TOUR: Steffen Wesemann, seit 2005 sind Sie Schweizer Staatsbürger, wie kam es dazu?
Steffen Wesemann: Es stand schon lange vorher fest, dass ich aus Deutschland wegwollte. Das hätte auch Australien sein können, aber dann hab ich meine Frau Caroline kennengelernt – und die ist halt Schweizerin. Die DDR war meine Heimat, aber nach der Wende hat sich so viel geändert, das war keine Heimat mehr für mich.
TOUR: Und was haben Sie in den vergangenen Jahren gemacht?
Steffen Wesemann: Ich habe ein paar Jahre als Lkw-Fahrer gearbeitet, dann meinen Busführerschein gemacht und bin im Liniendienst in Aarau gefahren. Aber das war echt die Hölle. Nach zehn Monaten habe ich damit aufgehört.
TOUR: Warum das?
Steffen Wesemann: Weil ich immer die Gefahr gesehen habe, dass etwas passiert. Und je später der Abend, desto mehr Stress hast du auch mit den Passagieren. Als Busfahrer bist du jedenfalls immer der Idiot.
TOUR: Und danach?
Steffen Wesemann: Ich bin jetzt seit vier Jahren als Hauswart bei der Firma ISS angestellt. Das ist super. Ich hab meinen Dienstwagen, mein eigenes Büro, da kann ich sogar meinen Hund mitnehmen. In meinem Team sind wir für verschiedene Banken zuständig. Ich bin da der Quereinsteiger und lerne jeden Tag was dazu, das ist cool.
TOUR: Viele ehemalige Profis sind dem Radsport treu geblieben. Warum Sie nicht?
Steffen Wesemann: Bin ich doch. Ich habe in der Schweiz für Lightweight gearbeitet, aber dann sind die pleitegegangen. Mit Tony Rominger zusammen war ich im Fahrermanagement aktiv. Aber das ist immer mehr ein Haifischbecken geworden, da hab ich mich dann verabschiedet. Ich hatte ein Angebot, als Sportlicher Leiter bei BMC anzufangen, aber da bist du das ganze Jahr unterwegs und weg von der Familie. Und dann hab ich noch versucht, ein eigenes Pro Continental Team aufzubauen. Was heißt: versucht? Es war alles organisiert, die Fahrer waren da. Und dann ist die ganze Geschichte aus finanziellen Gründen geplatzt.
TOUR: Seitdem haben Sie dem Radsport den Rücken gekehrt?
Steffen Wesemann: Ja, ich bin inzwischen extrem weit weg vom Radsport. Wenn es passt, guck ich im TV mal rein bei Paris-Roubaix oder der Flandern-Rundfahrt. Aber wirklich nur, wenn’s passt. Ich habe ja vor Jahren schon meinen Jagdschein gemacht – und das bedeutet mir extrem viel, da gehe ich voll drin auf. Ich sag’s ganz ehrlich: Ich bin nicht traurig darüber, dass ich nichts mehr mit dem Profi-Radsport zu tun habe. Und wenn ich die Rennen heute schaue, dann eher emotionslos.
TOUR: Wie kommt’s?
Steffen Wesemann: Ach, ich kenne die jungen Fahrer doch alle nicht mehr. Und die meisten sagen mir auch nichts. Mit ein paar Ausnahmen. Mads Pedersen zum Beispiel, der ist mir hängen geblieben. Einfach weil er ein guter Typ ist, ihm traue ich auch zu, dass er die Flandern-Rundfahrt 2024 gewinnt.
TOUR: Sitzen Sie denn selbst noch auf dem Rennrad?
Steffen Wesemann: Nee, ich hab gar kein Rennrad mehr. Und ich muss sagen, ich vermisse das auch kein Stück. Ich besitze nur noch ein E-Mountainbike, aber das steht eigentlich auch nur rum.
TOUR: Und waren Sie nach 2004 noch mal an der Stätte Ihres größten Triumphs?
Steffen Wesemann: Ja, ich bin mal das Jedermann-Rennen gefahren. Und die haben mich auch schon mal eingeladen. Aber was heißt: eingeladen? Die wollten groß die Sieger von einst präsentieren, aber Anfahrt, Hotel und alles drum herum durfte ich selbst bezahlen. Nein, danke.
TOUR: Was ist Ihnen von der Flandern-Rundfahrt 2004 noch in Erinnerung geblieben?
Steffen Wesemann: Ich war extrem fokussiert und habe absolut an meine Chance geglaubt. Am Tag vor dem Rennen habe ich mir sogar nochmal die Muur van Geraardsbergen angeschaut – obwohl ich die vorher schon x-mal gefahren bin. Aber dann lag ich nach rund 100 Kilometern schon auf der Schnauze und im Kopf war das Rennen eigentlich schon so gut wie verloren. Mein damaliger Teamkollege Stephan Schreck hat gesagt: “Los, Wese, steh auf, du packst das!” Er hat mich dann nach vorne pilotiert, ich konnte mich gemeinsam mit den beiden Belgiern Leif Hoste und Dave Bruylandts an der Muur absetzen und am Ende war ich im Sprint eindeutig der Stärkste. Das war schon das Größte in meiner Karriere.