Jason OsborneVom Vize-Olympiasieger im Rudern zum Radprofi

Tim Farin

 · 04.02.2024

Jason Osborne: Vom Vize-Olympiasieger im Rudern zum RadprofiFoto: Andreas Dobslaff
Interview mit Jason Osborne.
Jason Osborne hat als Ruderer bereits eine erfolgreiche Karriere hinter sich, die er mit Olympiasilber in Tokio krönen konnte. Jetzt fängt er im Radsport ganz von vorne an – und setzt sich auch im noch neuen Metier ehrgeizige Ziele.

Interview mit Jason Osborne

TOUR: Herr Osborne, im vergangenen Jahr haben Sie sich im Straßenradsport etabliert, einen neuen Vertrag gesichert. Wie bilanzieren Sie Ihre zweite Sportlerkarriere bisher?

Jason Osborne: Ich bin immer noch dabei, mich einzufinden, nach und nach meine Stärken zu entdecken. Ich hatte mich nach einem größeren Coup gesehnt, doch der ist 2023 ausgeblieben. Ich war zwar bei der Vuelta, aber auch da hatte ich mir mehr erhofft. Andererseits bin ich richtig gute Rennen gefahren, die mir auch Selbstvertrauen und Mut gegeben haben.

TOUR: Welche waren das?

Jason Osborne: Die Tour of Austria hat mir gezeigt, dass ich auf diesem Niveau erfolgreich sein kann. Ich war vorher im Höhentrainingslager. Bei der Dauphiné und der Tour de Romandie war der Motor noch nicht richtig da, aber das war in Österreich anders. Da war ich auch am fünften Tag noch richtig frisch und habe persönliche Bestleistungen gebracht. Das war das Niveau, um ganz vorne mitzufahren – gegen Leute wie Pavel Sivakov. Leider habe ich das Level bei der Vuelta nicht mehr erreicht.

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TOUR: Von außen sieht es aber doch sehr erfolgreich aus. Was erhoffen Sie sich denn, was besser laufen soll?

Jason Osborne: Ich möchte das Niveau wieder bringen, das ich schon gezeigt habe. Dass es zwischendrin mal Formabfälle gibt, ist klar. Aber ich ziele schon darauf, das Grundniveau anzuheben und stabil zu halten über die Saison. Ich muss auch noch lernen, mit den schwierigen Tagen umzugehen. Das ist im Radsport sehr wichtig. Das definiert die guten Fahrer. Wenn diese Leute merken: “Oh, ich hab keinen guten Tag.” Sie schalten dann den Kopf ab und fahren trotzdem.

TOUR: Bekommen Sie mit Ihrem neuen Vertrag auch eine neue Rolle im Team?

Jason Osborne: Nein, jetzt erst mal nicht. Ich bin glücklicherweise in einem guten Team, das sich eher in Richtung klassisches Sprinterteam entwickelt. Ich denke, bei weniger flachen Rennen werde ich meine Freiheiten haben, wie 2023 in Österreich. Da kann ich mich nicht beklagen. In Teams, die auf Gesamtwertung fahren, hätte ich weniger Freiheiten.

Ich bin richtig gute Rennen gefahren, die mir auch Selbstvertrauen und Mut gegeben haben. - Jason Osborne

Vom Ruderer zum Radprofi

TOUR: Ist der Umgang mit Rückschlägen für Sie neu gewesen?

Jason Osborne: Ja, das war anders als beim Rudern. Da war ich eigentlich immer Mitfavorit. Wenn ich nicht krank war oder angeschlagen, hatte ich immer Podiumschancen. Der Radsport hat viel mehr Faktoren, die über das Ergebnis entscheiden.

TOUR: Mehr Zufall? Mehr Menschen, die mitmischen?

Jason Osborne: Nennen wir es Rennszenarien oder auch die Art, wie Rennen unterschiedlich gefahren werden, welche Teams wie arbeiten. Das ist mental anspruchsvoller als Rudern, auch weil einfach viel mehr Zeit zum Denken ist. Ruderrennen dauern nur sechs Minuten. Da bleibt eigentlich keine Zeit zum Überlegen. Auf eine Attacke musst du antworten. Auf dem Rad hat man viel mehr Zeit. Es gibt verschiedene Gruppen. Es gibt unterschiedliche Rennsituationen und Teams, die die Ausreißer zurückholen.

TOUR: Haben Sie das Gefühl, dass Sie das Geschehen im Peloton schon gut durchschauen?

Jason Osborne: Grundsätzlich ja. Na gut, manchmal gibt es Überraschungen. Aber oft ist das Schema der Rennen gleich, damit kann ich umgehen. Was ich gut gelernt habe, ist das Positionieren. Da entscheidet auch die Form. Wenn sie gut ist, finde ich leichter die richtigen Positionen. Wenn sie nicht gut ist, gerät man eher aus der Ruhe und verpasst vielleicht den Anschluss. Bei der Großglockner-Etappe in Österreich hatte ich das Gefühl, das Rennen richtig gut zu überblicken. Da habe ich sogar in der Abfahrt ein bisschen rausgenommen, weil ich sicher war, dass ich später locker wieder an die Spitze ranfahre. So brauche ich nicht jedes Risiko einzugehen.



TOUR: War es ein Risiko für Sie, die Sportart zu wechseln und auf den Straßenradsport zu setzen?

Jason Osborne: Verträge sind im Radsport bei Weitem nicht garantiert, vor allem nicht in der World Tour. Deshalb war das schon riskant. Ich habe zuerst den Cut mit dem Rudern gemacht und dann gemerkt: Jetzt wird es ein bisschen schwierig. Nach meinem ersten Praktikum bei Quick-Step hatte ich keinen Vertrag. Da saß ich zwischen den Stühlen. Ich war fest entschlossen, weiter Sport zu machen. Dann habe ich gedacht: Ich setze doch wieder auf Rudern, auf Olympia in Paris. Solch ein Ziel ist mir wichtig. Und dann kam, im Februar 22 im Ruder-Trainingslager, der Anruf von Alpecin-Deceuninck. Da wurde mein größter Wunsch wahr.

TOUR: Dennoch hätte der Radsport ein kurzer Ausflug sein können. Waren Sie da nicht besorgt?

Jason Osborne: Ich habe mir da nicht so einen Kopf gemacht. Klar, beruflich war das ein Schritt. Aber für den Sportler in mir war das Risiko überschaubar. Ich hatte schon eine Olympiamedaille, was immer mein größtes Ziel gewesen war. Ich habe neue Motivation gesucht. Gerudert war ich, seit ich zehn war. Jetzt brauchte ich was Neues. Zumal nach den Spielen in Paris das Leichtgewichtsrudern aus dem Olympia-Programm genommen wird. Da gab es nicht mehr viel Perspektive für mich. Dennoch werde ich den Rest meines Lebens in der Ruder-Community verankert sein.



TOUR: Bei der Deutschen Radsportmeisterschaft 2019 traten Sie erstmals an, im Zeitfahren. Kannte Sie da irgendjemand?

Jason Osborne: Nur ein paar Insider kannten mich von Strava, wegen meiner KOMs dort. Ich war überhaupt nicht Teil der Szene. Für die Leute vom Verband war ich unbekannt. Damals wollte ich mich einfach neben dem Rudern ein bisschen ausprobieren, ein bisschen zeigen. Das ging aber nur im Einzelzeitfahren. Ein Straßenrennen wäre zu riskant gewesen, weil ich immer in der Vorbereitung auf Ruder-Wettbewerbe war. Ich habe beim Radsport die sichere Variante gewählt, um reinzukommen. Das galt auch fürs E-Cycling – und da hatte ich plötzlich Aufmerksamkeit.



TOUR: Sie wurden erster Weltmeister. Hatten diese virtuellen Rennen irgendeine Ähnlichkeit mit dem, was Sie jetzt als Profi machen?

Jason Osborne: Ich glaube schon, beides hängt stark miteinander zusammen. Das darf man nicht unterschätzen. Schließlich hat mein aktuelles Team auch ein Auge darauf, was die Leute auf Zwift machen. Da sind sie sehr weit vorne mit dabei. Ich finde, dass die sportlichen Leistungen beim E-Cycling ansonsten unterschätzt werden. Der Radsport wirkt insgesamt noch ein bisschen oldschool, wenn es etwa ums Entdecken von Talenten geht.

TOUR: Wäre es für Sie denkbar, mit E-Cycling auch richtig Geld zu verdienen?

Jason Osborne: Das war am Anfang weniger mein Gedanke. Ich habe eher gesehen, dass da eine offizielle WM war, also wirklich etwas Großes mit Medaillen vom Weltverband. Ich sehe auch noch nicht, dass sich damit wirklich Geld verdienen lässt. Die Sache ist noch im Kommen. Ich hoffe, dass sich dort ein echter Profisport etabliert. Momentan ist es aber auch ein Auffangbecken für Leute, die nicht die Chance bekommen, sich in der World-Tour zu behaupten.

TOUR: Als Sie 2021 das erste Mal in einem Profiteam mitfahren durften – was hat Ihnen da gefehlt?

Jason Osborne: Am Anfang sprang ich ins kalte Wasser, mir fehlte die Erfahrung in allen Situationen – außerdem war ich physiologisch nicht vorbereitet auf den Sport. Rudern hatte ich gelernt, da war jeder Handgriff eingespielt. Aber ich hatte im Radsport keine Wurzeln, war da in keiner Weise reingewachsen. Ich kam im Sommer aus der Rudersaison auf die Straße. Das war schon hart. Ich konnte mich bei Quick-Step dann auch nicht durchsetzen.

TOUR: War es im Development-Team bei Alpecin-Deceuninck einfacher?

Jason Osborne: Nein, im Gegenteil. In meinem ersten Rennen bin ich gestürzt, ich glaube zusammen mit Pascal Ackermann. Wir waren schnell unterwegs, vielleicht 60 km/h, und ich hatte zum Glück nur leichte Schürfwunden. Ich dachte: Hier geht’s zur Sache, hier ist Krieg. Dann bin ich beim Rennen in Leuven in einen Stacheldrahtzaun gestürzt, mit dem Kopf, es hat extrem geblutet. Aber es ging schon bald wieder weiter mit Rennen, mit Crashs. Das war krass.

TOUR: Wann hatten Sie denn das Gefühl, dass es doch besser laufen könnte?

Jason Osborne: Schon bald. Nachdem mich mein heutiges Team im Februar 2022 angerufen hatte, habe ich mir Zeit genommen. Ich habe mich in Köln mit dem Trainingsexperten Lukas Löer spezifisch auf meine Aufgabe vorbereitet und war wirklich fit. Ich war mit dem Team dabei, als wir bei einer kleinen Nachwuchsrundfahrt gewannen. Das war gut fürs Selbst vertrauen. Beim Arctic Race of Norway hatte ich dann selbst Chancen auf den Gesamtsieg – nur riss mir am Rad die Kette.

Jason Osborne wurde 2021 Vize-Olympiasieger im Rudern und ist nun Radprofi bei Alpecin-Deceuninck.Foto: Andreas DobslaffJason Osborne wurde 2021 Vize-Olympiasieger im Rudern und ist nun Radprofi bei Alpecin-Deceuninck.

Ziele im Radsport

TOUR: Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich heute sicher im Peloton bewegen können – zwischen all denen, die seit zehn, 15, 20 Jahren auf dem Rad sitzen?

Jason Osborne: Ich denke, dass ich viele Dinge gelernt und adaptiert habe. Ich weiß, wie ich sicher nach vorne komme. Am Anfang bin ich gestürzt, weil ich zu weit außen und zu dicht hinter den Leuten vor mir fuhr. Ich bin gestürzt und habe daraus gelernt, dass man den Blick immer überall haben muss: Wie ist der Straßenbelag? Was macht der Vordermann? Wo geht es als Nächstes hin?

TOUR: Die anderen haben diese Wahrnehmung über viele Jahre trainiert. Wie gelingt es, diesen Rückstand aufzuholen?

Jason Osborne: Ausprobieren, Risiko gehen. Ich schalte den Kopf an, stelle mir in Rennsituationen kleinere Aufgaben, setze mir Ziele und riskiere dafür was. Bei der Vuelta habe ich mir in einer sehr schwierigen Rennsituation nach einem Crash das Ziel gesetzt, nach vorne zu fahren und einer wahrscheinlichen Attacke folgen zu können. Das hat geklappt und ich hatte sofort das Gefühl: Aha, geht doch.

TOUR: Anpassen müssen Sie aber auch Ihren Körper: Der Oberkörper muss schmaler, die Beine kräftiger werden. Und Sie wollen leichter werden. Wie läuft das?

Jason Osborne: Ich merke, dass die Schultermuskulatur schon deutlich zurückgegangen ist, glücklicherweise auch die Arme. Aber klar, dafür werden die Beine stärker, die Masse bleibt also schon erhalten. Ich hatte gehofft, schneller abzunehmen.

TOUR: Wie viel wollen Sie denn loswerden?

Jason Osborne: Zwei, drei Kilo wären gut. Aber das ist auch kompliziert, da kann man viel falsch machen. Letzte Saison hatte ich ein richtig gutes Gewicht vor der Klassikersaison, aber noch nicht die Form. Vor der Vuelta bin ich richtig hart in eine Diät gegangen, aber bis zum Start hat das nicht gereicht. 67, 68 Kilo sind für mich gut. Am Ende der Vuelta hatte ich die auch. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich das nicht lange halten kann. Es ist eine Frage des Timings, der Abstimmung auf die Saisonziele.

TOUR: Sie waren nicht zufrieden mit Ihrer Leistung bei der Vuelta – dabei hatten Sie doch eine der drei großen Rundfahrten bestanden …

Jason Osborne: Ich hatte mir vielleicht zu hohe Ziele gesteckt. Ich wollte um einen Etappensieg mitfahren. Ich spürte, dass das nicht einfach werden würde. Ich habe es trotzdem jeden Tag versucht und gemerkt, dass die Höchstform nicht da war. Dann habe ich einen Cut gemacht und gesagt: Es geht nur noch ums Team, um das Grüne Trikot für Kaden Groves. Das hat geklappt, damit war ich dann auch happy.

TOUR: Führen Sie jetzt ein Traumleben?

Jason Osborne: Ich muss schon sagen: Es ist auch sehr hart. Ein bisschen mehr eigenen Erfolg hätte ich mir schon erhofft. Aber das kann ja noch kommen…

TOUR: Sie haben sich gegen Ihren erlernten Beruf als Bankkaufmann entschieden und für den Radsport. Bereuen Sie Ihre Wahl manchmal?

Jason Osborne: Nein! Ich genieße das Leben, in dem ich keinen Nine-to-five-Job habe. Was ich gerade mache, ist speziell und geht nicht ewig. Es motiviert mich, wenn ich besser werden kann und mich auch mit den Besten der Welt messe. Das schätze ich sehr.

Ich muss schon sagen: Radsport ist auch sehr hart. Ein bisschen mehr eigenen Erfolg hätte ich mir schon erhofft. Aber das kann ja noch kommen. - Jason Osborne

Zukunftspläne

TOUR: Sie haben die olympischen Ringe auf dem Arm tätowiert. Wäre es ein Thema für Sie, auch auf dem Rad 2024 zu Olympia zu fahren?

Jason Osborne: Schwierig. Ich würde schon gerne noch mal zu Olympia. Aber das wäre Glückssache. Vielleicht ginge es mit ein paar guten Ergebnissen im Zeitfahren, aber es ist eher unwahrscheinlich. Im Einzelzeitfahren arbeite ich noch mal verstärkt, auch im Windkanal. Bei der Deutschen Meisterschaft 2023 hatte ich das Gefühl, dass ich gegenüber der Konkurrenz Rückschritte gemacht habe. Das soll nicht noch mal passieren. Ich habe das Potenzial, gerade für längere Zeitfahren – das habe ich schon gezeigt.

TOUR: Sie haben jetzt einen Zweijahresvertrag. Das ist ein relevanter Sprung. Was haben Sie sich für diese nächste Phase an Zielen vorgenommen?

Jason Osborne: Natürlich eigene Ergebnisse, so wie in Österreich. Ich will häufiger vorne mit dabei sein. Bei der Vuelta hatte ich das Gefühl, dass das Niveau der anderen sehr hoch war – aber das kann man auch als Ausrede nutzen. Denn hinterher habe ich gesehen, dass meine Werte in den Rennen eben oft auch nicht so gut waren. Es geht für mich also darum, konstanter das Top-Niveau zu erreichen, stabiler zu sein. Dann bin ich in der Lage, mit den Besten mitzufahren.

TOUR: Gibt es Traumrennen für Sie, bei denen Sie Zeichen setzen möchten?

Jason Osborne: Die Klassiker liegen mir, auch der Klassiker in San Sebastian. Das sind Rennen mit kürzeren Anstiegen von maximal zehn Minuten Dauer. Ich gehe mal davon aus, dass ich da auch mal eine Chance bekomme. Und bei den Rundfahrten möchte ich mal meine Gelegenheiten nutzen, mich auch in die Ausreißergruppen zu begeben. Da muss ich aber vor allem lernen, cooler zu sein, nicht direkt zu springen. Das hat mir dieses Jahr noch gefehlt.

Zur Person Jason Osborne

Jason Osborne wurde am 20. März 1994 in Mönchengladbach geboren und wohnt in Mainz. Seine sportliche Karriere begann der Deutsch-Brite als Ruderer im ehemaligen Wohnort Dorsten. Höhepunkt seiner Karriere im Boot war die olympische Silbermedaille, die er zusammen mit Jonathan Rommelmann im Leichtgewichts-Doppelzweier bei den Spielen in Tokio 2021 errang.

Seit 2017 war Osborne in einer Radsport-Trainingsgruppe des Mainzer Rudervereins von 1878 unterwegs. 2018 wurde Osborne Achter bei der DM im Einzelzeitfahren, 2019 Sechster. Sein Sieg bei der ersten E-Cycling-WM 2020 brachte ihm die Aufmerksamkeit von Teams im Profiradsport. Von August bis Dezember 2021 fuhr Osborne als Stagiaire für Deceuninck-Quick-Step, ab Juni 2022 für das Nachwuchsteam von Alpecin-Fenix, inzwischen Alpecin­-Deceuninck. Für das Team absolvierte er 2023 eine komplette Straßensaison, wurde Gesamtzweiter der Tour of Austria und beendete die Spanien-Rundfahrt auf Platz 131. Osborne ist gelernter Bankkaufmann.

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