Die 80 Kilometer lange Kanareninsel Teneriffa liegt in Form eines gleichschenkligen Dreiecks zwischen den kleineren runden Inseln La Gomera und Gran Canaria. Alle drei haben sich vor über elf Millionen Jahren feuer- und lavaspuckend aus dem Atlantik erhoben, Teneriffa überragt aber mit dem 3715 Meter hohen Vulkan Pico del Teide die beiden Schwestern deutlich. Direkt von Meereshöhe klettern Straßen an den Flanken des Vulkans auf ein über 2000 Meter hoch gelegenes Plateau mit 17 Kilometern Durchmesser: die Caldera de las Cañadas.
Der gewaltige Kraterkessel zählt zu den größten der Erde, und man kann ihn mit dem Rennrad durchfahren. Von einem „Tanz auf dem Vulkan“ zu sprechen, wäre aber zu abgedroschen und auch nicht wahr – für die meisten zumindest. Die wenigsten, die an den Flanken des Teide hinaufklettern, werden die 2000 Höhenmeter am Stück als Tanz empfinden, dafür fehlt das Leichte, das Beschwingte. Das zeigen höchstens Radprofis, die dort im Winter trainieren, etwa die von Bora-Hansgrohe, die wir im Februar 2023 im Höhentrainingslager besuchten. Wenn sie in den Flanken des Teide vorbeifliegen wie schwerelose Roboter, außerirdisch, unerreichbar, ist das ganz schlecht fürs Ego …
Den größtmöglichen Kontrast zum kargen Teide markiert das Anaga-Gebirge, etwa 40 Kilometer nordöstlich des Gipfels. Der kleine, tausend Meter hohe Rücken strukturiert den nördlichsten Teil Teneriffas. Er ist schroff und dünn besiedelt. Die Wolkenbänke, die der Nordostpassat gegen die Insel schiebt, lassen dort ihre Feuchtigkeit fallen, feine Tröpfchen benetzen alles. Schilder an Sträßchen, die ohne Mittelstreifen aufwärts führen, warnen vor Rutschgefahr. Dabei geht es nicht um Glatteis, sondern um Algen und Moos, das sich seifig glatt über den Asphalt legt. Riesige Sträucher von Baumheide und Gagelbaum formen dunkle, klamme, glitschige Straßentunnel, aufgelockert durch gelbe Akzente mannshoher Löwenzahnstauden. Zeigt sich Licht am Ende des Tunnels, verschlägt einem der Ausblick bisweilen den Atem: Dann ist der scharfe Gebirgskamm nicht breiter als die Straße. Rechts und links nagen 800 Meter tiefer die Wellen an den grünen Flanken des Anaga-Gebirges. Wer eine der wenigen Straßen hinunterrauscht, muss mangels Küstenstraße dieselbe auch wieder hinauf.
Wer nach Teneriffa kommt, muss aber nicht nur Berge mögen, sondern auch bereit sein, per Bus oder Auto zum Start der schönsten Touren zu fahren. Weil auf den Küstenstraßen oft viel Verkehr herrscht und alle anderen Straßen meist direkt in den Himmel führen, sind von kaum einem Küstenort mehr als zwei oder drei sinnvolle Radtouren möglich. Hat man das akzeptiert, fasziniert die Insel mit unglaublichen Landschaften und wirklich ruhigen Nebenstraßen.
Die Kanareninsel Teneriffa liegt im Atlantik auf der Höhe des südlichen Marokkos, nur 250 Kilometer von Afrikas Küste entfernt. Die sieben kanarischen Hauptinseln bilden innerhalb Spaniens als „Canarias“ eine eigene autonome Gemeinschaft. Hauptstadt-Status haben gemeinsam Santa Cruz de Tenerife sowie Las Palmas de Gran Canaria. Auf Teneriffa befindet sich mit dem Pico del Teide (3715 Meter) der höchste Berg Spaniens.
Das ganzjährig angenehme Klima, die gute Infrastruktur und viele Touristen machen Teneriffa zu einer dicht besiedelten Insel. Im grüneren Norden und im sonnigeren Süden ist zwischen den einzelnen Siedlungen in Küstennähe kaum Platz: Autobahnen, Appartementsiedlungen und Indus-triegebiete verbauen die Landschaft. Erst oberhalb von 500 bis 700 Metern Höhe wandelt sich das Bild – völlig. Wo die Besiedlung nachlässt, beginnen Delikatess-Straßen. Das anspruchsvolle Profil mit Steigungen bis über 15 Prozent und langen Anstiegen, die sich mit großen Alpenpässen messen können, erfordert Kompaktkurbel und großes Bergritzel.
Unser Tipp für eine erste Teneriffa-Tour, um sich locker einzufahren. Teneriffas Flughafen wurde aus gutem Grund in der südöstlichsten Ecke der Insel platziert: Dort ist es flach genug für lange Start- und Landebahnen, außerdem stehen keine allzu steilen Bergflanken großen Flugzeugen bei deren An- und Abflug im Weg. Das Terrain eignet sich deshalb bestens für eine kleine Rennradrunde ohne allzu viele Höhenmeter (für Teneriffa-Verhältnisse). Von einer Rollerstrecke zu sprechen, würde ihren Charakter aber nicht treffen, weil in der zweiten Hälfte auf 27 Kilometern mehr als 500 Höhenmeter warten; knackige Stiche sind aber nicht dabei.
Los geht es in einem der Touristenzentren des Südens, in Los Cristianos. Schnell verlassen wir den Ort, in dem sich Hotel an Hotel reiht, Richtung Osten. Die Straße, die kurz der Südautobahn folgt und durch eine ockerfarbene, baumlose Landschaft führt, wurde teils in den vulkanischen Untergrund geschnitten – Geologen hätten an den freigelegten Schichten links und rechts ihre Freude. Bald wird die Sicht aber frei auf den Atlantik, den wir in Costa del Silencio nach etwas mehr als zehn Kilometern erreichen. Ein Schlenker via Las Chafiras führt kurz weg von der Küste, der wir bei Los Abrigos wieder folgen. Wenn wir den Flughafen an der östlichen Seite passieren, ist die Hälfte der Strecke erreicht, aber nicht die Hälfte der Höhenmeter. Die sammeln wir, wenn sich die Runde von San Isidro bis La Camella in Höhen zwischen 200 und 350 Meter überm Meer an den Vulkanflanken entlanghangelt. Es geht durch Siedlungen, karges Brachland, wenige landwirtschaftliche Flächen. Oft wird man eingerahmt von kleinen Vulkankegeln, die wie Hütchen in der Gegend stehen. Hat man den höchsten Punkt der Runde (in La Camella) auf rund 350 Meter erreicht, rauscht man die letzten fünf Kilometer nach Los Cristianos nur noch bergab.
Wie bei Tour 1 starten wir nahe am Meer in Los Cristianos, diesmal bleibt aber keine Minute Zeit zum Einrollen, es geht sofort bergauf. Das Profil der Runde ist simpel, aber auch etwas angsteinflößend, es sieht aus wie ein Querschnitt des Teide-Vulkans, an dessen südlicher Flanke wir hinaufklettern: 35 Kilometer geht es nur bergauf, auf über 2000 Meter Höhe wird es kurz flach, dann folgt eine ewig lange Abfahrt zurück ans Meer.
Aber der Reihe nach: Die ersten neun Kilometer führt die schmale Bergstraße über Rampen mit niedrigen zweistelligen Steigungsprozenten bis Arona, durch eine Mischung aus lockeren Siedlungen, steppenhaften Busch- und Grasland und mit vergilbt-weißen Plastikplanen abgedeckten Gewächshäusern. Mit zunehmender Höhe wird es stiller, die Siedlungen werden weniger. Vor La Escalona besänftigen erste Serpentinen den steilen Anstieg und erlauben wunderbare Rückblicke zum Meer. Der Berg wird immer karger. An vielen Stellen liegt die rote vulkanische Erde blank in der Sonne, Trockenmauern halten die Hänge fest, die ersten Kanarischen Kiefern säumen die Straße.
Wer eine kleine Stärkung braucht, findet nach 22,5 Kilometern in Vilaflor eine letzte Gelegenheit zur Einkehr. Vor dem finalen Anstieg empfiehlt sich die Cafetería Tito (Durchgangsstraße linksseitig) mit guten Kleingerichten. Von dort bis zur Caldera de las Cañadas im Zentrum Teneriffas sind es noch 850 Höhenmeter, auf denen ein lichter Kiefernwald nur wenig Schatten spendet. In südlicher Richtung wird die Caldera de las Cañadas, ein riesiger Einsturzkessel vulkanischen Ursprungs von ungefähr 17 Kilometern Durchmesser, von durchschnittlich 500 Meter hohen Kraterwänden begrenzt. 200 Höhenmeter unterhalb ihres höchsten Punktes findet die Straße einen Durchschlupf in die Caldera, die glatt wie der Boden einer Bratpfanne daliegt, noch einmal um fast das Doppelte an Höhe überragt vom kegelförmigen Gipfelaufbau des 3715 Meter hohen Pico del Teide. Jetzt heißt es: verschnaufen, den Ausblick genießen und vier Kilometer am westlichen flachen Rand der Caldera durch eine fast vegetationslose Mondlandschaft genussvoll dahingleiten.
Was danach folgt, ist ein nicht enden wollender Abfahrtstraum: Die nächsten 30 Kilometer bis Guía de Isora vernichten 1500 Höhenmeter, führen durch Kiefernwälder, schroff erstarrte Lavaströme und sie bieten Ausblicke wie aus dem Flugzeug auf den Atlantik und die Nachbarinsel La Gomera. Dann geht es 24 Kilometer unmerklich sanft hinab zur Küste bis Los Cristianos, zurück vom Mond in die touristische Zivilisation auf der Erde.
Die relativ kurze, aber knackige Runde ins Teno-Gebirge im äußersten Westen Teneriffas führt über mäßig befahrene Straßen und gewährt atemberaubende Ausblicke. Los geht’s nahe der Küste in Icod de los Vinos, das schon 1496 von Konquistadoren gegründet wurde. Der Name leitet sich von Icod ab, einem ehemaligen Stammesgebiet der Guanchen-Ureinwohner auf dem Gebiet des heutigen Ortes. Der Zusatz „de los Vinos“, der schon im 16. Jahrhundert entstand, verweist auf den Weinanbau in der Gegend.
Teneriffa-Runden, die nahe der Küste starten, kennen meist nur eine Richtung: bergwärts. So auch diese. Aber anders als im kargen Süden klettert das feine Sträßchen hier durch üppiges Grün. Gärten und Felder, Obstbäume, Palmen und verwildertes Gebüsch säumen die Straße, die durch kleine Dörfer führt, denen Hotelanlagen wie an der Südküste vollkommen fremd sind. Stattdessen: ein- bis zweigeschossige Flachbauten, mal weiß, mal gelb, ocker oder rot getüncht, der Putz von salziger Seeluft zerfressen wie ein Wollpullover von Motten. Auf 900 Metern Höhe, bei La Montañeta, wechselt die Landschaft, das Offene weicht einem Wald, dichter und schattiger als im Süden der Insel; er zählt zum Naturpark La Corona Forestal, dem größten Teneriffas. Hier wachsen Kiefern, Kastanien, Eukalyptus und Zypressen. Hinter San José de Los Llanos, auf 1100 Metern Höhe, öffnet sich die Landschaft wieder und gibt Blicke hinunter zum Atlantik frei.
Es folgt eine kurze Abfahrt nach Santiago del Teide, ein Zwischenanstieg zum Mirador de Cherfe (1063 Meter), der großartige Ausblicke zur Westküste, auf La Gomera und in die entgegengesetzte Richtung zum Pico del Teide erlaubt. Dann folgt eine der schönsten Straßen der Insel, die sich in Serpentinen an Felswänden entlanghangelt und ausgesetzt bis Masca zu Tal stürzt – nichts für Angsthasen. Nach einem Auf und Ab bis Las Portelas führt diese Traumstraße in einem Kurvenrausch durch üppig grünes Buschland hinunter zum Meer nach Buenavista del Norte. Wer will, kann dort die Tour verlängern, nach Westen zum Leuchtturm (Faro) von Teno und in eine geschützte Badebucht. Die Straßensperrung wird von Radlern allgemein ignoriert, eventuell Licht für den kurzen Tunnel mitnehmen. Wer in Buenavista rechts abbiegt, erreicht nach neun flachen Kilometern den Ortsanfang von Garachico, wo der letzte Anstieg des Tages wartet: 500 Höhenmeter an der Steilküste, verteilt auf neun Kilometer, das Meer immer im Blick, bevor es die letzten Kilometer hinabgeht nach Icod de los Vinos.
Die Daten unserer Königsetappe rund um den Pico del Teide sind vergleichbar mit denen einer harten Alpenetappe über zwei oder drei Pässe. Da ihr längster Anstieg – zur über 2000 Meter hohen Caldera de las Cañadas – aber nie zweistellige Steigungsprozente erreicht, kann man einen gleichmäßigen, kräftesparenden Rhythmus fahren. Der Lohn für die Ausdauerleistung sind Tiefblicke wie aus einer Raumkapsel und die Fahrt durch eine raue, schroffe und in ihrer Kargheit wunderschöne Vulkanlandschaft.
Wie bei Tour 3 starten wir im Nordwesten Teneriffas nahe der Küste in Icod de los Vinos. Von dort geht es die nächsten 36 Kilometer nach Westen, zuerst noch relativ nahe oberhalb der Küste, dann klettert die Route sanft höher und entfernt sich immer weiter vom Meer. Es geht durch Dörfer, deren in allen erdenklichen Pastellfarben gestrichene Häuser an den Berghängen kleben. Zwischenabfahrten lockern die Beine. Ab Kilometer 32 geht es aber für 30 Kilometer nur noch bergauf; nach weiteren sechs Kilometern, auf mehr als 1000 Metern Höhe, lassen wir mit Aguamansa die letzte Siedlung zurück. Wir fahren durch ein Trainingsparadies und tauchen ein in den Naturpark La Corona Forestal, das größte Naturschutzgebiet Teneriffas. Kiefern, Eukalyptus und Lorbeer formen einen kühl-schattigen Straßentunnel. An dessen Innenseite sprießen Farne, Flechten und Moose. Blätter rauschen, Vögel zwitschern, bisweilen riecht es nach frischen Pilzen. Nie übersteigt die Steigung die Zehn-Prozent-Marke. Fahrtechnisch heißt das: Wir haben Teneriffa im Griff. Je höher wir klettern, umso kleiner werden die Kiefern, ab 2000 Meter Höhe weichen sie ganz.
Direkt an der Waldgrenze und schon hinter der Grenze des Teide-Nationalparks steht nach 53 Kilometern das Restaurant „El Portillo“, unser Rast-Tipp. Gestärkt klettern wir in den Einsturzkessel der Caldera de las Cañadas und damit in eine andere Welt. Sie besteht aus Asche, Lavabrocken und erstarrten Magmaströmen. Wie ein vulkanisches Riesenmonument erhebt sich der Pico del Teide (3715 Meter) erst vor, dann neben, schließlich hinter uns. Es wird angenommen, dass der Vulkan, der hier einst in die Höhe ragte, weitaus größer war als der Teide und in mehreren Phasen einstürzte. Den nächsten Abschnitt, die genüssliche Fahrt am Grund der Caldera und die grandiose Abfahrt zur Westküste, kennen wir schon von Tour 2. Hier wenden wir uns aber nach Norden, klettern über zwei kleinere Anstiege via Arguayo und Santiago del Teide mit insgesamt 600 Höhenmetern zum Puerto del Erjos (1111 Meter), von dem es in 18 Kilometern kurvenreich und mit Meerblick hinuntergeht nach Icod de los Vinos.
Noch ein Ritt auf den Vulkan, diesmal starten wir aber von Osten, aus dem hübschen Güímar, das sich knapp 300 Meter über dem Atlantik an eine Bergflanke schmiegt. Güímar gilt als eine der ältesten Gemeinden der Insel. Und noch bevor wir bergauf den Ort verlassen, passieren wir die Pyramiden von Güímar. Von ehemals neun sind nur noch sechs erhalten: sechseckig, lang gestreckt und aus Lavagestein aufgeschichtet. Sie sind nicht, wie früher geglaubt wurde, von Bauern angelegt, um Steine von den Äckern zu entfernen, sondern sie dienten den Guanchen, den Ureinwohnern, als Kultstätte und Plattform für astronomische Beobachtungen. Letztere finden heutzutage 2000 Meter höher statt, im Teide-Observatorium – und dahin soll es auf dieser Runde gehen …
Auch hier wartet gleich nach dem Start ein ewig langer Anstieg. Zuerst 21 Kilometer bis zum Bergrücken der Cordillera de Pedro Gil, der sich quer über die Insel zieht, von San Cristóbal de La Laguna im Nordosten bis fast zur Westküste. Im Anstieg säumen in den tiefen Lagen Palmen die Straße, die durch terrassiertes, fruchtbares Land klettert, in dem sich Dorf an Dorf reiht. Je höher man klettert, umso öfter fordern Rampen mit Steigungen im unteren zweistelligen Bereich das Bergritzel oder die Radler in den Wiegetritt.
Auf 800 Metern Höhe endet die Besiedlung, ab 1500 Metern tauchen wir ein in den Naturpark La Corona Forestal, mit Kiefern, Eukalyptusbäumen und Lorbeergewächsen. Auch auf dem Bergrücken, auf dem die Route, abgesehen von kurzen Abfahrten, moderat ansteigt, verstellt der Wald für lange Zeit die Sicht. Umso eindrucksvoller, wenn er bei Kilometer 44 zurückbleibt, um schwarzer Asche, hellem Tuff und rotem Lavagestein Platz zu machen und den Blick freizugeben von der Stadt La Orotava, deren helle Häuser 2000 Meter tiefer vor dem dunkelblauen Atlantik leuchten, bis zum Gipfel des Pico del Teide und, wenn man weiter nach links schaut, zu den weißen Kuppeln des Teide-Observatoriums. Die Luft hier oben ist so klar, dass internationale Astrophysiker am Rand der Caldera de las Cañadas auf rund 2400 Metern Höhe ein Observatorium betreiben.
Dort drehen wir um, lassen die Abfahrt nach Güímar rechts liegen und rauschen weitere 1500 Höhenmeter bergab: erst nach Nordosten, bis der Kiefernwald endet, dann rechts zur Ostküste nach Radazul. Es folgt eine feine Landstraße, die um die 200 Meter überm Meer pendelt, für 18 Kilometer nach Süden bis Güímar. Lässt man die Stichstraße zum Observatorium weg, spart man 30 Kilometer und 900 Höhenmeter, verpasst aber die schönsten Aussichten.
Bei Schlechtwetter ungemütlich, bei Sonne unvergesslich: die Befahrung des Anaga-Gratrückens im äußersten Nordosten. Die Steigung der Kammstraße ist relativ gemütlich, herausfordernd der Wiederaufstieg nach der Abfahrt nordwärts nach Taganana. Aber um in diese Abgeschiedenheit zu gelangen, müssen wir erst durch ein urbanes Nadelöhr schlüpfen: Die Hauptstadt Santa Cruz de Tenerife. Wir hangeln uns vom beschaulichen Güímar erst einmal auf schmaler Landstraße 200 Meter über dem Meer in moderatem Auf und Ab nach Norden. Nach 20 Kilometern erreichen wir den Speckgürtel von Teneriffas Hauptstadt, nach weiteren neun Kilometern ihr Zentrum, wiederum nach neun lassen wir im hübschen Fischerdorf San Andrés die Anlagen des Industriehafens hinter uns. Wer Badehose oder Bikini einstecken hat, kann hier, an einem der schönsten Strände Teneriffas, in den kühlen Atlantik springen.
Heiß wird es dann auf den nächsten zehn Kilometern. Der durchschnittlich über sechs Prozent steile Anstieg von San Andrés auf den Kamm des Anaga-Gebirges ist gespickt mit einigen giftigen Rampen und bei einheimischen Rennradlern eine beliebte Trainingsstrecke. Sukkulenten, Kakteen und subtropische Sträucher begleiten die kurvige und zunehmend serpentinenreiche Straße, blockieren aber nicht die Ausblicke auf die faltigen, schrundigen Berge. Kurz bevor wir den Bergkamm erreichen, biegen wir rechts ab in die Sackgasse Richtung Taganana und erblicken hinter einem kurzen Tunnel eine abgelegene Welt, durch die sich ein schmales Sträßchen in Serpentinen zur Nordküste stürzt. Unten leuchten die weiß getünchten Häuser Tagananas, ein charmantes Bergdorf und zugleich die größte Ansiedlung im Anaga-Gebirge.
Im Ort und den kleinen Weilern direkt am Meer findet man nach rund 55 Kilometern mehrere Restaurants, um sich für den Wiederaufstieg zu stärken. Wer die bis 15 Prozent steile Abfahrt – und dieselbe Straße wieder bergauf – auslässt, spart 14 Kilometer und fast 700 Höhenmeter und findet nach 61 Kilometern im Restaurant am Cruz del Carmen leckere Eintöpfe. Auf dem Kamm des Anaga-Gebirges riecht es aber auch weit entfernt vom Restaurant würzig wie in einer Suppenküche, denn dort befindet sich ein Rest der weltweit wenigen noch verbliebenen Lorbeerwälder. Er besteht aus etwa 20 verschiedenen Baumarten. In seinem Schatten wachsen Farne und Moose, an lichteren Stellen Glockenblume und Fingerhut.
Das feuchte Klima hüllt Berge und Straßen oft in Wolken, dann müssen Radler vor allem bergab auf der Hut sein, weil die Straßen schnell glitschig werden können. Zehn Kilometer bergab geht es vom höchsten Punkt des dicht bewaldeten Kammes auf fast 1000 Meter Höhe bis San Cristóbal de La Laguna, eine hübsche Universitätsstadt, die auf einem 550 Meter hohen Rücken liegt. Durch ihr Straßengewirr und Vororte, durch Dörfer und Bauernland rollen wir ohne allzu große Hürden zurück nach Güímar.
Teneriffa hat zwei Flughäfen: Süd (Kürzel TFS) bei Los Cristianos mit den meisten Auslandsverbindungen und Nord (TFN), hauptsächlich für innerkanarische Flüge, aber auch für internationale. Von Deutschland fliegen mehrere Fluggesellschaften direkt in knapp fünf Stunden nach Teneriffa Süd, hin und zurück ab 250 Euro (ohne Radtransport), meist zwischen 350 und 450 Euro.
Für den Transfer und die Anfahrt zu den Startpunkten empfiehlt es sich, vorab einen Mietwagen zu buchen (ab 45 Euro/Tag für Kompaktklasse inklusive Vollkasko ohne Selbstbeteiligung, etwa über www.billiger-mietwagen.de). Alternativ ist auf der ganzen Insel der Bustransport möglich. Das Rad kommt bei den Linienbussen der Gesellschaft TITSA (www.titsa.com) kostenlos im Gepäckraum mit; die Busfahrer sind zwar nicht verpflichtet, Fahrräder mitzunehmen, aber die meisten erlauben es, wenn genügend Platz vorhanden ist. Tipp: Rad mit Expandergurt festzurren.
Teneriffa ist ein Ganzjahresrevier mit durchschnittlichen Tageshöchstwerten von 29 Grad im August und 20 Grad im Januar; in den Bergen sind Nachtfröste und sogar Schnee möglich. Ab Juni kann Saharawind für einige Tage unerträgliche Hitze bringen. Die angenehmsten Temperaturen zum Radfahren findet man von März bis Juni und von September bis November. Das Inselklima ist komplex: Sollte es im Norden regnen, kann im Süden trotzdem die Sonne scheinen.
Anders als auf dem spanischen Festland gibt es auf den Kanaren keine so starren Essenszeiten, meist lässt sich jederzeit – allerdings nicht in einsamen Gegenden – anständig essen und einkaufen. Ideal für Radfahrer sind die allgegenwärtigen Papas Arrugadas (mit viel Meersalz gekochte Kartoffeln), gereicht mit würzig-schmackhaften Soßen, sowie leicht verdauliche Fischgerichte. Kanarisches Bier der Marken Tropical und Dorada schmeckt prima. Supermärkte haben in Touristenzentren jeden Tag geöffnet; Tipp: unbedingt die wohlschmeckenden kanarischen Bananen probieren!
Für die vielen Restaurants auf Teneriffa gilt die Faustregel: Je weiter ein Restaurant von der Strandpromenade entfernt ist, desto größer die Chance auf gutes Essen. Ausnahmen mit Fisch und Wein zu fairen Preisen sind die „Cofradía de Pescadores“, einfache Gaststätten der jeweils ortsansässigen Fischergenossenschaft, die es an vielen Küstenorten gibt.
Free Motion, Telefon 0034/922/168495, www.free-motion.com/de/tenerife
Der Radverleiher und Tourenanbieter betreibt zwei Stationen im Süden Teneriffas, in Los Cristianos und La Caleta de Adeje. Die neuwertigen Rennräder mit bergtauglicher Übersetzung kosten bei einer Mietdauer von 6 bis 12 Tagen zwischen 26 und 44 Euro pro Tag – je nach Modell und Ausstattung.
Nach dem Debüt 2022 findet immer im November der Gran Fondo Giro d’Italia Ride Like a Pro auf Teneriffa statt. Die Rundfahrt besteht aus zwei Etappen, die auch einzeln gebucht werden können. Die erste führt über 115 Kilometer und knapp 3000 Höhenmeter, die zweite über 64 Kilometer und 1300 Höhenmeter. Bei der Premiere 2022 standen mehr als 700 Teilnehmer aus elf Ländern am Start. Infos unter www.giroridelikeapro.com
Am Vulkan Teide fährt eine Seilbahn vom Hochplateau rund 1200 Höhenmeter hinauf bis auf 3555 Meter, pro Person kostet die Fahrt 22 Euro. Oben warten Wanderwege zum Aussichtspunkt am Pico Viejo, von dem man wie aus dem Flugzeug auf die Inseln La Gomera, El Hierro und La Palma blickt, und zum Aussichtspunkt „La Fortaleza“, der einen herrlichen Blick auf den Norden Teneriffas mit dem Orotava-Tal und Puerto de la Cruz ermöglicht. Wer ganz nach oben steigen will, auf den Gipfel des 3715 Meter hohen Teide, braucht dafür eine besondere (kostenlose) Genehmigung der Nationalparkverwaltung, die wegen der hohen Nachfrage Monate im Voraus eingeholt werden muss. Alle Infos zur Anreise, Seilbahn-Tickets, geführten Wanderungen, Bus-Anreise und den Link zur Gipfelbesteigungsgenehmigung gibt’s unter: www.volcanoteide.com
Kompass Wanderkarte Nummer 233 „Teneriffa“, 1:50.000, Kompass-Karten GmbH 2019; 12 Euro. Präzise (Höhen, Straßennummerierung), aber durch beidseitige Bedruckung unhandlich.