Remco Evenepoels Specialized Tarmac sieht gar nicht gut aus nach dieser neunten Etappe der Tour de France 2024 in Troyes. Nach dem staubigen Gravelrennen erscheint es wie in bräunlichem Puderzucker gewendet. Das ehemals schneeweiße Lenkerband zeigt stellenweise eher die Farbe von Milchkaffee, auf den Bremshebeln zeichnen sich deutlich die Fingerabdrücke des Superstars von Soudal - Quick Step ab – es sind fast die einzigen noch sauberen Stellen am Rad.
An Ritzeln, Kettenblättern, Kette und Schaltröllchen bilden feiner Staub und Öl eine dicke Kruste, der Dreck hängt in allen Ritzen. “Sieht nach viel Arbeit aus”, meint der TOUR-Redakteur. “Geht genauso schnell wie immer”, meint Mechaniker Guido Scheeren: “15 Minuten.”
Scheeren ist seit 25 Jahren Mechaniker bei Profi-Teams und hat die Handgriffe, die einen Renner auch nach Staub-oder Schlammschlachten wieder in einen Neuzustand versetzen, perfektioniert. Auch um seine eigenen Räder kümmert er sich sofort nach jeder Ausfahrt, auch und gerade um Gravel- und Mountainbike. “Wer etwas Routine hat, braucht dafür je nach Zustand zehn bis fünfzehn Minuten, mehr nicht”, sagt Scheeren. Klar, nach einer ausgiebigen Tour haben die meisten andere Sachen im Kopf: Kuchen, duschen, Füße hoch. Doch der geringe Zeitaufwand fürs Rad lohnt sich doppelt, findet der Profi. “Der Dreck setzt sich nicht fest, trocknet nicht an. So geht er viel leichter runter, wenn man es gleich macht. Außerdem findet man Verschleiß und Defekte und kann sich gleich darum kümmern, statt bei der nächsten Ausfahrt eine böse Überraschung zu erleben.”
Klar, der Profi-Mechaniker hat leicht reden – hinter den Klappen seines Trucks verbergen sich griff- und einsatzbereit Druckstrahler, Luftpistole sowie kistenweise Reinigungs- und Pflegemittel. Doch das sei fürs Hobby nicht zwingend nötig, meint Scheeren. “Ein Montageständer ist mit das Wichtigste. Ein paar essenzielle Pflegemittel, Schwamm, Bürste, Gartenschlauch. Den Rest hat jeder in seinem Haushalt”, verspricht er. Wir waren gespannt und haben Evenepoels Dreckschleuder vom Autodach bis in den Mechanikertruck begleitet. Im Folgenden zeigt Scheeren Schritt für Schritt, wie aus dem verstaubten Renner im Schnelldurchgang ein glänzender und perfekt gewarteter Renner für die Etappe am nächsten Tag wird – und gibt dabei Tipps für den Waschgang zu Hause.
Remco Evenepoels Tarmac SL8 sieht nach der neunten Tour-de-France-Etappe aus wie durch den Kakao gezogen. Der chromglänzende Lack ist überzogen von einer dicken Staubschicht. Am Antrieb haftet eine dicke Kruste aus Schmutz und Öl. Der feine Staub hat sich auch in alle Zwischenräume gesetzt, auch das ehemals weiße Lenkerband sieht nicht mehr frisch aus.
Praktisch sind ein Montageständer und ein Beistelltisch, außerdem ein Kettenhalter, der die Kette bei ausgebautem Laufrad spannt. Zeitsparend sind Druckluftpistole und Gartenschlauch. Wenn das nicht zur Verfügung steht, genügen auch Eimer und Handtuch. Die wichtigsten Reinigungs- und Pflegemittel sind ein flüssiger Entfetter, Radreiniger (alternativ geht auch Spülmittel), Kettenöl oder -wachs sowie ein Sprühöl. Zum Reinigen eignen sich ein großer Pinsel, ein weicher Schwamm und weiche Bürsten.
Zuerst beide Laufräder aus- und Kettenhalter einbauen. Mit Entfetter wird dann der hartnäckige Dreck an Antrieb und am unteren Teil des Rahmens – beispielsweise an den Kettenstreben und im Tretlagerbereich – gelöst. Die Profis füllen beim Rennrad reinigen etwas Reiniger in eine aufgeschnittene Trinkflasche, die im Flaschenhalter steckt. Auch ein Sprühreiniger eignet sich, dennoch sollte man mechanisch nacharbeiten. “Gerade am Antrieb löst sich der Dreck nicht von selbst”, sagt Guido Scheeren. Ein dicker, weicher Malerpinsel eignet sich bestens. “Damit kommt man gut in die Ecken, in die Schaltkäfige und hinter die Kettenblätter.” Die Schaltröllchen von beiden Seiten über den Pinsel drehen, indem man die Kurbel dreht. Die Kette wird durch die getränkten Pinselborsten gezogen, auch das Ritzelpaket mit eingepinselt.
Der Rest des Rades und die Laufräder werden großzügig mit Spüli-Wasser gewaschen. Dabei wird nichts ausgelassen. “Um die Lager oder Elektronik muss man sich da keine Sorgen machen. Das ist alles gut abgedichtet”, sagt Scheeren. Für Flächen wie Rahmen, Felgen und Reifen eignet sich ein großer Schwamm oder ein flauschiger Handschuh, durch den selbst die Kette gezogen wird.
Je nach Oberfläche sollte man mit unterschiedlichem Druck arbeiten: “Über lackierte Flächen kann ich schonend gehen, da haftet der Dreck nicht gut, und es wird nichts zerkratzt. Reifen oder Lenkerband kann man etwas derber behandeln, damit es sauber wird”, empfiehlt er. Bei stark verschmutztem weißem Lenkerband – wie bei Evenepoel – hilft beim Rennrad reinigen zusätzlich die Behandlung mit einer Bürste.
Für schwer zugängliche Stellen beim Rennrad reinigen wie Sattelgestell, den Tretlagerbereich hinter den Kettenblättern oder die Naben der Laufräder empfiehlt Scheeren eine große Rundbürste mit langen Borsten. Für die Ritzel nimmt er eine große weiche Handbürste. “Zu viele spezielle Putzwerkzeuge sind auch nicht gut, dann muss man häufig wechseln, das kostet Zeit”, sagt er. Bei viel Dreck die Bürsten öfter ins Wasser tauchen und spülen.
Schaum und Entfetter werden mit klarem Wasser abgespült. Hoher Druck sei nach einer gründlichen Vorreinigung nicht nötig, sondern eher schädlich, sagt Guido Scheeren: “Unsere Strahler arbeiten mit sehr geringem Druck. Es geht hauptsächlich um den Sprühnebel. Das geht nicht gründlicher, aber schneller.” Wer keinen Druckreiniger hat, kommt mit einem Gartenschlauch mit Brause genauso gut zurecht. Aber auch ein Eimer mit klarem Wasser und Schwamm tut’s: “Das dauert nur etwas länger, ist aber nicht schlechter”, sagt der Profi.
Bevor’s weitergeht, heißt es trockenlegen. Mit Druckluft lässt sich die Nässe schnell und gründlich aus unzugänglichen Spalten und Ecken blasen: Sattel, Schaltung, Bremsen, Ritzel. Ohne Luftpistole dauert’s etwas länger ... ... dann sollte man saubere Putzlappen durch die Stellen ziehen, um so viel Wasser wie möglich zu entfernen. Alternative: länger abtrocknen lassen. Rahmen und Laufräder aber immer mit einem weichen Handtuch abtrocknen, damit keine Wasserflecken entstehen.
Nach dem Abtrocknen und vor dem Einbau der Laufräder ist der richtige Zeitpunkt, einen Blick auf neuralgische Teile zu werfen: Sind die Reifen beschädigt oder steckt ein Fremdkörper drin? Sind Bremsscheiben und Bremsbeläge in gutem Zustand? Sind Kette, Ritzel oder Kettenblätter verschlissen? “Wer jetzt handeln kann, erspart sich unnötigen Ärger”, findet Profi-Mechaniker Scheeren. Denn: “Im verdreckten Zustand sieht man Schwachstellen manchmal nicht.”
Sind die Laufräder eingebaut, geht’s ans Pflegen und Konservieren. Die Kette bekommt ein neues Kettenöl. Scheerens Tipp: “Wird das Rad gleich nach der Tour gewaschen und gepflegt, dann hat das Öl genügend Zeit, sich in die Kette einzuarbeiten”, erklärt er. Vor der Abfahrt sollte die Kette noch einmal mit einem trockenen Tuch abgewischt werden, dann bleibt sie länger sauber.
Einen Spritzer Sprühöl gibt Scheeren nach dem Rennrad reinigen noch an die Schaltröllchen und die Gelenke von Schaltwerk und Umwerfer. So bleibt die Funktion geschmeidig. “Gerade bei elektronischen Schaltungen merkt man ja nicht, wenn es irgendwann schwergängig wird. Regelmäßige Pflege ist deswegen nicht verkehrt”, empfiehlt er.
Zum Abschluss nach dem Rennrad reinigen prüfen, ob alles passt: Schalten alle Gänge sauber? Laufen die Bremsscheiben frei? Passt der Druckpunkt? Haben die Akkus von Schaltung oder Powermeter noch ausreichend Saft und die Reifen noch Luft? Falls nicht – gleich drum kümmern. Falls doch, kann der Renner zurück in den Mechaniker-Truck. Beziehungsweise in die Garage, den Keller oder an die Wohnzimmerwand.
Nach der Frischekur sieht Evenepoels Renner aus wie neu, selbst das Lenkerband wirkt wie frisch gewickelt. So geht es zur Übernachtung in den Mechanikertruck. Doch am Teamhotel ist die Arbeit mit dem Rad des Stars längst nicht getan: Zusammen mit den Rädern auf den beiden Autodächern, die ebenso viel Dreck abbekommen haben, müssen 24 Räder gewaschen werden.
Als Entfetter sicher zu empfehlen. Fürs ganze Rad eher nicht, fürs meiste reicht Spülmittel, das kostet weniger.
Was für Profis. Sie laufen leichter, aber die Einsparungen sind insgesamt klein. Sie halten länger, aber wenn mal Dreck drin ist, gehen sie schnell kaputt. Ersatz ist teuer. Darauf würde ich als Hobbyfahrer verzichten.
Wer den Aufwand nicht scheut, hat Vorteile. Vor allem bleibt die Kette länger sauber. Bei Flüssigwachs aus der Flasche ist wichtig, dass es komplett abtrocknet, bevor man losfährt. Und man muss öfter nachschmieren.
Der 55-Jährige stammt aus der Nähe von Aachen. Der Ex-Rennfahrer arbeitete bereits beim Team Telekom als Rennmechaniker, nach dessen Auflösung landete er beim Rennstall von Patrick Lefevere und ist dort bis heute beschäftigt. Im Team hat er sich zum Spezialisten für Zeitfahrräder entwickelt. Neben seinem Job bei Soudal - Quick Step bietet er auch Kurse zu Radpflege und -wartung an. Privat fährt Scheeren hauptsächlich Gravelbike und Mountainbike: “Das ist entspannter und weniger gefährlich”, sagt er.