Radsportszene MallorcaDie Eingeborenen

Tim Farin

 · 31.07.2024

Wahrzeichen und Fixpunkt des Radsports auf Mallorca: Cap Formentor
Foto: Ulrich Stamm/Geisler-Fotopress
Für viele Radsportler ein Traumziel, für einige die Heimat: vier Menschen aus Mallorcas Radsport-Szene.

Vielen zentraleuropäischen Rennradlern ist Mallorca so sehr zur zweiten Radsport-Heimat geworden, dass sie dort vermeintlich jeden Winkel kennen. Doch selbst wer häufig zum Training auf die Insel fliegt, wer die attraktivsten Routen im Tramuntana-Gebirge und an der Küste kennt, kommt als Tourist nur selten mit den lokalen Radsportlern ins Gespräch. Dabei gibt es, abseits der florierenden Szene von Treffpunkten, Radvermietern und schicken Markentreffs an Touristenorten, auch den klassischen Vereinssport und jene Clubs, die sich vor allem aus der balearischen Bevölkerung rekrutieren. “Was wir nicht mögen, ist, wenn Leute nicht grüßen”, sagt Inés Bauzá, die seit ein paar Jahren und inzwischen ambitioniert Rennrad fährt und eine geborene Mallorquinerin ist. Sie beobachtet das Verhalten oft bei Touristen. Auch hört man immer mal, dass die Ausländer sich auf den Straßen aufführten, als gäbe es nur sie: Dreierreihe auf der Landstraße, Selfies auf der Gegenspur – es ist halt Urlaub. Aber grundsätzlich sehen die Gesprächspartner dieser Geschichte eher das Positive.



Die Radgäste seien eine Bereicherung, sagt Bauzá, sie brächten mehr Räder auf die Straßen und ins Bewusstsein der Mallorquiner, das fördere den Sport und mit den Athleten komme auch ein niveauvollerer Tourismus. Inés Bauzá gehört seit dem vergangenen Winter dem Vorstand des balearischen Radsportverbands an. Etwa 3000 Menschen sind darin organisiert, die Insel hat weniger als 900.000 Einwohner. Zum Vergleich: Der BDR hat knapp 150.000 Mitglieder. Somit ist der Radsport auf der Insel deutlich stärker organisiert, wenn es um Mitglieder im Verhältnis zur Bevölkerungszahl geht. Eine Mitgliedschaft ist die Voraussetzung, um an den Rennen und Ausfahrten der Clubs teilnehmen zu können. “Das ist eine sehr gute Zahl”, sagt Xisco Lliteras, Direktor des jährlichen Rennens Mallorca 312. “Man muss bedenken, dass der weit größere Teil den Sport ohne Lizenz betreibt.” Dass die heimische Szene blüht, kann er mit einer weiteren Zahl belegen: 2200 der 8000 Teilnehmer der Inselrundfahrt sind Mallorquiner. Wir haben einige von ihnen getroffen.

Juan Garrido Moreno | Illes Cycling Club

Juan Garrido Moreno, der Chef des Illes Cycling Club aus Marratxi, einem Vorort von PalmaFoto: Tim FarinJuan Garrido Moreno, der Chef des Illes Cycling Club aus Marratxi, einem Vorort von Palma

“Wir haben ein Geheimnis”, sagt Juan Garrido Moreno, der Chef des Illes Cycling Club aus Marratxi, einem Vorort von Palma. Ob beim heimischen Mallorca 312, beim Rennen auf der Nachbarinsel Menorca oder gar auf dem Festland: Der Illes Cycling Club ist immer da. Den Ehrgeiz seines Clubs bezieht er allerdings nicht auf das Abschneiden in den Rennen. “Wir haben häufig die ältesten Teilnehmer oder die jüngsten, die größte Gruppe – aber wir sind nie die schnellsten.” Garrido Moreno ist begeisterter Radfahrer, Vater dreier Kinder, der eigentlich noch einen Sohn hat, wie er im Scherz sagt: den Radclub, den er vor sieben Jahren als Nebeninitiative eines Fitnessstudios gründete. Als ein neuer Eigentümer übernahm und Garrido Moreno als Geschäftsführer behalten wollte, sagte er: “Du kannst mich nur haben, wenn du auch mein Kind behältst.” Das Areal mit Café, Indoor- und Outdoor-Anlagen ist Heimat des Clubs geblieben. “Wir haben keine hohen Kosten, brauchen keine Mitgliedsbeiträge für den Radclub”, verrät der Gründer.

Inzwischen ist aus der Initiative ein eingetragener Verein geworden. Der Vereinschef betont den integrativen Charakter, mehrere Menschen mit Autismus hat man integriert. Knapp 130 Mitglieder hat die Sektion, sie kommen nicht nur aus Palma, sondern beispielsweise auch aus Calvià im Westen der Insel. “Höchstens 20 von uns betreiben Radsport als Wettbewerb, der Rest macht es touristisch”, sagt Garrido Moreno. Er ist ein sprudelnder Typ, der auf der Ausfahrt von Marratxi zum Velodrom in Sineu gute Laune ausstrahlt, erzählt, die Gruppe zusammenhält. Man plaudert und lacht viel, unterwegs teilt sich das Fahrerfeld. Auf vier Niveaus sind die Mitglieder unterwegs, von der Einführung in die Handzeichen und das Gruppenfahren bis zum sehr sportlichen Stil geht die Abstufung, dreimal pro Woche gibt es Ausfahrten.

Trotz der euphorischen Stimmung sieht Garrido Moreno seine Heimatinsel nicht als Paradies für Radfahrer: In der Nähe von Valencia, in Calpe oder auch auf Menorca gebe es deutlich bessere Infrastruktur und mehr Rücksichtnahme. “Wir hatten bessere Ausgangsbedingungen, aber wir haben unser Potenzial nicht genutzt”, bilanziert er. Der Geschäftsführer des Fitnessclubs blickt kritisch auf die teils aggressive Stimmung auf den Straßen, auf mangelnde Nachhaltigkeit beim Radtourismus und auch auf die Tatsache, dass man Veranstaltungen wie Mallorca 312 aus Palma verdrängt habe. Überhaupt ist der Tourismus aus seiner Sicht Fluch und Segen. Er schätzt ihn sehr, aber die unregulierten Seiten – denen möchte er als Radler nur entkommen. Nach Sa Calobra, wo er gern fährt, traut er sich deshalb nur im Winter, wenn keine Busse und Mietwagen die Abfahrt verstopfen.

David Muntaner | Ex-Weltmeister und Radcafé-Besitzer

David Muntaner, Ex-Weltmeister und Rad-Café-BesitzerFoto: Tim FarinDavid Muntaner, Ex-Weltmeister und Rad-Café-Besitzer

Als der 40-jährige David Muntaner vor knapp drei Jahrzehnten in seinem Heimatdorf Estellencs bei Palma mit dem Radsport anfing, da war noch weit weniger los auf Mallorcas Straßen. “Damals hat man kaum Touristen gesehen, weniger Mallorquiner und nur ein paar Profis auf der Insel”, erinnert er sich an die Anfänge auf dem Rad. Sein Vater, ein Radsport-Fan ohne eigene sportliche Erfahrung, gründete den Club, um Muntaner beim Weg in den Radsport zu helfen. Es war kein ungewöhnlicher Weg, erinnert sich der spätere Bahnweltmeister, der Radsport hatte damals schon einen guten Stand. “Doch seither ist er 500 Mal größer geworden”, sagt er in seinem Rennradcafé Cycling Planet in Alaró, einem kleinen Städtchen im Herzen der Insel. Der Laden ist ein Treffpunkt, der gleichermaßen die Touristen mit Liebe zum Profisport anzieht und die lokale Bevölkerung. Muntaner glaubt, dass der Touri-Boom auch die Mallorquiner in Schwung gebracht hat. “Sie haben vom Auto aus all die Rennradfahrer gesehen und das auch ausprobieren wollen”, sagt er. “Und dann kam die Pandemie, die hat hier auch sehr viele Leute aufs Rennrad gebracht.”

Die Mischung aus Radwerkstatt und Café mit Shop hat Muntaner 2012 eröffnet. Es war sein Weg, um nach der Bahnrad-Karriere und Olympia in London eine neue Existenz zu starten. “Wir haben sehr klein angefangen und sind dann mit dem Markt gewachsen”, erinnert er sich. Die Eröffnung ist nur ein gutes Jahrzehnt her, aber damals habe man in Alaró kaum Radler gesehen. Anfangs hatte er dann vor allem lokale Kundschaft. Heute vermietet sein Laden Räder, lockt Touristen in den Ort und bedient gleichzeitig weiterhin die örtliche Bevölkerung. Allerdings sehe er große Unterschiede. “In der Hochsaison im Frühling und Herbst ist der Laden immer voll, 80 Prozent sind Touristen”, sagt Muntaner. Die Mallorquiner würden dann oft gar nicht erst versuchen, bei ihm ein Bier zu trinken. Sie kommen eher im Winter. Die Werkstatt, in der sein Bruder Alberto schraubt, bedient auch nicht nur Rennradkunden. Das knüpft an eine Geschichte an, von der der Eigentümer anfangs gar nichts wusste. “Ein paar Jahre nach der Eröffnung kam jemand zu mir und sagte: Das hier war früher eine Autowerkstatt, in der auch die Räder von Alaró repariert wurden”, erzählt Muntaner. “Ich finde es wirklich cool, dass wir 50 Jahre später das Gleiche machen.”

Inés Bauzá | Vorstandsmitglied im Radsportverband der Balearen

Inés Bauzá gehört seit dem vergangenen Winter dem Vorstand des balearischen Radsportverbands anFoto: Tim FarinInés Bauzá gehört seit dem vergangenen Winter dem Vorstand des balearischen Radsportverbands an

Es ist noch gar nicht lange her, dass Inés Bauzá in den Radsport fand. Während der Coronapandemie hatte sie irgendwann genug davon, immer nur zu laufen. Die Inspiration lag auf der Hand. “Wenn du hier keinen Nachbarn hast, der Radsport betreibt, dann einen Neffen oder Onkel”, sagt die Reittherapeutin aus Palma. Die 36-Jährige schloss sich dem Illes Cycling Club an, denn ihr war es wichtig, einen sozialen Club zu finden. Schnell engagierte sie sich nicht nur im Verein, sondern rückte im vergangenen Jahr auch in den Vorstand des Radsportverbands der Balearischen Inseln auf. Dort ist Bauzá zuständig für die Radtouristik und auch für die Förderung des weiblichen Radsports. “Wir sind noch weit davon entfernt, ausgeglichene Zahlen zu haben, der Radsport ist hier immer noch hauptsächlich männlich – aber wir kommen Jahr für Jahr weiter beim Anteil der Frauen.” Konkret heißt das zum Zeitpunkt der Recherche, dass 256 von knapp 3000 Mitgliedern des balearischen Verbands weiblich sind. Bislang fuhr die Mehrheit der Frauen in Wettkämpfen auf C-Niveau mit, der untersten Lizenzstufe bei den Radrennen auf der Insel. “Seit wenigen Jahren gibt es aber auch eine Rennserie nur für Frauen“, berichtet Bauzá. Acht Termine hat diese Serie, sie dauert bis Ende August an. “Außerdem gibt es immer mehr Frauen, die wirklich stark fahren, das erhöht auch die Wahrnehmung und lockt neue Frauen an”, sagt Bauzá. Eine Inspirationsquelle sei auch “Mavi” García, die als Mallorquinerin in der Women’s World Tour auf höchstem Niveau Erfolge gefeiert hat.

Für Bauzá, die auf dem Festland studiert hat, ist und bleibt Mallorca ein Radsport-Paradies. Und auch wenn sie auf einer Insel lebt, gibt es immer noch Neues zu entdecken. “Das Schönste, was ich auf dem Rad erlebt habe, war im vergangenen Sommer”, erinnert sie sich. Wegen der Hitze fahren viele Mallorquiner im Hochsommer ohnehin in die Nacht hinein, Clubausfahrten beginnen um sieben oder acht Uhr abends. An jenem Abend war ihr Team noch konsequenter und brach mit genug Licht an den Rädern auf in die Tramuntana-Gebirgskette, die sie mit etwa 40 Leuten in der Nacht durchfuhr. “Das war eindrucksvoll. Die Stille, die Dunkelheit”, schwärmt Bauzá.

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?

Joan Danús | Präsident des CC Artanec

Joan Danús, Präsident des CC ArtanencFoto: Tim FarinJoan Danús, Präsident des CC Artanenc

Es brauchte eine Gruppe junger Sportler, um neuen Schwung in den Radsportclub von Artà im Osten Mallorcas zu bringen. Etwa anderthalb Jahrzehnte hatte Miguel Alzamora, Bahnweltmeister von 2007 und zweimaliger Olympionike, den dortigen Verein geleitet. Der “Local Hero” versammelte die Sportler hinter sich, daraus entstand zunächst als vereinsinterner Wettbewerb das heute internationale Rennen Mallorca 312.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Doch der Verein verlor an Schwung, seine Rennen entfielen. Während der Coronakrise wollte Joan Danús, ein Ingenieur aus Artà, gemeinsam mit Freunden das Vereinsleben wieder fördern. “Eigentlich hatten wir nur zusammen Rennen fahren wollen. Da ist es kaum zu glauben, wie weit wir gekommen sind”, sagt der 28 Jahre alte Sportler, dessen Mutter und Vater Mallorquiner sind. “Wir wollten vor allem wieder Rennen organisieren”, sagt Danús, der mit seiner Freundin unter der Woche in Palma lebt. Dort arbeiten die beiden. Am Wochenende fahren sie in den Osten der Insel. Gemeinsam mit den Teamkollegen geht es zu Rennen, fast wöchentlich finden auf Mallorca oder den Nachbarinseln Rennen für Fahrer mit Vereinslizenz statt. Wochentags hält der Vereinspräsident sich nahe Palma fit, beim TOUR-Interview geht es hinaus aus dichtem Verkehr über den Coll des Vent auf ruhige Kurven im schattigen Wald. “Wir haben beschlossen, einen Schritt nach dem anderen zu machen”, sagt Danús. Dafür ging es dann ganz schön schnell. Inzwischen ist der gut 160 Mitglieder starke CC Artanenc wieder Organisator von insgesamt sechs Rennen im Jahr: Ein Einzelzeitfahren und eine Etappe des Mehrtagesrennens Primavera-Challenge veranstaltet der Club, ein Kriterium im Sommer, ein Mountainbike-Rennen und einen Cross-Wettbewerb. “Für mich war es natürlich, in den Radsport einzusteigen, er war einfach überall”, erinnert sich Danús. “Als ich jung war, war es normal, dass wir jeden Tag Fahrrad gefahren sind, aber das wird immer weniger.” Um das zu fördern, hat sein Vorstand auch wieder die Jugendarbeit vorangetrieben. Seit zwei Jahren betreibt das Team eine Fahrradschule, etwa 30 Kinder zwischen vier und zwölf Jahren sind schon dabei.

In Artà, sagt Danús, merke man, wie das Radrennen Mallorca 312 der lokalen Szene Aufschwung verliehen habe. Nicht nur Radtouristen motivieren sich für diese Veranstaltung, sie sei auch Fixpunkt vieler Vereinsmitglieder. “Für die Mehrheit der Radsportler aus unserem Ort ist es das Ereignis des Jahres”, so der Vereinschef – und darüber hinaus habe der Sport auf der Insel noch mal einen Schub bekommen. Derweil werde es zu anderen Terminen nicht einfacher, anspruchsvolle Rennen zu organisieren. Denn die Auflagen der Behörden sähen vor, dass beispielsweise keine der attraktiven Bergstrecken durch Fahrerfelder blockiert werden dürfe. Auch verlangten die Behörden immer mehr Sicherungsmotorräder, wenn das Level der Rennen hoch sei. “So sinkt die Anzahl der Rennen zwar nicht, aber das Niveau sinkt nach und nach schon”, sagt Danús, “es ist gar nicht daran zu denken, die schönen Anstiege auf unserer Insel einzuplanen.”

Meistgelesen in der Rubrik Event