Unbekannt
· 31.05.2008
Inklusive Gabel, Lenk- und Tretlager 1.730 Gramm leicht und 7.000 Euro teuer – Storcks neuer Rahmen ”Fascenario 0.7 IS” lotet nicht nur die Grenzen des technisch Machbaren aus. Wir durften eines der ersten Serien-Exemplare testen.
Wissen Sie, was ein “Fuselage- Rahmen-Set” ist? Nein? Wussten wir auch nicht – bis vor wenigen Wochen. Als der hessische Radhersteller Storck uns sein “Fascenario 0.7 IS” als bis dato leichtestes “Fuselage- Set” auf dem Markt ankündig te, stolperten auch wir zunächst über die Vokabel, die aus dem Flugzeugbau stammt. Gemeint ist damit in etwa das, was Cannondale einst als “Systemintegration” in die Radwelt einführte: Rahmen, die mit Gabel, Lenk- und Tretlager eine technisch aufeinander abgestimmte Einheit bilden. Dass immer mehr High-End-Anbieter diesen Konstruktionsansatz aufgreifen, hat einen einfachen Grund. Mit Gewichten zwischen 800 und 900 Gramm bewegen sich die derzeit besten Rennradrahmen wie der “R3SL” von Cervélo, Scotts “Addict” oder Storcks “Fascenario 0.7” längst am Rand des technisch Sinnvollen. Um ihre Modelle noch weiter zu erleichtern, müssen die Hersteller fast zwangsläufig die Peripherie des Rahmens ins Visier nehmen, also Gabel, Lenk- und Tretlager samt Kurbeln. Hier schlummert noch Optimierungspotenzial.
Dieses auszuloten war Storcks Hauptmotivation bei der Entwicklung des “Fascenario 0.7 IS”, der technisch auf dem 2006 vorgestellten “Fascenario 0.7” basiert. Mit 865 Gramm ist der “IS” extrem leicht, allerdings nicht wesentlich leichter als der zuletzt in TOUR 3/08 getestete “Fascenario 0.7” (886 Gramm). Auch beim Set-Gewicht inklusive Gabel und Lenklager trennt beide Modelle nur ein Wimpernschlag (“0.7 IS” 1.197 Gramm; “0.7” 1.203 Gramm). Den wesentlichen Unterschied markiert das Tretlager, das beim “IS” Teil des Rahmen-Sets ist. Allein die von Storck entwickelten “Powerarms SL”-Carbonkurbeln, die inklusive Ketten blättern und Innenlager nur 558 Gramm wiegen, sparen gegenüber einem vergleichbaren Rad mit Shimano-Dura-Ace-Kurbeln mehr als 200 Gramm. Eingerechnet ist bereits, dass der IS-Rahmen ohne Lagerschalen auskommt, weil die Lager direkt ins Gehäuse eingelegt werden.
Auf den ersten Blick scheint es, als wäre der Tretlagerbereich mit dem für die Powerarms auf 86 Millimeter verbreiterten Gehäuse das einzige, was beide Fascenarios unterscheidet. Firmenchef Markus Storck nennt allerdings noch weitere Unterschiede. Weil wegen der Spezialkurbeln ohnehin neue Fertigungsformen gebaut werden mussten, wurde die Faserbelegung im Steuerkopfbereich nochmals optimiert. Die Lenkkopfsteifigkeit des “IS” ist mit 110 Newtonmeter/ Grad rund zehn Prozent höher als beim “Fascenario 0.7”. Nicht nur bei Gewicht und Preis ist der “IS” deshalb Spitze, sondern auch beim STW-Wert, der Rahmengewicht und Lenkkopfsteifigkeit in Relation setzt und als Maß für die konstruktive Intelligenz eines Rahmens gilt. Beeindruckende 125 Nm/°/kg dürften als Bestmarke länger Bestand haben.
Ob das Rahmen-Set deshalb 7.000 Euro (inklusive Kurbeln und Keramik- Steuerlager) kosten muss, sei dahingestellt. Glaubt man dem Hersteller, gibt es allerdings genügend Rennrad-Freaks, denen ihr Hobby so teuer ist. Laut eigener Aussage konnte Storck vom auf 100 Stück limitierten “Fascenario 0.7 IS” weltweit bislang bereits 68 verkaufen.
Und wie fährt sich nun das Wunderwerk? Das größte Kompliment, das man ihm machen kann ist, dass es nicht nur aussieht wie ein ausgewachsenes Rennrad, sondern auch so fährt. Keine Spur von Kompromissen zu Lasten der Funktion. Am krassesten ist der Unterschied zu “normalen” Rädern im Wiegetritt: Dank des Federgewichts beschleunigt das inklusive Pedalen 5,9 Kilo leichte Rad geradezu phänomenal. Hohe Lenkpräzision und die nicht zu gestreckte Geometrie tragen zum positiven Fahreindruck ebenso bei wie die beim Blick aufs Gewicht erstaunliche Tatsache, dass außer den Laufrädern nur bewährte Großserienteile verbaut wurden.
Einziger Kritikpunkt sind die “PRO VT-1”-Laufräder des US-Herstellers LEW. Die Freude über das irre Beschleunigungsverhalten der als Paar 840 Gramm leichten Vollcarbon-Räder erhielt einen herben Dämpfer, als wir das Rad zum ers-ten Mal aus höherer Geschwindigkeit abbremsen mussten. Unangenehmes Rubbeln der Beläge machte insbesondere die vordere Bremse schwer dosierbar. Unser erster Verdacht – unebene Bremsflanken – bestätigte sich bei näherer Betrachtung nicht. Etwas anderes ist mit bloßem Auge zu erkennen: Der Hersteller ist bei den Felgen offenbar so ans Limit des Materials gegangen, dass die Bremsflanken unter dem Druck der Beläge nachgeben – keine Chance für einen klar definierten Druckpunkt und gleichmäßig dosierbare Bremskräfte. So passt der 4.300 Euro teure Radsatz zwar von Gewicht und Design kongenial zum “IS”, konterkariert aber den Eindruck problemloser Alltagstauglichkeit des Rahmen-Sets aufs Schärfste. Aber das lässt sich ja ändern.
*Testrad-Rahmengröße gefettet;
**projiziertes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante SteuerrohrSattel-Steuerrohrüberhöhung bei 75 cm Sitzhöhe (Mitte Sattelgestell–Oberkante Steuerrohr);
***bereinigtes Gewicht für Rahmengröße 57 und Gabelschaftlänge 225 mm;
****in die Note fließen weitere Einzelnoten ein, die wir aus Platzgründen nicht abdrucken.
Fotos: Daniel Simon