Rennrad-ManufakturenSour Bicycles macht stilvolle Schweißarbeit

Jörg Spaniol

 · 05.10.2024

Kurze Lieferkette: Sour schweißt, pulvert und schraubt in Sachsen.
Foto: Jörg Spaniol
Leichter und steifer, mehr Aero und mehr Plastik? Während die Masse der Rennräder immer gleichförmiger daherkommt, formiert sich im Osten der Republik ein zarter Gegentrend: Drei sächsische Manufakturen halten trotzig die Fahne des Individualismus hoch. Unter anderem Sour Bicycles, das sich durch stilvolle Schweißarbeit auszeichnet.

Sie bauen ihre Rahmen aus Stahl, haben Mut zur Farbe und machen alles, was geht, selbst. Dabei sind die jungen Chefs bei Veloheld, Rotor oder Sour Bicycles alles andere als Ostalgiker. Die Nachwende-Generation profiliert sich mit charaktervollen Rädern und sympathischem Gründerstolz. In Leipzig und vor allem Dresden – dem “Freiburg des Ostens” – klumpt sich eine lebendige Radszene. Man kennt sich, nutzt Synergien und Gründerzuschüsse, leistet Lobbyarbeit fürs Fahrrad.

In der Initiative “Cycling Saxony” finden sich neben solchen Manufakturen und Spezialisten wie den Carbontüftlern von Beast oder den Laufradbauern von Light Wolf auch Traditionsunternehmen und große Versender. Mitte Oktober wird die Bespoked-Messe für handgemachte Fahrräder zum zweiten Mal in Dresden stattfinden. Was geht in Sachsen – und warum? Auf der Suche nach einem frischen Sportrad-Spirit hat sich TOUR im östlichen Freistaat umgeschaut. Hier der Einblick hinter die Kulissen von Sour Bicycles.

Christoph Süße ist Firmenchef von Sour BicyclesFoto: Jörg SpaniolChristoph Süße ist Firmenchef von Sour Bicycles



Sour Bicycles: Stilvolle Schweißarbeit

Wo einst das Militär und untergegangene Industrien herrschten, irgendwo im Norden Dresdens, steigt das Navi trotz korrekter Adresse aus. Kein Straßenschild, keine Hausnummer. Ein halb offenes Tor, dahinter rissiger Betonboden mit durchbrechenden Pionierpflanzen. Davor rauchen Handwerker ihre Pausenzigarette in einem Lieferwagen. “Eine Fahrradfirma? Hier? Keine Ahnung.” Doch weit hinten steht ein bunt lackierter Kastenwagen, darauf in Großbuchstaben: SOUR. Christoph Süße, Firmengründer und Urheber des wortspielerischen Namens – “sour” bedeutet im Englischen “sauer” –, residiert seit zwei Monaten auf dem Gelände. Er hatte wirklich noch keine Zeit, sich um die Deko zu kümmern.

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Sein Daumen und Zeigefinger markieren eine Spanne von etwa acht Zentimetern: “So hoch lagen hier überall Staub und Späne! Und wir hatten nur vier Wochen, um aus dem alten Metallbetrieb unseren neuen Firmensitz zu zimmern.” Seit 2020 gibt es die Marke, gegründet hat Süße die GmbH am letzten Tag vor dem Corona-Lockdown, davor hat der studierte Ingenieur als Konstrukteur für andere gearbeitet. Fahrrad-Freak ist er seit seiner Jugend, doch in Sachen “krumme Lenker” ist der Enddreißiger ein Quereinsteiger: “Wir haben in den 1990ern einen Verein gegründet, um eine legale Dirt-Rennstrecke in Dresden zu bauen. Groß geworden bin ich mit Skateboard und BMX.”

Lange stand die Marke vor allem für robuste und individuelle Trail-Hardtails mit langhubigen Federgabeln und flachem Lenkwinkel. Auch die stählernen Gravelbikes, die es erst seit 2022 gibt, sind ein Erfolg. Während die meisten der jährlich knapp 1000 verkauften Rahmen die Basis für Mountainbike-Einzelaufbauten sind, kauft die Gravelkundschaft gern komplette Räder, die gleich hinter dem Showroom montiert werden.

Kurze Lieferkette: Sour schweißt, pulvert und schraubt in Sachsen.Foto: Jörg SpaniolKurze Lieferkette: Sour schweißt, pulvert und schraubt in Sachsen.

Regionale Lieferketten

Ich muss jetzt nicht mehr unzählige Rahmen mit neun Monaten Vororder bestellen, sondern produziere, was wir brauchen. - Christoph Süsse

Doch den entscheidenden Schritt in Sachen Fertigungstiefe machte Christoph Süße vor zwei Jahren: Sour wechselte von einem taiwanischen Rahmenhersteller zur eigenen Fertigung in Sachsen – eine Folge der Corona-Erfahrungen mit brüchigen Lieferketten, aber auch eine Entscheidung für mehr Flexibilität und Kontrolle. “Das ist richtig gut”, sagt er. “Ich muss jetzt nicht mehr unzählige Rahmen mit neun Monaten Vororder bestellen, sondern produziere, was wir brauchen.”

In Klingenthal, dem bekannten Wintersportort kurz vor der tschechischen Grenze, verbinden seit 2022 zwei Schweißer in einer ehemaligen Mundharmonikafabrik die nach wie vor in Taiwan hergestellten Rahmenrohre mit selbst entwickelten Sattelklemmen, Ausfallenden und Kleinteilen. Die Geometrien stehen fest, doch Farben und einige Details sind gegen Aufpreis variabel – ein bezahlbarer Mittelweg zwischen elitärem Maßrahmenbau und uniformer Großserie.

Die Logistik zwischen Rahmenbau und Firmenzentrale erledigt seitdem kein Überseecontainer mehr, sondern der Transporter im Hof. Er fährt meist einen Dreieckskurs, denn neben dem Firmensitz in Dresden und der Rahmenfertigung in Klingenthal steht die Pulverbeschichtung in einem anderen Teil Dresdens auf dem Routenzettel. Beim selben Lackierer sind auch die Mitbewerber Veloheld und Rotor Kunden. Kann diese Dichte eigenständiger Marken Zufall sein? Süße erklärt den Rad-Hotspot Dresden eher nüchtern: “Wir haben hier Studiengänge für Konstruktion, Design und Fertigung. Und das Fahrrad ist ein gern genommenes Teil für Abschlussarbeiten. Dazu kommt die Landschaft drum herum: Ich bin in 30 Sekunden auf dem nächsten Biketrail oder kann 60 Kilometer Gravel fahren, ohne im Verkehr unterwegs zu sein. Es ist irgendwie das Freiburg des Ostens.”

Das Rad der Marke: Sour Purple Haze

Sour Purple HazeFoto: Jörg SpaniolSour Purple Haze
  • Ab 2999 Euro
  • Rahmen-Set ab 1349 Euro
Ein bisschen Punk muss sein: Durch den matten Pulverlack leuchten die Anlauffarben der Rohre.Foto: Jörg SpaniolEin bisschen Punk muss sein: Durch den matten Pulverlack leuchten die Anlauffarben der Rohre.

Das Modell Purple Haze ist Sours Angebot für gröberen Schotter. Bis zu 55 Millimeter breite Reifen passen durch Rahmen und Gabel. Der Stahlrahmen ist für moderne Tapered-Carbongabeln, Steckachsen und Flatmount-Bremsen ausgelegt und in sieben Größen erhältlich. Das gezeigte Rad entspricht weitgehend dem günstigsten Komplettrad-Aufbau, doch der transparente Mattlack mit Blick auf die Schweißnähte war ein Kundenwusch.

Über Sour Bicycles

Sour BicyclesFoto: Jörg SpaniolSour Bicycles
  • Gegründet: 2020
  • Standort: Dresden
  • Rahmenbau: Klingenthal
  • Angestellte: 8–10
  • Produktion: 800–1000 Rahmen und Kompletträder
  • Angebot: Gravel- und Mountainbikes mit Stahlrahmen

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