TOUR-SpezialBern - Region Gstaad: Wege in die Einsamkeit

Dres Balmer

 · 13.03.2024

Traumhafte Aussicht am Mittelbergpass nördlich von Saanen
Foto: Jörg Wenzel
Eine liebliche Berglandschaft mit saftigen Alpweiden und bimmelnden Kühen – abseits des mondänen Ferienorts Gstaad führen feine Bergstraßen in eine zauberhafte Abgeschiedenheit.

Was haben Roger Moore, Bernie Ecclestone, Gunter Sachs und Elizabeth Taylor gemeinsam? Alle verbrachten schon Ferien in Gstaad. Manche nennen das kleine Bergdorf, das zur Gemeinde Saanen gehört und nach dem die Ferienregion benannt ist, deshalb auch einen Nobelferienort. Aber anders als im mondänen St. Moritz schätzen viele Promis, dass sie im touristischen Hauptort der Region ihre Ruhe vor Autogrammjägern haben. Ruhe und Beschaulichkeit finden auch Rennradler, die von Gstaad die Region durchstreifen. Schon kurz oberhalb von Saanen verstummt der motorisierte Verkehr, im leichtesten Gang geht es in den Aufstieg zum Mittelbergpass. Am Weg liegen keine Bauernhäuser, sondern nur wenige, leere Ställe. Kein Pferd wiehert, kein Hund bellt, und sogar der Bach säuselt still. Diese unerklärliche Morgenstimmung befremdet die Radler aber nur so lange, bis sie die Weiden am Pass erreichen. Dort oben hören sie Kuhglocken klingen, kurz danach sehen sie auch deren Trägerinnen, die stolzen Simmentaler Kühe, und atmen auf, weil sich Leben regt am Mittelberg. Auf der Abfahrt liegt links von der Straße und unterhalb eines Felsmassivs namens Gastlosen der Weiler Abländschen: ein paar stattliche Häuser, eine Herberge und eine Kirche. Abländschen, Gastlosen, das sind verwirrende Namen wie aus einem geheimnisvollen Register.

Pilger am Kraftort

Einige Kilometer später führt die Straße zum Gestelenpass in die nächste Abgeschiedenheit. Auch dort herrscht verzauberte Gastlosigkeit, auf den hohen Hügeln ringsum stehen kleine Wälder, oder es wachsen üppige Blumenwiesen, was der Landschaft einen lieblichen Charakter verleiht. Von den Weiden klingen wieder Kuhglocken, die Vögel singen, die Blumen und das Harz duften. Hier müssen die Sagen von Zwergen und Feen entstanden sein. Wen wundert es, dass Esoteriker aus ganz Europa dorthin und eine halbe Stunde höher zum Seeberg, einem bekannten Kraftort, pilgern?

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Der unvollendete Pass

Auch nichtesoterische Radler könnten die Kraftströme gut brauchen für das, was folgt. Die Abfahrt vom Gestelenpass ins Simmental ist nämlich schmal, jäh, schier endlos und anstrengender als die Auffahrt. Frische Kuhfladen müssen umkurvt, mehrere hundert Meter Kiespiste vorsichtig befahren werden. Im Sinkflug bleibt kaum Zeit fürs gewaltige Bergpanorama. Die nächste Schönheit wartet im Tal hinter Zweisimmen: Die alte, kaum befahrene Straße hinauf nach Saanenmöser, gesäumt von breit gebauten, blumenbehangenen Bauernhäusern links und rechts. Bald wird es aber schwierig, die Hübschheiten zu genießen, denn das Sträßchen führt jetzt irrsinnig steil in den Himmel. Doch in Saanenmöser hat das Klettern ein Ende, aber auch die Abgeschiedenheit: Auf der Hauptstraße schwimmen wir gemütlich im Verkehr hinab nach Saanen.Für unsere schärfste Rundtour, die aber, wie wir bald sehen, auf ihre Art unvergleichlich ist, müssen wir das Saanenland Richtung Wallis verlassen. Zum Auftakt geht es beschwingt über die harmlosen Pässe Pillon (1.546 m) und la Croix (1.776 m). Der Col de la Croix wurde 1971 eröffnet, ist also der zweitjüngste Straßenpass der Schweiz. Von ihm hinab ins Rhonetal ist Vorsicht geboten, weil auf manchem Straßenabschnitt Gleise für Regionalzüge liegen. Unten, nach einem lauten Stück auf der Hauptstraße Richtung Martigny, führt die flache Rhone-Radroute den Fluss entlang bis kurz vor Sion. Es folgt das Filetstück, der 26 Kilometer lange Aufstieg zum Sanetschpass (2.252 m). Der Pass ist unvollendet: Die Straße führt zwar von Süden über seine Anhöhe und noch vier Kilometer auf der anderen Seite bis hinunter zum Sanetschsee, an die Grenze des Kantons Bern. Die nördliche Zufahrt wurde aber von Berner Seite nie gebaut. Das freut die Radler, weil der Sanetsch keinen Transitverkehr kennt und für Genießer einer der prächtigsten Alpenpässe ist. Aber wie kommen Rennradler ohne Straße wieder zurück ins Saanenland? Per Seilbahn! Mensch und Rad schweben vom Sanetschsee hinab nach Gsteig – aber nur bis 17 Uhr. Wer später an der Bergstation eintrifft, darf zwei Stunden mit geschultertem Rad über einen Bergweg ins Tal absteigen.

Informationen zur Region Gstaad

Anreise

Bahn: Von Frankfurt über Basel direkt nach Bern, von Stuttgart und München über Zürich. Radtransport im ICE auch innerhalb der Schweiz nur im Sack. Für die grenzüberschreitende Radmitnahme in anderen Zügen benötigt man für 10 Euro eine internationale Fahrradkarte (Stellplatz inklusive). Für EU-Gäste: Mehrtages-Angebote zum halben Preis für Zugreisen innerhalb der Schweiz unter www.swisstravelsystem.com. Die Velo-Tageskarte in Zügen und Postautos gibt es ab umgerechnet 12 Euro. Einzelheiten unter www.sbb.ch
Weiter über Spiez und Zweisimmen, nach Gstaad oder Saanen. Ab Frankfurt/Main in rund sieben Stunden mit mindestens drei Umstiegen.

Auto: Autobahnen (Jahresvignette 38,50 Euro) führen von Basel, Schaffhausen, Konstanz und Bregenz via Bern bis Wimmis, ab dort auf der Hauptstrasse 11 rund 45 Kilometer bis Saanen, wenig mehr bis Gstaad.

Infos & Unterkunft

Gstaad Saanenland Tourismus: Telefon 0041/(0)33/7488181, www.gstaad.ch
Auf der Website findet man auch Infos und Strecken samt GPS-Daten zu Rennradtouren der Region.

Gstaad: Posthotel Rössli, Telefon 0041/(0)33/7484242, www.posthotelroessli.ch
Doppelzimmer mit Frühstück ab 168 Euro.

Saanen: Jugendherberge Gstaad Saanenland, Telefon 0041/(0)33/7441343, youthhostel.ch
Der moderne Bau aus Holz und Beton liegt wenige Gehminuten vom Dorfzentrum entfernt. Pro Person kostet die Übernachtung samt Frühstück im Mehrbettzimmer ab 48 Schweizer Franken, im Doppelzimmer 124 Schweizer Franken.
Camping beim Kappeli, Telefon 0041/(0)33/7446191, www.camping-saanen.ch
Zwei Personen im Zelt für umgerechnet 26 Euro.

Rad-Service

Saanen: Bikesport Reuteler, Telefon 0041/(0)33/7445133, www.bikesport-reuteler.ch

Karten

„Neue Reisekarte Schweiz“, 1:200.000, Hallwag-Verlag 2014; 18 Euro.
VCS-Velokarten Nr. 15 „Greyerzerland – Montreux – Gstaad“, Nr. 16 „Berner Oberland West – Simmental“ und Nr. 20 „Bas-Valais – Sion“, alle 1:60.000, Kümmerly + Frey, je 26 Euro

Velo-Fest

Bei beiden Anlässen teilen sich die Radler die Straßen mit dem motorisierten Verkehr.

Bergkönig

Ende August steigt in Gstaad das Vintage Velo Festival. Mehrere Ausfahrten stehen zur Wahl, von flachen 20 Kilometern bis 103 Kilometer und 2.400 Höhenmeter. Infos unter www.bergkoenig-gstaad.ch

Gruyère Cycling Tour

Dieser Volksspaß auf zwei Rädern führt im September zwischen Charmey und Saanen über die Pässe Jaun, Mittelberg, Pillon und Mosses in zwei Varianten: 76 Kilometer/1.073 Höhenmeter und 115 km/1.917 Hm. Infos unter www.gruyere-cycling-tour.ch

Unsere Touren in der Region Gstaad

tour/saanen-to17-05_dcbcc6522edd26de6ca21286307b0be2Foto: OpenStreetMap und Mitwirkende

Tourencharakter

Lieblich sind die grünen Hügel rings um Gstaad herum, sanft die nahen Pässe Mosses und Pillon. Eine deutlich schärfere Entdeckungstour führt über die vier Übergänge Mittelberg, Jaun, Gestelen und Saanenmöser, meist auf stillen Straßen. Ins Kapitel schöner, aber sehr anstrengender Verrücktheiten gehören die Aufstiege aus dem Rhonetal zum Hongrin-Stausee (Tour 2) und auf den Sanetschpass (Tour 3) samt Finale mit Seltenheitswert: Bergab schwebt man per Seilbahn.

Tour 1: Kleine Namen, großartige Pässe

100 Kilometer, 2.750 Höhenmeter, max. 22 Prozent Steigung

tour/saanenland-tour1_840cc5053df81d54218c6d5bf63b40dcFoto: Anner Grafik

Den Jaunpass (1.509 m), der das freiburgische Greyerzerland mit dem Simmental im Berner Oberland verbindet, mag der eine oder andere Rennradler noch kennen, aber Mittelberg (1.633 m) und Gestelenpass (1.851 m)? Nie gehört? Dann wird es Zeit, denn die beiden maximal 16 Prozent steilen Übergänge führen wunderschön auf schmalen Sträßchen über Alpweiden (am Gestelen-Scheitel wenige Hundert Meter auf feinem Schotter) und gewähren großartige Ausblicke auf Berner und Waadtländer Alpen. Der giftigste (kurze) Anstieg (22 %) wartet am Ende der Runde, auf dem Radweg kurz vor Saanenmöser (1.279 m), dem Übergang zwischen Zweisimmen und Saanen.

Tour 2: Besuch im Kanton Waadt

119 Kilometer, 2.500 Höhenmeter, max. 18 Prozent Steigung

tour/saanenland-tour2_65979af7ee4a7fedbeebf1481f524de2Foto: Anner Grafik

Die Runde durch den westlich ans Saanenland angrenzenden, französischsprachigen Kanton Waadt führt zuerst über den sanften Col des Mosses (1.445 m), von dem man 18 Kilometer hinabrauscht ins Rhonetal nach Aigle (413 m), dem Sitz des Weltradsportverbandes. Die nächsten 14 Kilometer überwindet ein schmales, bis zu 18 Prozent steiles, aussichtsreiches (Blick zum Genfersee!) Sträßchen 1.140 Höhenmeter. Es klettert zuerst durch Weinberge, später durch einen 500 Meter langen, dunklen Tunnel, schwingt sich in der Höhe über Alpweiden und 47 nummerierte Brücken entlang des Hongrin-Stausees zurück zur Straße zum Col des Mosses; die 66 Höhenmeter bis zur Passhöhe nimmt man im Flug. Über Les Diablerets geht es auf den Col du Pillon (1.546 m), dessen Westseite mit knapp 400 Höhenmetern noch ein paar Körner frisst, bevor es 17 Kilometer, erst steiler, ab dem schönen Dorf Gsteig flacher hinabgeht nach Gstaad.

Tour 3: Der Unvollendete

140 Kilometer, 3.080 Höhenmeter, max. 15 Prozent Steigung

Die lange, schwere Runde um die vergletscherte Gebirgsgruppe Les Diablerets führt über drei Pässe. Die beiden ersten, Col du Pillon (1.546 m) und Col de la Croix (1.776 m), sind mit 500 und 600 Höhenmetern keine allzu schweren Prüfungen. Es folgt eine lange Sause ins Rhonetal, hinab auf 413 Meter Höhe. Die anschließende 40 Kilometer lange, flache Anfahrt zum Sanetschpass kann in sommerlicher Hitze auslaugen. Der krönende Abschluss ist gespickt mit kurzen, bis zu 15 Prozent steilen Rampen: 1.750 Höhenmeter zum Sanetsch (2.252 m) führen zuerst durch Weinberge, dann durch Bergwälder, schließlich über Alpweiden. Nach kurzer Abfahrt und kleinem Anstieg endet die Passstraße kurz vor der Kantonsgrenze Wallis/Bern. Zurück ins Tal der Saane schwebt eine Seilbahn, die Räder transportiert – aber um 17 Uhr den Betrieb einstellt. Wer später kommt, muss zu Fuß auf einem Bergpfad ins Tal absteigen.

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