Sie bauen ihre Rahmen aus Stahl, haben Mut zur Farbe und machen alles, was geht, selbst. Dabei sind die jungen Chefs bei Veloheld, Rotor oder Sour alles andere als Ostalgiker. Die Nachwende-Generation profiliert sich mit charaktervollen Rädern und sympathischem Gründerstolz. In Leipzig und vor allem Dresden – dem “Freiburg des Ostens” – klumpt sich eine lebendige Radszene.
Man kennt sich, nutzt Synergien und Gründerzuschüsse, leistet Lobbyarbeit fürs Fahrrad. In der Initiative “Cycling Saxony” finden sich neben solchen Manufakturen und Spezialisten wie den Carbontüftlern von Beast oder den Laufradbauern von Light Wolf auch Traditionsunternehmen und große Versender. Mitte Oktober wird die Bespoked-Messe für handgemachte Fahrräder zum zweiten Mal in Dresden stattfinden. Was geht in Sachsen – und warum? Auf der Suche nach einem frischen Sportrad-Spirit hat sich TOUR im östlichen Freistaat umgeschaut. So sieht es hinter den Kulissen von Rotor aus...
Es war ein denkwürdiger Zeitpunkt für den TOUR-Besuch, doch Übergänge sind aus Reportersicht ja spannend: Nur vier Tage zuvor hatte Rotor Insolvenz angemeldet. Sebastian Billhardt, der bisherige Eigentümer, wird Angestellter in der Firma. Johannes Hundhammer, mit nur 34 Jahren zehn Jahre jünger als Billhardt, übernimmt Marke, Werkstatt und Material. Enttäuschung auf der einen, optimistische Neugier auf der anderen Seite… Dabei ist Hundhammer bereits die dritte Rotor-Generation – die 1996 von Jonas Machalett gegründete Marke ist ein frühes Zeugnis der ostdeutschen Nachwende-Radkultur. Rotor, ein Spross der Punkszene der “Heldenstadt” Leipzig, ist nach eigenem Bekunden die erste Marke, die serienmäßig die Rohloff-14-Gangnabe einsetzte.
Eher preiswerte, zugekaufte Rahmen in starken Farben, solide Ausstattung und faire Preise – Rotor, Generation eins, stattete bald etliche der von Fernweh angetriebenen Radreisenden aus, die mit Diashows von endlosen Salzseen und roter afrikanischer Erde kündeten. 18 Jahre lang ging das so, mit einem Maximum von 600 verkauften Rädern im Jahr 2009, dann verkaufte Machalett 2014 an Sebastian Billhardt, einen enthusiastischen Quereinsteiger. Billhardt hat die Wendezeit miterlebt. Seine Analyse des Aufschwungs der Ost-Radszene: “Die Kombination aus dem gefühlten Überranntwerden durch den Westen, dazu der leichte Zugriff auf Räume, das hat die Szene befeuert. Außerdem wollten sich die Leute mit so einem Rad verwirklichen und ausdrücken – es gab ja keine Social Media.”
Auch weil im schnöden Preis-Leistungs-Rennen mit großen Marken wenig zu gewinnen war, baute er die Marke in Richtung immer individuellerer Räder um. Der 2020 begonnene eigene Rahmenbau steigerte die Individualität ins Unermessliche. Ein beratungsintensives Business mit anspruchsvoller Kundschaft und letztlich zu geringem Profit: “Es gibt keine zwei gleichen Rotor-Räder”, sagt er. Zuletzt bot Rotor jede Radgattung mit fast jedem motorlosen Antrieb an. Auf den 500 Quadratmetern der Leipziger Zentrale formen Historie, Bau- und Ersatzteile ein lebendes Denkmal, das Welten von den ISO-genormten Montagestraßen der Marktriesen entfernt scheint.
Die Kombination aus dem gefühlten Überranntwerden durch den Westen, dazu der leichte Zugriff auf Räume, das hat die Szene befeuert. - Sebastian Billhardt
Skurrile Dekorationsstücke, schräger Humor, reichlich Patina – und dazwischen wirklich schicke Sporträder. Als Sebastian Billhardt sich mit drei Schachteln voller fertig gefräster Columbus-Rohre und technischer Zeichnungen in Richtung Rahmenschweißerei verabschiedet, kratzt sich Johannes Hundhammer grübelnd am Kopf. Schon hat er neue Mitarbeiter eingestellt, doch bevor die neue Rotor-Räder in die Welt entlassen können, gilt es, die Marke neu zu justieren. Hundhammer hat Maschinenbau studiert, ist Zweiradmeister und ehemaliger Enduro-MTB-Rennfahrer. Es scheint, als lächle er über seinen eigenen Mut. Er strafft sich und sagt: “Das ist meine ursprüngliche Vorstellung vom Ingenieurberuf: Dinge in die Hand nehmen, Dinge entwickeln und sie ausprobieren.”