Angelika Rauw
· 07.04.2021
Claudia Lichtenberg, geborene Häusler, war eine der besten deutschen Profi-Rennfahrerinnen, bis sie 2017 ihre Karriere beendete. Vor allem Bergrennen hatten es ihr angetan – ihr größter Erfolg war der Sieg beim Giro d’Italia 2009. Doch auch privat sind Berge ihre Leidenschaft. Neben ihrem Beruf als Ingenieurin und ihrem Engagement als Jugendtrainerin beim RSV Irschenberg verbringt sie ihre Urlaube am liebsten in den Alpen, die sie mit ihrem Mann Christian Lichtenberg schon dreimal mit dem Crossrad überquert hat. Im TOUR-Interview gibt sie Tipps fürs Bergefahren
TOUR Wie hat sich das Radfahren für Sie verändert seit Ihrem Karriereende?
LICHTENBERG (lacht) Ich bin langsamer geworden! Ich fahre viel mit meinem Mann, der ja A-Amateur war. Als ich noch Profi war, hat das gut gepasst. Daher hatte ich anfangs wirklich Sorge, dass ich nicht mehr mithalten kann. Aber es ist zum Glück nicht so schlimm. An den langen Bergen bin ich immer noch besser, auch mit wenig Training.
Ist man zum Klettern geboren, oder kann man das erlernen?
Das fällt mir schwer zu sagen, denn mir hat’s schon als Kind Spaß gemacht. Aber mit meinen jahrelangen Erfahrungen mit den Kiddies in unserem Verein würde ich sagen, dass man das schon auch lernen kann – und zwar so, dass es einem Spaß macht, und nicht nur, damit man es bewältigt.
Was ist Ihr wichtigster Tipp für Neulinge am Berg?
Sich keinen Stress machen. Wenn man einfach mit der Leistung, die man lange fahren kann, kontinuierlich hochtritt, ist man irgendwann auch oben.
Für viele bedeutet Klettern Quälerei. Was ist für Sie der Genuss daran?
Da gibt es verschiedene Ebenen: Als Rennfahrerin macht es mir einfach Spaß, besser zu sein als andere. Aber ich mag auch Klettern ohne Konkurrenz – wenn ich alleine fahre zum Beispiel oder zusammen mit anderen. Hat man so eine lange Strecke vor sich, ist das ja auch ein richtig großer Berg Arbeit. Und wenn man es schafft, oben anzukommen, hat man sich was erarbeitet. (überlegt). Ich mag es einfach total gern, zu einem Ziel zu kommen, das oben liegt. Ich gehe auch zu Fuß gerne auf Gipfel. Ich glaube, das ist so ein menschlicher Urinstinkt: dass man sich toll fühlt, wenn man oben ankommt.
Abgesehen vom Gipfelglück, das ja erst am Ende kommt: Wie schafft man es, bei Bergauffahrten motiviert zu bleiben?
Der schrecklichste Gedanke, den man im Kopf haben kann: Es ist ja nicht mehr so weit. Das macht alles kaputt. Dann denkt man ja nur, wie schön wäre es, wenn es jetzt vorbei wäre. Man muss sich stattdessen bewusst machen: Es wird noch ewig dauern, bis ich oben bin. Während man einen Pass fährt, sollte man nicht ans Aufhören denken, sondern daran, was man gerade fühlt. In sich hineinspüren, ob man das mit der Kraft, mit der man gerade tritt, so lange durchhält. Es muss sich gut anfühlen. So würde ich rangehen.
Hatten Sie Ihre schönsten Momente auf dem Rad in Ihrer Profi-Karriere oder bei privaten Touren?
Das sind komplett unterschiedliche Erlebnisse, und doch ganz ähnlich darin, wie nahe sie mir gehen. Es sind schon die großen Siege, die mich am meisten berührt haben – sie berühren mich auch noch in meiner Erinnerung. Aber das Gleiche gilt für total gestörte Fahrten mit meinem Mann bei einem Alpencross, bei dem man zehn Tage am Stück an sein Limit geht, dann noch in der Abenddämmerung über den letzten Pass fährt – das kann einen so ergreifen, obwohl man so k.o. ist!
Was meinen Sie mit total gestörten Fahrten?
Ich erfahre diese starken, tiefen Gefühle dann, wenn ich an meine körperlichen Grenzen komme. Und das passiert eben bei Aktionen, die von außen betrachtet gestört sind.
Zum Beispiel?
Wenn man stundenlang durch die Hitze gurkt, bergauf sein Rad schleppt und sich über einen schottrigen Trail quält. Ich weiß nicht, was da chemisch im Gehirn passiert, aber es führt dazu, dass man eine besondere Art von Bewusstsein erlangt und plötzlich die einfachsten Dinge schön findet.
Was ist für Sie der Unterschied zwischen Bergefahren im Rennen und Bergefahren privat?
Im Rennen ist man darauf fixiert, schneller zu sein als andere. Wenn es direkt gegen Gegner geht, das macht für mich das Rennen-Fahren aus, dieses Konkurrenzdenken. Und das empfinde ich überhaupt nicht, wenn ich mit meinem Mann über die Alpen fahre. Im Gegenteil. Da sind wir ein Team, achten aufeinander und möchten gemeinsam etwas bewältigen. Im Radrennen liegt die Herausforderung nur darin, besser zu sein als die anderen. Bei unseren Alpencross war die Herausforderung, dass wir uns Strecken rausgesucht haben, bei denen es das Besondere war, sie überhaupt zu bewältigen.
Also haben Sie Ihre Routen weniger nach Landschaft, sondern nach Höhenmetern ausgesucht?
Nein, wir haben immer nach Landschaft rausgesucht – aber dann halt so Etappen wie: 120 Kilometer mit dem Crossrad über unwegsamstes Gelände, von denen wir dachten: Das müsste machbar sein. Und dann standen wir da, hatten Zehn-Stunden-Tage vor uns und ich weiß nicht wie viel Tausend Höhenmeter – so gestörte Sachen halt.
Welche ist Ihre liebste Bergregion und welcher Ihr Lieblingspass?
Ich liebe die Dolomiten! Und der Passo Pordoi ist einer meiner allerliebsten Pässe. Da ist es so wunderschön offen, schön ausgebaut, mit langen überhöhten Kehren, wo man die Abfahrt total genießen kann.
Kann man vorher schon ahnen, mit welchen Mitfahrern eine Transalp klappen kann?
Ich habe die Transalps ja immer mit meinem Mann gemacht und bin daher in einer Luxussituation, weil wir uns hinsichtlich unserer Stärke beim Radfahren kennen. Deshalb gab es da nie Probleme. Die körperliche Leistungsfähigkeit muss nicht perfekt zusammenpassen, aber man muss sich angleichen können. Doch es kommt noch eine Komponente dazu: Wir haben festgestellt, dass wir in der Risikobewertung sehr ähnlich denken. Also, wenn zum Beispiel ein Unwetter aufzieht oder jemand gestürzt ist – diese emotionalen, menschlichen Sachen, das Krisenmanagement eben. Diese Dinge sind extrem wichtig, gerade bei so langen Touren, bei denen man an seine Grenzen kommt.
Ihr wichtigster Tipp für eine gelungene Transalp-Premiere?
Man braucht einen leichten Gang, sonst macht es keinen Spaß. Ich selber fahre alles mit Kompaktkurbel (Anm.d.Red.: 50/34 Kettenblätter). Außerdem hilft es, vorher die Route festzulegen. Denn die Strecke ist ja meist schon Herausforderung genug, da wird es nicht einfacher, wenn man unterwegs anfängt zu zweifeln. Und man sollte einen Plan B haben, wenn mal was nicht wie geplant läuft. Also zum Beispiel überlegen, wo man übernachten könnte, wenn man eine Etappe nicht schafft.
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