Thomas Goldmann
· 01.12.2022
Jan Ullrich ist der einzige deutsche Tour-de-France-Sieger. Ein Blick auf die Karriere und das Leben des früheren Profi-Radsportlers.
Sportliche Erfolge, Skandale, gesundheitliche Rückschläge: Jan Ullrich hat viel erlebt. Er wurde am 2. Dezember 1973 in Rostock geboren, wo er auch mit dem Radsport in Berührung kam. Ullrich durchlief das Sportförderungssystem der DDR . Mit 13 Jahren kam er auf die Kinder- und Jugendsportschule des SC Dynamo Berlin. In den Fokus der internationalen Öffentlichkeit rückte Ullrich erstmals mit 19 Jahren im Jahre 1993, als er in Oslo Straßen-Weltmeister der Amateure wurde. Das Straßenrennen der Profis gewann damals Lance Armstrong im Alter von 21 Jahren. Beide sollten später große Rivalen werden.
Ein Jahr später folgte für Ullrich bei der ersten Austragung der Zeitfahr-Weltmeisterschaften der dritte Platz. Ullrich erhielt schließlich seinen ersten Profi-Vertrag beim Team Telekom. 1996 stand der Deutsche zum ersten Mal bei der Tour de France am Start und belegte auf Anhieb den zweiten Platz hinter seinem Teamkollegen Bjarne Riis aus Dänemark. Auf der 20. Etappe feierte Ullrich im Einzelzeitfahren zwischen Bordeaux und Saint-Emilion seinen ersten Etappensieg bei der Frankreich-Rundfahrt. In der Endabrechnung der Tour de France 1996 trennten Ullrich 1:41 Minuten von Riis. Der zweite Platz von Ullrich löste in Deutschland einen Radsport-Hype aus. Was damals noch nicht bekannt war: beim Team Telekom wurde mit unlauteren Mitteln gearbeitet.
Riis gestand elf Jahre nach seinem Tour-Sieg 2007, gedopt zu haben. Das wurde auch Ullrich vorgeworfen, was der Deutsche bestritt. Bei seinem Geständnis zog sich Riis den Unmut der Tour-de-France-Organisation A.S.O. zu, indem er sagte, dass sein Gelbes Trikot bei ihm daheim in einem Pappkarton in seiner Garage liegen würde. Die Organisatoren könnten es dort abholen. Der Däne soll sich laut des TV-Senders TV2 2020 für diesen Kommentar via SMS bei Tour-Direktor Christian Prudhomme entschuldigt haben.
Für Ullrich folgte 1997 der ganz große Wurf: Der Sieg bei der Tour de France. Er ist bis heute der einzige Deutsche, der das bedeutendste Radrennen der Welt gewinnen konnte. Dabei ging Ullrich zunächst als Edelhelfer für Titelverteidiger Riis an den Start. Doch schnell wurde klar, dass der damals 23-jährige Deutsche stärker ist als sein Chef. Auf der 10. Etappe nach Andorra Arcalis fuhr Ullrich ins Gelbe Trikot und gab das Maillot Jaune bis Paris nicht mehr ab. Im Einzelzeitfahren rund um Saint-Etienne ließ er einen weiteren Etappensieg folgen. Am Ende der dreiwöchigen Rundfahrt betrug sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten, den Franzosen Richard Virenque, mehr als neun Minuten.
Nach Ullrichs Tour-Sieg war die Radsport-Euphorie in Deutschland riesig. Wie man heute weiß, war es ein Triumph mit Schattenseiten. Denn bereits 1998, ein Jahr nach Ullrichs Siegesfahrt auf den Champs-Elysees, erlebte die Tour de France eines ihrer dunkelsten Kapitel: den Festina-Skandal. Die Tour stand kurz vor dem Abbruch. Doping war das bestimmende Thema. Ullrich und das Team Telekom blieben davon unbehelligt. Der Vorjahressieger hatte in der Vorbereitung auf die Frankreich-Rundfahrt 1998 mit Übergewicht und Verletzungen zu kämpfen, fuhr bei der Tour trotzdem sechs Tage im Gelben Trikot. Auf der 15. Etappe nach Les Deux Alpes erlitt Ullrich einen Einbruch und verlor fast neun Minuten auf Marco Pantani. Die Tour war für ihn nicht mehr zu gewinnen. 2013 wurde durch den französischen Senat bekannt, dass in Nachproben der Tour 1998 bei Ullrich, Sieger Pantani und andere Stars das Dopingmittel Erythropoetin (EPO) nachgewiesen wurde.
Das Jahr 1999 war für Ullrich eines mit Licht und Schatten: Nach einem Sturz bei der Deutschland Tour verpasste er die Tour de France, er gewann jedoch im Herbst die Vuelta a Espana und wurde Weltmeister im Einzelzeitfahren. 2000 kam es zum ersten Mal bei der Tour de France zum Duell mit Lance Armstrong, bei dem der Deutsche den Kürzeren zog und erneut Zweiter wurde. Auch für Armstrong sollte die Freude über seine Siege nicht ewig wehren. Wie sich Jahre später herausstellte, hatte der US-Amerikaner bei seinen sieben Tour-de-France-Siegen zwischen 1999 und 2005 mit Dopingmitteln nachgeholfen. Er wurde 2012 lebenslang gesperrt und seine Erfolge bei der Frankreich-Rundfahrt wurden ihm aberkannt.
Im Jahr 2000 kam es bei den Olympischen Spielen in Sydney zu einer Revanche zwischen Ullrich und Armstrong. Der Deutsche holte die Goldmedaille im Straßenrennen und Silber im Einzelzeitfahren vor Armstrong.
2001 wiederholte sich das Bild bei der Tour de France: Ullrich hatte erneut das Nachsehen gegen Armstrong. Besonders denkwürdig: Auf der 10. Etappe witterte das Team Telekom auf dem Weg nach Alpe d’Huez eine Schwäche des US-Amerikaners, die sich am Fuße des Schlussanstiegs als riesiger Bluff entpuppte.
Armstrong, der wenige Kilometer zuvor noch am Ende des Pelotons Grimassen schnitt, setzte sich am Fuße von Alpe d’Huez plötzlich an die Spitze des Feldes, drehte sich um und zog davon. Bis in Ziel fuhr er fast zwei Minuten auf Ullrich heraus. Der Deutsche und Team Telekom waren dem Texaner auf den Leim gegangen. Am Ende der Tour de France 2001 war es für Ullrich erneut der 2. Platz.
2002 wurde Ullrich erstmals wegen Dopings gesperrt. In der Reha, in der er sich aufgrund von Knieproblemen befand, wurden bei ihm Amphetamine nachgewiesen. Es folgte eine sechsmonatige Sperre. 2003 wagte Ullrich einen Neuanfang. Er verließ das Team Telekom und wechselte zu Coast. Das Projekt kam im Frühjahr 2003 ins Straucheln, da das Team in finanzielle Schieflage geriet. Es fand sich eine Lösung, um doch bei der Tour de France zu starten: Der Radhersteller Bianchi sprang ein.
Bei der Tour de France 2003 verlor Ullrich auf der 8. Etappe nach Alpe d’Huez fast anderthalb Minuten auf Armstrong und schien nicht in der Lage, den US-Amerikaner herauszufordern. Doch auf Etappe 12 schlug Ullrich zurück und nahm Armstrong im Einzelzeitfahren zwischen Gaillac und Cap Decouverte 1:36 Minuten ab. Es entwickelte sich in den folgenden Tagen ein Zweikampf zwischen den beiden.
Bei der Bergankunft in Ax-3 Domaines holte Ullrich wieder etwas Zeit zurück. Nur 15 Sekunden hatte der Deutsche noch aufzuholen, doch das Blatt wendete sich wieder. Nach einem Sturz auf dem Weg zur Bergankunft in Luz Ardiden nahm Armstrong Ullrich 40 Sekunden ab. Die Entscheidung fiel im Einzelzeitfahren am vorletzten Tag. Nachdem Ullrich bei strömendem Regen in einem Kreisverkehr stürzte, war klar, dass für ihn auch diesmal wieder nur Rang zwei bleibt.
2004 kehrte Ullrich zu Telekom zurück. Das Team hieß nun T-Mobile. Die Tour de France wurde zum großen Ziel auserkoren. Der Star der Mannschaft blieb aber hinter seinen Möglichkeiten und landete auf Rang vier. 2005 kam es zu einem letzten Aufeinandertreffen mit Armstrong bei der Tour de France, das Ullrich wiederum deutlich verlor. Er schloss die Frankreich-Rundfahrt 2005 als Dritter ab. Dieser Podestplatz wurde ihm aber 2012 aufgrund seiner Verwicklung in den Fuentes-Skandal aberkannt.
2006 galt Ullrich in Abwesenheit des zurückgetretenen Lance Armstrong gemeinsam mit dem Italiener Ivan Basso als Top-Favorit auf den Tour-de-France-Sieg. In der Vorbereitung gewann der Deutsche die Tour de Suisse. Am 30. Juni 2006, kurz vor dem Start der Tour de France, wurden Ullrich und Basso wegen ihrer Verstrickung in die Operacion Puerto, den Dopingskandal um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes, vom Rennen ausgeschlossen.
Im Februar 2007 gab Ullrich das Ende seiner Laufbahn als Radprofi bekannt. 2012 wurde der Deutsche vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) wegen seiner Verwicklung in den Fuentes-Skandal schuldig gesprochen. Damit wurden ihm auch alle Erfolge, die er seit dem 1. Mai 2005 errungen hatte, aberkannt. Unter anderem sein Sieg bei der Tour de Suisse 2006 und der 3. Platz bei der Tour de France 2005.
Auch außerhalb seiner sportlichen Laufbahn stand Ullrich oft im Fokus. 2014 verursachte er in der Schweiz unter Alkoholeinfluss einen Unfall, bei dem zwei Personen verletzt wurden. Im Zuge dessen wurde er 2017 zu 21 Monaten Haft auf Bewährung sowie einer Geldstrafe über 10000 Schweizer Franken verurteilt.
2019 wurde gegen Ullrich vom Amtsgericht Frankfurt ein Strafbefehl erlassen, der sich auf 7200 Euro beläuft. Dabei ging es um einen Vorfall aus dem Jahr 2018, als Ullrich in einem Frankfurter Luxushotel eine Escort-Dame angegriffen haben soll.
Nach vielen Jahren in der Schweiz und auf Mallorca, wo Ullrich 2018 nach einem Vorfall auf dem Grundstück seines Nachbarn Till Schweiger kurzzeitig festgenommen wurde, lebt der frühere Radprofi mittlerweile wieder in Merdingen, wie schon in seiner aktiven Zeit bis 2002.
Auf seinen Social-Media-Kanälen ist der Deutsche in letzter Zeit wieder oft auf dem Rad zu sehen. So fuhr er 2022 mit Fans durch die Provence, die dafür allerdings tief in die Tasche greifen mussten. 25000 Euro kostete die Teilnahme an der “Jan Ullrich Re:Tour22”
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Außerdem war Ullrich im September 2022 gemeinsam mit Lance Armstrong unterwegs. Die einstigen Rivalen zeigten sich im Rahmen eines vom US-Amerikaner organisierten Trainingscamps zusammen auf dem Rennrad.
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Sie sind mittlerweile gut befreundet. Armstrong half Ullrich beispielsweise 2018, als dieser in einer Entzugsklinik in Bad Brückenau war. Auch 2021 war er zur Stelle, als Ullrich auf einem Flug von Kuba aus in Mexiko unfreiwillig einen Stopp einlegen musste und dort in einer Klinik landete.
Über die Karriere und das Leben von Ullrich wurden zahlreiche Bücher geschrieben, wie “Ulle” - Jan Ullrich. Geschichte eines tragischen Helden. Das Werk von Sebastian Moll ist im Delius Klasing Verlag erschienen und hier erhältlich.
Zudem soll über den einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger bei Amazon Prime Video in einer vierteiligen Doku mit dem Titel “Jan Ullrich - Der Gejagte” auf die Karriere, die Erfolge und auch die Abstürze von Jan Ullrich zurückgeblickt werden.
Vor der Tour de France 2022 hatte bereits eine ARD-Dokumentation für große Resonanz gesorgt. Darin war Ullrich aber selbst nicht zu Wort gekommen, er hatte sich aber anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seines Tour-Triumphs in einem offenen Brief in der Bild-Zeitung zu Wort gemeldet. Die Doku Being Jan Ullrich ist in der ARD Mediathek abrufbar.