Geburtstag von Jan UllrichTOUR-Chefredakteur erinnert sich an die Anfänge

Thomas Musch

 · 02.12.2022

Jan Ullrich: Eine Karriere mit Licht, aber auch sehr viel Schatten
| Bilder: Getty Velo

Jan Ullrich feiert seinen 49. Geburtstag. TOUR-Chefredakteur Thomas Musch blickt auf seine erste Begegnung mit dem einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger zurück.

In einer Zeit, in der man sich als junger Journalist noch der Illusion hingeben konnte, der Radsport sei ein weitgehend sauberes Geschäft mit einigen irrelevant wenigen schwarzen Schafen, begann das Team Telekom mit der Tradition der vorweihnachtlichen Medientreffen. Für die Medienschaffenden in der damaligen deutschen Radsport-Diaspora – seit Didi Thuraus Zeiten waren ja nur ein paar versprengte Solisten hier und da in die Ergebnislisten und die Öffentlichkeit geraten – war das wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Die Aussicht auf ein paar Stunden im Kreis der Mannschaft, auf direkten Kontakt zu den Rennfahrern, auf eine gemeinsame Radausfahrt, Lenker an Lenker mit den Stars, lockte ungemein.

Teamtreffen 1994

Im Winter 1994 stieß erstmals der gerade 21-jährige Jan Ullrich zum Team und zum Teamtreffen, das bei Siegburg stattfand. 1993 war er als Amateur-Weltmeister ins Rampenlicht gefahren, hatte bei Team Telekom einen Vorvertrag unterschrieben, fuhr aber 1994 noch als Amateur – auch, um in den Rennen die Erfahrung zu machen, wie es ist, der Beachtete und Gejagte zu sein, derjenige im Weltmeistertrikot, auf den alle schauen und auf dessen Aktion alle warten.

In der Umkleide für die gemeinsame Radausfahrt beim Teamtreffen hatte ich Gelegenheit, mit Ullrich ein paar Worte zu wechseln, er wird sich nicht daran erinnern. Es antwortete ein netter Kerl, jung, etwas schüchtern, aber trotzdem offen.



Keine Anführer-Attitüde bei Ullrich

Bei der gemeinsamen Radausfahrt mit den Profis konnte man sehr schön beobachten, was Ullrich Zeit seiner Karriere charakterisierte: Er fühlte sich immer dann am wohlsten, wenn er mit Kumpels oder Teamkollegen, eben in einer Gruppe einer von vielen sein konnte. Dann war er gut gelaunt, witzig, überhaupt nicht maulfaul. Kein bisschen drängte er sich in den Vordergrund, nie wurde eine Anführer-Attitüde bei ihm sichtbar. Oder anders formuliert: Jan Ullrich war zwar der mit Abstand beste Rennfahrer im Team, aber nicht annähernd so etwas wie ein Kapitän.

Seine Lockerheit in der Gruppe wich nach kurzer Zeit maximaler Anspannung - im Umgang mit den Medien. Selbst im Gespräch mit zwei, drei Journalisten trat ihm der Schweiß auf die Stirn, begann er hölzern und oft unbeholfen zu formulieren, wo er im Schutz der Gruppe, frei von der Leber weg, schlagfertig und treffend reden konnte. Der unsicher wirkende, oft linkische, gelegentlich auch prollig freche Ullrich wurde zum öffentlichen Avatar des netten, jungen Kerls aus der Umkleide.