Unbekannt
· 30.01.2015
Die besten Rahmen der Welt werden aus Carbon gebaut: Leicht, steif und komfortabel - das geht derzeit nur mit dem Faserwerkstoff. Das Spektrum möglicher Geometrien und Größen ist allerdings oft begrenzt. Im TOUR-Test treten sieben Rahmenbauer an, um zu beweisen, dass sie das High-End-Material auch zu erstklassigen Maßrahmen verarbeiten können. In unserer Online-Bildergalerie finden Sie viele zusätzliche Details zu den Testrädern im Heft.
Für einen Maßanzug gibt es zwei Gründe: Entweder lässt sich unter den normalen Größen im Laden nichts finden, was richtig sitzt, oder der eigene Anspruch an Individualität ist so groß, dass man ihn sich einfach leistet. Ganz ähnlich verhält es sich mit einem Maßrahmen für ein Rennrad. Das Problem: Mit der Verbreitung von Carbon als Rahmenmaterial und den grundlegend anderen Fertigungsverfahren ist das Angebot an Maßrahmen drastisch geschrumpft. Doch es gibt Möglichkeiten, auch Carbonrahmen auf Maß zu bauen. Wenige, spezialisierte Anbieter versprechen, einen passgenauen Rahmen mit Eigenschaften nach dem heutigen Stand der Technik bauen zu können. Wir haben sieben davon unter die Lupe genommen und überprüft, ob sie den Anspruch an ein High-End-Rennrad erfüllen. Zwangsläufige Konsequenz: Das Testfeld fällt exklusiv aus. Als Komplettrad knackt fast jedes Modell die 10.000-Euro-Grenze – solch edle Kreationen sieht man nicht alle Tage.
Den kompletten Test und die Ergebnisse dieser Maßrahmen aus Carbon finden Sie unten als PDF-Download:
• ArgonautSpacebike 2.0
• Calfee Dragonfly
• Cyfac Absolu V2
• Festka One
• Parlee Z-Zero
• Sarto Seta
• Scappa Il Corriero
Zeitenwende beim Rahmenbau
Zu Zeiten, als Stahl den Rahmenbau beherrschte, war die Sache einfach: Man ging zu einem etablierten Rahmenbauer, ließ sich vermessen, äußerte Sonderwünsche und ließ sich einen Rahmen zusammenlöten, der in seinen technischen Eigenschaften einem hochwertigen Modell von der Stange in nichts nachstand. Doch mit dem Siegeszug von Carbon als Werkstoff änderte sich die Sache fundamental. Denn für die Serienrahmen hat sich ein Fertigungsverfahren durchgesetzt, das – einmal festgelegt – keine Variationen an der Geometrie mehr zulässt: Bei der sogenannten Monocoque-Bauweise werden die Fasermatten mit Epoxidharz in eine Negativform laminiert, die meist aus einem vollen Stahlblock gefräst wird, und anschließend ausgehärtet. Dabei benötigt jede Rahmengröße ihre eigene Form, was teuer ist und sich nur rentiert, wenn ausreichend viele Räder verkauft werden. Auch wenn die serienmäßig angebotenen Rahmenformen in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden sind – Komfortmodelle mit kürzerem Ober- und längerem Steuerrohr zum Beispiel lösen die Probleme so mancher Sportler – kann es dennoch für besonders große oder kleine Radler schwierig sein, ein passendes Rad zu finden.
Die Maßrahmenbauer gehen deshalb bei der Herstellung andere, nicht selten ganz eigene Wege. An der klassischen, einstellbaren Rahmenlehre führt auch beim Carbonrahmen meist kein Weg vorbei. Am häufigsten wird das Tube-to-tube-Verfahren angewendet: Zugekaufte oder zum Teil auch selbst gefertigte Carbonrohre werden individuell gekürzt und an den Fügestellen mit Carbonmatten verbunden. Craig Calfee arbeitet mit Muffen, die er selbst aus Carbon laminiert; Parlee kombiniert beides. Argonaut laminiert sieben einzelne Rahmenteile ähnlich wie im Großserienbau, verwendet aber dafür eigens entwickelte, in Länge und Winkel einstellbare Formen.
Rundum-Service inklusive
Manche Anbieter versprechen sogar zusätzlich zur individuellen Geometrie, die Fahreigenschaften des Rahmens individuell anpassen zu können und nutzen dabei die Freiheiten des Werkstoffs. Carbon ist kein homogenes Material wie Metall; je nach Faserqualität, Materialeinsatz und Legerichtung kann man – innerhalb gewisser Grenzen – beeinflussen, wie steif (und damit fahrstabil) und wie komfortabel der Rahmen wird. Im Wesentlichen geht es dabei um das Verhältnis von Steifigkeit zu Rahmengewicht im Hinblick auf Körpergewicht und Antrittsstärke des Fahrers: Ein sehr steifer Rahmen benötigt mehr Material und wird deshalb schwerer, ein besonders leichter Rahmen ist begrenzt verwindungssteif.
So wird ein Argonaut erst nach eingehender persönlicher Beratung gebaut; Parlee bietet nicht nur mehrere Modelle, sondern jeweils auch unterschiedliche Rohrsätze an, die verschiedenen Ansprüchen gerecht werden sollen. Auch Craig Calfee bietet gegen Aufpreis extra verstärkte Muffen sowie ein deutlich steiferes Modell an, und auch bei Sarto und Scappa kann man unter mehreren unterschiedlich ausgelegten Modellen wählen. Eine Wunschlackierung ist bei allen Anbietern selbstverständlich. Viele Hersteller gewähren außerdem eine sehr lange, wenn nicht gar lebenslange Garantie auf ihre Rahmen – das ist für Serienrahmen eher ungewöhnlich und zeigt, wie sich die Rahmenbauer positionieren wollen: Für den hohen Preis soll der Kunde nicht nur ein gutes Produkt, sondern auch möglichst viel Service bekommen.
Viele individuelle Details
Unsere Testexemplare jedoch sind mit einer Ausnahme nicht auf Maß gefertigt; da wir stets alle Testräder an die Hersteller zurückgeben, wollten wir insbesondere den kleinen Anbietern nicht zumuten, Rahmen auf Maß zu bauen, die sie anschließend nicht verkaufen können. Die Rahmen sind daher eher Visitenkarten der Unternehmen, die zeigen sollen, wie gut jeder sein Handwerk beherrscht. Die Ausstattungen haben wir zwar auch benotet, doch man sollte im Hinterkopf behalten, dass die Räder in der Regel individuell aufgebaut werden. Die Preise beziehen sich daher nur auf die Rahmen-Sets.
Optisch haben die Teilnehmer viel zu bieten: Alle Rahmen sind akkurat verarbeitet, etliche individuelle Details unterstreichen den besonderen Anspruch. Einige stellen das Material offen zur Schau: Bei den sparsam lackierten Rahmen von Argonaut, Parlee und Sarto kann man auf der Oberfläche die Zuschnitte der einzelnen Matten betrachten. Am extravaganten Design der Calfee-Muffen kann man sich kaum sattsehen; die perfekt ausgeführte, halbtransparente Lackierung lässt ebenfalls das Rohmaterial durchschimmern – sie kostet allerdings 800 Euro Aufpreis. Etwas nüchtern wirken dagegen die Rahmen von Cyfac, Festka und Scappa, die mit einer Deckschicht ver sehen oder lackiert sind, auch wenn sie uneingeschränkt sauber verarbeitet sind.
Risiko Fahrstabilität
Die Stunde der Wahrheit schlägt im TOUR-Prüflabor, wo die Rahmen-Sets vermessen werden. Hier offenbaren die Kandidaten ihre inneren Werte, und es zeigt sich, ob die Individualisten auch technisch eine Alternative sind oder nicht. Bei den Gewichten stechen drei Modelle heraus: Parlee und Sarto wiegen rund 900 Gramm, das liegt auf dem Niveau von Top-Rahmen der Großserie; Argonaut schafft mit 784 Gramm Rahmengewicht sogar eine kleine Sensation – in diese Bereiche dringen auch nur wenige Monocoque-Rahmen vor. Die schwersten sind Cyfac mit 1.280 und Calfee mit 1.230 Gramm, dem man sein Mehrgewicht aufgrund der ausgefallenen und schon etwas in die Jahre gekommenen Konstruktion aber irgendwie verzeiht. Doch ein guter Rahmen soll nicht nur leicht sein, sondern auch ausreichend fahrstabil – eine Eigenschaft, über die man sich bei modernen Serienrahmen etablierter Hersteller eigentlich keine Gedanken mehr machen.