Sebastian Lindner
· 25.08.2023
Gerade erst feierte Felix Engelhardt seinen 23. Geburtstag. In aller gebotenen Kürze und nur mit seinen Zimmergenossen natürlich, schließlich standen am Tag darauf die Cyclassics in Hamburg auf dem Programm. Für den gebürtigen Ulmer hatte das Rennen, eines der wenigen in Deutschland, aber nur Vorbereitungscharakter.
Am Montag war Engelhardt bereits wieder in seiner Wahlheimat Innsbruck. Doch auch nicht für lange, denn kaum einen Tag später ging es weiter nach München und von dort mit dem Flieger nach Barcelona. Im Grunde Alltag, denn die Zahl an Kilometern, die Radprofis im Sattel verbringen, wird noch getoppt durch die Reisekilometer, die notwendig sind, damit sie überhaupt ihrem Job nachgehen können.
Doch gerade in diesem speziellen Fall dürfte der Weg für Engelhardt nach Barcelona ein besonderer sein. Denn dort startet für den Neo-Profi beim Team Jayco-AlUla am Samstag (26. August) seine erste Grand Tour. Er gehört zum achtköpfigen Aufgebot seines Teams für die Spanien-Rundfahrt.
TOUR: Felix, seit wann wissen Sie, dass Sie die Vuelta fahren dürfen?
Felix Engelhardt: Es ist schon länger so geplant, vielleicht seit April. Konkreter wurde es dann Ende Juni, Anfang Juli. Aber die Liste der Fahrer, die dahin wollen, ist lang. Wenn man seine Performance nicht bringt, ist man auch schnell wieder raus.
TOUR: Trotzdem hat es sicher seine Vorteile, wenn man sich langfristig darauf vorbereiten kann.
Felix Engelhardt: Ja, natürlich. Es ist gut, wenn man weiß, was passieren soll. Ich hatte so die Freiheiten, vorher nochmal in der Höhe zu trainieren. Und auch mental ist es deutlich einfacher, wenn man Klarheit hat und nicht zwei Tage vorher gesagt bekommt, du musst jetzt sofort nach Spanien. Es ist cool, wenn man sich darauf freuen kann.
TOUR: Wie genau sah die Vorbereitung auf Ihre erste dreiwöchige Landesrundfahrt aus?
Felix Engelhardt: Nachdem ich in Spanien noch Ende Juli Rennen gefahren bin, ging es für mich für knapp drei Wochen in die Höhe. Ich habe hier in Innsbruck ja genügend Möglichkeiten direkt vor der Nase und habe am Kühtai für mich allein trainiert. Deswegen konnte ich auch nicht zur Weltmeisterschaft nach Glasgow. Ich war nominiert, musste aber absagen.
TOUR: Worum soll es für Sie bei Ihrer ersten großen Rundfahrt gehen?
Felix Engelhardt: Das Ziel ist, bis zum Ende durchzufahren, anzukommen. Mal sehen, wie der Körper reagiert, wie es sich anfühlt. Erfahrungen sammeln. Dazu habe ich eine relativ freie Rolle, muss aber natürlich auch unserem klaren Leader Eddie Dunbar helfen, auf den flacheren Etappen ohne Probleme sicher durchzukommen. Vielleicht kann ich auch mal ein eine Gruppe gehen, wenn der Tag nicht ganz so hart ist. Für die schweren Etappen haben wir ja Matteo Sobrero und Filippo Zana.
TOUR: Klingt das alles machbar für Sie?
Felix Engelhardt: Machbar sollte auf jeden Fall das Gruppetto sein, ohne allzu tief gehen zu müssen. Aber gerade hintenraus auf den letzten Etappen werde ich sehen müssen, wie ich zurecht komme. Vor allem da ist es extrem gefährlich, wenn man es mal verpasst, zu Essen oder zu Trinken.
TOUR: Schon vor der Vuelta haben Sie knapp 50 Renntage auf dem Konto. Im Idealfall kommen da noch 21 dazu. Für einen jungen Fahrer in seiner ersten Profi-Saison ist das schon recht viel.
Felix Engelhardt: Für einen Neo-Profi bin ich aber auch nach heutigen Maßstäben schon relativ alt. Ich bin eigentlich schon immer ein Vielfahrer, bin in meinem vorherigen Team Tirol KTM neben internationalen Rennen auch immer Deutsche und Österreichische Bundesliga parallel gefahren und so auch auf meine 60 Renntage gekommen. Jetzt werden es vielleicht etwas mehr als 70, weil ich nach der Vuelta noch zwei, drei kleinere Rennen in Italien und auch in Japan fahren will. Da ist dann im Idealfall auch noch etwas für mich dabei. Sind es mehr Renntage, müssen vielleicht die Trainingsumfänge etwas reduziert werden. Aber die Intensität, gerade bei der Vuelta, ist wichtig für mich und meinen Aufbau im nächsten Jahr. Da kam ich erst etwas spät in Form.
TOUR: Aber doch gut genug, um im März beim italienischen Eintagesrennen Per Sempre Alfredo Ihren ersten Sieg als Profi zu feiern!
Felix Engelhardt: Der Sieg kam überraschend, das muss ich zugeben. Ich war eigentlich noch nicht so gut drauf, bin zwei Wochen zuvor noch bei der Strade Bianche aus dem Zeitlimit gefallen. Aber dann hatte ich einen richtig guten Tag erwischt. Ich hatte mich dann im Finale einfach an den Bardiani-Zug rangehangen. Das war wie ein fliegender Teppich. Und dann konnte ich es zu einem guten Ende bringen. Damit hatte ich gleich in meinem ersten Jahr als Profi ein Ziel erreicht, dass ich mir für die gesamte Karriere gesteckt hatte.
TOUR: Und dabei blieb es nicht. Denn im Juli haben sie bei der zweitägigen Castilla y Leon die 1. Etappe für sich entschieden und insgesamt den zweiten Rang belegt. Die Konkurrenz dort war nochmal eine Nummer größer. Welcher Sieg war denn schöner?
Felix Engelhardt: Der erste Sieg ist besonders, den vergisst man nicht so schnell. Beim zweiten Mal war es dann auch schon etwas anderes, weil ich wusste, dass ich gewinnen kann. Es gab dann auch eine andere Erwartungshaltung.
TOUR: Sprechen Sie von Druck?
Felix Engelhardt: Das kommt drauf an, wie viel du dir da selbst machst. Wenn deine Mannschaft dich perfekt anfährt, dann willst du das halt auch umsetzen. Für den einen ist es Druck, für den anderen eine Extra-Motivation.
TOUR: Themenwechsel. Wie kommt ein junger deutscher Profi, der zuvor in einem österreichischen Kontinental-Team unterwegs war, dazu, bei einem australischen World-Tour-Team zu unterschreiben?
Felix Engelhardt: Ich habe ganz bewusst nichts Deutschsprachiges gesucht. Ich wollte etwas komplett Neues, um das Nachwuchsthema abzuhaken. Richtig frisch anfangen. Dass es dann Jayco wurde – die Mentalität im Team ist richtig gut. Und die Führung hatte ein ganz anderes Bild von mir als bei allen anderen Teams. Im Radsport geht es am Ende nicht immer darum, wer der Beste ist, sondern darum, wer auch um den Sieg fahren darf. Und letztlich hat auch Marco Pinotti, der bei Jayco Trainer ist, eine besondere Rolle gespielt.
TOUR: Glauben Sie jetzt, da Ihre erste Saison langsam auf die Zielgerade einbiegt, dass Sie die richtige Wahl getroffen haben?
Felix Engelhardt: Es war das Beste, was ich machen konnte! Davon bin ich überzeugt. Alles, was mir versprochen wurde, was wir abgesprochen hatten, wurde bisher immer umgesetzt.
TOUR: Wie oft waren Sie schon in Australien?
Felix Engelhardt: Zweimal. Einmal letztes Jahr zur WM und dann nochmal im Winter, als meine Freundin dort für ein paar Monate war. Das Team an sich hat abgesehen von der Lizenz nur wenig mit Australien zu tun. Klar, ein paar Fahrer und Mitarbeiter sind Australier, aber die Strukturen liegen alle in Europa.
TOUR: Neben zwei Siegen - Was nehmen Sie bisher aus Ihrer ersten Saison als World-Tour-Profi mit?
Felix Engelhardt: Dass es deutlich einfacher ist als gedacht, ein normales Leben parallel zum Radsport zu führen. Ich habe von den Älteren gelernt, wann mal auch mal abschalten kann und wann man voll trainieren muss. Dass man in Pausen auch mal entspannen, eine Balance finden muss. Es muss immer Spaß machen. Immer Vollgas zu geben funktioniert nicht, sonst machst du das nicht lange. Es kann mit keiner erzählen, dass er sich jeden Winter quält, wenn es nur ums Geld geht.
TOUR: Haben Sie immer daran geglaubt, dass der Sprung zu den Profis gelingen wird?
Felix Engelhardt: Nach der Zeit als Junior hatte ich 2019 ein gutes Jahr. Aber dann kam Corona, in dem Jahr hatte ich einen Durchhänger und über die Sportschule sogar schon ein Studium an der Hochschule in Ansbach begonnen. 2021 habe ich mir dann aber gesagt, dass ich jetzt All-in gehe, auch wenn es bedeutet, dass ich mich extrem zusammenreißen und zielstrebig sein muss. Dann hatte ich ein gutes Jahr und habe dann hinterher noch einen Winter rangehangen, auf dem ich fast auf Mallorca gewohnt habe. Mit dem EM-Titel 2022 ist dann eine Menge Druck abgefallen.
TOUR: Können Sie sich vorstellen, die Karriere jetzt durchzuziehen, noch zehn oder mehr Jahre als Profi zu fahren?
Felix Engelhardt: Ich liebe den Radsport noch. Wenn’s läuft, ist es auch leicht. Aber aktuell habe ich schon den Wunsch, noch lange zu fahren, ja.
TOUR: Und vielleicht klappt es dann ja auch mal mit der Deutschland Tour, die jetzt für Sie unmöglich ist, weil sich die Rundfahrt mit der Vuelta überschneidet. Ist es ein kleiner Wermutstropfen, dass Sie ihr Heimrennen verpassen?
Felix Engelhardt: Es wäre schon cool, die Deutschland Tour irgendwann mal zu fahren, klar. Auch Hamburg war ganz nett, es gibt schon noch viele Radsportfans in Deutschland. Obendrein ist es auch wie eine kleine Familie, wenn man dann auf Fabian Wegmann als Sportlichen Leiter bei der D-Tour oder auf André Greipel als Bundestrainer trifft.