Lennard Kämna im TOUR-Interview“Ich habe keine Angst vor Versagen”

Andreas Kublik

 · 05.05.2023

Wichtige Erfolge von Lennard Kämna: 1 Etappensieg bei der Tour de France 2020
Foto: Getty Velo

Für Lennard Kämna soll der bevorstehende Giro d’Italia ein Meilenstein werden. Der Bora-Hansgrohe-Profi will erstmals bei einem dreiwöchigen Rennen auf Gesamtwertung fahren. TOUR hat den 26-Jährigen in Vorbereitung auf den Giro getroffen und mit ihm über Ziele, Druck, Spaß und wie Erfolg ein Team formt gesprochen.

Zur Person Lennard Kämna

  • Nationalität: deutsch
  • Geboren: 9. September 1996 in Wedel
  • Größe: 1,81 Meter
  • Gewicht: 65 kg
  • Wohnort: Bregenz (Österreich)
  • Profi: seit 2016
  • Teams: Stölting (2015–2016), Sunweb (2017–2019), Bora-Hansgrohe (seit 2020)
“Ich werde beim Giro das erste Mal auf Gesamtklassement fahren”Foto: Henning Angerer
“Ich werde beim Giro das erste Mal auf Gesamtklassement fahren”

Wichtige Erfolge

  • 2014 Welt- und Europameister Junioren Einzelzeitfahren
  • 2015 WM-Dritter U23 Einzelzeitfahren
  • 2016 Europameister U23 Einzelzeitfahren
  • 2017 Weltmeister Mannschaftszeitfahren und WM-Zweiter U23 Straße
  • 2020 Etappensieger Tour de France und Dauphine
  • 2022 Deutscher Meister Einzelzeitfahren und Etappensieger Giro d’Italia

Lennard Kämna im TOUR-Interview

Das Interview wurde geführt von Andreas Kublik

TOUR: Lennard, große Landesrundfahrten wie Tour de France oder Giro d’Italia sind Ganzjahresprojekte mit langer Vorbereitungszeit. Sie sind für ein erstes Trainingslager mit den Teamkollegen, die für die Italien-Rundfahrt vorgesehen sind, im Hotel Parador am Fuße des Teide auf Teneriffa. Ist das Spaß oder harter Verzicht?

Lennard Kämna: Ich trainiere gerne in einer Gruppe, wir sind hier eine gute, spaßige Truppe. Ich fahre gerne bergauf, ich fahre gerne bergab. Auch wenn das doof klingt: Ich fahre einfach gerne Fahrrad. Hier ist eine Top-Umgebung, um viele Stunden zu fahren. Und dabei zu sehen, wo ent­wickelt sich der Körper hin – das macht Laune. Aber ich bereite mich hier in erster Linie auf die Rennen vor – die Rennen geben mir das meiste, die Leidenschaft für den Radsport.

TOUR: Sie sind hier in einem abgelegenen Hotel auf 2000 Meter Höhe. Ist das nicht auch mental anstrengend – nur Radsport, keine Ablenkung?

Lennard Kämna: Das ist etwas Supergutes. Man muss auch ab und zu mal zur Ruhe kommen. Ich habe das Gefühl, dass man hier nicht ganz so gestresst ist wie an manch anderen Orten – wie beispielsweise in einem Trainingslager auf Mallorca. Es ist hier alles sehr easy going, leise, entspannt. Ich fühle mich sehr wohl und genieße, dass man hier so zur Ruhe kommt.

TOUR: Ihr großes Highlight in diesem Jahr soll der Giro d’Italia werden. Wir würden Sie persönlich Ihr Ziel bei diesem Rennen formulieren?

Lennard Kämna: Ich werde das erste Mal versuchen, auf GC (Gesamtwertung) zu fahren. Ich versuche, wie jeder andere, in absoluter Bestform am Start zu stehen und dann die drei Wochen mit einer sehr guten Leistung zu absolvieren. Das ist mein Ziel.



TOUR: Das Projekt Gesamtwertung bei einer Grand Tour birgt Risiken – es ist ein sehr großes Ziel, dem man viel unterordnen muss. Wenn es nicht funktioniert, wird eine ganze Saison infrage gestellt?

Lennard Kämna: Das wurde ich erst vor zwei Tagen schon mal gefragt. Ich denke, dass wir da im Radsport eine sehr komfortable Situation haben. Selbst wenn das auserkorene große Ziel nicht funktioniert und es nicht so ausgeht, wie man sich das wünscht, hat man so viele andere Rennen, wo man sich zeigen kann. Sei es in der Vorbereitung oder nach dem Giro. Wenn der Giro vorbei ist, ist erst Ende Mai. Danach kommt noch die Hälfte der Saison – da ist die Wiese noch lange nicht gemäht.

TOUR: Warum haben Sie sich entschieden, das Projekt Gesamtwertung beim diesjährigen Giro d’Italia zu starten?

Lennard Kämna: Es war hauptsächlich die Strecke. Sie könnte mir gut liegen – das hat den Ausschlag ge­geben.

Lennard Kämna beim Giro d’Italia 2022Foto: Getty Velo
Lennard Kämna beim Giro d’Italia 2022

TOUR: Welche Elemente der Strecke in Italien waren es genau?

Lennard Kämna: Hauptsächlich die Zeitfahren – bei der Tour fehlen die so gut wie komplett. Da gibt es nur ein Bergzeitfahren. Wenn wie bei der Tour dieses Jahr die Bergetappen so einen riesigen Platz einnehmen, habe ich da ein bisschen weniger Chancen.

TOUR: Sie waren dreimal bei der Tour dabei, haben 2020 eine Etappe gewonnen. Im vergangenen Jahr haben Sie Ihr Debüt beim Giro gegeben und dort die Etappe am Ätna gewonnen. Was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen den beiden Rennen?

Lennard Kämna: Letztes Jahr lief der Giro natürlich wie geschmiert bei uns. Da sieht man dann viele Sachen durch die rosarote Brille. Wenn ich zurückdenke: Es war alles super, es lief stressfrei. Wenig Gestürze – der Giro war angenehm zu fahren. Die Tour ist das Gegenteil, das ist bekannt: mehr Drumherum, viel Stress und Stürzerei.

TOUR: Ihr Team Bora-Hansgrohe war im vergangenen Jahr in Italien erstmals mit dem Ziel an den Start gegangen, alles aufs Gesamtklassement zu setzen. Am Ende hat’s geklappt: Jai Hindley hat in Verona triumphiert. Von außen könnte man meinen: Das bedeutet viel Druck, viel Stress …

Lennard Kämna: Ich glaube, wir waren alle sehr fokussiert und motiviert. Dann hatten wir einen super Start, haben zwei von den ersten neun Etappen gewonnen (Kämna die 4. Etappe, Hindley die 9.) und waren im GC vorne dabei. Damit hatten wir die Ziele schon erfüllt – danach lässt es sich einfacher fahren. Da ist vieles sehr, sehr gut gelaufen.

TOUR: Im Vorjahr wirkte es, als seien Jai Hindley und Sie wie Brüder im Geiste unterwegs. Der Australier fährt in diesem Jahr nicht in Italien, sondern erstmals die Tour de France. Es wird ein neues Team geben, mit dem Russen Aleksandr Vlasov als Kapitän. Was wird sich beim Giro ändern?

Lennard Kämna: Mit Jai habe ich mich super verstanden, wir waren Zimmerkollegen und konnten daher viel über das Rennen reden. Klar, die Dynamik im Team wird ein bisschen anders. Jedes Jahr, jedes Team hat eine andere Dynamik. Jeder hat einen eigenen Charakter, jeder ist unterschiedlich. Aber ich habe das Gefühl, dass die Chemie jetzt schon sehr gut ist. Ich empfinde, dass das gesamte Giro-Team hoch motiviert ist, dass da ein großer Spirit ist. Viele haben den Willen, dass es wieder klappt. Das pusht die Gruppe. Und wir sind alle von der Form her auf einem guten Weg.

TOUR: Sie deuten es an: Was macht Erfolg wie der beim letztjährigen Giro mit einem Team wie Bora-Hansgrohe?

Lennard Kämna: Es bedeutet auch ganz viel Motivation für die Rennfahrer, die zu Hause sind. Sie sehen, dass ihre Mannschaft gewinnt, dass es läuft wie geschmiert. Danach sind sie hoch motiviert, selbst am nächsten Tag gut zu trainieren, weil sie so etwas auch erleben möchten; weil sie zeigen wollen, dass sie auch gute Renn­fahrer sind. Das kann einen Ruck in einer Mannschaft geben, neue Leistungen aus einem Team herausholen.

“Italien ist ein sehr schönes Land - ich freue mich darauf, wieder hinzufahren”Foto: Henning Angerer
“Italien ist ein sehr schönes Land - ich freue mich darauf, wieder hinzufahren”

TOUR: Gab es einen emotionalen Leader im Team, der die Mannschaft antrieb?

Lennard Kämna: Manchmal braucht man einen, der motiviert, manchmal jemanden, der einen runterholt – situationsbedingt. Letztes Jahr hatten wir ein sehr entspanntes, sehr ruhiges, sehr gelassenes Team. Das war am Ende wichtig – dass kein Stress dahinter war. Keiner hat gesagt: Wir müssen jetzt! Wir gucken einfach mal, wie es läuft – hatten aber eine Idee. Wir haben viel miteinander gesprochen während der Etappen, ob wir bestimmte Dinge durch­ziehen wollen. Wir hatten einfach eine gute, ehrliche Kommunikation.

TOUR: Es gab die viel beachtete Etappe rund um Turin, in der Team Bora-Hansgrohe das ganze Feld auseinanderfuhr und sich letztlich zur Überraschung der Konkurrenz die gute Ausgangsposition in der Gesamtwertung erarbeitete. Es hieß, Routiniers wie Wilco Kelderman waren eher zurückhaltend vor dieser Großoffensive. Haben sich die jungen Wilden wie Sie und Hindley gegen die routinierten Bedenkenträger durchgesetzt?

Lennard Kämna: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass während des Rennens riesig diskutiert wird. Wir haben natürlich die Tage vorher über die Etappe gesprochen. Da gab es Stimmen, die gesagt haben: Hört sich gut an. Und solche, die gesagt haben: Vielleicht nicht unbedingt. Wir haben dann vereinbart: Wir warten, bis die Ausreißergruppe steht und man sieht, wie die Rennsituation ist – dann haben wir im Rennen nur zwei Sätze miteinander geredet. Es war klar: Jetzt geht’s los, wir ziehen das durch. Alle haben an einem Strang gezogen. Keiner hat gesagt: Wir machen das nicht.

TOUR: Es war also sehr viel Eigendynamik im Spiel, weniger Steuerung per Funk durch die Sportliche Leitung?

Lennard Kämna: Wir hatten letztes Jahr vom Sportlichen Leiter Gaspa (Enrico Gasparotto) viele Freiheiten bekommen. So etwas wie die Turin-Etappe muss letztlich von den Rennfahrern selbst ausgehen. Sonst wird das nicht zu 100 Prozent durchgezogen. Da haben wir während des Rennens unter den Fahrern entschieden, wir machen das. Es kam nicht von außen. Aber es war vorher besprochen – alle wussten Bescheid. Der finale Call kam von den Rennfahrern.

TOUR: Enrico Gasparotto war als Profi ein erfolgreicher Klassikerjäger. Er war neu als Sportlicher Leiter bei Bora-Hansgrohe. Es sah aus, als brächte er neue taktische und strategische Facetten ins Spiel.

Lennard Kämna: Auf jeden Fall! Ich bin echt überrascht gewesen von seinen Ideen. Es gehen nicht alle auf – jeder macht auch mal Fehler. Gaspa sieht Etappen auch anders als andere Sportliche Leiter. Das macht einen großen Unterschied. Ich war begeistert – auch von der Vorbereitung auf den Giro. Das war sehr, sehr gute Arbeit von ihm.

TOUR: Was war denn der bisher schönste Moment Ihrer Karriere?

Lennard Kämna: Die drei Wochen Giro im vergangenen Jahr waren für mich ein absolut schönes Erlebnis. Mir war mein Etappensieg auf dem Ätna viel wert. Dann gab’s die 20. Etappe, auf der das erste Mal das Teamwork perfekt funktioniert hat. Da ist etwas Großes entstanden, wovon alle einen Benefit hatten. Das ist etwas Superschönes.

TOUR: Auf der 20. Etappe bereiteten Sie den entscheidenden Angriff zu Hindleys Giro-Sieg vor. War das Erfolgsprojekt beim vergangenen Giro einer der Gründe, warum Sie sich entschlossen haben, es jetzt wie Hindley auch mal als Klassementfahrer probieren zu wollen?

Lennard Kämna: Es gab mehrere Faktoren, die mich dazu gebracht haben: Das Ausreißerfahren ist für mich immer schwieriger geworden. Wenn man nur minimal den Ruf hat, dass man das gut kann, dann wird es einem deutlich schwerer gemacht. Zweitens hatte ich das Gefühl, dass ich noch ein paar Prozent Leistung drauflegen kann – dann ist das Ziel, mit den Besten mitzufahren, gar nicht mehr so weit weg. Dann komme ich auch als Klassementfahrer ziemlich weit. Dann kam das Team und hat mir gesagt, wir würden dir die Chance geben. Außerdem ist jetzt die Zeit dafür. Es kam alles zusammen.

TOUR: Viele Rennfahrer haben Länder, in denen sie gerne fahren. Bietet Italien für Sie besondere Reize?

Lennard Kämna: Ich bin dort in meiner Karriere total wenig gefahren, habe auch früher mit meinen Eltern nie dort Urlaub gemacht. Aber ich muss sagen, dass mir der Giro letztes Jahr sehr gut gefallen hat. Ich habe dann auch im Sommer dort ein paar Wochen Urlaub gemacht. Es ist ein sehr schönes Land, es gefällt mir sehr gut. Ich freue mich drauf, bald wieder hinzufahren.

TOUR: Was begeistert Sie an Italien – die Tifosi am Streckenrand?

Lennard Kämna: Die Begeisterung bei der Tour ist auch riesig. Ich mag auch die französischen Fans sehr, sehr gerne. Das Essen in Italien ist natürlich unschlagbar – obwohl wir zugegebenenermaßen im Vorjahr drei Wochen nur in unserem Kitchen-Truck gegessen haben.

TOUR: Blicken wir auf die Giro-Strecke. Die Zeitfahren gefallen Ihnen. Gibt es auch Tage, vor denen Sie Angst oder Respekt haben?

Lennard Kämna: Ich habe mir die Strecke angeschaut, wir haben über vieles gesprochen. Ich vergesse die Details aber immer wieder und gucke mir das in der genauen Vorbereitung noch mal an. Ich habe keinen Moment entdeckt, der mir richtig Sorgen macht. Aber das letzte Zeitfahren ist schon hammerhart. Das wird ein Brett.

“Ich habe keine Angst vor Versagen”Foto: Henning Angerer
“Ich habe keine Angst vor Versagen”

TOUR: Es geht auf der 20. Etappe supersteil von Tarvis auf den Monte Lussari. Ihre Sportlichen Leiter Bernhard Eisel und Gasparotto waren schon dort – kamen die Straße aber kaum mit dem Auto hoch. Viele Profis kritisieren die Entwicklung, dass Rennveranstalter immer steilere und spektakulärere Bergstraßen einbauen. Im Vorjahr haben Sie auf den letzten Metern bei der Tour de France am Planche des Belles Filles am steilsten Stück den Kampf um den Etappensieg knapp verloren. Wie sehen Sie das – muss es immer steiler werden?

Lennard Kämna: (Grinst) Ich habe erst nach dem Rennen eine Haltung dazu. Auch das Super Planche des Belles Filles finde ich nicht geil, werde ich nie geil finden. Grundsätzlich finde ich Berg­zeitfahren interessant. Das Einzige, was mich jetzt schon stört, ist der geplante Radwechsel.

TOUR: Die Strecke ist ungefähr zur Hälfte flach und dann extrem steil hoch ins Ziel. Sie werden selbst wechseln?

Lennard Kämna: Auf jeden Fall. Man ist am Ende viel schneller mit dem Straßenrad. Aber ich finde es einfach quatschig, dass man im Rennen von einem Rad absteigt und auf das andere draufsteigt. Ich fände es richtig, wenn entweder jeder mit Zeitfahrrad hochfahren muss oder von Anfang an mit dem Straßenrad fährt.

TOUR: Wenn man Sie seit ein paar Jahren kennt, weiß man, dass Erwartungshaltung von außen und Jan-Ullrich-Vergleiche nicht gerade Ihre Lieblingsthemen sind. Haben Sie schon Horror vor der Berichterstattung im Mai?

Lennard Kämna: Nicht wirklich. Es ist etwas, dem ich mich jetzt gewachsen fühle. Ich habe auch keine Angst vor Versagen. Selbst wenn’s nix wird, versuche ich’s vielleicht ein andermal. Ich denke, ich habe nix zu verlieren. Ich freue mich riesig auf das Projekt. Ich habe richtig Bock drauf und bin hoch motiviert. Ich gucke nicht drauf, ob ich scheitern könnte – das ist nicht in meinem Kopf drin.

TOUR: Warum ist Ihrer Meinung nach jetzt der richtige Moment, um es als Klassementfahrer zu versuchen?

Lennard Kämna: Ich habe die Jahre davor diese Rolle nicht für mich angenommen. Auch weil ich das Gefühl hatte, dass das noch sehr weit weg ist. Es wurde sehr früh gesagt: Er könnte das machen. Mir war das alles einen Zacken zu früh. Auch weil ich von dem Level, das die absoluten Top-Fahrer haben, sehr weit weg war. Ich denke, ich bin jetzt einen Schritt näher dran und werde dieses Jahr noch einen Schritt machen – von daher bin ich guten Mutes.

TOUR: Sie sagen, Sie fühlen sich dem gewachsen. Da stecken Wachstum, Erwachsenwerden drin.

Lennard Kämna: Mit gewachsen meine ich: Ich habe jetzt die Erfahrung, das Lebensalter. Ich war einfach mit 20 nicht ready, und ich war auch mit 22 noch nicht ready. Jetzt hatte ich langsam das Gefühl, das könnte der richtige Zeitpunkt sein – irgendwann ist es auch zu spät.

TOUR: Von außen könnte man sagen: Sie haben Ihre Karriere ungewöhnlich, aber auch clever gemanagt. Wenn Sie eine Pause brauchten, haben Sie sich die genommen – trotz des Leistungsdrucks im Spitzensport. Sie haben also rückblickend alles richtig gemacht?

Lennard Kämna: Alles richtig gemacht? Das ist natürlich eine große Aussage. Das würde ich nicht sagen. Ich habe sicher nicht alles richtig gemacht. Ich habe aber auch nicht alles falsch gemacht. Wie jeder andere habe ich gute und schlechte Entscheidungen getroffen. Im Großen und Ganzen bin ich aber sehr zufrieden, wie ich das gemacht habe.

TOUR: Grundsätzlich heißt es im Profisport immer: Man redet nicht über Geld. Ihr Teamchef Ralph Denk hat aber das Schweigen gebrochen und erzählt, dass Sie auch auf Geld verzichtet haben, während Sie monatelang pausiert haben. Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?

Lennard Kämna: Für mich war das eine logische Konsequenz. Ich hatte damit kein Problem. Ich will aber gar nicht zu viel über das Geldthema reden. Ich würde es so ausdrücken: Wir haben das sehr fair geregelt.

TOUR: Sie stammen aus Norddeutschland, sind in der Nähe von Bremen aufgewachsen. Jetzt leben Sie im österreichischen Vorarlberg. Dort sind die Steuern niedrig und die Berge zum Trainieren nah.

Lennard Kämna: Ich fühle mich sehr wohl in Vorarlberg. Wir haben dort eine gute Trainingsgruppe – wir sind freundschaftlich aneinandergewachsen: Ich fahre mit Pascal (Ackermann) gerne und viel – auch mit Rudi (Rüdiger Selig) und Schwarzi (Michael Schwarzmann) und manchmal auch mit Emu (Buchmann). Ich fühle mich dort gut aufgehoben und wohl. Es ist eine schöne Gegend zum Radfahren. Die Berge waren wichtig: Man kann direkt in den Bregenzer Wald fahren, ins Allgäu oder Richtung Schweiz, ich glaube, das heißt Appenzell.

TOUR: Wie funktioniert gemeinsames Training zwischen dem Bergfahrer Kämna und dem Sprinter Ackermann in einer bergigen Gegend?

Lennard Kämna: Ab und zu trennt man sich am Berg – dann dreht man um und fährt zwei Minuten runter und wieder hoch. Und wir fahren ja auch nicht die ganze Zeit bergauf.

TOUR: Gibt es irgendetwas im Leben, bei dem Sie sich so wehtun können wie beim Radfahren?

Lennard Kämna: Bestimmt nicht, nein.

TOUR: Was war der schmerzhafteste Moment in Ihrer Karriere?

Lennard Kämna: Es gab viele. Aber im Gedächtnis geblieben ist mir das Teamzeitfahren 2017 in Bergen. Da habe ich maximal gelitten.

TOUR: Sie waren als 20-jähriger junger Kerl bei der WM im Team Sunweb mit Zeitfahrspezialisten wie Dumoulin, Kelderman, Matthews, Kragh Andersen unterwegs …

Lennard Kämna: Das war sehr anspruchsvoll für mich. Da bin ich schon deutlich über mich hinausgewachsen.

TOUR: Verwenden Sie das Wort Scheitern – oder kennen Sie das ­Gefühl des Scheiterns?

Lennard Kämna: Natürlich, klar. Es gab Sachen, die nicht geklappt haben. Aber ich bin noch nie über die Ziellinie gefahren und habe gedacht: Alles vorbei, ich bin gescheitert. Noch nie!

TOUR: Welchen Tiefpunkt haben Sie noch im Kopf?

Lennard Kämna: Ich wollte bei der WM 2018 in Innsbruck noch mal ein richtig gutes U23-Zeitfahren fahren. Ich bin in der Vorbereitung krank geworden. In dem Moment, in dem ich über die Ziellinie gefahren bin – und ich festgestellt habe: Es kommt kein Mensch, ist wohl nix geworden mit dem U23-Titel – da war ich für mich selber minimal gescheitert. Das war das erste Mal, dass mir das passiert ist. Aber ich wusste auch, woran es gelegen hat: Ich konnte mich nicht gut genug vorbereiten.

TOUR: Sie analysieren Ihre gefühlten Niederlagen? Und merken dann auch: Ihre Erwartungshaltung war zu hoch angesichts der beeinträchtigten Vorbereitung?

Lennard Kämna: Genau: Es geht um Erwartungshaltung. Das ist dann noch ein bis zwei Tage ein bisschen im Kopf. Danach heißt es: akzeptiert und weitermachen.