Matthias Borchers
· 10.02.2024
Testerin Birgit steht leicht irritiert vor dem Spiegel. Irgendetwas stimmt da nicht. Sie dreht sich einmal um die eigene Achse und fragt sich, wieso diese Hose so komisch sitzt. Der Reißverschluss vorne am Latz gehört doch dorthin – oder etwa nicht? Werden Trägerhosen, die für den weiblichen Boxenstopp ausgerüstet sind, anders angezogen als normale Trägerhosen? Wo ist die Bedienungsanleitung?
Für die Pinkelpause unterwegs haben sich die Hersteller verschiedene Begriffe ausgedacht: Bei Gore heißt es “Bio Break”, umschreibt also die Pause für ein biologisches Bedürfnis; beliebt ist auch der “Boxenstopp”, während die schlichte “Klopause” etwa hölzern klingt. Im Englisch geprägten internationalen Marketing-Sprech scheint sich nun der Begriff pee-friendly durchzusetzen, was letztlich auch nichts anderes heißt als “pinkelfreundlich” – wobei es streng genommen ja nicht nur darum geht, in den speziell konstruierten Radhosen ausschließlich das kleine Geschäft erledigen zu können, ohne sich fast ganz ausziehen zu müssen.
Bislang, oder zumindest bis vor wenigen Jahren, war die Hose der Wahl für das beschriebene Problem die Bundhose ohne Träger. Denn: Ohne Träger unter Trikot oder Jacke verläuft jede Pause entspannt und fummelfrei. Entsprechend waren Bundhosen alternativlos für diejenigen, die einen unkomplizierten Boxenstopp wollten. Die meisten Frauen, die regelmäßig und engagiert Rennrad fahren, merken aber schnell, dass eine Radhose ohne Träger außer in diesem einen Punkt ansonsten überwiegend Nachteile mit sich bringt; sie rutscht, der Bund kann sich in der Hüftbeuge einrollen, die Nierengegend wird nicht geschützt und das Sitzpolster nicht zuverlässig in Position gehalten.
All das kann die Trägerhose viel besser, weshalb Radsportlerinnen auch lieber Radhosen mit Hosenträgern tragen wollen. Folglich mussten die Hosenschneider Lösungen ertüfteln, die das Herunterziehen der Hose ermöglichen, ohne das Trikot oder sonstige Oberteile ausziehen zu müssen. Für unseren ersten großen Vergleichstest dieser pinkelfreundlichen Radhosen haben wir 14 Hersteller eingeladen, zehn haben teilgenommen. Von Assos bis Velocio sind viele bekannte Hersteller dabei; die günstigste Hose kommt von Craft und kostet 130 Euro, das Modell von Velocio ist das teuerste und kostet mit 260 Euro exakt doppelt so viel.
Die Varianten für die Hosen mit dem schnellen Ausstieg teilen sich im Wesentlichen in drei Kategorien: Bei Gore und Bioracer trennen Reißverschlüsse die Hose, bei Assos, Craft, Isadore und Rapha lassen sich die Träger mithilfe von Clips, Magnetverschlüssen sowie Haken und Ösen trennen, während sich die Hosen von Endura, Pas Normal Studios, SQ-Lab und Velocio dank sinnvoll platziertem, elastischem Material am Hosenbund und an den Trägern mit wenigen Handgriffen einfach herunter- und ebenso einfach wieder hochziehen lassen – ohne mit Reißverschlüssen oder Haken hantieren zu müssen.
Insgesamt präsentieren sich die Hosen im Test sehr solide und bekommen entsprechend gute bis sehr gute Noten. Größere Unterschiede gibt es beim Handling. In dieser Kategorie ist jede dieser Hosen besser als eine Standard-Trägerhose, wobei die Hosen nach dem Schlupfprinzip (Pull Down) den mit Abstand schnellsten Boxenstopp ermöglichen; am längsten dauert der Austritt in den Hosen von Assos, bei der die Clips eingefädelt werden müssen, und von Craft mit dem etwas fummeligen Hakensystem.
Übrigens: Unsere Testerin Birgit bemerkte nach wenigen Momenten den Grund für den schlechten Sitz der Testhose mit dem Reißverschluss. Sie war lediglich falsch herum in die Hose eingestiegen und der “Latz” war keiner, sondern gehörte nach hinten. Einmal abgestreift und andersherum wieder hineingeschlüpft, und die Hose saß passend und unauffällig wie jede andere Trägerhose. Ganz ohne Bedienungsanleitung.
Pinkelfreundliche (“pee-friendly”) Trägerhosen für Frauen, mit denen der Boxenstopp ohne lästiges Ausziehen funktionieren soll, hat inzwischen fast jeder Radbekleidungshersteller im Sortiment. Getestet haben wir zehn Hosen von Assos bis Velocio zum Preis von 130 Euro (Craft) bis 260 Euro (Velocio). Das Testfazit fällt insgesamt sehr positiv aus, da alle Hosen die Pinkelpause erleichtern und verkürzen. Am besten bewerteten die Testerinnen dabei die Hosen, die sich dank elastischer Träger einfach herunterziehen lassen, wie beispielsweise die Modelle von Endura oder SQLab.
Die günstigste Hose: Craft ADV Aero Bibshort W >> hier erhältlich
Die leichteste Hose: Pas normal Studios Women´s Essential Light Bib >> hier erhältlich
Die Erfahrung zeigt: Routinierte und trainierte Radsportlerinnen bevorzugen, ähnlich wie die meisten Männer, ganz überwiegend ein eher dünnes, festes und kleineres Sitzpolster in der Radhose. Das ist so, weil der Schambeinbogen und die Sitzknochen jedes noch so dicke und weiche Polster nach kurzer Zeit platt- bzw. durchdrücken und das dabei verdrängte Material zwischen Haut und Sattel Scheuerflächen bildet, was Tritt für Tritt zu Hautreizungen führen kann.
Weniger Trainierte mögen ein sehr dünnes und festes Polster anfangs noch als unbequem empfinden; das Gewebe im Sitzbereich gewöhnt sich aber nach einer gewissen Zeit an die Belastung, dann wird das dünnere und festere Sitzpolster meistens als angenehmer empfunden.
Bei dieser Variante verlaufen die Reißverschlüsse entweder senkrecht am Rücken oder beidseitig waagerecht über der Hüfte. Beim senkrechten Reißverschluss teilt sich die Radhose und lässt sich zu beiden Seiten aufziehen, was beim kurzen Boxenstopp gut funktioniert, beim Stuhlgang aber sehr viel Aufmerksamkeit in puncto Sauberkeit erfordert. Waagerecht verlaufende Reißverschlüsse verschaffen etwas mehr Freiraum. Beide Varianten schränken die Elastizität der Radhose etwas ein, und die Reißverschlüsse können auf nackter Haut etwas zwicken.
Die Träger sind entweder nur hinten oder ganz von der Radhose trennbar. Bei den meisten Modellen dienen mechanische oder magnetische Clips als Verschluss; Craft verwendet eine Haken-Ösen-Reihe, über die sich die Hosenträgerspannung gleichzeitig justieren lässt. Diese Variante bietet den Vorteil, dass die Hose weit heruntergezogen werden kann. Das Wiedereinfädeln der Träger kann wegen der Trägerspannung jedoch zur Geduldsprobe werden.
Bei der Pull-Down-Variante sind Träger und Hose so flexibel gestaltet, dass sich die Hose ganz einfach mitsamt der Träger herunterziehen lässt. Diese Methode ist die unkomplizierteste und schnellste, jedoch können die Träger durch den Zug auf Dauer Druckstellen auf den Schultern hinterlassen.
Anleitung zum Herunterziehen: Man nimmt beide Hände, führt diese hinter den Rücken. Mit den Daumen wird die Innenseite der Träger gesucht und am Ansatz zur Hosenbox die Daumen unter den Stoff geführt. Aus dieser Position heraus kann man anfangen, sich hinzuhocken oder hinzusetzen, während die Daumen bzw. Hände gleichzeitig die Hosenbox nach unten schieben. Die Träger gleiten dabei am Gesäß vorbei.
Gesamtnote (100%): 1,7
Das feste und dichte Material fühlt sich toll an, bei hochsommerlichen Temperaturen eventuell etwas zu warm; lange Hosenbeine. Weiches Polster, das dank der schwimmenden Befestigung kaum scheuert. Die Clip-Verschlüsse sind gut erreichbar.
Gesamtnote (100%): 2,1
Der senkrechte Reißverschluss zum Öffnen und Teilen der Hose am Rücken ist gut erreichbar, nimmt der Hose aber etwas Elastizität. Die Träger neigen zum Einrollen.
Gesamtnote (100%): 2,3
Günstigste Hose im Test. Dem Material fehlt es an Spannkraft, dadurch wird das Polster nicht optimal fixiert. Der Hakenverschluss am Rücken funktioniert gut, erfordert jedoch viel Geschick. Auf nackter Haut fühlen sich die Mesh-Träger etwas kratzig an.
Gesamtnote (100%): 2,1
Vorne ist die Radhose geschlossen wie ein Body, dadurch etwas schwerer. Bei der Pinkel-Funktion unter den Besten. Aufgrund des sehr klebrigen Gelprints an den Beinabschlüssen dauert das Anziehen etwas länger.
Gesamtnote (100%): 2,1
Die waagerechten Reißverschlüsse sind beim Pedalieren kaum spürbar, kratzen aber etwas beim An- und Ausziehen. Das Polster ist gut positioniert, trägt aber etwas auf und ist beim Pedalieren mehr spürbar als bei den anderen Hosen im Test.
Gesamtnote (100%): 1,8
Die Träger lassen sich dank der Magnetverschlüsse ganz von der Hose trennen; beim Pedalieren sind die Magnete jedoch spürbar. Das Polster gefällt sehr gut und sitzt perfekt. Riegeltasche am rechten Hosenbein.
Gesamtnote (100%): 1,3
Leichteste Hose im Test; das Material fühlt sich vergleichsweise dünn an, prädestiniert für sommerliche Temperaturen. Sehr gute Trageeigenschaften, unauffälliges Polster; relativ teuer.
Gesamtnote (100%): 1,9
Sehr gut zu handhabender Clipverschluss; relativ festes, sehr großes Polster, das nicht optimal in Position gehalten wird, was ein gewisses Windelgefühl erzeugt. Die luftigen Hosenträger aus Mesh-Material neigen zum Einrollen.
Gesamtnote (100%): 1,2 (TOUR-Testsieger)
Die Testsieger-Hose ist in allen funktionalen Kriterien top, nur Reflexmaterial fehlt. Dünnes, festes und sicher positioniertes Sitzpolster. Unkompliziert und schnell beim Boxenstopp.
Gesamtnote (100%): 1,5
Die teuerste Hose im Test überzeugt in allen Kategorien und mit hohem Tragekomfort. Allenfalls die umlaufenden und etwas auftragenden Nähte an den vergleichsweise schmalen Beinabschlüssen können stören.
Alle Hosen wurden vor dem Test nach Anleitung gewaschen und von unseren Testerinnen nach vier unterschiedlich gewichteten Kriterien bewertet: