Erik Zabel ist immer noch begeisterter Radsportler. Ein Grund: In seiner (Teilzeit-)Wahlheimat Mallorca kann er gar nicht anders – die Insel hält er für das beste Rennradrevier. Für die TOUR-Leser hat er eine Inselführung gemacht – natürlich auf dem Rad.
TOUR-Redakteur Andreas Kublik bekam eine ganz persönliche Inseltour.
Eine salzige Brise weht uns in die Nase, und die Straße scheint geradewegs über das glitzernde Meer Richtung Cabrera zu führen, zur verlassenen Insel draußen vor der Küste. Kaum zu glauben: Keine Stunde ist es her, dass wir frustriert mit Verspätung und im Nieselregen aus dem Flieger gestiegen sind. Doch unser Tourenguide beruhigte uns am Telefon: "Eine Regel sagt: Bei schlechtem Wetter soll man an der Südküste bleiben." Da hingen noch tiefschwarze Wolken über Mallorca, und die Straßen spiegelten vor Regenwasser.
Doch der Mann wusste, wovon er redete: Eine Stunde später surren unsere Rennräder auf trockenem Asphalt über die wellige Straße zum Cap Blanc. Wegen der Streckenführung mussten wir uns keinerlei Gedanken machen. Denn wir haben uns einen der kundigsten Fremdenführer gesucht, den man auf dem Eiland für eine Rennradtour finden kann: Erik Zabel. Dem Ex-Profi kann man blind folgen zwischen Palma im Süden und Alcudia im Norden, zwischen den Bergen der Tramuntana im Westen und den Felsbuchten der Calas im Osten. Als wir ihn um eine Inselführung baten, zögerte er keine Sekunde: "Das mache ich gerne: Ich bin ja Mallorca-Fan." Und er vergaß nicht zu ergänzen: "Und wenn wir alles auf dem Rad abfahren, bin ich sowieso sofort dabei."
RADURLAUB MIT MEERBLICK
Der viermalige Sieger von Mailand-San Remo und sechsmalige Gewinner des Grünen Trikots hat auf der Balearen-Insel ein zweites Zuhause gefunden. In Tunesien und Kalifornien, Südafrika und Japan war der Dauerbrenner auf dem Rennrad schon unterwegs, auf allen Rennstrecken Europas sowieso. Aber nur nach Mallorca hat es ihn immer wieder gezogen. Anfangs immer mal wieder für ein kurzes Trainingslager, stets im Hotel San Diego an der Playa de Palma. Doch irgendwann hatte er genug von Hotelzimmern, und seit zwölf Jahren gehört den Zabels ein schmuckes Einfamilienhaus im Neubauviertel Badia Gran, ein paar Kilometer südlich der großen Touristenhochburg. "Wenn ich auf einer Insel bin, will ich das Meer sehen und riechen", sagt der weitgereiste Ex-Profi. Das Anwesen mit Meerblick über der Bucht von Palma ist nun der Ausgangspunkt für seine täglichen Radtouren. 25.000 Trainingskilometer schaffte er auch im dritten Jahr nach seinem Rücktritt vom Profiradsport – gut ein Drittel davon, so schätzt er, auf Mallorca.
Mallorca ist wie ein kleiner Erdteil – mit flachen und welligen Strecken sowie den langen Bergen in der Tramuntana. Und die Insel erreicht man von vielen Orten schneller als Berlin", sagt der gebürtige Berliner Zabel. Er genießt seine Kurztrips auf der Insel. Dann trifft er seine Trainingsgruppe, zu der Andreas Klier (Team Garmin-Barracuda), der nur ein paar Straßenzüge weiter wohnt, und der Mallorquiner Joan Horrach (Katjuscha) zählen – dazu ein paar befreundete einheimische Hobbyfahrer; und heute auch Zabels 18-jähriger Sohn Rick, der gerade im Rabobank-Nachwuchsteam eine Profikarriere anstrebt. Heute dürfen wir ebenfalls mit – und obwohl die aktiven Profis Klier und Horrach von "Regenerationstag" sprechen, bleibe ich lieber im Windschatten. Null Trainingskilometer so früh im Jahr, das zeigt sich schnell, sind definitiv zu wenig, um mit dem vermeintlichen Ruheständler Zabel Seite an Seite über die Insel zu treten.
Ungestört vom Autoverkehr finden meine Inselführer ganz beiläufig versteckte Nebenstaßen, an denen gerade die Mandelbläume blühen. "Radfahren ist auf Mallorca entspannter geworden, seit das Autobahn-Netz ausgebaut worden ist", findet Zabel. Die Hauptverkehrsstraßen, die die Inselhauptstadt Palma de Mallorca strahlenförmig verlassen, galt es zu vermeiden – inzwischen sind viele davon zu Autobahnen oder mehrspurigen Schnellstraßen ausgebaut. Doch deren Nähe scheut der passionierte Radfahrer Zabel immer noch. "Ich mag die urtypischen Straßen mit Steinmauern am Rand, die zu einem guten Radwegenetz ausgebaut worden sind", erzählt er, während wir von seinem Domizil an der Südküste genau so ein Sträßchen, den "Cami de Sa Torre", Richtung Llucmajor entlangkurbeln. Im kleinen Städtchen angekommen, schlagen wir uns am Ortsausgang nach Nordwesten in Richtung eines welligen und kurvenreichen Asphaltbandes, das einen vielzackigen Bogen um das Bergmassiv des Puig de Randa zieht. Die Gefolgschaft aus Hobbyfahrern, die sich während unseres Gesprächs klammheimlich und tuschelnd am Hinterrad des prominenten Radlers gebildet hatte, strampelt schnurstracks die kerzengeraden Hauptstraße weiter von Llucmajor nach Algaida durch den Sattel zwischen Es de Galdent und Puig de Randa. Nicht jeder hat eben einen Pfadfinder an seiner Seite.
RESPEKT BITTE
Wenn immer mal wieder Autofahrer hupend vorbeifahren, stellt es mir die Nackenhaare auf – Radroutinier Zabel zuckt mit keiner Körperfaser. In Südeuropa ist das Hupen meist nicht mahnend gemeint wie in Deutschland, sondern eher warnend. Zabel findet beeindruckend, wie gleichmütig sich die Mallorquiner mit den Radler staus in der Hochsaison von März bis April arrangieren. "Die planen gleich 20 Minuten mehr Zeit für die Fahrt über die Insel ein", schätzt er und versteht nicht, warum viele Gäste auf dem Rad die Straßen verstopfen, als gäbe es keine anderen Verkehrsteilnehmer. "Wenn beide Seiten Rücksicht nehmen, funktioniert es gut", findet er. Und Trainingskumpel Joan Horrach ergänzt: "Die Tourismusbehörde sollte sich noch viel mehr um die Radtouristen kümmern. Die Pauschaltouristen, die im Sommer in die Strandhotels kommen, tragen ihr Allinclusive-Band am Handgelenk – die bringen den Leuten auf der Insel kein Geschäft."
Während er spricht, bringt die Kellnerin im Café Sa Plaça am kleinen Marktplatz von Porreres die nächste Runde "Café con leche", den spanischen Milchkaffee. Dass auch hier das "Bocadillo mixto" ein mit Schinken und Käse belegtes Baguette ist, und nicht das landestypische "Pan amb oli", ein mit Olivenöl getränktes dunkleres Brot, bemerkt Horrach mit dem Blick des einheimischen Kenners. Derart gestärkt geht es auf die "Klassiker-Runde", wie die Profis einen Tag mit Fahrten auf die kurzen steilen Stiche der Klosterberge der Insel nennen. Hier testen sie vor den Klassikern ihre Form am Berg. Die gläubigen Mallorquiner haben in den vergangenen Jahrhunderten Heiligtümer auf die zahlreichen Bergkegel in der Inselmitte gebaut. Die heute asphaltierten Sträßchen hinauf zum Santuario de Cura auf dem Randa, zum San Salvador, zum Montisión oder zur Ermita de Bonany sind heute beliebte Kraftproben für Radler aller Klassen. Und zu jedem der Anstiege fällt Erik Zabel natürlich ein Vergleich ein zu den Anstiegen bei seinem Lieblingsrennen Mailand-San Remo. Aber sein Lieblingsberg auf der Insel liegt in den Ausläufern des mächtigen Tramuntana-Gebirges im Westen der Insel. Wenn Andreas Klier seinen Trainingsparter fragt, ob er heute einen Berg mit ihm fahre, dann ist Zabels Antwort wie in Stein gemeißelt: "Nur wenn wir den Orient fahren." Eine kleine Bergstraße, die sich von Bunyola mit angenehmen Stei- gungsprozenten in ein verstecktes Hochtal windet – Prozente, die im Frühjahr jedem Untrainierten reichlich wehtun. Doch auf unserer Tour in die Tramuntana-Berge lassen wir dieses Bergsträßchen rechts liegen und stemmen uns über den 496 Meter hohen Coll de Sóller zur Steilküste im Westen der Insel.
WINTER - EIN JAHRHUNDERTEREIGNIS
"Wir hatten sechs Wochen Sonnenschein und im Dezember bis zu 18 Grad" – mit diesen Worten hatte uns der Mallorca-Kenner früh im Jahr auf die Insel gelockt. Doch als wir beim Anlauf ins Tramuntana-Gebirge auf weiße Gipfel blicken, die eher zum Skifahren als zum Radtraining einladen, sind die warmen Gedanken verflogen. Dass vor unserer Ankunft ein Wintereinbruch die Insel vor Kälte zittern ließ, ist seltenes Pech. 1956 habe es das letzte Mal so viel geschneit, schreiben die Zeitungen der Insel. Ausnahmen bestätigen eben die Regel. Und so kreuzt kurz vor dem Portal des Tunnels Gorg Blau (der nun eine radlerfreundliche Beleuchtung bekommen soll) zu Füßen des höchsten Inselbergs Puig Major auf rund 800 Metern Höhe ein Tourengeher mit Skiern am Rucksack die Straße – verkehrte Welt. Aber wie selten der Schnee hier ist, zeigt die Tatsache, dass die Mallorquiner in diesen Tagen in langen Autoschlangen auf die Tramuntana-Bergstraße aufbrechen, um vor der weißen Kulisse ein paar Erinnerungsfotos zu schießen.
Auch wenn man gerade ganz tief unten am Meer oder in der wärmeren Ebene in der Inselmitte wäre – unser kundiger Führer vergisst nicht zu erwähnen, dass man einmal im Jahr über eine Betonstraße bis auf die Funkstation auf 1.445 Meter Höhe radeln kann. "Trencagarrons" heißt die wenig bekannte Härteprüfung.
ACHTUNG, SCHAFE!
Zum Glück müssen wir keinen Gedanken an den Gipfelsturm verschwenden – die Betonpiste auf den Gipfel ist auch an diesem Tag gesperrt. In rasender Fahrt geht es stattdessen abwärts, über kurze Gegenanstiege, vorbei am Abzweig zur sehenswerten Küstenstraße Sa Calobra, die wir angesichts der unwirtlichen Bedingungen links liegen lassen, zum Kloster Lluc. Doch im Radtrikot fühlt man sich an diesem heiligen Ort ein wenig wie ein Gotteslästerer, den Besuch bei der seltenen schwarzen Madonna aus dem 13. Jahrhundert verschieben wir – und ziehen ihm einen Stopp in der Bar "Coll de sa Bataia" vor – für das nächste "Bocadillo mixto".
Ein paar Minuten später zieht der Ex-Profi durch die Kehren bergab davon, den Blick entspannt in die Weite der Ebene gerichtet. Dann dirigiert er uns durch die Straßen von Inca, und irgendwann geht’s scharf rechts auf den "Cami Vell de Muro", den inzwischen ordentlich geteerten, alten Karrenweg von Muro nach Santa Maria. Dort fühlt man sich seltener von Autos behelligt als von einer Schafherde auf dem Weg ins Gatter.
Am Ende unserer Inselrundfahrt, als die Sonne bereits hinter der Tramuntana-Kette verschwindet, verabschiedet sich Erik Zabel eilig. Wie er denn nun heimkomme? Was für eine Frage! Und schon ist er weg. Noch eine Stunde Rennradfahren bis nach Hause – das lässt der Ex-Profi sich nicht nehmen. Es scheint wirklich nichts Schöneres zu geben als Radfahren auf Mallorca ...
Im PDF-Download erfahren Sie alles über Erik Zabels Mallorca und seine Lieblingstouren:
Tour 1: Aufwärmrunde
Kilometer 75, Höhenmeter ca. 350
Wir haben uns den Süden der Insel als Ausgangspunkt für unsere Touren ausgesucht – auch Erik Zabel wohnt hier. Zahlreiche Hotels an der Playa de Palma haben sich auf die Bedürfnisse von Rennradtouristen eingestellt. Von hier führt unsere Aufwärmrunde, die in knapp drei Stunden zu bewältigen ist, über Maioris, am Leuchtturm am Cap Blanc vorbei ins Fischerdorf Sa Rapita – unweit des Sandstrands Es Trenc. In Campos geht es durch enge Gassen (Calle Ponente) auf die Nebenstraße "Cami d’Alcaria Rotja", an der T-Kreuzung rechts (Beschilderung Camino de Palmer/Talaiot folgen) und schließlich unter anderem wenige Kilometer entlang der Autobahn zurück nach S’Arenal.
Tour 2: Klosterbergrunde
Kilometer 115, Höhenmeter ca. 1.500
Die Profis fahren diese Runde gern im Frühjahr als Formtest vor den Klassikern – wo sie die giftigen Anstiege bei Rennen wie der Flandern-Rundfahrt und Amstel Gold Race bewältigen müssen: Sie führt vom Ausgangspunkt Llucmajor (von S’Arenal rund 15 Kilometer einfache Anfahrt) durch die weitgehend flache Inselmitte – ist aber mit zahlreichen Stichen auf die "Klosterberge" garniert. Ideal auch für Gruppen: Die schnellen Kletterer sammeln die Nachzügler bei der Abfahrt wieder auf. Die Route führt über weitestgehend verkehrsarme Nebenstraßen auf den Montisión, San Salvador, den Puig de Bonany und zum Schluss auf den Puig de Randa.
Tour 3: Tramuntana-Runde
Kilometer 150, Höhenmeter ca. 2.000
Diese Tour ist ein dicker Brocken. Sie führt von der Südküste ins Tramuntana-Gebirge. Ist man erst einmal über den Coll de Sóller (596 Meter) an die Westküste abgefahren, braucht man für den Weg nach Hause reichlich Schmalz. Wir haben den Weg über den längsten Anstieg der Insel von Sóller Richtung Puig Major (höchster Punkt: rund 850 Meter) gewählt – und über den Coll de Sa Bataia, Inca und den Cami Vell de Muro und in weitem Bogen über Nebenstraßen an die Südküste. Ganz Harte können noch die malerische Küstenstraße Sa Calobra in die Tour einbauen (plus 25 Kilometer und 900 Höhenmeter). Die Runde lässt sich ab Algaid oder Llucmajor entlang der Schnellstraße abkürzen.
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Spanien: Mallorca mit Erik Zabel