Die 2. Folge der Amazon-Prime-Doku “Jan Ullrich - Der Gejagte” mit dem Titel “Triumph” nimmt Ullrichs Werdegang von seinen Anfängen in Rostock bis hin zum Tour-de-France-Sieg 1997 und begleitend dazu das Thema Doping ins Blickfeld.
Zu Beginn greift die 2. Folge von “Jan Ullrich - Der Gejagte” den Jakobsweg Ullrichs auf, die “ReTour”. Diese führt den einstigen Tour-de-France-Sieger zurück in seine Heimatstadt Rostock zu Jugendtrainer Peter Sager. Auch dank ihm schaffte Jan Ullrich den Sprung in die Kinder- und Jugendsportschule nach Berlin. “Wer diesen Schritt nicht getan hat, der ist mehr oder weniger hängengeblieben”, schildert Ullrich. Jan Ullrich war im Jugendalter deutlich kleiner als viele andere Gleichaltrige und ein Spätentwickler. “Er konnte [trotzdem; Anm. d. Red.] immer mithalten”, erzählt der Jugendfreund und ehemalige Radprofi Andre Korff. Auf der Sportschule in Berlin wurde er von Peter Becker trainiert, der Ullrich maßgeblich förderte.
Bereits in den 1950er Jahren baute die DDR ein sportmedizinisches Netz auf. Leistungssteigernde Substanzen wurden den Athleten damals verabreicht, teils ohne dass sie es direkt mitbekommen haben. Damaliges Standardmittel für Sportler war das Anabolikum Oral-Turinabol, das das Muskelwachstum förderte. Aber auch in der Bundesrepublik wurde gedopt. “Und das ist doch in Deutschland nicht anders gewesen.”, sagt Radsport-Kommentator Karsten Migels. Sportärzte entwickelten sich in dieser Zeit zum “Halbgott der Sportler”, meint Dopingexperte Fritz Sörgel.
Nach dem Mauerfall kam ein Bundesliga-Team aus Hamburg auf Peter Becker zu, sodass Jan Ullrich mit seinen Kameraden um Andre Korff in den Norden zog. Das Team feierte zahlreiche Erfolge, ehe Ullrich bei der WM 1993 in Oslo im Amateurrennen sogar Weltmeister wurde. Dank seines Nationalmannschaftskollegen Dirk Baldinger führte sein Weg kurze Zeit später nach Merdingen ins Breisgau. “In Hamburg [waren die Trainingsmöglichkeiten; Anm. d. Red.] nicht annährend so gut wie in Südbaden”, erklärt Ullrich.
“Jan war das, was man ein Wunderkind nennt.” - Stefan Ullrich, Bruder von Jan Ullrich
Bei der Weltmeisterschaft 1994 erreichte Ullrich im Zeitfahren Platz drei, sodass das Team Telekom auf ihn aufmerksam wurde und ihn unter Vertrag nahm. “Telekom stand 1995 kurz vor dem Aus. [...] Und dann kam Bjarne Riis [...], dann ging es aufwärts.”, erinnert sich Stefan Ullrich. Auch dank der Freiburger Sportmedizin verbesserte sich das deutsche Team: Jan Ullrich erklärt, dass er in ein bereits “bestehendes System” hineingekommen sei. “Und meine Karriere wäre zu Ende gewesen, hätte ich es nicht gemacht”, sagt Ullrich.
Erythropoetin, kurz EPO, war zu dieser Zeit weit verbreitet. Erst Anfang der 2000er Jahre wurde dazu ein Nachweisverfahren entwickelt, sodass es in den 1990ern nur indirekt über den Hämatokritwert nachgewiesen werden konnte. Durch das Medikament kann die Anzahl der roten Blutkörperchen erhöht werden, wodurch auch die Sauerstoffaufnahme und damit die Ausdauerleistung gesteigert wird. Nimmt ein Athlet jedoch zu viel davon, wird das Blut zu dickflüssig. Damit es in Bewegung bleibt und der Athlet nicht mit dem Tod bezahlt, kam es vor, dass Radsportler nachts aufstanden und bei Rennen auf dem Hotelflur auf und abliefen, um das Blut in Zirkulation zu halten.
“Ich kam in ein bestehendes System rein. Das wurde mir dann so schmackhaft und unentbehrlich gemacht, dass ich mich dafür entschieden habe. Und meine Karriere wäre zu Ende gewesen, hätte ich es nicht gemacht.” - Jan Ullrich
Weiter geht es in der Amazon-Doku im Jahr 1996: Der Däne Bjarne Riis gewinnt die Tour de France. Zum Sieg verhilft ihm Jan Ullrich, der am Ende Gesamtzweiter wird. Damit feiert das Team Telekom einen Doppelsieg. Ein Jahr später folgt dann Ullrichs größter Triumph: Beim Anstieg nach Andorra Arcalis setzt sich Ullrich von seinen Kontrahenten ab und fährt ins Gelbe Trikot. Bei der nächsten Bergetappe nach Alpe d’Huez, einem der legendärsten Anstiege der Tour de France, “gab es dann einen Worst Case. Ich konnte nicht auf Toilette, die Etappe ging los. [...] Wenn ich mich jetzt nicht erledigen kann, komme ich Alpe d’Huez nicht hoch.”, erinnert sich Ullrich in der Doku. Nachdem seine Teamkollegen ihm dann während der Etappe Rennmützen besorgt hatten, konnte Ullrich die Situation lösen. Er verteidigte seinen Vorsprung und durfte sich zum ersten deutschen Tour-de-France-Sieger küren.
“Jan kam als das goldene Kind, als der Gesalbte” - Lance Armstrong
In der 2. Folge von “Jan Ullrich - Der Gejagte” wird Jan Ullrich mit einem hohen Interview-Anteil fast schon zum Erzähler seiner eigenen Geschichte. Er geht auf Details aus seiner Jugendzeit, aber auch auf die Zeit als Radprofi ein. Weggefährten wie sein Bruder Stefan führen seine Geschichte aus. Der narrative Erzähler tritt im Vergleich zur 1. Folge mehr in den Hintergrund.
Die Folge schafft es, zwei große Thematiken gleichzeitig zu beleuchten: Im Vordergrund steht Ullrichs Werdegang von seinen Anfängen bei der SG Dynamo Rostock bis zum Tour-de-France-Sieg 1997. Gleichzeitig kommt immer wieder das Thema Doping auf. Dabei wird nicht nur über die Vorgehensweisen von Sportmedizinern berichtet, auch Ullrich selbst äußert sich zur Thematik. Zwar kommt es nicht zu einem direkten und klaren Dopinggeständnis, wie er es im Vorfeld der Amazon-Doku schon abgelegt hat, es klingt aber unmissverständlich durch, dass auch er bereits Mitte der 1990er Jahr EPO zu sich genommen hat.
Nach der etwas sprunghaften 1. geht die 2. Folge chronologisch vor und wirkt in sich stimmig. Ullrichs Leben wird detailliert dargestellt und inhaltlich sinnvoll von zwei weiteren Ebenen ergänzt: Einerseits erklärt die Dokumentation zusätzlich die Doping-Thematik im Radsport, andererseits blickt sie immer wieder kurz auf die Gegenwart, in der Ullrich seinen Jakobsweg bewältigt.
Passend zur Amazon-Doku haben wir noch einen Buchtipp: “Ulle” - Jan Ullrich. Geschichte eines tragischen Helden. Autor Sebastian Moll beleuchtet den Aufstieg und den tiefen Fall des Tour-de-France-Siegers. Das Buch ist im Delius Klasing Verlag erschienen und hier erhältlich.