Schürfwunden beim RadfahrenTOUR gibt Tipps für Erste Hilfe und Versorgung

Sina Horsthemke

 · 13.05.2023

Schürfwunden beim Radfahren: TOUR gibt Tipps für Erste Hilfe und VersorgungFoto: Getty Velo
Mehr als ein Kratzer: Ein Sturz auf dem Schotter der Strade Bianche hinterlässt besonders tiefe Wunden - so wie beim Belgier Tiesj Benoot 2022

Glück gehabt, wenn ein Sturz glimpflich endet und man mit Schrammen und Schürfwunden davonkommt. Doch auch die sind unangenehm und können sich entzünden. Wie Erste Hilfe richtig geht, man Schürfwunden behandeln kann, und sich Narben vermeiden lassen.

Schürfwunden beim Radfahren

Ein bisschen Sand auf der Straße, eine Pfütze in der Kurve, ein Bremsfehler auf der Abfahrt, schon passiert’s: Das Hinterrad rutscht weg, Sie verlieren die Kontrolle und schlittern samt Rennrad über den grauen Asphalt. Mit 30 Kilometern pro Stunde und kurzem Trikot. Aua!

Gut, wenn so ein Unfall nur Schürfwunden nach sich zieht. Wenn Kopf und Knochen heil bleiben und beim Wiederaufrappeln lediglich Schrammen an Haut und Lack zu sehen sind. Wenn sozusagen nur die Tapete ab ist, wie es im Radsportlerjargon heißt. Doch Schürfwunden sind nicht zu unterschätzen. Nur optimal versorgt heilen sie ohne Komplikationen und narbenfrei ab.

Meist ist bei einer Schürfwunde nur die oberste Hautschicht abgeschürft, die sogenannte Epidermis oder Oberhaut. In der darunterliegenden Dermis, die auch “Lederhaut” genannt wird, sind oft kleinere Blutgefäße verletzt, weshalb punktförmige Blutungen in der Wunde zu sehen sind. Weil nach dem Abrieb der Epidermis Nervenenden in der Dermis frei liegen, brennt die Wunde schmerzhaft.

Schürfwunden behandeln: Erosion, Exkoriation oder Avulsion?

Eine solch oberflächliche Schürfwunde nennen Hautärzte “Erosion”. Ist neben der Oberhaut auch die Lederhaut verletzt, sprechen sie von “Exkoriation”. Eine tiefe Schürfwunde mit Ablederung der Unterhaut (Subcutis) heißt in der Fachsprache “Avulsion”.

>> Es gilt: Je härter und rauer die Oberfläche, an der die Haut bei einem Sturz entlangschleift, desto größer ist der Abrieb und desto tiefer die Wunde.

“Nach Radstürzen sehen wir Schürfwunden vor allem an den Beinen, aber auch am Gesäß, an Armen, Ellbogen und Schultern. Manchmal entstehen Schürfwunden auch am Brustkorb oder im Gesicht und da vor allem am Kinn”, sagt Sebastian Zimatschek.

Der Facharzt für Anästhesiologie leitet seit 2003 das Rescue-Team der TOUR-Transalp, bei der jedes Jahr rund 1000 Radsportlerinnen und Radsportler in sieben Etappen die Alpen überqueren. Die Rettungsmannschaft eilt Gestürzten auf Motorrädern oder mit dem Rettungswagen zu Hilfe und versorgt sie auch im Start- und Zielbereich.

Schürfwunden beim Radfahren. Ein gut gefülltes Erste-Hilfe-Set sollte bei jeder Ausfahrt in der Trikottasche steckenFoto: Kraus
Schürfwunden beim Radfahren. Ein gut gefülltes Erste-Hilfe-Set sollte bei jeder Ausfahrt in der Trikottasche stecken

Bodycheck nach dem Sturz

Ob bei der TOUR-Transalp oder im Training: Zimatschek rät Radfahrerinnen und Radfahrern nach einem Sturz, immer zuerst an die Sicherheit zu denken: “Oft sind Betroffene erst mal geschockt und denken nicht daran, dass es gefährlich ist, zu lange auf der Straße zu bleiben”, so der Arzt. “Doch wenn es die Verletzungen zulassen, sollte man sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.”

Schmutz, Erde, Steinchen und Kleidungsreste sollten möglichst schnell aus der Schürfwunde entfernt werden. (Sebastian Zimatschek, Facharzt für Anästhesiologie)

Jedem Gestürzten empfiehlt Zimatschek dann einen kurzen “Bodycheck”, wie er das nennt: “Schürfwunden fallen zwar oft als Erstes ins Auge, aber man sollte sich die Zeit nehmen, den ganzen Körper mal kurz von oben nach unten auf Verletzungen zu prüfen und durchzubewegen: Tut es noch irgendwo weh?” Manchmal entdecke man dabei Stellen, die zuerst gar nicht aufgefallen sind.

Schürfwunden behandeln - Kein normales Pflaster

Sind wirklich nur Schürfwunden vorhanden, ist es wichtig, diese zu reinigen. Zimatschek empfiehlt dafür ein nicht brennendes Desinfektionsmittel aus der Apotheke, das am besten zusammen mit anderen Erste-Hilfe-Utensilien (siehe Übersicht unten) bei jeder Ausfahrt in der Trikottasche mitfährt. “Schmutz, Erde, Steinchen und Kleidungsreste sollten möglichst schnell entfernt werden”, so der Arzt.

Ist kein Desinfektionsmittel zur Hand, mit dem man Schürfwunden behandeln kann, funktioniere die Reinigung auch mit sauberem Wasser aus der Trinkflasche. Danach gehören Schürfwunden mit einer sterilen Kompresse abgedeckt. “Hierbei sollten unbedingt nicht klebende Wundauflagen zum Einsatz kommen, denn ein normales Pflaster würde mit der Wunde verkleben und ist nur sehr unangenehm wieder zu entfernen.”

Bei der Transalp hat das Rescue-Team neben reichlich Wundkompressen und Desinfektionsmittel, Handschuhe und Splitterpinzetten parat, um Schürfwunden noch auf der Strecke bestmöglich zu versorgen. “Steril und chirurgisch sauber ist so eine Wunde danach trotzdem nicht, daher empfehlen wir den Leuten immer, die Wunde im Ziel noch mal anzuschauen und mit einem Antiseptikum behandeln zu lassen”, berichtet der Arzt.

Erst prüfen, dann weiterfahren

Das Rescue-Team bietet Verletzten an, sie zum Zielort zu bringen, “doch die meisten möchten weiterfahren, wenn sie nur Schürfwunden haben”, erzählt Zimatschek. Ob das sinnvoll ist, hänge von der Größe und Lokalisation der Wunde und natürlich von weiteren Verletzungen ab. “Ist nur das Knie ein bisschen aufgeschürft, gut desinfiziert und abgedeckt, kann man natürlich weiterfahren. Aber wir müssen immer prüfen, ob die Wunde wirklich nur oberflächlich oder an manchen Stellen, wo zum Beispiel Steinchen steckten, nicht doch tiefer ist.” Hätten Sehnen, Muskeln oder Nerven durch die Abschürfung Schaden genommen, sei Weiterfahren keine Option, so der Arzt. “Ideal ist es für die Heilung ohnehin nicht, wenn die verletzte Haut beim Pedalieren immer wieder bewegt wird und mit Schweiß in Kontakt gerät.”

Ein Sturz auf dem Schotter der Strade Bianche hinterlässt besonders tiefe Wunden - so wie beim Belgier Tiesj Benoot 2022Foto: Getty Velo
Ein Sturz auf dem Schotter der Strade Bianche hinterlässt besonders tiefe Wunden - so wie beim Belgier Tiesj Benoot 2022

Zimatschek appelliert an alle Radfahrerinnen und Radfahrer, möglichst vor dem nächsten Sturz ihren Tetanusschutz zu überprüfen (siehe unten): “Alle zehn Jahre muss die Impfung aufgefrischt werden, sonst kann schon eine kleine Schürfwunde tödlich enden.”

Schürfwunden behandeln - Besser nicht Bürsten

Wer den Tour-de-France-Dokumentarfilm “Höllentour” von 2004 gesehen hat, kommt möglicherweise auf die Idee, seine Schürfwunden unter der Dusche mit einer groben Bürste zu schrubben, bis sie wieder zu bluten beginnt – wie es der Betreuer von Sprint-Ass Erik Zabel mit dessen Wunden im Film macht. Rescue-Team-Chef Zimatschek kann das nicht empfehlen: “Theoretisch frischt man die Wunde so an, was auch ein Chirurg machen würde, um die Wundheilung zu fördern. Dies unter der Dusche so martialisch selbst zu tun, ist aber niemandem zu raten. Erstens tut es extrem weh, und zweitens ist so eine Bürste sicher nicht hygienisch sauber. Wir können das heute besser und vor allem behutsamer.” Eine Wunde gründlich zu reinigen, zu desinfizieren und durch Abdecken vor Schmutz, Staub und Schweiß zu schützen, beugt Infektionen vor und fördert die Heilung. “Danach sollte man die Stelle am besten schonen und in Ruhe heilen lassen”, so Zimatschek. Vermeintliche Hausmittel wie Mehl, Öl oder Zwiebelsaft haben in der Wundversorgung nichts zu suchen – solche Experimente können Entzündungen sogar noch fördern.

Typische Anzeichen einer Infektion

Das sind stark gerötete Wundränder, Eiter und pochende Schmerzen. “Sind bereits die umliegenden Lymphknoten geschwollen, etwa in der Leiste nach einer Knieabschürfung, dann ist es höchste Zeit, einen Arzt aufzusuchen”, warnt Zimatschek. Das Gleiche gelte, wenn Fieber dazukommt, eine Schürfwunde sehr schmerzhaft ist, stark blutet oder trotz Reinigung weiterhin verschmutzt aussieht. Eine sehr tiefe Wunde muss zudem eventuell genäht werden. “Also lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zum Arzt gehen”, rät Zimatschek.

Schürfwunden behandeln - Eine gute Wundheilung ist wichtig

Dem kann Dr. Andrea Demmler nur zustimmen. Die Fachärztin für Dermatologie hat eine eigene Praxis im Landkreis Main-Spessart, ist Triathletin und verbringt viel Zeit auf dem Rennrad: “Dass eine Wunde zu eitern beginnt oder eine Wundrose entsteht, kann sogar noch ein paar Tage nach dem Sturz passieren.”

Die Hautärztin rät, die Heilung daher genau zu beobachten und gegebenenfalls mit einem Wundheilgel zu unterstützen. Wichtig sei zudem, eine Schürfwunde in den ersten drei bis vier Tagen unbedingt vor der Sonne zu schützen. “Das UV-Licht stört die Heilung und vergrößert das Risiko, dass Narben zurückbleiben.” Eine gute Wundheilung sei außerdem wichtig, um die natürliche Schutzfunktion der Haut wiederherzustellen.

Solange eine Wunde nässt, sollten Pflaster oder Kompresse ohnehin unbedingt draufbleiben. Eine trockene Wunde dagegen kommt nach ein paar Tagen ohne Pflaster aus. “Schwimmen oder Baden sollte man dann erst einmal vermeiden”, sagt Demmler – wegen der Infektionsgefahr und weil das die Heilung stört. Zum Duschen empfiehlt die Ärztin, spezielle Duschpflaster aufzukleben.

Der Körper schützt sich selber

Wie schnell eine Wunde verheilt, ist laut Demmler zum Teil genetisch bedingt, hänge aber auch vom Alter und von Vorerkrankungen ab: “Je jünger jemand ist, desto schneller heilen Schürfwunden. Bei Menschen mit Diabetes dauert es dagegen manchmal sehr lange.” Auch eine infizierte Wunde brauche länger, um zu heilen.

Die Reparaturmechanismen des Körpers setzen nicht erst nach der Erstversorgung, sondern direkt nach dem Unfall ein, beginnend mit der Blutungsstillung, für die sich die Gefäße in der Wunde verengen, um den Blutverlust gering zu halten. “Danach bildet sich eine schützende gelblich-durchsichtige Schicht auf der Wundoberfläche, wie eine Art Platte”, erklärt Hautärztin Demmler. “Das ist das sogenannte Fibrin. Darunter reinigen Entzündungszellen des Immunsystems die Wunde, beseitigen eingedrungene Keime und bilden Wachstumsfaktoren.” Nach ein paar Tagen beginnen spezialisierte Zellen, sogenannte Fibroblasten, von den Seitenrändern ausgehend neue Haut aufzubauen und die Wunde nach und nach zu schließen. “Eine oberflächliche Schürfwunde heilt pro Tag etwa einen bis zwei Millimeter weiter zu“, berichtet die Triathletin. “Nach etwa einer Woche ist das Gröbste überstanden, und nach zwei Wochen ist oft kaum noch etwas zu sehen.”

Ganz wichtig: Sonnenschutz

Zumindest gilt das für oberflächliche Schürfwunden, bei denen nur die oberste Hautschicht abgerieben war. Je tiefer eine Wunde, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Narbe zurückbleibt. Um das zu vermeiden, sei Sonnenschutz das Wichtigste, sagt Hautärztin Demmler – auch wenn die Kruste längst abgefallen ist: “Für den Rest der Saison sollte man die Stelle unbedingt immer mit Sonnencreme schützen, denn die neue Haut ist empfindlich wie ein Babypopo.” Wer den Sonnenschutz vernachlässige, riskiere neben einer unschönen Narbe rote Flecken und Pigmentunterschiede. 10 bis 15 Jahre dauere es je nach Tiefe der Verletzung, bis eine Narbe deutlich verblasse.

Wer nicht so lange warten möchte, könne die Narbe in einer Hautarztpraxis kosmetisch behandeln lassen, sagt Demmler: “In überschießende, erhabene Narben können wir Kortison einspritzen, um sie abzuflachen, oder wir können sie mit dem Laser verkleinern.” Der kommt ebenfalls zum Einsatz, um rote Narben aufzuhellen. Vereisen wie bei manchen Warzen sei eine weitere Option.

Zu lange warten sollte man mit der Behandlung nicht, mahnt die Hautärztin: “Je frischer die Narbe, desto eher kann man etwas unternehmen.” Doch im besten Fall war die Schürfwunde ja nur oberflächlich. Und wurde danach so gut versorgt, dass ein paar Wochen später nur noch die Schrammen am Rennradrahmen zu sehen sind.

Der Aufbau der Haut

Die menschliche Haut besteht aus drei Schichten: Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut. Bei oberflächlichen Schürfwunden ist lediglich die Oberhaut betroffenFoto: Adobe Stock
Die menschliche Haut besteht aus drei Schichten: Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut. Bei oberflächlichen Schürfwunden ist lediglich die Oberhaut betroffen

Schürfwunden behandeln - Wann sollte ich zum Arzt?

  • wenn die Schürfwunde anhaltend blutet
  • wenn sehr große Hautareale abgeschürft sind
  • wenn die Wunde verschmutzt ist
  • wenn die Wunde eitert oder stark nässt
  • wenn die Wundränder rot und geschwollen wirken
  • wenn die Wunde schmerzhaft pocht
  • wenn Fieber oder allgemeines Unwohlsein hinzukommen
  • wenn der Tetanusschutz unklar ist
  • wenn die Wunde nach zwei Wochen nicht weitgehend verheilt ist bei Durchblutungsstörungen

(modifiziert nach www.mediset.de/schuerfwunden/)


Schürfwunden behandeln - Tetanus-Impfung noch wirksam?

Die Ständige Impfkommission empfiehlt jedem, sich gegen Tetanus impfen zu lassen. Der gefürchtete Wundstarrkrampf wird von dem Bakterium “Clos­tridium tetani” verursacht, dessen widerstandsfähige Sporen nahezu überall draußen vorkommen und über kleine Steinchen oder Splitter in Wunden in den Körper eindringen können. Dafür reicht schon ein winziger Kratzer. Besteht keine Impfung, kann es bereits drei Tage nach der Infektion zu Symptomen kommen, manchmal lassen die ersten Anzeichen auch drei Wochen auf sich warten.

Gefährlich ist dabei nicht das Bakte­rium selbst, sondern das Gift, das es ausscheidet. Die Beschwerden beginnen mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen nahe der Wunde, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Unruhe. Schmerzhafte Krämpfe des Kiefers folgen, wobei die Betroffenen zu grinsen scheinen – das sogenannte Teufelsgrinsen. Die Muskelkrämpfe breiten sich im Verlauf weiter aus und werden so stark, dass Patienten im Endstadium ersticken oder ihre Wirbelsäule bricht.

Unbehandelt endet eine Tetanusinfektion tödlich, und selbst bei moderner intensivmedizinischer Behandlung sterben heute 10 bis 20 Prozent der Infizierten. Schon Kinder sollten deshalb gegen Tetanus geimpft sein. Erwachsene müssen ihren Impfschutz alle zehn Jahre auffrischen. Weil die meisten gegen Tetanus geimpft sind, kommt die Krankheit selten vor: Jährlich erkranken in Deutschland weniger als 15 Menschen, die meisten sind älter als 45 Jahre.

Ist meine Tetanus-Impfung noch wirksam?Foto: AdobeStock
Ist meine Tetanus-Impfung noch wirksam?

Das gehört ins Erste-Hilfe-Set für die Trikottasche

  • nicht brennendes Wund-­Desinfektionsmittel
  • sterile Wundkompressen
  • nicht klebende Wundauflagen
  • Rettungsdecke
  • Einmalhandschuhe
  • Notfalltelefonnummern
Ein gut gefülltes Erste-Hilfe-Set sollte bei jeder Ausfahrt in der Trikottasche steckenFoto: Kraus
Ein gut gefülltes Erste-Hilfe-Set sollte bei jeder Ausfahrt in der Trikottasche stecken