Shimano, Campagnolo oder SRAM? Die Frage nach der richtigen Schaltgruppe war lange ein Luxusproblem, mit dem sich nur Technikfreaks auseinandersetzten – und wenn Geld keine Rolle spielt. Es ging dabei um wenige Gramm Gewichtsunterschied, die beste Optik und nicht zuletzt auch ums Prestige: Die Wahl von Shimano gilt seit jeher als Vernunftsentscheidung auf höchstem Niveau, für die verlässliche Technik nimmt man auch ein paar Gramm mehr in Kauf. Campagnolo-Fans erfreuen sich an detailverliebten Konstruktionen und der Tradition eines großen Namens, koste es, was es wolle. SRAM hatte lange den Ruf des Underdogs, der mit viel Innovationskraft und Experimentierfreude mal was anderes wagt, wofür man der Technik so manche kleine Macke verzieh.
Doch diese Klischees sind weitgehend Vergangenheit. Zum einen spielt Campagnolo nur noch im Luxussegment mit, und selbst da in der Rolle des Außenseiters. Shimano und SRAM sind die führenden Schaltungshersteller, spielen inzwischen in der gleichen Liga und bieten bis ins Detail vergleichbare Technik an. Auch in der Marktbedeutung rückten die US-Amerikaner, deren Entwicklungsabteilung im unterfränkischen Schweinfurt sitzt, immer näher an den japanischen Branchenriesen heran. Spätestens mit der in diesem Sommer präsentierten Rennrad-Schaltgruppe Rival AXS wird die Entscheidungsfrage für einen sehr großen Teil von Rennradkäufern relevant. Denn mit ihr erwächst dem Platzhirsch Shimano, der mit der 105 Di2 den bislang günstigsten Einstieg in die Welt der elektrischen Schaltungen markierte, ein in vielen Belangen ebenbürtiger Gegenspieler. Für seine Funktion und Benutzerfreundlichkeit wird das Ensemble – wie fast die gesamte AXS-Kollektion im aktuellen SRAM-Portfolio – von vielen Seiten gelobt. Dazu kommen die nackten Zahlen: Die Vorgängerin der Rival AXS hatte gegenüber Shimanos Bestseller mit höherem Gewicht zum höheren Preis einen schweren Stand. Das jüngste Update aber kostet und wiegt das Gleiche wie eine elektronische Shimano 105, die in der attraktiven Preisklasse um 3000 Euro (fürs Komplettrad) bislang als alternativlos galt.
Das allein ist Grund genug für viele, genauer hinzuschauen und zu grübeln, ob die Gruppe vielleicht sogar die bessere Alternative ist. Noch bevor das in der Fachpresse und in Händler- wie Kundenkreisen diskutiert wurde, dürften die Radhersteller das Potenzial der Gruppe erkannt haben. Denn schon im Jahr ihres Debüts sind so viele Mittelklasse-Rennräder mit SRAM-Ausstattung im Angebot wie noch nie. Das beschränkt sich im Falle der Rival AXS nicht nur auf die Endurance-Modelle mit überwiegend einfachen Komponenten, die typisch für die Zielgruppe des Ensembles wären. Auch aerodynamische Wettkampf-Boliden werden damit ausgestattet und mit hochwertigen Carbonfelgen kombiniert. Das erklärt zumindest, warum ein Carbonrenner mit der gleichen Schaltgruppe einmal weniger als 3000 Euro und einmal mehr als 6000 Euro kosten kann. Dennoch gilt es, genau hinzuschauen, denn in der Tat erscheinen manche Kalkulationen mit den Elektro-Gruppen überzogen. Es gibt also viele Fragen, die es beim Radkauf zu berücksichtigen gilt. Die nach der passenden Schaltung bleibt zweifellos eine wichtige – und für die elektrische Mittelklasse beantwortet sie sich nicht mehr von selbst. Eine Hilfestellung gibt unser Gruppenvergleich und der Doppeltest preiswerter Rennräder mit 105 Di2 und Rival AXS.
Obwohl sich Optik und Bedienschema stark unterscheiden, sind Passform und Handling beider Hebel eher eine Frage persönlicher Präferenzen, statt von gut oder schlecht. Die Shimano-Hebel bieten zwei gut unterscheidbare Taster je Seite; in der Standardbelegung wird links der Umwerfer und rechts das Schaltwerk bedient. Das kann beliebig umprogrammiert werden; mit der zuschaltbaren Umwerfer-Automatik wäre also die Schaltung auch einhändig zu bedienen. Das geht bei SRAM nicht, denn für den Umwerfer müssen die beiden Tasten, je eine links und rechts, gleichzeitig gedrückt werden. Einzeln wechselt die Kette links auf ein größeres und rechts auf ein kleineres Ritzel.
Beide Griffe sind ergonomisch ausgereift und bequem, die Bremshebel und Schalttasten gut geformt und leicht zu erreichen, und die Griffweite ist einstellbar. Wer sich noch nicht auf ein Bedienschema festgelegt hat und normal große Hände hat, wird mit beiden Griffen gut zurechtkommen. Für vergleichsweise kleine Hände dürften die Shimano-Hebel etwas besser funktionieren. Die Griffkörper sind sehr schlank, sie lassen sich also mit kurzen Fingern besser umgreifen. Die SRAM-Hebel bieten zwischen Bremsgriff und Lenkerbogen etwas mehr Platz und sie fallen voluminöser aus, hier gibt es auch mit großen Händen keine Probleme. Dass der SRAM-Hebel aus Carbon statt aus Aluminium besteht, ist eher Kosmetik, auch der 105-Hebel liegt hervorragend in der Hand.
+ kompakte Bauform
+ simples Schaltschema, gut erreichbare Tasten
Bei Qualität und Funktion der Antriebskomponenten nehmen sich die Konkurrenten nichts. Shimano ist mit seiner Erfahrung seit jeher eine sichere Bank, SRAM liegt mit der jüngsten Generation auf Augenhöhe: Die Ketten laufen leise über die Ritzel, das Schaltverhalten ist vorne wie hinten top. Mit den angebotenen Übersetzungen zielen beide klar auf Hobbysportler: Schnelle Profi-Übersetzungen stehen gar nicht zur Verfügung, dafür gibt’s viel Bandbreite und leichte Berggänge. Die Zähnezahlen unterscheiden sich, bieten aber aufgrund der unterschiedlichen Abschlussritzel hinten – bei SRAM hat das kleinste Ritzel nur zehn statt elf Zähne – rechnerisch ein vergleichbares Spektrum: 50/34 (Shimano) oder 46/33 (SRAM) sind erste Wahl für weniger Trainierte und für die Berge; mit 52/36 (Shimano) beziehungsweise 48/35 (SRAM) können auch gut trainierte Fahrer noch schnell sprinten.
Für die Shimano 105 gibt es mit 11-34 oder 11-36 nur zwei lupenreine Bergkassetten, deren Gangspektrum zudem recht nahe beieinander liegt. Engere Abstufungen bieten nur teurere Ultegra-Varianten. Die beiden Rival-Kassetten fallen sehr unterschiedlich aus, worauf beim Komplettradkauf geachtet werden sollte: Die 10-30 ist sportlich eng abgestuft, dürfte aber in den Bergen vielen zu sportlich sein. Die 10-36 bietet einen sehr leichten Berggang, ist dafür grob gestuft. Eindeutig die Nase vorne hat Shimano bei den Betriebskosten: Verschleißteile wie Kette und Ritzel sind deutlich günstiger. So kostet eine 105-Kassette um die 60 Euro, das Rival-Paket dagegen 80 bis 100 Euro.
+ preiswerte Verschleißteile
- keine eng abgestuften Kassetten
+ große Bandbreite an Übersetzungen
- Ersatzteile vergleichsweise teuer
Während Shimano bei den teuren Getrieben vor allem beim Schalten auf kleinere Ritzel noch geschmeidiger läuft, wechselt die 105-Gruppe die Gänge noch etwas lauter. Ein Problem ist das aber nicht, auch unter Last rasten die Gänge stets sauber ein. Auch der vordere Umwerfer arbeitet beeindruckend schnell und präzise in allen Situationen, wenn auch mit deutlich wahrnehmbarem Motorengeräusch. Die Rival ist hier ebenbürtig, auch bei der Schaltgeschwindigkeit gibt es keine wahrnehmbaren Unterschiede. Die Shimano-Schaltung lässt sich simpel und intuitiv einstellen. Die Montage bekommt man ohne Weiteres auch ohne Anleitung hin, die Feineinstellung des Schaltwerks mit der Shimano-App ist ein Kinderspiel. SRAMs Rival braucht etwas mehr Fingerspitzengefühl, vor allem der Umwerfer ist sensibel. Aufgedruckte Markierungen und eine eindeutige Anleitung helfen bei der Einrichtung.
Der größte praktische Unterschied zwischen den Schaltungen ist das Batteriemanagement: Der zentrale und verkabelte Shimano-Akku, der Schaltwerk und Umwerfer versorgt, ist meist fest im Rahmen verbaut – das Rad muss zum Aufladen per Magnetkabel deshalb immer in die Nähe einer Steckdose gebracht werden. Die getrennten SRAM-Akkus sind abnehmbar, das Rad kann an seinem Abstellplatz bleiben. Außerdem lassen sie sich untereinander austauschen, was im Notfall von Vorteil sein kann. Nach unserer Erfahrung macht der SRAM-Akku in der Praxis etwas früher schlapp, knapp ist die Energie für die meisten Fälle aber nicht.
+ etwas längere Akkulaufzeit
- Akku fest am Rad verbaut, lauter Umwerfer
+ austauschbare Einzelakkus
Mit dem jüngsten Update der Top-Gruppe Red konnte SRAM sich im japanisch-amerikanischen Duell einen klaren Pluspunkt sichern: Die neu konstruierte Bremsanlage stellt in Sachen Bremsleistung alle Konkurrenten in den Schatten. Diese Technik bekam in diesem Jahr auch die preiswerte Rival spendiert – mit einfacheren Materialien und etwas schwerer, aber ähnlich überzeugender Funktion. Anders die Produktpolitik bei Shimano: Den Bremskraftverstärker Servo-Wave, der bei den teureren Komponenten Ultegra und Dura-Ace bei höheren Handkräften überproportional mehr Bremsleistung zur Verfügung stellt, bieten die 105-Bremsen nicht.
Bei leichten Bremsungen ist das kein Thema, zumal die Shimano-Hebel im Leerweg weniger Widerstand zeigen und die Bremse dadurch etwas feinfühliger anspricht. In steilen Abfahrten aber fährt sich die SRAM-Bremse spielerischer. Hinzu kommt, dass bei der Shimano 105 unterschiedliche Scheiben die Performance beeinflussen können. Gerade an günstigen Rädern sind häufig billige Bremsscheiben verbaut, die weniger Leistung bieten. Nur die teureren, geschliffenen Scheiben schöpfen das volle Potenzial der Bremse aus. Die leichten Ice-Tech-Scheiben mit Aluminiumkern wiederum können sich nach starken Bremsungen verziehen und an den Belägen schleifen. Bei SRAM gibt es nur eine Disc und man kann sich auf die Performance verlassen; mit Quietschgeräuschen bei Nässe muss man bei beiden rechnen.
+ feinfühliges Ansprechverhalten
- weniger Leistung mit günstigen Scheiben, gelegentliches Quietschen bei Nässe
+ überragende Bremsleistung
- gelegentliches Quietschen bei Nässe
Beim Gewicht der Gruppen gibt es keinen Verlierer. Bei der neuen Rival AXS hat SRAM kräftig an der Gewichtsschraube gedreht: leichtere Kurbelarme, Bremshebel aus Carbon, viel Kunststoff an Umwerfer und Schaltwerk. In Summe konnte sie fast 200 Gramm abspecken, womit sie mit Shimanos 105 gleichzieht. Dass bei den Gewichten unserer Testgruppen (siehe Tabelle unten) auf den ersten Blick das Pendel zugunsten der Shimano-Gruppe ausschlägt, ist allein dem Umstand geschuldet, dass die Rival-Kurbel serienmäßig ein Powermeter mitbringt. Zieht man dessen Mehrgewicht von etwa 180 Gramm ab, nehmen sich die beiden Kandidaten nichts. Wirklich leicht sind indes die Teile beider Gruppen nicht, das kann man bei den Preisen auch nicht erwarten. Unsere günstigen Testräder von Cube und Canyon wiegen um 8,5 Kilogramm; Alu-Räder dürften in der Regel die Neun-Kilo-Marke reißen. Mit hochwertigeren Laufrädern und leichteren Rahmen können leichte Plattformen wie ein Giant TCR oder Scott Addict RC mit den Gruppen auch 7,5 Kilo erreichen, sie sind dann aber teurer.
| Shimano 105 Di2 | SRAM Rival AXS | |
| Kurbelgarnitur | 758 | 825* |
| Schaltwerk | 275 | 334* |
| Umwerfer | 134 | 179* |
| Hebel und Bremskörper (Paar) | 706 | 767 |
| Kette | 243 | 248 |
| Bremsscheiben (Paar) | 264 | 276 |
| Akku und Kabel | 62 | - |
| Summe | 2795 | 2970 |
*SRAM Rival AXS: Kurbel inkl. Powermeter, Schaltwerk/Umwerfer inkl. Akkus
Die elektrischen Gruppen werden beide über eine App verwaltet, indem man sein Smartphone mit den Komponenten koppelt. Die Grundfunktionen sind hier wie da gleich: Es lassen sich Akkustände kontrollieren, man kann die Feineinstellung des Schaltwerks erledigen oder die Knopfbelegungen ändern. In Sachen einfache Bedienbarkeit setzt aber SRAM den Maßstab. Die Komponenten erscheinen automatisch auf dem Handydisplay, sobald sie einmal gekoppelt sind und das Rad bewegt wird. Die AXS-App ist übersichtlich und selbsterklärend; bei Problemen sind Anleitungen in Text/Bild oder wahlweise Videos verlinkt. Über eine zugehörige Web-Anwendung, die auf Smartphones optimiert ist, können außerdem Fahrten ausgewertet werden: Gangstatistiken, Leistungsdaten und sogar der Reifendruck, sofern man sich registriert hat und die entsprechenden Sensoren verbaut sind.
Für die Kurbel ist ein einfaches Leistungsmessgerät erhältlich, das auch bei vielen Kompletträdern ab Werk verbaut ist. Die misst zwar nur einseitig links, ist aber besser als keines. Shimano bietet für die 105 kein eigenes Powermeter an, hier muss man auf Fremdhersteller ausweichen, was vor allem teuer ist. Die Shimano-App zeigt sich in den meisten Punkten nutzerfreundlich und bietet viel. Bei Problemen sind Textdokumente als Anleitungen verlinkt. Im Detail ist die Menüführung etwas umständlich, bietet aber mehr Individualisierungsoptionen als die Konkurrenz. Die Auswertung von Fahrten lagert Shimano ebenfalls auf eine Web-Anwendung aus, die umfangreiche Funktionen bietet, aber eine recht komplexe Oberfläche hat und nur am Computer-Bildschirm komfortabel zu bedienen ist.
+ viele Individualisierungsmöglichkeiten
- teilweise unübersichtliches Menü
+ Intuitive Oberfläche, Anleitungen als Text oder Video