Integriertes RennradcockpitDer sichere Weg zum perfekten Rad – mit dem perfekten Look

Robert Kühnen

 · 27.07.2024

Integrierte Cockpits sind schön – wenn sie passen. Worauf Sie achten sollten, damit's passt, zeigt der TOUR-Report.
Foto: Gruber Images
Integrierte Cockpits sind schön – wenn sie passen. Ob sie passen, ist oft Zufall. Das müsste nicht sein, würden die Hersteller etwas anders vorgehen. Wie Rad und Mensch so zueinanderfinden, dass es passt, zeigt der TOUR-Report.

Kurz & knapp: Das integrierte Rennradcockpit

Integrierte Cockpits ­bieten aerodynamische Vorteile (rund 3–5 Watt bei 45 km/h). Bei der Lenker-Vorbau-Einheit verlaufen Züge und Leitungen im Inneren, sozusagen “unter Putz”. Die Einstellbarkeit ist dafür miserabel, Anpassungen sind teuer und nur begrenzt möglich. Deshalb sollte das Rad vom Start weg passen. Der sichere Weg ist ein Fitting vor dem Radkauf oder das Übertragen einer bewährten Position. Hilfreich hierfür sind Stack plus & Reach plus, die Daten der Handposition, wie sie TOUR verwendet.


Neue Saison, neue Ziele, neues Bike: Roman Ganzer, 47-jähriger TOUR-Leser aus Bayern, erlebte, was wir alle schon erlebt haben, er ­erlag den Reizen eines neuen Rades. Ein Renner mit zeitgemäßer Technik und Silhouette sollte sein in die Jahre gekommenes Sportgerät ersetzen. Scheiben- statt Felgenbremsen, Elektroschaltung, bessere Berggänge, Powermeter.

Als das Canyon Ultimate CF SLX reduziert angeboten wurde, schlug Ganzer zu und orderte die Maschine in Größe L. Nach dem Aufbau des Rades kamen dem Kletter-Fan ­allerdings leise Zweifel, ob es wirklich passt, denn seine bisherige Sitzposition konnte Ganzer nicht exakt reproduzieren. Zwei Zentimeter stand der Lenker am neuen Rad tiefer – auch nach Ausschöpfung des Spielraums von 15 Millimetern zur Höhenanpassung.

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Neues Rad, neue Sitzposition – trotzdem die Probefahrt wagen?

Eine Probefahrt wagen, obwohl die Überhöhung des Sattels von neun auf elf Zentimeter gewachsen war? Dann könnte er das Rad nicht mehr als neu zurückschicken. Ganzer war sich nicht sicher, aber der Reiz des Neuen überwog und er ging ins Risiko. Der erste Eindruck war top. Dabei blieb es auch – bis die Strecken länger wurden. Ganzer stellte fest, dass sich das Rad irgendwann nicht mehr gut anfühlte: “Es fing an, im Schultergürtel zu ziehen, und die Handgelenke merkte ich auch”, erinnert er sich. Probleme, die er mit dem alten Rad nicht hatte.

Körper umgewöhnen oder das Rad anpassen? Letzteres schien Ganzer als Mediziner logisch und so erkundigte er sich bei Canyon, ob man einen anderen Vorbau oder Lenker montieren könne, um die alte Position zu replizieren, mit der er sechs und mehr Stunden beschwerdefrei radeln konnte. Die Antwort war ein ernüchterndes Nein, begründet mit einer Querschnitt­s­skizze: Die integrierte Höhenanpassung, die 15 Millimeter Verstellspielraum bietet, verhindert leider, dass andere Vorbauten oder Cockpits montiert werden können.

Bei Problemen steckt man in der Sackgasse

Aus der eigentlich guten Idee von Canyon, dem Kunden eine einfache Höhenverstellung des Lenkers zu ermög­lichen, ohne den Gabelschaft kürzen zu müssen, wurde eine Falle. Anders als bei vielen anderen Rädern ist ein ­Höhengewinn, zum Beispiel mittels speziellem Lenker oder aufwärts weisendem Vorbau, mit dieser Konstruk­tion nicht möglich. Der Kunde ist auf Canyon-Spezialteile angewiesen.

Ganzer löste das Problem, indem er einen älteren Rahmen erstand, an den konventionelle Vorbauten passen. Die Teile vom neuen Rad schraubte er um, replizierte so die alte Sitzposition und schuf sich so sein passendes Sportgerät. Seine Erfahrungen fasst er so zusammen: “Das Canyon Ultimate CF SLX ist ein tolles Rennrad, wenn es auf ­Anhieb passt. Das integrierte Aerocockpit stellt sich jedoch als Albtraum für all diejenigen heraus, die über die Höhenverstellbarkeit von 15 Millimetern und die Breitenverstellbarkeit hinaus weitere Änderungen vornehmen wollen.”

Problemlöser: TOUR-Leser Roman Ganzer tauschte seinen neuen Rahmen mit integriertem Cockpit gegen ein älteres Modell ein, um den Lenker exakt einstellen zu können.Foto: Luca FerrariniProblemlöser: TOUR-Leser Roman Ganzer tauschte seinen neuen Rahmen mit integriertem Cockpit gegen ein älteres Modell ein, um den Lenker exakt einstellen zu können.

Integrierten Cockpits fehlt die Anpassbarkeit - Bikefitting ist die Lösung

Das skizzierte Problem der fehlenden Anpassbarkeit hat Canyon nicht exklusiv. Es betrifft mehr oder weniger alle modernen Räder mit vollintegrierten Cockpits, also der Einheit von Lenker und Vorbau, die nur mit erheblichem Aufwand umrüstbar sind, sofern es überhaupt passende Teile gibt. Integrierte Cockpits kosten zwischen 300 und 1.200 Euro, hinzu kommen Werkstattkosten für den Umbau, die auch in die Hunderte gehen können. Flexibler und günstiger in der Anpassung sind teilintegrierte Lösungen, bei denen Kabel auch verdeckt geführt werden, Lenker und Vorbau sich aber trennen lassen.

Anpassungsprobleme drohen aber nicht nur Versandkäufern. Auch wer im Laden einkauft, muss aufpassen, ob das Cockpit wirklich passt. “Passt schon“ ist eine Floskel, die im Fahrradverkauf durchaus üblich ist. Ganz egal wie der Vertriebsweg aussieht, eigentlich gibt es nur eine vernünftige Lösung: Es muss vorab zweifelsfrei geklärt werden, ob die gewünschte Sitzposition mit dem Rad realisierbar ist. Vor dem Kauf sollte daher immer ein Bikefitting stehen, insbesondere dann, wenn der Lenker nicht nachträglich einstellbar ist.

Fitting heißt, dass eine passende Sitzposition erhoben wird, mit der sich schmerzfrei radeln lässt. Am besten an einem neutralen Verstellfahrrad. Die dabei gefundene Position wird dann auf ein richtiges Rad übertragen. Fitting bieten spezialisierte Bikefitter an, aber auch manche Radhersteller. Ein unabhängiges Fitting ist im Zweifel besser, weil diese Dienstleister wirklich neutral sind.

iIntegration: Die Skizze zeigt das Enve-Lenkersystem. Links die vollintegrierte Variante, die Tadej Pogačar fährt, rechts die zweiteilige teilintegrierte Lösung, die leichter anpassbar ist.Foto: EnveiIntegration: Die Skizze zeigt das Enve-Lenkersystem. Links die vollintegrierte Variante, die Tadej Pogačar fährt, rechts die zweiteilige teilintegrierte Lösung, die leichter anpassbar ist.

Fitter verkaufen die Sitzposition – man kann prüfen, ob das Wunschrad zu einem passt

Fitter verkaufen keine Fahrräder, sondern eine passende Sitzposi­tion. Große Fitter füttern Datenbanken mit den Geometriedaten sehr vieler Räder, sodass es leicht möglich ist zu überprüfen, ob das Wunschrad überhaupt zu einem passt (s. Interview mit Bikefitterin Ilona Herbert im Artikel hier). Ein professionelles Fitting kostet ab 150 Euro. Gemessen an den Preisen moderner Räder ist das ein Klacks.

Zentral für eine passende Sitzhaltung ist die Handposi­tion, weil die besonders schlecht einstellbar ist. Sie lässt sich reduzieren auf zwei Koordinaten: horizontaler und vertikaler Abstand zum Tretlager. Bei TOUR nennen wir diese Maße Stack plus (für die Höhe) und Reach plus (für die Länge) – siehe Skizze im Kapitel “Die Lösung: Stack plus & Reach plus” weiter unten. Sie beziehen sich auf die Bremsgriffposition, die am häufigsten genutzte Griffhaltung am Rennrad.

Die Hersteller geben in aller Regel nur die Stack- und Reach-Maße ihrer Rahmen an. Um daraus die Handposition zu bestimmen, muss man rechnen. Vorbaulänge und Winkel gehen in die Rechnung ein, ebenso wie die Länge des Lenkerbogens (oft als Reach des Lenkers bezeichnet). Die Tabelle unten zeigt typische Maße für die Umrechnung. Im Prinzip sind zumindest den Herstellern alle diese Daten bekannt. Es geht um die Darstellung gegenüber den Kunden.

Ideal wäre es, wenn die Hersteller dazu übergingen, Stack plus und Reach plus anzugeben. Momentan machen das Rose und Canyon – letztere beziehen ihr Maß aber auf die Mitte des Oberlenkers. Zum TOUR-Maß, also der tatsächlichen Handposition, muss noch der Reach des Lenkers hinzugerechnet werden (den Canyon auch angibt). Ferner wäre es wünschenswert, dass auch der Einstellbereich pro Modell klar kommuniziert würde.

Zum Abgleich der Daten gehört auch, dass Radsportler ihre Koordinaten kennen. Das ist aktuell eher selten der Fall, ließe sich aber leicht ändern. Radhändler könnten darin unterstützen, bestehende Räder entsprechend zu vermessen, Bikefitter könnten diese Koordinaten besser kommunizieren und hervorheben. Per App ließe sich leicht durchspielen, wie Vorbau und Lenker beschaffen sein müssten, um eine gewünschte Sitzposition zu realisieren.

Räder anpassen – für Hersteller Behinderung des Verkaufsprozesses

High-End-Technik und ein passendes Rad schließen sich also keineswegs aus, der Prozess muss nur entsprechend gestaltet werden. Kunden, also wir alle, sollten das einfordern, dann werden mehr Hersteller mitspielen, die eine Anpassung des Rades derzeit noch als eine Behinderung ihres Verkaufsprozesses betrachten.

Dazu gehört auch, dass genügend unterschiedliche Cockpits verfügbar sind. Denn nur dann ist eine Anpassung überhaupt denkbar – jedenfalls mit Spezialteilen. Eine Ausnahme bilden Spitzensportler. Sie genießen heute schon den Service, dass ihre Cockpits zur Not aus Titanpulver gedruckt oder mit Carbon laminiert werden.

Integrierte Cockpits sind schön – wenn sie passen. Spitzensportler genießen heute schon den Service, dass ihnen das Cockpit auf den Leib geschneidert wird.Foto: Gruber ImagesIntegrierte Cockpits sind schön – wenn sie passen. Spitzensportler genießen heute schon den Service, dass ihnen das Cockpit auf den Leib geschneidert wird.

Diese Technik ist für den Massenmarkt noch zu teuer, gleichwohl kann 3-D-Druck auch heute schon helfen. Zu den Spezialbauteilen, die ­jederzeit aus dem heimischen 3-D-Drucker kommen könnten, gehören teilbare Spacer und Anschlussteile wie die Deckelkappen, die den nahtlosen Anschluss von Rahmen und Vorbau schaffen. Die Druckdaten dieser Bauteile wünschen wir uns zukünftig als Mitgift beim Kauf. Bei Radpreisen, die ins Fünfstellige abdriften, sollte dies möglich sein. So wäre zumindest die langfristige Versorgung mit Peripherie-Teilen erleichtert.

Fazit: Ein passendes integriertes Cockpit ist möglich

Die Technik, um Rad und Mensch passend zusammenzubringen, ist vorhanden. Sie wird nur nicht überall genutzt. Wer ein Rad mit integriertem Cockpit kauft, sollte sich seiner Sitzposition sicher sein. Also über längere Erfahrung verfügen oder ein Fitting durchlaufen haben. Weicht das Traumrad von der gewohnten Position um mehr als einen Zentimeter ab: Finger weg! – Robert Kühnen,

Die Lösung: Stack & Reach Plus

Höhe und Länge der Greifposition in Bremsgriffhaltung bezeichnen wir als Stack plus und Reach plus. Diese Koordinaten sollte jeder Rennradfahrer im Schlaf runterbeten können. Nur wer seine Daten kennt, kann sein Cockpit genau passend einstellen bzw. im Voraus erkennen, ob ein bestimmtes Rad mit integriertem Lenker passen wird.

Die Handposition am Bremsgriff charakterisiert die Sitzposition. Das Bild unten zeigt, wie TOUR diesen Punkt definiert. Von den Herstellern werden meistens nur die Maße Stack (S) und Reach (R) für den Rahmen angegeben. Addiert werden müssen y für die Bauhöhe von Vorbau und Lenker sowie x für die Länge von Vorbau und Lenkerbogen.

  • S+ = S + y
  • R+ = R + x
Greifposition mit Stack & Reach plus: Das Bild zeigt, wie TOUR diesen Punkt definiert. Zu Stack (S) und Reach (R) addiert werden y für die Bauhöhe von Vorbau und Lenker sowie x für die Länge von Vorbau und Lenkerbogen.Foto: Matthias BorchersGreifposition mit Stack & Reach plus: Das Bild zeigt, wie TOUR diesen Punkt definiert. Zu Stack (S) und Reach (R) addiert werden y für die Bauhöhe von Vorbau und Lenker sowie x für die Länge von Vorbau und Lenkerbogen.

Beispiele für die Koordinaten x und y können Sie der folgenden Tabelle entnehmen. Sie zeigt die Werte für verschiedene Neigungswinkel eines 110-Millimeter-Vorbaus, die zu Rahmen-Stack und -Reach addiert werden müssen, um die Handposition am Bremsgriff zu ermitteln. Die Berechnung schließt folgende Parameter mit ein: 30-mm-Spacer unter dem Vorbau; Lenker-Reach: 80 mm (Wertebereich 70–90 mm).

Typisch für sportliche ­Räder sind Vorbauten mit -7 Grad Neigung. Für andere Vorbaulängen ergeben sich entsprechend angepasste Längen und Höhen. Hinweis: Nur bei einem -17-Grad­-Vorbau, der waagerecht nach vorne zeigt, bringt die Längenänderung keine Höhen­änderung. Bei einem 0-Grad-Vorbau nimmt die Höhe pro 10 mm Länge um 2,9 mm zu.

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Stack plus & Reach plus bestimmen

Richtig Maß nehmen am eigenen Rad ist ganz einfach. Lot durch die Tretlagermitte fällen und den waagerechten Abstand zur Vorderkante des Lenkerbogens messen. Alternativ auch von dort ein Lot fällen und Markierungen am Boden setzen. Der Abstand zwischen den Markierungen ist das Maß Reach plus. Stack plus: Abstand von der Oberkante des Oberlenkers zum Boden messen und davon die Tretlagerhöhe zum Boden abziehen, diese ergibt das Maß Stack plus, die Greifhöhe relativ zum Tretlager.

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Kerstin Leicht
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