Sebastian Lindner
· 12.05.2024
Die Zielgerade von Neapel bleibt ein schwieriges Pflaster für Ausreißer. Auf dem Asphalt im Hafen der drittgrößten Stadt Italiens endete die 9. Etappe des Giro d’Italia nach 214 Kilometern. Für Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) war sie etwa 50 Meter zu lang. Der Ecuadorianer attackierte aus dem Feld heraus an der letzten Steigung des Tages gut fünf Kilometer vor dem Ziel. Sein kleines Polster war keine 100 Meter vor dem Ziel aufgebraucht.
Angeführt von Tagessieger Olav Kooij (Visma | Lease a Bike) und dem Zweitplatzierten Jonathan Milan (Lidl-Trek) rauschten die versammelten Sprinter noch am 27-Jährigen Südamerikaner vorbei, dem auf den letzten Metern im Gegenwind die Beine aufgingen. Als der Giro im Vorjahr Neapel ansteuerte, hatte es Alessandro De Marchi und Simon Clarke ähnlich knapp vor dem Ziel erwischt. Auch sie mussten - allerdings nach deutlich länger Flucht - mit ansehen, wie das Feld noch auf den letzten Metern an ihnen vorbeirauschte und sie um den verdienten Lohn brachte.
Dass Narvaez noch gestellt wurde, hatten die Sprinter letztlich auch Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) zu verdanken, der sich im absoluten Finale im Rosa Trikot vor das Feld spannte, um die Lücke für seinen Mann Juan Sebastian Molano zu schließen, der letztlich Dritter wurde. Mit Max Kanter (Astana Qazaqstan) schaffte es ein Deutscher als Zehnter in die Top 10.
Narvaez, der bereits den Giro-Auftakt im Sprint für sich entscheiden konnte, nahm sein Pech im ersten Moment locker. “Das ist Radsport. Manchmal erzielt man große Ergebnisse, manchmal eben nicht. Das Wichtigste ist, dass ich meine Zeit hier genieße und es weiter versuchen”, sagte er im Anschluss an seinen elften Platz, der es letztlich geworden ist.
Sieger Kooij hingegen war deutlich emotionaler. “Ich habe schon einige Rennen gewonnen, aber von diesem Sieg bei einer Grand Tour habe ich geträumt”, so der 22-Jährige, der in Italien seine erste dreiwöchige Landesrundfahrt bestreitet. “Dieser Etappensieg war unser großes Ziel. Die ersten Sprints liefen nicht so gut für und heute mussten wir wirklich kämpfen. Es war ein sehr hartes Finale. Aber das Team hat sich komplett hinter mich gestellt, obwohl wir nicht sicher waren, wie es ausgehen würde.”
Lange Zeit verlief die zweitlängste Etappe dieser Rundfahrt ereignislos. Ein Duo von Polti-Kometa fuhr fast 200 Kilometer allein an der Spitze und wurde erst im hügeligen Teil der Etappe kurz vor Neapel wieder gestellt. Julian Alaphilippe (Soudal - Quick Step) setzte dort eine Attacke, kam aber nur bis zum letzten Anstieg. Dort ging Narvaez, der auf den letzten Metern noch abgefangen wurde.
In den Sonderwertungen bleibt derweil alles beim Alten. Pogacar verteidigt neben der Gesamtwertung auch sein Bergtrikot. Milan bleibt der Mann im Punktetrikot, Cian Uijtdebroeks (Visma | Lease a Bike) bester Nachwuchsfaher. Morgen am Montag ist Ruhetag.
Direkt mit der Flagge zum scharfen Start setzte sich das Polti-Kometa-Duo Mirco Maestri und Andrea Pietrobon aus dem Feld heraus ab. Manuele Tarozzi (VF Group - Bardiani CSF - Faizane) versuchte sich ebenfalls, fand aber nicht sofort Anschluss und ließ sich dann wieder ins Feld zurückfallen.
Für das Duo war es ein harter Tag - mit 200 Kilometern und überwiegend Gegenwind vor der Brust. Auf zweieinhalb Minuten fuhren sich anfangs weg, später wurden es auch mal drei. Nach zwischenzeitlichen Spielchen im Feld, wodurch das Tempo kurz angezogen wurde, schrumpfte der Abstand dann, um danach nochmal erneut zu wachsen. Bei noch 100 zu fahrenden Kilometern - und Gegenwind - war der Vorsprung wieder auf anderthalb Minuten gesunken. Dieses Mal gab es aber nur noch eine Richtung.
60 Kilometer vor dem Ziel waren Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) und Maximilian Schachmann (Bora-Hansgrohe) in einen Sturz mitten im Feld verwickelt. Während beim Waliser nur die Kette runter war, hatte Schachmann Probleme mit dem Ellbogen. Und musste im Gegensatz zu Thomas, der von vier Kollegen eskotiert wurde, wieder allein zurück ins Feld fahren.
Ungünstigerweise begann kurz darauf das Rennen erneut. Es wurde wieder attackiert, noch zwar erfolglos, dennoch ging das Tempo weiter nach oben. 35 Kilometer vor dem Zuiel war am Monte di Procida (4. Kategorie) die einzige Bergwertung des Tages erreicht. Alpecin-Deceuninck führte das Feld mit Volldampf über die Kuppe, was einige Sprinter bereits in Probleme brachte. Das Spitzenduo rettete sich mit 45 Sekunden drüber.
Dann war es wie so häufig in den vergangenen Tagen Julian Alaphilippe (Soudal - Quick Step), der seinen Hut in den Ring warf. 27 Kilometer vor dem Ziel hatte er mit ein paar Verfolgern Peitrobon und Maestri eingeholt. Gemeinsam mit Ewen Costiou (Arkea-B&B Hotels) ging er auf die letzten 20 Kilometer.
Zehn Kilometer vor dem Ende im Schlussanstieg war Schluss - zumindest für Costiou. Alaphilippe entging der Einholung mit einem weiteren Angriff, wurde dann aber 2500 Meter doch gestellt. In dem Moment flog Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) an ihm vorbei und ging mit einer kleinen Lücke in die Abfahrt und die letzten flachen Kilometer.
Doch letztlich endete es für Narvaez maximal unglücklich. Im Gegenwind auf der Zielgeraden fehlten dem Ecuadorianer etwa 50 Meter. Auch, weil sich der Mann in Rosa, Pogacar, auf den letzten Metern für seinen Sprinter Molano vor das Feld klemmte und die Lücke schloss. Im absoluten Finale übernahmen die Sprinter. Milan eröffnete, doch doch Kooij zog noch an ihm vorbei.