Interview Ricarda Bauernfeind“Ich habe in diesem Jahr mehr Tränen vergossen als in meinem ganzen Leben Schweiß”

Andreas Kublik

 · 30.12.2024

Interview Ricarda Bauernfeind: “Ich habe in diesem Jahr mehr Tränen vergossen als in meinem ganzen Leben Schweiß”Foto: Getty Images/Alex Broadway
Ricarda Bauernfeind war die Aufsteigerin im deutschen Radsport 2023, als Sie mit einem Etappensieg bei der Tour de France ins Rampenlicht fuhr und ihr Potenzial als Rundfahrtspezialistin zeigte. Für das Jahr 2024 hatte die 24-jährige Radsportlerin vom Team Canyon//SRAM Großes vor – doch Anfang Mai verschwand sie aus den Ergebnislisten. Im Interview blickt sie zurück auf das Jahr.

TOUR: Ricarda, Fans und Experten hatten dieses Jahr große Hoffnungen in Sie gesetzt – nach dem Etappensieg bei der Tour de France im Vorjahr und Rang sechs bei der Vuelta im Frühjahr. Doch dann gab es nach der Itzulia Anfang Mai keine Ergebnisse mehr von Ihnen zu lesen. Wann war Ihnen klar: die Saison 2024 werden Sie abschreiben müssen?

Ricarda Bauernfeind: Ich kann mich noch an den Tag Anfang Juli erinnern: Ich wollte mit meinem Bruder Gabriel zwei Stunden Radfahren. Ich stand schon mit feuchten Augen am Start und hatte danach auf dem Rad extreme Knieschmerzen. Mein Bruder (er startet in der 2. Bundesliga im Triathlon; Anm. d. Red.) hat dann angehalten, sich vor mich gestellt und gesagt: Rica, das macht so keinen Sinn! An diesem Tag ist mir klar geworden: Es bringt nichts, gegen meinen eigenen Körper zu kämpfen. Damit war dann auch klar: Die Saison war gelaufen.

TOUR: Was war passiert?

Ricarda Bauernfeind: Nach meinem letzten Rennen, der Itzulia (Baskenland-Rundfahrt), war ich zuhause und bei einer ganz normalen Grundlageneinheit haben die Knieschmerzen angefangen. 2024 war für mich ein wichtiges Jahr mit Olympia und Tour de France. Ich wollte meine Träume und Ziele nicht einfach so aufgeben und habe deshalb die Zähne zusammengebissen. Ich bin erstmal zu Hansi Friedel und habe versucht, mit Physiotherapie das Problem in den Griff zu bekommen, habe auch versucht weiter zu trainieren, aber es war nichts Halbes und nichts Ganzes. Irgendwann ist Schicht im Schacht. Und letzten Endes haben dann mehrere MRTs (Magnetresonanztomographie; kann Weichteilverletzungen zeigen; Anm. d. Red.) gezeigt, dass die Plica (Schleimhautfalte im Kniegelenk) das Problem verursacht.

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TOUR: Wie haben Sie das Problem gelöst?

Ricarda Bauernfeind: In der Woche, in der die Tour losging, bin ich dann arthroskopisch am Knie operiert worden. Nach der OP ging es dann mit dem anderen Knie los, das ich vermutlich überlastet habe. Ich hab mich dann auch beim zweiten Knie für eine OP Anfang Oktober entschieden, weil ich einfach dem Ganzen ein Ende setzen wollte und nächstes Jahr nicht nochmal mit der gleichen Problematik rummachen wollte.

Ricarda Bauernfeind feiert im Jahr 2023 ihren Tour-Etappensieg in AlbiFoto: Getty Images/Jeff PachoudRicarda Bauernfeind feiert im Jahr 2023 ihren Tour-Etappensieg in Albi

TOUR: Sie hätten bei der Tour de France dabei sein sollen, die dann Ihre Teamkollegin Kasia Niewiadoma gewonnen hat. Wie haben Sie das Rennen verfolgt?

Ricarda Bauernfeind: Ich habe mit frisch operiertem Knie daheim vorm Fernseher gesessen und habe alles von Anfang bis Ende verfolgt. Tatsächlich habe ich es mir schwieriger vorgestellt, zuschauen zu müssen. Ich wäre gerne dabei gewesen. Aber weil mein Team so gut war, hat es trotzdem Freude bereitet.

Ich hätte es mir schwieriger vorgestellt, bei der Tour zuschauen zu müssen. Weil mein Team so gut war, hat es mir Freude bereitet

TOUR: Sie haben einen Plan B zur Radsport-Karriere. Sie haben bereits einen Bachelor in Hauswirtschaft und Sport für das Lehramt. Inwieweit hat das in der schwierigen Situation geholfen?

Ricarda Bauernfeind: Ich habe im Frühjahr den Master begonnen. Eigentlich wollte ich wegen Olympia und Tour nicht so viel im Studium machen. In den ersten Monaten war es so, dass ich nicht mal für sowas bereit war. Aber ich konnte mich dann noch kurzfristig für ein paar Sachen anmelden und Prüfungen machen, die ich eigentlich nicht geplant hatte. Das heißt, ich konnte die Zeit während der Verletzung gut nutzen. Es hat dann auch gutgetan, dass es mit dem Studium weiterging – dass ich wieder zur Uni gehen und Leute treffen konnte und dadurch Abwechslung hatte.

TOUR: Blicken wir nochmals aufs Sportliche: Wie steht es rund um Ihr Comeback zu Weihnachten 2024?

Ricarda Bauernfeind: Ich bin noch eingeschränkt und habe noch ein bisschen Problem dadurch, dass das erste Knie so geschädigt war und die Muskeln so extrem abgebaut haben. Ich bin jetzt seit circa sechs Wochen wieder zurück auf dem Rad und versuche wieder in Form zu kommen.

Hoffnung auf einen großen Auftritt: Bauernfeind bei der Präsentation der Tour 2024Foto: Getty Images/Dario BelingheriHoffnung auf einen großen Auftritt: Bauernfeind bei der Präsentation der Tour 2024

TOUR: Trauen Sie sich in der aktuellen Situation zu, Ziele für die Saison 2025 zu formulieren?

Ricarda Bauernfeind: Das primäre Ziel ist, dass ich wieder einsatzfähig bin und Wettkämpfe fahren kann, die Belastungen wegstecken kann, auch an die Grenze gehen kann, wieder voll belastbar bin. Der Formaufbau wird Zeit brauchen. Mein Ziel, mein Traum ist es, die Tour wieder fahren zu können.



TOUR: Ihr Team Canyon//SRAM zondacrypto ist jetzt mit Tour-Siegerin Kasia Niewiadoma vom Jäger zum Gejagten geworden. Was ändert das an Ihrer Rolle?

Ricarda Bauernfeind: Aufgrund der Verletzungen hat sich meine Rolle im Team schon ein bisschen verändert – ich kann derzeit nicht die Helferin am Berg sein. Ich will es aber unbedingt wieder werden, um dann auch ein Teil des Teams zu sein, dass den Titel bei der Tour verteidigt. Durch den Erfolg hat Kasia Selbstvertrauen gewonnen – sie merkt jetzt, dass sie Rennen gewinnen kann.

TOUR: Teamchef Ronny Lauke hat den Kader ordentlich verstärkt – unter anderem mit der dänischen Tour-Etappensiegerin Cecilie Uttrup Ludwig. Ihre junge deutsche Teamkollegin Antonia Niedermaier hat sich als Bergfahrerin und Zeitfahrspezialistin etabliert.

Ricarda Bauernfeind: Mit den Neuzugängen haben wir ein richtig gutes Team. Wir sind generell ein angriffsfreudiges Team. Mit Kasia und Sille (Uttrup Ludwig) sind wir bei den Klassikern noch besser aufgestellt - aber jetzt auch gut im Sprint dabei mit Chiara (Consonni) und Maike (van der Duin). Und dann sind da noch die Bergfahrerinnen mit Neve (Bradbury - Giro-Etappensiegerin auf dem Blockhaus) und Antonia (Niedermaier – Gesamtsechste des Giro). Ich glaube, das nächste Jahr wird gut für uns. Die anderen Teams haben uns auf alle Fälle auf dem Schirm.

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