Nicht nur der Fahrer muss fit sein für die Berge, auch das Rennrad bedarf der Vorbereitung. Teil 5 der Trainingsserie beschäftigt sich mit dem richtigen Material. Worauf kommt es an? Welches Rennrad ist ideal für den Ötztaler Radmarathon?
Unser Mann für den Ötztaler hat gut lachen – sein Rennrad ist vorbildlich leicht: Mit 7,2 Kilogramm im vollen Renntrimm liegt Joe Rammings BMC Teammachine auf dem Niveau leichter Profiräder. Angesichts der 5500 Höhenmeter, die beim Ötztaler Radmarathon zu erklettern sind, ist geringes Gewicht ein großer Vorteil. Da zählt jedes Kilo.
Neben Gewicht spielt in einem Bergmarathon auch Aerodynamik eine entscheidende Rolle (siehe auch Berechnung unten) – schließlich summieren sich beim Ötztaler die Abfahrtszeiten auf rund zwei Stunden. Ginge es für Joe um Performance und Bestzeiten, hätten wir ihm ein etwas aerodynamischeres Rad auf die Reifen gestellt. Aber Joe fährt zum Spaß und will vor allem ankommen – da ist es entscheidender, dass ihm sein gewohntes Rad, mit dem er auch gefittet wurde, sehr gut passt.
Was die Übersetzung betrifft, hatte Joe rechtzeitig vorgesorgt und sich ein neues Getriebe mit einem 1:1-Berggang gekauft. Mit 50/34- Kurbel und Ritzeln mit 11–34 Zähnen ist er gut gerüstet, lange Steigungen anzugehen. Geändert haben wir jedoch die Bereifung an seinem Rad, das jetzt mit Continentals Grand Prix 5000 in 28 Millimeter Breite und TPU-Schläuchen bestückt ist.
Sie minimieren den Rollwiderstand bei gleichzeitig sehr gutem Pannenschutz. Im unwahrscheinlichen Fall einer Panne sind die Reifen leichter zu handhaben als Tubelessreifen mit Dichtmilch. Das war Joe wichtig, der mit Tubeless keine Erfahrungen hat.
Ein Upgrade, das wir noch intensiv diskutiert haben, ist eine sogenannte Dropper-Post. Die absenkbare Sattelstütze würde bergab mehr Tempo, Komfort und Sicherheit bringen. “Fahrtechnisch habe ich noch ein paar Defizite, daher klang die Dropper-Post für mich spannend”, sagt Joe. “Aber ins BMC passt keine, und extra dafür noch ein Rad zu kaufen, schien mir übertrieben.” Pluspunkt der originalen Stütze im BMC: Sie federt definitiv besser als eine Dropper-Post.
So wird Joe mit einem gewohnten und bewährten Rad mit leicht verbesserter Sitzposition, besserem Getriebe und optimierten Reifen ins Rennen gehen.
Welche Maschine ist ideal für reichlich Höhenmeter? Das Rad sollte stundenlanges Klettern unterstützen – das heißt, dass die Sitzposition nicht die sportlichste sein sollte (immer gemessen an den eigenen Fähigkeiten). Eine etwas aufrechtere Position, wie sie Endurance-Räder bieten, ist tendenziell richtig. Aber auch eine reinrassige Rennmaschine passt, wenn stundenlanges Fahren damit keine Probleme macht.
Welches Rennrad ist auf der Strecke des Ötztaler Radmarathons am schnellsten? Ein Leichtrenner, ein normales Endurance-Rad oder ein aerodynamisches Wettkampfrad? Wir haben die Fahrleistungen mit verschiedenen Rädern am Computer simuliert:
>> Mit jedem Kilo weniger Systemgewicht reduziert sich die Gesamtfahrzeit um rund viereinhalb Minuten, bei gleicher Aerodynamik.
Joes Wettkampfgewicht von 74 Kilogramm, drei Kilo Bekleidung und Ausrüstung inkl. Flaschen; Durchschnittsleistung 140 Watt.
Unter Performance-Gesichtspunkten ist es meistens so, dass ein aerodynamisch optimiertes Rad auch bei einem Bergmarathon Vorteile bietet, wenn es um die schnellste Fahrzeit geht. Um solche Vorteile voll auszukosten, muss man aber auch ein guter Abfahrer sein. Vom geringeren Gewicht profitiert man bergauf unabhängig von der Fahrtechnik.
Die Bandbreite an möglichen Sitzpositionen ist groß und hängt nicht nur von der Radgattung, sondern auch von den persönlichen Körperproportionen und Einstellungen wie der gewählten Lenkerhöhe ab. Nicht zu unterschätzen sind die langen Abfahrten bei einem Radmarathon, die Nacken und Schulter fordern; die Überhöhung etwas zu reduzieren, schont den gesamten Halteapparat.
Sinnvoll ist es, rechtzeitig vor dem Radmarathon in langen, fordernden Trainingseinheiten (am besten in den Bergen) herauszufinden, ob sich das eigene Rad und dessen Einstellungen für ausgedehnte Klettereien wirklich eignen.
Joes Position auf seiner Rennmaschine wurde im Rahmen des Bikefittings durch kleine Maßnahmen entschärft: kürzere Sitzlänge, etwas tieferer, anderer Sattel und höher montierte Griffe. Dass das sinnvoll war, zeigte ein Frühlingstrainings-lager auf Mallorca: Dort fuhr Joe ein Leihrad – und prompt schmerzte zum Ende der Woche der Nacken.
Joe fährt seine gewohnten flachen, nur 24 Millimeter hohen und sehr leichten Laufräder DT Mon Chasseral (1266 Gramm). Die wenig aerodynamische Bauform kostet ihn Tempo in den Abfahrten, schont dafür seine Nerven, weil sie nicht so seitenwindanfällig ist. Höhere Felgen sind zwar windschnittiger, aber auch schwieriger zu steuern, weil der Fahrtwind in die Lenkung greift. Profis rasen bisweilen sogar auf 60 Millimeter hohen Felgen talwärts, die sehr nervös reagieren.
Bis zu 30 Millimeter Höhe gibt es dagegen kaum spürbare Seitenwindeffekte. Für den Bergmarathon empfiehlt sich eine Felge, die viel Vertrauen spendet, also möglichst wenig spürbare Lenkkräfte verursacht und dennoch kleine aerodynamische Vorteile bietet. Ein guter Kompromiss sind daher Felgen mit 40 Millimeter Höhe.
Das Gewicht der Laufräder ist beim Marathon kaum bedeutsamer als andere Masse am Rad, da im Bergmarathon selten hart beschleunigt wird. Die Bedeutung extraleichter Laufräder wird meist überschätzt.
Die Felgeninnenbreite beeinflusst die Gestalt des Reifens: Breitere Felgen machen den Reifen seitensteifer und erlauben niedrigere Reifendrücke – das führt zu mehr Komfort und besserer Kontrolle auf schlechten Straßen. Wer mit Felgenbremsen fährt, sollte besser auf Alu- als auf Carbonfelgen fahren, deren Bremsleistung bei Regen stark nachlässt.
Bei Scheibenbremsen (empfehlenswert in den Bergen) ist das Felgenmaterial nachrangig. Die Räder sollten gut gewartet sein (guter Rundlauf, alle Speichen mit ordentlicher Spannung). Ein statisches Auswuchten kann die Fahrt bei hohen Geschwindigkeiten beruhigen.
Das ist die Gretchenfrage. Joe votiert für TPU-Schläuche und konventionelle Reifen statt Tubeless-Reifen mit Dichtmilch. Gesetzt sind aber Top-Reifen, die leicht rollen, gut haften und sehr guten Pannenschutz bieten. Die Wahl fällt auf Continental Grand Prix 5000 in 28 Millimeter Breite – sie passen gut auf Joes recht schmale DT-Felgen (18 mm Innenmaß). Die Contis sind zwar nicht günstig, doch die Investition lohnt sich. 28 Millimeter sind auch die empfehlenswerte Mindestreifenbreite für Radmarathons wie den Ötztaler: Noch schmalere Reifen sind nachweislich weniger komfortabel, pannenanfälliger und rollen sogar schlechter.
Für den Ötztaler wären mit entsprechend breiter Felge auch 30er- oder 32er-Reifen eine gute Wahl, die in breite Felgen mit tropfenförmigem Querschnitt sogar aerodynamisch noch gut eingebunden werden können, wie die Profis zuletzt bei Paris-Roubaix gezeigt haben.
Der Luftdruck sollte an Fahrer und Bedingungen angepasst werden. Gute Luftdruckrechner haben Silca und Zipp online: Sie kommen für Joe auf Empfehlungen von 5–5,5 Bar im Trockenen, nass auf 4,6–4,9 Bar.
>> https://axs.sram.com/guides/tire/pressure
TPU-Schläuche rollen leichter als klassische schwarze Butyl-Schläuche, sind viel leichter und zugleich widerstandsfähiger. Tubeless wäre bei 28 Millimetern Breite auch eine Option, ist im Pannenfall aber schwieriger zu handhaben, da der Reifen deutlich schwieriger zu (de-)montieren ist. Tubeless rollt leichter und hat den Vorteil des besseren Durchschlagschutzes, ist gegen Schnitte je nach Bauform aber nicht immer sicherer. Die gewählten Conti-Reifen haben Pannenschutzschichten, die die Schläuche meist sehr wirkungsvoll schützen. Bei größeren Reifenvolumen, ab 30 Millimeter Breite, würden wir Tubeless-Reifen favorisieren.
Oberste Regel: Es gibt keine zu leichten Gänge. Eine 1:1-Übersetzung (das größte Ritzel und das kleinste Kettenblatt haben die gleiche Zahl an Zähnen, z. B. 34) sollte es mindestens sein, auch eine Untersetzung (das kleinste Kettenblatt ist kleiner als das größte Ritzel) ist je nach Leistung sinnvoll. Kompaktkurbeln sind heute Standard, damit ist 1:1 eigentlich immer machbar. Untersetzungen sind etwa mit Gravel-Komponenten möglich. Die Sorge, dass bergab die Gänge ausgehen, ist eher unbegründet. Joe fährt 50/34 auf 11–34, damit kann er bei 60 km/h noch locker mittreten. Nur wer um vorderste Plätze fährt, muss sich um große Gänge eventuell Gedanken machen – hat aber auch die Power, um ein länger abgestuftes Getriebe mit größeren Blättern zu fahren.
Kleine Defekte sollte man selbst beheben können, damit der Traum nicht an Banalem scheitert. Deswegen ist eine Satteltasche Pflicht. Sie sollte enthalten: Ersatzschlauch, zwei CO2-Kartuschen (oder eine Pumpe am Rad), Flicken, zwei Reifenheber, Minitool mit Werkzeugen für die gängigen Verschraubungen am Rad (Innensechskant, Torx).
Sinnvoll ist ferner ein Ersatzkettenschloss. Idealerweise hat das Minitool auch einen integrierten Kettennietendrücker, um ein beschädigtes Glied ausnieten zu können, was wiederum Voraussetzung ist, um ein Kettenschloss einsetzen zu können. Damit sind Reifen und Kettenpannen aus eigener Kraft reparierbar.
Zur Orientierung auf der Strecke und zur Überwachung von Tretleistung und Herzfrequenz dient ein Computer am Rad. Es schadet nicht, zusätzlich einen Aufkleber mit dem Streckenplan auf dem Vorbau zu haben, mit den Kilometerangaben zu den markanten Punkten der Strecke. So ist auch im fortgeschrittenen Kletter-Delirium noch Orientierung möglich.