Legende

Sein erstes komplettes BMC-Jahr beginnt er dann auch gleich mit dem Sieg bei der Tour Down Under und bestätigt damit, dass der Wohlfühlfaktor für Dennis entscheidend ist. Kurze Zeit später sichert er sich den Stundenweltrekord bei einer kurzen Rückkehr auf die Bahn, den er allerdings schnell wieder hergeben muss. Bis zum Ende von BMC 2018 bleiben sowohl er als auch Peiper im Team, erst dann trennen sich ihre Wege.

Doch bevor es soweit ist, steht 2015 für Dennis seine zweite Tour de France an. Die erste beendet er nicht, die zweite hingegen schon. In Paris ist er der erst siebente Australier, der beim wichtigsten Rennen der Welt das Gelbe Trikot übernehmen kann. Doch um sich in die Herzen der großen Radsportnation zu fahren, muss Dennis nicht mal französisches Staatsgebiet erreichen. Die Tour de France startet in diesem Jahr mit einem Prolog in Utrecht. Und dort gewinnt weder Lokalmatador Tom Dumoulin, noch Weltmeister Martin oder Fabian Cancellara. Rohan Dennis absolviert den 13,8 Kilometer langen Kurs mit 55,446 km/h knapp vor den den drei anderen, die ebenfalls alle einen 55er Schnitt liefern, und stellt damit den inoffiziellen Geschwindigkeitsrekord für ein Zeitfahren bei der Tour auf. Es ist das erste Mal seit der Zeit auf der Bahn, dass Dennis einen Kampf gegen die Uhr gewinnt.

Und es ist die beste Tour de France, die Dennis in seiner Karriere absolviert. Denn neben seinem persönlichen Erfolg macht er als Helfer an der Seite seines Kapitäns Tejay van Garderen eine starke Figur. Der Amerikaner ist vor der 17. Etappe Dritter der Gesamtwertung, muss dann aber krankheitsbedingt aufgeben.

Das kuriose Tour-de-France-Aus 2019 und der anschließende Weltmeistertitel

Nur viermal wird Rohan Dennis in Frankreich am Start stehen, denn so wirklich glücklich wird er mit dem Rennen nicht. Lediglich 2015 erreicht er das Ziel. Und besonders kurios ist das Ende 2019. Nach dem BMC-Aus hat sich der Australier Bahrain - Merida angeschlossen. Mit einem zweiten Platz in der Gesamtwertung der Tour de Suisse untermauert Dennis zunächst seine Ambitionen, zum Rundfahrer umzuschulen. Gegenüber einigen Medien gab seine damalige Freundin Melissa Hoskins 2017 zu, dass Dennis vom Gesamtsieg bei einer Grand Tour träumt. Ein Jahr später ist sie seine Frau im Sommer 2019 nach Dennis’ Worten einer der Gründe für sein abruptes Tour-Aus.

Es läuft die 12. Etappe, als er in einer Verpflegungszone plötzlich vom Rad steigt und das Rennen aufgibt. Erkennbare Gründe gibt es dafür nicht. Er verschwindet im Bus und taucht erst zweieinhalb Monate später wieder auf. Bei der Weltmeisterschaft im britischen Harrogate. Er verteidigt seinen WM-Titel im Zweifahren mit mehr als einer Minute Vorsprung auf Remco Evenepoel und fast zwei auf Filippo Ganna. Die ganze Radsportwelt gratuliert - bis auf sein Team. Doch wie sich kurze Zeit später herausstellt, ist es gar nicht mehr sein Team.

Bahrain - Merida hatte Dennis schon vor dem WM fristlos gekündigt, öffentlich wird das aber erst danach. Das Zeitfahren bestreitet er mit einer BMC-Maschine. Das Material ist es auch, das Dennis frustriert bei der Tour ausstiegen ließ. Erst 2020 erklärt Dennis selbst, dass ihm Streit um Stress wegen des Materials in eine derart schwierige mentale Situation brachten, dass er sich um seine Ehe sorgte und deshalb auf jener 12. Etappe vom Rad steigt und nie wieder zur Tour zurückkehrt.

Rohan Dennis - “Die Familie hat Vorrang”: Heim-WM fällt wegen der Hochzeit des Bruders aus

Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass Dennis persönliche oder familiäre Bindungen mehr schätzt als seine Karriere. Denn die kommt danach nie mehr so richtig in Fahrt. Die Ehe hingegen überlebt ohne Probleme. Frau und der erstgeborene Sohn, der fast genau ein Jahr zuvor zur Welt kam, stehen bei der WM am Straßenrand und jubeln dem alten und neuen Weltmeister zu.

Auch 2022 gibt Dennis der Familie nochmal Vorrang. Dieses Mal opfert er dafür die Heim-WM in Wollongong. “Es ist wie es ist. Mein Bruder heiratet einen Tag vor dem Zeitfahren in Deutschland. Und ich werde sein Trauzeuge sein. Die Familie hat Vorrang, Kumpel”, sagt er einem Reporter des australischen TV-Senders SBS.

2022 fährt Dennis bereits für Jumbo-Visma. Es ist die letzte Station seiner Karriere. Die zwei Jahre davor gehört er nach dem Rausschmiss bei Bahrain dem Team Ineos an. 2020, das Corona-Jahr, ist das erste und letzte in seiner Profi-Karriere, in dem er keinen Sieg einfährt. Beim Giro im Oktober ist er allerdings nah dran. Im zweiten von drei Zeitfahren ist nur Teamkollege Filippo Ganna schneller, der ihn auch als Weltmeister abgelöst hat. Zudem erweist sich Dennis als starker Helfer für seinen Kapitän Tao Geoghegan Hart in den Bergen. Auf der 20. Etappe hinauf zur Bergankunft nach Sestriere ist er der Einzige, der Geoghegan Hart und Jai Hindley, die beide die Gesamtwertung sekundengleich anführen, folgen kann.

Olympia 2021: Ein seltener Fall von Glück für Rohan Dennis

Im Jahr darauf gewinnt Dennis nochmal Zeitfahren bei der Katalonien-Rundfahrt und der Tour de Romandie und bringt sich damit für die verschobenen Olympischen Spiele in Stellung. Mit Bronze reist er wieder ab. Gut eine Minute hinter Primoz Roglic, drei Sekunden hinter Dumoulin - und nur wenige Hundertstel vor Stefan Küng.

Mit der Medaille schwingt sich Dennis zu den Fahrern auf, die sowohl auf der Bahn als auf der Straße olympische Ehren entgegennehmen können. Und es ist einer der wenigen Momente, in denen er bei Olympia oder Weltmeisterschaften Glück hat. Denn ansonsten lief es zu den Höhepunkten selten wirklich rund. Bei den Spielen in Rio 2016 bricht ihm der Lenker 15 Kilometer vor dem Ziel. Er verpasst die Medaillenränge um acht Sekunden und wird Fünfter.

2015 reist Dennis nach dem Sieg im Tour-de-France-Zeitfahren als einer der Favoriten zur WM, ein Defekt lässt am Ende aber nicht mehr zu als Rang 6. 2017 stürzt er und wird Achter. Und auch bei seinem letzten Auftritt 2023 in Glasgow fangen die Kameras einen entnervten Rohan Dennis ein, der am Schlussanstieg das Rad wechseln muss.

Gelb, Rosa und Rot für Dennis

2018 zählte diesbezüglich wie das Jahr darauf zu den wenigen, in denen er den WM-Kurs ohne Probleme absolvierte. 1:21 Minuten Vorsprung gab er Tom Dumoulin und Victor Campenaerts mit, die sich in Innsbruck Silber und Bronze holten. Dass Dennis in diesem Jahr höchstens wieder durch Pech zu stoppen sein könnte, deutete sich schon im Saisonverlauf an. Er gewann Zeitfahren bei Giro und Vuelta. Bei der Spanien-Rundfahrt zog er sich nach dem Auftaktsieg das Rote Trikot über, im Jahr zuvor war ihm das durch den Sieg im Teamzeitfahren gelungen.

Doch da er beim Giro zwischenzeitlich auch in Rosa unterwegs war, komplettierte er seine Sammlung an Leadertrikots bei den Grand Tours. Im Auftaktzeitfahren musste er sich noch Dumoulin geschlagen geben, holte sich die Sekunden durch Boni am Zwischensprint aber wieder und übernahm die Führung, die er drei Tage behauptete. Ohnehin war dieser Giro ein weiteres Zeichen für die später aber doch wieder begrabenen Rundfahrer-Ambitionen. Bis zur 18. Etappe lag Dennis mit nur fünf Minuten Rückstand auf den Führenden Simon Yates auf Rang 7 der Gesamtwertung. Erst der Schotter am Colle delle Finestre beendete seine Ambitionen. Er kassierte 14 Minuten und rollte die letzte Bergetappe im Gruppetto aus, wurde schließlich 16. mit fast einer Stunde Rückstand.

“Radsport, du hast mir viel gegeben”

Aber auch das ist Rohan Dennis. Ähnlich wie beim Tour-Ausstieg im Jahr darauf dürften die Gründe dafür auch im Temperament des Australiers liegen. Van Garderen, sein Kapitän beim BMC, beschrieb Dennis in einem Tweet einst so: “Dreckiges Mundwerk, starke Beine, kurze Zündschnur, bester Teamkollege den man sich vorstellen kann.”

Im Februar 2023 gibt Rohan Dennis via Instagram sein Karriereende bekannt. “Radsport, du hast mir viel gegeben und dafür werde ich immer dankbar sein. Die Saison ist noch lang, aber es wird definitiv meine letzte als Profi sein”, schreibt er und bedankt sich zuvor noch bei seiner Frau. Im Januar gewinnt er für Jumbo-Visma noch eine Etappe in seiner Heimat bei der Tour Down Under. Das WM-Zeitfahren in Glasgow ist dann zwar der Abschluss einer großen Karriere, aber noch nicht sein letztes Rennen. Denn dafür lässt er sich standesgemäß noch ein Did Not Finish hinter den Grand Prix de Quebec schreiben.

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Die größten Erfolge von Rohan Dennis

  • 2x Weltmeister im Einzeilzeitfahren (2018 und 2019), dazu in fünf weiteren Jahren in den Top 8
  • 1x Etappensieger Tour de France (2015)
  • 2x Etappensieger Vuelta a Espana (2018)
  • 1x Etappensieger Giro d’Italia (2018)
  • Träger des Führungstrikots bei allen Grand Tours
  • insgesamt 33 Siege als Profi, davon 22 im Zeitfahren
  • Sieger Tour Down Under (2015)
  • Olympiabronze im Zeitfahren (2021)
  • Gesamtzweiter bei Tirreno-Adriatico (2017)
  • Gesamtzweiter Tour de Suisse (2019)
  • 4x Australischer Meister im Zeitfahren (2016, 2017, 2018 und 2022)
  • 2x Weltmeister im Mannschaftszeitfahren (2014 und 2015)

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