Sandra Schuberth
· 09.12.2024
Die Radabenteurerin und Bikepackerin ist vor über 14 Monaten in ihrer Wahlheimat Freiburg im Breisgau aufgebrochen auf ihre bisher größte Reise.
Durch insgesamt 22 Länder fuhr sie mit ihrem Fahrrad und Zelt, dabei folgte sie immer der Westküste des afrikanischen Kontinents. Das Atlasgebirge, die Sahara, der liberianische Regenwald und die nigerianischen Berge waren nur einige Highlights auf der 20.150 Kilometer langen Strecke.
Bis Portugal hatte sie Begleitung von einer Freundin, dann ging es allein weiter. Erstmal, denn unterwegs lernte sie weitere Radreisende kennen. Einer von ihnen ist Julien Soleil, mit dem sie ab der Sahara gemeinsam unterwegs war. Mit Unterbrechungen.
Einladungen und Begegnungen unterwegs schufen langfristige Erinnerungen und gaben Wiebke Lühmann immer wieder neue Energie. Gegenseitige Neugierde und Herzlichkeit.
Für mich sind die Begegnungen das Schönste an dieser Reise. Die Erinnerungen mit Menschen bleiben für immer. - Wiebke Lühmann
Viele denken bei Begegnungen sicher auch an die Tierwelt Afrikas: Löwen, Elefanten, Zebras, Nashörner, … Leider gab es für Wiebke viel weniger Tiere zu erspähen als erwartet, denn durch globale Krisen schrumpfen die Populationen in weiten Teilen Afrikas stark. Lediglich in Namibia sah die Abenteurerin wild lebende Elefanten, Giraffen, Zebras und Oryxantilopen. Ein Elefant ist Stammgast am Pool eines Campingplatzes. Er kommt, um zu trinken.
Natürlich gab es auch in anderen Ländern wilde Tiere zu entdecken, etwa Schimpansen, Warzenschweine und imposante Vögel. Und es gehört auch immer Glück dazu, Tiere zu sehen.
Apropos Glück. Von Krankheiten blieb Wiebke Lühmann weitestgehend verschont. Eine Erkältung in Marokko und kleinere Lebensmittelvergiftungen waren das Schlimmste. Malaria blieb ihr dank Prophylaxe und Vorsichtsmaßnahmen erspart. In Hotelzimmern wurden penibel alle Mücken erlegt. Wenn das nicht möglich war, blieb nur, das Zelt im Zimmer aufzubauen.
In Ländern wie Ghana, Togo, Benin, Kamerun und Kongo gibt es Tourismus-Visa, die 30 Tage gültig sind. Das heißt, diese Länder müssen wieder verlassen sein, wenn die 30 Tage um sind. Manchmal war das leicht, in anderen Ländern konnte es schonmal knapp werden für Wiebke und ihren Reisegefährten. Besonders dann, wenn sie nicht die schnellste Route gewählt haben, sondern eine, die sicherer erschien. So kam es in Nigeria, Kamerun und Kongo vor, dass sie in den sauren Apfel beißen mussten, um die Grenze rechtzeitig zu erreichen. Taxi oder Bus war angesagt.
Von Kongo aus ging es in eine Enklave, die zu Angola gehört. Und dann wurde es spannend, denn für das nächste Land, die Demokratische Republik Kongo, wäre das nächste Visum notwendig gewesen. Doch rund 40 Kilometer Wegstrecke waren den Aufwand und das Geld kaum wert. Mit einer Personenfähre von Angola nach Angola ließen sich die 40 Kilometer gut umschiffen.
In Namibia ändert sich vieles. Nicht nur, dass hier viel deutsch gesprochen wird. Eine große Veränderung ist, dass Filmemacherin, Fotografin und Freundin Fabienne Engel gemeinsam mit ihrem Partner zum Reise-Duo dazu stößt. Kurz darauf verabschiedet sich Julien, dem es zu viel Tumult mit so vielen Leuten ist.
Durch Namibia folgte Wiebke über hunderte Kilometer einer Gravelstraße, die häufig einem Waschbrett glich. Hinzu kam stetiger Gegenwind, so dass 60 Kilometer einen ganzen Tag dauern konnten.
Und dann war sie da. Die letzte Grenze. Die Grenze von Namibia nach Südafrika. Bei Alexander Bay, direkt am Atlantik, reiste Wiebke Lühmann in das letzte Land auf ihrem Trip ein. Hier wartet eine weitere Veränderung, naja, 100 Kilometer später in Steinkopf. Ich stoße dazu, Sandra Schuberth.
Es war lange geplant, dass ich sie irgendwann ein Stück begleiten werde, dafür sollte der Jahresurlaub drauf gehen, um meine Freundin zu besuchen und ein Stückchen zu begleiten. Eigentlich im Mai, Cote d’Ivoire. Doch die Zeitpläne haben nicht zusammengepasst. Also wurde mein Besuch aufgeschoben. Südafrika schien eine gute Alternative. Ich habe mir einen Flug nach Kapstadt gebucht - und wir uns einen gemeinsamen Rückflug. Im Vorfeld habe ich ein Rad organisiert, welches ich mir in Kapstadt leihen konnte - ein Standert Erdgeschoss inklusive Bikepacking-Taschen. Welch Luxus!
Ich war wahnsinnig aufgeregt, mit dem Bus nach Springbok, gut 600 Kilometer nördlich von Kapstadt zu fahren. Aber alles hat geklappt. Erleichterung. An der Bushaltestelle holten Wiebke und Fabienne mich mitten in der Nacht ab, leichter Regen, kalt.
Aufregend war auch, wie es wohl sein würde, Wiebke nach über einem Jahr wiederzusehen, wie es wohl sein würde, mir ihr unterwegs zu sein, in einem mir völlig fremden Land auf einem mir völlig fremden Kontinent. Wiebke hat so viel Erfahrung im Gepäck, Wiebke hat so viel Mut bewiesen, Wiebke hat so viel erlebt.
Stück für Stück fällt meine Anspannung ab und ich komme an. Es ist schön, gemeinsam unterwegs zu sein, ihren Geschichten zu lauschen und ein kleiner Teil davon zu werden.
Nach ein paar Tagen zu zweit schließt sich auch die Filmcrew wieder an, die um ein weiteres Mitglied gewachsen ist. Neben stetigem Vorankommen an der Atlantikküste wird überlegt, was noch gefilmt werden muss, um die Doku perfekt zu machen.
Täglich werden Pläne gemacht, Pläne verworfen, neue Pläne gemacht. Gibt es nochmal einen Pausentag? Ja? Nein? Vielleicht? An welchem Tag soll die Ankunft sein?
Und dann ist Kapstadt plötzlich in greifbarer Nähe - damit auch das Kap der Guten Hoffnung. Die Kilometerangaben nach Kapstadt auf den Verkehrsschildern sinken vom Dreistelligen ins Zweistellige. Auf dem Weg in die Stadt begegnen wir ein paar von Wiebkes Fans. Einige Kilometer lang fahren wir gemeinsam mit dem Vater-Tochter-Gespann aus Italien in Richtung Kapstadt. Aber der Moment der Ankunft in der Stadt und später am Kap soll ihr allein - und den Freunden an ihrer Seite - vorbehalten bleiben. Nach einer Pause machen wir uns auf die letzten knapp 80 Kilometer mit knapp 1000 Höhnemetern. Der Wind will auch, dass Wiebke heute das Ziel erreicht, er schiebt jeden Anstieg hoch. Wir fliegen praktisch in Richtung Kapstadt der Guten Hoffnung.
Ich kann nur erahnen, was jetzt nach der 430-tägigen Reise alles durch Wiebkes Gedanken- und Gefühlswelt wuseln muss. Sicher ist es ein wilder Mix aus Gefühlen, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht in Worte zu verfassen mag. Sie berichtet von Flashbacks - die vielen Grenzübergänge, aber auch Begegnungen unterwegs kommen ihr in den Kopf.
Am Ende fahre ich voraus. Der Moment der Ankunft gehört ihr ganz allein.
Foto- und Videoaufnahmen werden gemacht und dann muss es schnell gehen, damit wir rechtzeitig wieder aus dem Naturschutzgebiet raus sind, denn wer zu spät ist, muss Strafe zahlen. Wir legen eine Punktlandung hin.
Ein Jahr geht nicht ohne Hochs und Tiefs vorbei. Die Kontraste zwischen Arm und Reich beschreibt Wiebke Lühmann als stets präsent. Heimweh und Kulturschocks, die vielen Grenzgänge und unendlich weite Horizonte fordern die Bikepackerin - und formen sie. Nach rund 15.000 Kilometer, im Süden des Kongos empfand sie ihr Ziel noch immer weit entfernt, plötzlich kamen große Zweifel. Eine große Leere breitete sich aus, die Freude am Reisen war verschwunden. Doch statt abzubrechen tankte sie 10 Tage lang neue Kraft, schmiedete neue Pläne und begab sich so auf die letzten rund 5000 Kilometer. Zum Jahrestag berichteten wir von diesem Tiefpunkt.
Die letzten drei Länder ihrer Reise, Angola, Namibia und Südafrika boten spektakuläre Landschaften, wilde Tiere und fühlten sich auch viel leichter an. Auch wegen der Freunde aus der Heimat, die zu Besuch kamen, um die letzten Kilometer zu begleiten.
“Nun bin ich in Kapstadt angekommen. Mit meinem gepackten Rad, voller Geschichten und Erinnerungen an die Menschen, Tiere und Natur. Es war eine unvergessliche Reise, geprägt von Gastfreundschaft, Challenges und einem Traum, der keiner bleibt: über Land von Freiburg bis ans Kap der Guten Hoffnung radeln, an einen Ort, der für so lange Zeit unerreichbar schien.”
Jetzt ist Zeit, all die Eindrücke zu erinnern, all die Erfahrungen zu sortieren, all die Gefühle zu fühlen. Wer weiß, wann Wiebke Lühmann auf ihre nächste Reise aufbricht. Ideen dafür gibt es schon.