Diese Rennradsaison steht ganz im Zeichen neuer Komponenten: Alle drei großen Hersteller bringen neue Schaltgruppen auf den Markt. Für Gravelbikes und Straßenrenner, von sehr preiswert bis luxuriös: Wir haben die neuen Teile von Campagnolo, Shimano und SRAM schon getestet.
Dass es bei High-End-Rennrädern keine Preisgrenze nach oben gibt, ist inzwischen keine neue Erkenntnis mehr. Elektronische Schaltungen und Scheibenbremsen als Stand der Technik setzen allerdings auch eine Art Mindestpreis, unter dem ein modernes Rennrad kaum noch herstellbar ist. Noch günstigere Komponenten gibt es kaum, und Rennradrahmen für Bowdenzug-Schaltungen verschwinden obendrein. Preiswerte sportliche Räder sind daher heutzutage überwiegend Gravelbikes. Shimano hat daher die preiswerten Straßen-Gruppen Sora und Tiagra aus dem Programm genommen. Allein wegen der fehlenden günstigen Komponenten dürfte der Einstiegspreis für ein modernes Straßenrennrad damit auf etwa 2000 Euro anziehen. Werden elektrische Schaltungen und Carbonrahmen irgendwann alternativlos, was angesichts sichtbarer Tendenzen nicht mehr abwegig erscheint, kommt noch mal ein Tausender hinzu.
Mit dem Teile-Programm Cues will Shimano die entstehenden Komponenten-Lücken nun abdecken. Hinter dem Namen verbirgt sich keine geschlossene Gruppe, sondern ein Komponenten-Baukasten, der ursprünglich für Trekkingräder und preiswerte Mountainbikes konzipiert wurde. Damit lassen sich Antriebe mit neun bis elf Ritzeln und einem oder zwei Kettenblättern zusammenstellen. Mit Schaltbremshebeln für Rennlenker und angepassten Übersetzungen sollen zukünftig auch besonders preiswerte Straßenrennräder und Gravelbikes machbar sein. Das Canyon Endurace Allroad für 999 Euro ist dafür ein Beispiel (siehe unten).
Viel neue Technik bieten die Komponenten nicht, eher präsentieren sie sich als neu abgemischtes Sammelsurium bewährter Shimano-Teile. Die Kurbelarme ähneln optisch denen der Mountainbike-Gruppen; die Bremshebel erinnern an spezielle Versionen für kleine Hände, welche Shimano einst für die Elffach-105 und -Ultegra anbot. Die Komponenten wirken optisch modern und erledigen ihren Job erwartungsgemäß. Dass Shimano an vielen Details den Rotstift angesetzt hat, merkt man jedoch ebenso. Die Bremsen sind weniger bissig als moderne Rennrad-Discs, aber besser als Felgenbremsen. Die Hebelwege beim Schalten sind sehr lang und die Hebel geben wenig Rückmeldung, dafür arbeitet die Schaltung leichtgängig. Die Griffkörper sind etwas klobig, der Bremshebel bietet eine sehr breite Auflagefläche und sitzt vergleichsweise nahe am Lenkerbogen. Der Kurbelabstand ist etwas breiter als beim Rennrad und entspricht dem von Gravelbikes. Nicht zuletzt dürften die Teile schwer sein; mit knapp elf Kilogramm dürfte das Canyon noch zu den leichteren Cues-Rädern gehören.
Am Endurace ist die sportlichste Übersetzungsvariante verbaut, mit einer 50/34-Abstufung und einer 11-39-Zehnfach-Kassette. Mit dem bergtauglichen, aber auch recht grob abgestuften Ritzelpaket sehen wir das Rad eher auf Touren, in der Stadt und auf Reisen. Betont sportliche Ambitionen kommen auch aufgrund des hohen Gewichts kaum auf. Alle anderen Übersetzungs-Konfigurationen sind eher auf Fahrten abseits des Asphalts oder im Gelände ausgerichtet. Somit wird man die Cues-Teile mehr an günstigen, komfortabel abgestimmten Gravelbikes und kaum an sportlichen Straßenrennrädern sehen. An den Gedanken, dass geländegängige Gravel- und Allroadbikes wie das Canyon zukünftig der günstigste Einstieg in den Radsport sind, wird man sich wohl gewöhnen müssen.
Das Endurace AllRoad basiert auf einem anderen Aluminiumrahmen als das bekannte Endurace AL und wird von Canyon als Allrounder für gemeinsame Ausfahrten, Pendelfahrten, Granfondos oder Bikepacking-Touren positioniert. Bis zu 40 Millimeter breite Reifen passen hinein, womit auch leichtes Gelände drin ist, serienmäßig sind 35er-Schwalbe-Reifen mit leichtem Profil aufgezogen. Der Rahmen ist sehr schlicht verarbeitet, was die Silberpfeil-Lackierung aber geschickt kaschiert. Insgesamt wirkt das Rad deutlich teurer als es ist. Trotz Carbongabel und moderner Optik ist das Rad jedoch schwer: Knapp elf Kilogramm zeigt unsere Waage an, das ist das Niveau günstiger Gravelbikes. Entsprechend träge wirkt es im Antritt. Davon abgesehen ist das Fahrverhalten tadellos. Die Sitzposition ist sehr komfortabel, die Kontaktpunkte Lenker und Sattel sind sogar sehr bequem. Dass Rahmen und Gabel wenig Federkomfort bieten, merkt man, wenn man die Reifen etwas härter aufpumpt. Dann rollen die einfachen Schwalbe-Pneus zwar ordentlich, aber Stöße schlagen nahezu ungefiltert auf den Körper durch und das Rad neigt bei Unebenheiten zum Springen. Besser fährt es sich auch auf der Straße mit etwas niedrigerem Druck; ein Tuning-Tipp sind geschmeidigere Reifen. Als robustes Rennrad mit günstigen Verschleißteilen, beispielsweise für tägliche Pendelwege, eignet sich das Canyon definitiv, zumal sich Schutzbleche und Gepäckträger anbringen lassen. Die montierte Übersetzung erlaubt aber auch längere Touren oder Reisen.