Der traditionsreiche Hersteller aus Vicenza war einst unangefochtener Branchenprimus für Rennradkomponenten. Doch das ist inzwischen lange her, seit Jahrzehnten verliert Campagnolo zunehmend an Bedeutung. Die Marktführerschaft musste man schon in den 90er-Jahren der japanischen Konkurrenz von Shimano überlassen, in den vergangenen Jahren gerieten die Italiener durch die Innovationen von SRAM zusätzlich unter Druck. Das ist weniger mangelnder Produktqualität geschuldet. Auch die aktuelle Top-Gruppe hat durchaus ihre Stärken; sie ist leicht und edel verarbeitet. In Hersteller-Kreisen werden schlechtes Marketing und hohe Preise als Gründe genannt, Campa nicht mehr zu ordern, die Branche beschwert sich zudem über lange Lieferzeiten. Die Folgen: Räder mit Campagnolo-Schaltung sind extrem rar geworden, unter jüngeren Rennradfahrern ist die Marke kaum noch bekannt und wird entsprechend wenig nachgefragt.
Neu sind kleinere Kettenblätter und Ritzel, die Kassetten beginnen bei der Super Record, ähnlich wie beim Konkurrenten SRAM, mit zehn statt elf Zähnen. Das erfordert Campagnolos N3W-Freilauf, den es nicht für alle Laufradmarken gibt. Der Sprung zwischen den vorderen Blättern fällt bei allen drei angebotenen Kombinationen (45/29, 48/32 und 50/34) etwas größer aus als bei SRAM oder Shimano, wodurch es weniger Überschneidungen gibt. Das nutzt Campa, um die Sprünge zwischen den Ritzeln klein zu halten und mit dem kleinen Blatt trotzdem leichte Berggänge anzubieten. Die Sprünge fallen vor allem auf den mittleren und großen Ritzeln spürbar kleiner aus als bei vergleichbaren Kombinationen der Wettbewerber. Mit der Bergkassette ist maximal eine 1:1-Übersetzung möglich; die Optionen 10-27 und 10-25 bieten feinere Abstufungen. Der Antrieb läuft auch auf dem kleinsten Ritzel reibungslos und leise, auch viel Kettenschräglauf stört das Getriebe nicht. Man darf davon ausgehen, dass die Komponenten vergleichsweise verschleißfest sind: Die Kette ist unverändert und schlug sich in vergangenen Tests gut, auch Blätter und Ritzel aus Vicenza gelten als sehr haltbar.
Auch wenn Shimano und SRAM mit den jüngsten Generationen an Bremsleistung zugelegt haben: Die unverändert von der Vorgänger-Gruppe übernommenen, einst gemeinsam mit Magura entwickelten Hydraulik-Discs von Campa zählen noch immer zu den Besten im Wettbewerb. Die Bremsen packen kräftig zu, der Druckpunkt wirkt mit den neuen Hebeln noch etwas definierter. Quietschen oder Kratzgeräusche sind den Stoppern fremd, selbst bei Nässe. Auch Hitzeprobleme sind nicht zu erwarten: Die Vollstahlscheibe ist mit 120 Gramm nicht besonders leicht, aber nach TOUR-Tests überaus standfest.
Der vordere Umwerfer arbeitet tadellos: absolut zuverlässige Blattwechsel auch unter Last, kein Schleifen, kein Klemmen. Auch die hintere Schaltung arbeitet präzise und geschmeidig, wenn sie richtig eingestellt ist. Doch da liegt der Haken: Die Einstellung ist nicht selbsterklärend; über die Smartphone-App, wie inzwischen bei der Konkurrenz, geht es gar nicht. Eine Feinjustierung auf einzelne Ritzel, die bei bleibenden Problemen nötig sein kann, ist relativ kompliziert. Die Konkurrenz ist da toleranter oder präziser gefertigt und funktioniert in der Regel auf Anhieb einwandfrei. Die Akkus lassen sich per Kabel am Rad oder entnommen in einer Ladestation aufladen; untereinander tauschen wie bei SRAM kann man sie nicht. Ihre Kapazität ist komfortabel. Auf 500 schaltintensiven Kilometern verbrauchten wir etwa 25 Prozent; 2.000 Kilometer halten wir für realistisch. Das entspricht etwa dem Niveau der Wettbewerber.
Ein Pluspunkt sind die optimal geformten Bremshebel, die sich toll greifen lassen. Auch vom Oberlenker sind sie perfekt zu erreichen, zusammen mit den starken Scheibenbremsen wird das Anbremsen von Serpentinen zum Kinderspiel. Die Schalttasten sitzen übereinander außen am Bremshebel. Sie sind zwar mit Zeige- und Mittelfinger gut erreichbar, aber nicht leicht zu unterscheiden. Die Grenze zwischen den Tasten ist schwierig zu erfühlen, die aufgebrachte Textur eher Kosmetik. Auf unebener Straße passiert es auch nach längerer Eingewöhnungszeit leicht, dass man den falschen Knopf erwischt. Die Stromversorgung übernehmen wie bei der Konkurrenz Knopfzellen. In unserem Test war die Ladestandsanzeige ungenau, unsere App zeigte zu Beginn gut 50, am Ende fast 90 Prozent. Die Batterien dürften aber wie angegeben bis zu zwei Jahre durchhalten.
Die App zur Campagnolo-Gruppe wirkt im Vergleich zur Konkurrenz rudimentär. Sie zeigt lediglich den Ladezustand der Komponenten und zählt die Schaltvorgänge. Eine Semi-Automatik lässt sich auswählen, bei der das Schaltwerk beim Kettenblattwechsel einen bis drei Gänge gegenschaltet, sie reagiert allerdings sehr träge. Die Belegung der Schalttasten lässt sich zwar ändern, eine andere als die vorgegebene ergibt allerdings kaum Sinn. Zusatzknöpfe in den Hebeln oder solche, die am Lenker befestigt werden, gibt es bislang nicht, ebenso fehlen noch Zeitfahrkomponenten. Eine Option zur Leistungsmessung steht seit Frühjahr 2024 zur Verfügung, allerdings ist das Upgrade mit etwa 1.500 Euro sehr teuer.