Fahrradketten aus DeutschlandZu Besuch beim einzigen deutschen Hersteller

Georg Bleicher

 · 07.04.2024

Hier geht’s heiß her, und die Romantik ist nur optisch: Die Kette – hier die „Achten“ – wird bei satten 900 Grad gehärtet. Später kommt noch eine ganz spezielle Beschichtung hinzu.
Foto: Georg Bleicher
Das Konzept der Fahrradkette, bestehend aus Bolzen, Rollen, Laschen und Verschluss, ist ein Jahrhunderte altes, aber unverzichtbares Element des Fahrradantriebs. Wir hatten die Gelegenheit, beim einzigen Fahrradkettenhersteller Deutschlands, der Wippermann jr. GmbH, einen Einblick in die Entstehung einer Connex-Kette zu bekommen.

Die Fahrradkette gilt trotz moderner Hightech-Bikes als unverzichtbar, obwohl sie als stark, schwer und schmierig wahrgenommen wird. Ohne sie sind selbst die stärksten Waden nutzlos, und auch maximales Lungenvolumen spielt bei Rädern mit Kettenschaltung eine entscheidende Rolle. Dabei hat sich das Konzept des Antriebsstrangs seit über 130 Jahren kaum verändert. Bereits im Jahr 1885 ermöglichte die Fahrradkette die Entwicklung eines Fahrzeugs, auf dem man ergonomisch und sicher fahren konnte, ausgehend vom Hochrad. Seit 1893 produziert die Kettenfabrik Wippermann jr. in Hagen Fahrradketten, wobei Tradition eine bedeutende Rolle spielt. Das Unternehmen wird mittlerweile in der fünften Generation der Familie Wippermann geführt, obwohl heute keiner der Chefs mehr diesen Namen trägt. Mit über 130 Jahren Erfahrung werden hier Fahrradketten "made in Germany" hergestellt - die einzigen deutschen Fahrradkettenfabrikate.

Das Rohmaterial für die Ketten kommt nahezu komplett aus der stahlproduzierenden und -verarbeitenden Region und dem Umland. Oben eines der Hunderte Meter langen Stahlbänder, aus denen die Achten, also die inneren und äußeren Laschen, ausgestanzt werden.Foto: Georg BleicherDas Rohmaterial für die Ketten kommt nahezu komplett aus der stahlproduzierenden und -verarbeitenden Region und dem Umland. Oben eines der Hunderte Meter langen Stahlbänder, aus denen die Achten, also die inneren und äußeren Laschen, ausgestanzt werden.

Fahrradkette: Aus der Not entstanden

Die Gründungsgeschichte der Wippermann Jr. GmbH hat einen interessanten Ursprung: Der Sohn des Unternehmers Wilhelm Wippermann hatte ständig Probleme mit der Fahrradkette, die ständig riss. Das musste doch besser funktionieren! In einer Zeit des Aufschwungs der Industrialisierung in Deutschland legte Wippermann Jr. daher im südlichen Ruhrgebiet den Grundstein für die Produktion einer Kette, die widerstandsfähiger sein sollte als das, was damals auf dem Markt verfügbar war. Heute kann man rückblickend sagen, dass dies eine weitsichtige Entscheidung war. Auf dem weitläufigen Gelände steht noch die heute unbewohnte Direktorenvilla im Stil der Gründerzeit. Heute am äußersten Rand des Areals gelegen, war sie einst das Zentrum des damals deutlich kleineren Geländes. Ein wenig verlassen wirkt sie heute, umgeben von den funktionalen Industriehallen, die im Laufe der Zeit um sie herum gewachsen sind.

Ein Großteil der Produktion konzentriert sich hier auf Industrieketten, ein Geschäftsbereich, der in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts hinzukam. Dorette Schierling, zuständig für das Marketing dieses Bereichs, zeigt uns eine Lasche einer Industriekette, die wahrscheinlich mehr wiegt als eine komplette Fahrradkette. Als wir die Produktionshallen betreten, sind wir beeindruckt von den monoton summenden, aber noch mehr von den knackenden und polternden, oft riesigen Maschinen. Jede von ihnen übernimmt, scheinbar ohne erkennbares Muster für einen Laien, ihren Teil auf dem Weg vom Stück Stahl zur fertigen Fahrradkette. Marcel Stiens, 32 Jahre alt, ist Entwickler und Produktmanager für die Wippermann-Connex-Ketten. Er erklärt uns den Produktionsprozess.

Unter lautem Klicken, Rasseln und Klopfen im schnellen Rhythmus werden in dieser Maschine die einzelnen Bestandteile schließlich zu einer Kette zusammengefügt und vernietet.Foto: Georg BleicherUnter lautem Klicken, Rasseln und Klopfen im schnellen Rhythmus werden in dieser Maschine die einzelnen Bestandteile schließlich zu einer Kette zusammengefügt und vernietet.

Vom Draht zu Lasche und Bolzen

Zuerst werden aus millimeterdünnen Blechen die rohen Außen- und Innenlaschen hergestellt. Ähnlich wie beim Keksebacken zu Weihnachten werden diese sogenannten Achten von Maschinen mit einem lauten “Pock” aus dem Material gestanzt - allerdings mit einem Druck von 180 Tonnen. Die Rollen der Kette, also die Tönnchen, die später zwischen den Zähnen des Ritzels liegen, werden auf ähnliche Weise hergestellt. Sie werden aus einem mehrere Millimeter starken Stahlband ausgestanzt und später rund gewalzt. Das Rohmaterial für den Kettenbolzen, der alles zusammenhält, wird schließlich als kilometerlanger Stahldraht auf riesigen Spindeln angeliefert.

Nachdem es durch eine Richtmaschine gegangen ist, die den Draht begradigt, wird es auf die benötigte Länge gekappt. Später erhält der Kettenbolzen noch die charakteristische kegelförmige Einkerbung an den Enden. Es ist erwähnenswert, dass fast alle Rohmaterialien aus der Umgebung stammen: Die Metallverarbeitung ist im Ruhrgebiet, im Sauerland und im Oberbergischen weit verbreitet, wodurch die Wege zu Wippermann kurz sind.

Beschichtungen für spezielle Einsätze erhöhen nicht nur die Robustheit – sie geben den Ketten manchmal auch einen „Must-have“-Faktor durch eine besondere Anmutung wie bei Messing.Foto: Georg BleicherBeschichtungen für spezielle Einsätze erhöhen nicht nur die Robustheit – sie geben den Ketten manchmal auch einen „Must-have“-Faktor durch eine besondere Anmutung wie bei Messing.

Ketten-Experten mit geheimem Know-How

Was hier nicht sichtbar ist, sind die Feinheiten der Produktion. Natürlich lässt sich kein Hersteller gerne bei der Arbeit zuschauen, wenn es um die eigenen Rezepte geht. Dabei geht es um spezielle Härtungsverfahren, individuelle Beschichtungen und ähnliche Verfahren. Die wesentlichen Elemente sind jedoch bereits in ihrer Grundform vorhanden: die Rolle, die Innen- und Außenlaschen sowie der Bolzen. Seit der erfolgreichen Sachs-Sedis-Schaltkette in den Siebzigern werden die Löcher in den Innenlaschen zu Kragen nach innen ausgeformt. Auf diesen Kragen sitzt später die Rolle. Dadurch ist sie beweglich, was Schaltungsketten flexibel für die Schaltvorgänge auf den Kassetten macht, im Gegensatz zu den steifen Einfachketten. Wer einen Antriebsstrang für eine Nabenschaltung und einen für eine Kettenschaltung in die Hand nimmt, spürt sofort den Unterschied.

Jedes einzelne Bauteil der Kette wird gehärtet. Dazu werden die Einzelteile auf einem Band in einen Ofen gefahren, der sie auf beeindruckende 900 Grad erhitzt; anschließend werden sie in einem Ölbad abgekühlt und dann erneut “angelassen”, also leicht erwärmt. Danach werden die Laschen in großen tonnenförmigen Schleudern entölt. In einer Art Waschmaschine erhalten sie zusammen mit Wasser und kleinen Schleifkörpern später ihre glatte Oberfläche. Übrigens erklärt der Experte: “Beschichtungen sind immer ein Kompromiss.” Man entscheidet sich dafür, wenn mehr Korrosionsschutz erforderlich ist, beispielsweise aufgrund der spezifischen Anforderungen des Einsatzbereichs. Sicherlich spielt auch der Geschmack des Kunden, in diesem Fall des Radfahrers, eine Rolle. Eine auffällig vermessingte, sprich goldfarbene Kette wirkt attraktiver. Jedoch nimmt eine Beschichtung tendenziell immer etwas an Robustheit ab - das muss abgewogen werden.

Die Kette – hier die “Achten” – wird bei satten 900 Grad gehärtet. Später kommt noch eine ganz spezielle Beschichtung hinzu.Foto: Georg BleicherDie Kette – hier die “Achten” – wird bei satten 900 Grad gehärtet. Später kommt noch eine ganz spezielle Beschichtung hinzu.

Die besondere Kettenglieder-Geometrie

In Bezug auf die Form setzen Hersteller im Detail auf spezielle Konturen - insbesondere bei den Außenlaschen. Diese sollen die Kette besonders präzise und leicht schaltbar machen. Bei den hochwertigen Connex-Ketten heißen diese Ausprägungen der Außenlaschen “Diamond Shape” und “Speed Wing”. Der “Power Pin”, wie der Bolzen bei Connex genannt wird, erhält über ein spezielles Radial-Nietverfahren seine besondere Robustheit. Neben der Härtung der Oberfläche durchläuft er eine zusätzliche Vergütung. Diese Prozesse resultieren aus langjähriger Erfahrung der Hersteller, werden jedoch verständlicherweise nicht gerne im Detail gezeigt. Die relativ kleinen Maschinen wirken wie mechanische Zauberer, wenn sie schließlich die Einzelteile verbinden - insbesondere bei der Herstellung von vermessingten, also goldfarbenen Ketten. Die Laschen und Rollen sitzen auf langen Dornen, auf die sie sich zuvor in einer Art Drehschüssel selbst gefädelt haben, und werden dann Teil für Teil nach unten gewackelt, um sich als wertvolles Mitglied in eine 118 Glieder lange Kette einzureihen.

Die meistverkauften Ketten sind die 11S0, 11SE und 11SX - die günstigste, die E-Bike-Variante und die aufwendigste 11-fach-Kette von Connex. Letztere verfügen über eine Innenlasche aus Edelstahl, was maximale Verschleißfestigkeit gewährleistet.

Marathon-Kette noch nicht für das Fahrrad möglich

Die neu eingeführte 12-fach-Kette läuft ebenfalls gut, insbesondere für die heute sehr beliebten Einfach-Zahnkränze bei Gravelbikes. Auch die Rohloff-Fahrer greifen gerne auf die 8-SX-Kette zurück. Der Produktmanager erklärt: “Wir haben hier den Vorteil, dass wir aus dem Bereich der Industrie-Ketten immer wieder Know-how-Transfer zu den Fahrradketten leiten können.” Er erwähnt den Wunschtraum jedes Fahrradfahrers: die “Marathon-Kette”. Der Clou dabei ist, dass diese Kette sich weitgehend selbst schmiert. In ihren Buchsen ist Schmierstoff enthalten, der nach und nach an den gewünschten Stellen austritt und so die Lebensdauer der Kette deutlich verlängert.

Dorette Schierling, die das Marketing der Industrieketten bei Wippermann verantwortet, erklärt: “Im Bereich der Industrieketten überlegen sich Unternehmen schon, ob sie nicht lieber in eine hochwertige Kette investieren sollten, anstatt in eine einfache, günstige. Denn wenn für Wartung oder Kettenwechsel die halbe Industrieanlage abgebaut werden muss, summieren sich die Kosten schnell.” Warum also nicht auch eine “Marathon-Kette” für Fahrräder produzieren? Der Produktmanager erklärt jedoch, dass dies schwierig sei. “Da kommen Fremdkörper dorthin, wo sie gar nicht hinsollten. Schlimmstenfalls sogar Sand oder Salz.” Die seitliche Flexibilität von Schaltungsketten erfordert zwangsläufig solche Lücken, durch die Fremdkörper eindringen können.

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?
Auch Antriebsritzel stellt Wippermann her – hier wird gerade ein Ritzel für das System eines E-Bike-Motorenherstellers gefräst.Foto: Georg BleicherAuch Antriebsritzel stellt Wippermann her – hier wird gerade ein Ritzel für das System eines E-Bike-Motorenherstellers gefräst.

Harte Testbedingungen für den Antrieb

Im Testlabor von Wippermann werden Erfahrungen im harten Einsatz gesammelt, wobei die eigenen Ketten unter anderem in definierten Versuchsanordnungen und -zeiten mit denen anderer Hersteller verglichen werden. Getestet werden sie tagelang unter harten Bedingungen wie Zugabe von Sand, um sicherzustellen, dass sie den Anforderungen standhalten.

Die Überzeugung herrscht hier, dass die in Hagen hergestellte Kette “made in Germany” eine der besten auf dem Markt ist. Eine feste Laufdauer kann zwar nicht garantiert werden, da die Lebensdauer einer Kette von vielen Faktoren abhängt, erklärt Marcel Stiens: “Es ist einfach nicht realistisch, mit solchen Zahlen zu kommen.” Es ist auch wichtig zu beachten, dass der Antrieb als System betrachtet werden muss. Eine Kombination aus einer Kassette aus dem qualitativen Einstiegsbereich und einer Kette aus dem Connex-Highend-Bereich würde dazu führen, dass die Kassette deutlich schneller verschleißt als die Kette. Es muss also zusammenpassen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Wenn es neue Antriebe auf dem Markt gibt, analysieren das Produktmanagement und die Entwickler die Produkte und entwickeln gegebenenfalls passende Ketten. Die Wippermann-Einfach-Zahnkränze, sogenannte Narrow-Wide-Kränze, sind beispielsweise für E-Bike-Motorenhersteller entstanden. Im E-Bike-Sektor gibt es auch im Kettensektor Zuwachs. Stiens erklärt: “Wer ein teures E-Bike kauft, versteht dann auch, dass die Ersatzkette hochwertiger sein muss als beim alten Fahrrad ohne Schub.”

Etwa 35 Prozent der Veloketten werden exportiert, wobei ein großer Teil nach Europa geht, insbesondere in die Niederlande und Großbritannien. Es gibt jedoch auch Verkaufsbüros und Partner-Großhändler in Litauen, Malaysia, Thailand und den USA.

Die lange Geschichte Wippermanns könnte man sicher gut über die alten Werbeanzeigen rekonstruieren.Foto: WippermannDie lange Geschichte Wippermanns könnte man sicher gut über die alten Werbeanzeigen rekonstruieren.

Großhandel statt Internet

Überall dort, wo Ketten besonders hart rangenommen werden, ist Connex seit vielen Jahren vertreten. “Bei etwa 30 deutschen und internationalen Rennen und Events sind wir mit Service-Stationen vertreten”, erzählt der Kettenmeister. “BIKE Festival Willingen, Gardasee, die Tagesklassiker …” Dabei gibt es wichtiges Feedback von den Verbrauchern, das für die weitere Entwicklung entscheidend ist. Dies zeigt einmal mehr, dass man nicht davon ausgehen sollte, dass ein traditionsreiches Unternehmen mit festen, alteingesessenen Werten und Vorstellungen nicht auch durchaus jung, modern und offen auftreten kann. Auch wenn intern die - oft sehr positiven - Werte eines Familienunternehmens prägend sind. Das Unternehmen hat mit dem Konzept “Kette” schon über 130 Jahre überstanden, alles made in Germany und mit Zulieferern aus der Region.

Wippermann: Zahlen und Fakten

  • Gründung: 1893 von Wilhelm Wippermann jr.
  • Stammsitz: Hagen-Delstern (südl. Ruhrgebiet)
  • Mitarbeiterzahl: ca. 300, davon etwa 30 im Fahrradketten-Bereich
  • Grundfläche: ca. 47.000 Quadratmeter
  • Produkte: Fahrradketten, 36 verschiedene Modelle: 12-fach-, 11-fach- (Verkaufsrenner), 10-fach-, 9-fach-, 8-fach-, 7-fach-, 1-fach-Ketten sowie Kettenblätter
Marcel Stiens, Produktmanager für die Wippermann-Connex-Ketten.Foto: WippermannMarcel Stiens, Produktmanager für die Wippermann-Connex-Ketten.

Meistgelesen in der Rubrik Kaufberatung