Höhenrausch in den AlpenRennrad-Reise Bormio

Matthias Rotter

 · 05.10.2025

Schwerer Brocken: Im unteren Teil schmal und bewaldet, Richtung Pass­höhe rau und ausgesetzt: Der Gavia-Pass von Süden.
Foto: Matthias Rotter
​Diejenigen, die in den Alpen nach sportlichen Herausforderungen suchen, werden in der Umgebung von Bormio ein echtes Paradies finden. Diese Region ist von einigen der höchsten und anspruchsvollsten Alpenpässe umgeben. Besonders beeindruckend sind das Stilfser Joch, der Passo di Gavia und der Passo del Mortirolo mit ihren berühmten Serpentinen.

​Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhn­liche Maßnahmen. Daniele Schenas Maßnahmen sind zumindest ungewöhnlich. „Wenn ich mal wieder meine Ruhe auf der Straße haben will, stecke ich meine Batterie­lampen ans Rad und starte in aller Hergottsfrühe“, erzählt der radverrückte Hotelier aus Bormio. „Am liebsten so zeitig, dass ich zum Sonnenaufgang an der Passhöhe bin.“ Daniele lebt zwar vom Tourismus, aber was an manchen Tagen auf den Rampen des Stilfser Jochs abgeht, wird selbst ihm zu viel. Man darf es nicht beschönigen: Wenn in der Hauptsaison der motorisierte Wahnsinn durch das Kurvenlabyrinth rauscht, wird das Stilfser Joch seinem Spitznamen „Höchster Rummelplatz Europas“ leider gerecht. Daniele hingegen bietet sich nach seinen Fahrten im Morgengrauen auf 2.758 Meter Meereshöhe ein ganz ­anderes Bild. Die Rolläden der Souvenirshops sind geschlossen, die Luft ist noch nicht mit dem Aroma von Pommes und Bratwurst geschwängert.



Ikonisch: Rennradler aus aller Welt identifizieren dieses Kurvenbild auf Anhieb als Stilfser Joch – und wollen es bezwingen.Foto: Matthias RotterIkonisch: Rennradler aus aller Welt identifizieren dieses Kurvenbild auf Anhieb als Stilfser Joch – und wollen es bezwingen.

Ausblicke und atemberaubende Kulisse

Die ersten Sonnenstrahlen lassen den Gletscher am Ortler erstrahlen. Eine atemberaubende Kulisse, die für Daniele immer noch ­etwas ­Besonderes ist – und das will was heißen. Denn der Kletterspezialist hat aufgehört, seine Fahrten aufs Stilfser Joch zu zählen. Aber man munkelt von weit über dreihundert, weshalb er seinen Spitznamen „Stelvioman“ vollkommen zu Recht trägt. Daniele hat noch einen weiteren Tipp parat: „Von Bormio aus ist die Straße generell weniger überlaufen als die millionenfach fotografierte Nordostseite.“ Wobei man nicht abstreiten kann, dass gerade die Rampe von Prad herauf quasi der Inbegriff einer Passstraße ist, mit ihren 48 legendären Serpentinen, spektakulär und elegant zugleich. Jede davon kann spannende Geschichten erzählen, die ganze Kapitel in Alpenchroniken und Radsportmagazinen füllen.

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Alternative: Die Auffahrt von Bormio – statt von Prad ist weniger populär, aber nicht weniger schön.Foto: Matthias RotterAlternative: Die Auffahrt von Bormio – statt von Prad ist weniger populär, aber nicht weniger schön.

Da lässt es sich sogar verschmerzen, dass das Stilfser Joch rein topografisch „nur“ der zweithöchste Alpenpass ist. Sechs Meter niedriger als der vergleichsweise schmucklose Col de l‘Iséran in den französischen Alpen. Und Daniele gibt nicht auf, seinen Hausberg zu verteidigen. „Immerhin gibt es auf der Westrampe auch 35 Serpentinen“, sagt er lachend. Gerade der Abschnitt durchs wilde Valle del Braulio gehört für ihn ohne Wenn und Aber zu den Highlights der Region. Dort wo die Felswände eng zwischen Monte Braulio und Cima di Reit zusammenrücken, war schon im Mittelalter die Schlüsselstelle auf dem beschwerlichen Weg zu den Passhöhen von Umbrail und Stelvio.

Abgeschieden: Am Passo del Mortirolo leidet und genießt man einsam.Foto: Matthias RotterAbgeschieden: Am Passo del Mortirolo leidet und genießt man einsam.

Kreuzungspunkt der Handelsrouten

Knotenpunkt: Alte Brücke über die Adda in BormioFoto: Matthias RotterKnotenpunkt: Alte Brücke über die Adda in Bormio

In Bormio spürt man den Puls der alten Zeit förmlich bis heute nachhallen. Wir sitzen am nächsten Morgen mit ­Daniele in einer typischen Bar im Centro Storico, dem historischen Ortszentrum, wo wir vor dem Start zur nächsten Tour noch einen Espresso nehmen. Gegenüber stehen der Stadtturm und der so genannte Kuerc, eine Art Baldachin, unter dem früher Gericht gehalten wurde. Vom Platz zweigt ein Geflecht von Gassen ab, gesäumt von trutzigen Gebäuden mit dicken Mauern. Bormio war einst Dreh- und Angelpunkt wichtiger Handelsrouten über die Alpen.

Hochalpin: Die Landschaft am Gavia-Pass fasziniert mit ihrer kargen Wildheit.Foto: Matthias RotterHochalpin: Die Landschaft am Gavia-Pass fasziniert mit ihrer kargen Wildheit.

Einerseits Richtung Norden zu den Alemannen, aber auch über das Hochtal von Livigno ins schweizerische Graubünden. Eine dieser Routen will uns Daniele heute zeigen, zumindest den Teil davon, der mit dem Rennrad befahrbar ist. Der Anstieg zu den Torri di Fraéle war einst Teil der „Via lunga di Venosta“, des langen Wegs in den Vinschgau. Viel weiter als die direkte Route über den Umbrailpass, aber dafür niedriger und auch im Winter nutzbar. Wir schwingen uns in die Sättel und genießen den herrlichen Morgen. Obwohl es bereits Ende September ist, hat die Sonne den Talkessel auf angenehme Temperatur erwärmt. Perfekt, um die Pässe zu erkunden. Die Lage nahe des Alpenhauptkamms beschert Bormio oft Nordfön-Effekte und damit besseres Wetter als die Prognosen vorhersagen. Wir haben dieses Glück.

Serpentinen-Stapel: Der Anstieg zu den Torri di Fraele ist ein Fest für Kletter-Fans und Augenmenschen.Foto: Matthias RotterSerpentinen-Stapel: Der Anstieg zu den Torri di Fraele ist ein Fest für Kletter-Fans und Augenmenschen.

Unmittelbar hinter dem Ortsrand beginnt die Straße zu steigen und nach wenigen Kilometern kann man hoch oben in einer Felslücke bereits die beiden Steintürme entdecken. Ein gutes Dutzend Serpentinen rankt am freien Hang empor – kein Wunder, dass man am Fraéle nach Feierabend immer eine Handvoll einheimischer Radsportler trifft. Kurios: Vor dem Bau der Straße in den 1920er-Jahren existierte dort ein angelegter Treppenweg, der in direkter Linie zu den Torri hinauf zog. Von der schmalen Lücke aus ließ sich der Warenverkehr bis Bormio perfekt überwachen. Der Asphalt endet am Lago di Cancano, der ebenfalls erst in der Neuzeit durch Aufstauen entstand. Durch sein Becken wanderten die Säumer weiter Richtung Graubünden oder durchs Val Mora und über den Reschenpass.

Traumroute: Von Pedenosso aus windet sich die Straße zu den Torri di Fraéle, der Asphalt reicht bis zum Lago di Cancano.Foto: Matthias RotterTraumroute: Von Pedenosso aus windet sich die Straße zu den Torri di Fraéle, der Asphalt reicht bis zum Lago di Cancano.

Kurze Bauzeit

Im Sommer war der Umbrailpass, damals noch als Wormserjoch bekannt, der Hauptweg vom Veltlin in den Norden. Auch übers Stilfser Joch wanderten die Reisenden, aber vor allem der ausgesetzte Pfad nach Trafoi hinunter war steil und gefährlich. Erst als die Durchquerung des Schweizer Territoriums am Umbrailpass politische Probleme verursachte, wurden Anfang des 19. Jahrhunderts Pläne für den Bau einer Straße übers Stilfser Joch geschmiedet. Den Auftrag erhielt der damalige Star-Ingenieur Carlo Donegani, der mit Hilfe von rund 2000 Arbeitern die Trasse in nur fünf Jahren Bauzeit in den Hang fräste. Bereits im Jahr 1825 wurde sie eröffnet. Neun Stunden dauerte damals eine Fahrt mit der Pferdekutsche von Bormio nach Prad. Selbst im Winter verkehrten Schlittengespanne über den Pass. Heute undenkbar.

Gerahmter Ausblick: Kurz vor den Torri di Fraele durchfährt man grob in den Fels gehauene Tunnels.Foto: Matthias RotterGerahmter Ausblick: Kurz vor den Torri di Fraele durchfährt man grob in den Fels gehauene Tunnels.

Nach der Genusskletterei zu den Torri di Fraéle ist unsere Schonzeit allerdings vorbei. Denn die Klassiker-Touren rund um Bormio sind alles andere als launige Feierabendrunden. Die Pässe bringen selbst die Profis beim Giro d’Italia immer wieder an ihre Grenzen. „Ich dachte, ich sterbe“, diktierte schon Fausto Coppi nach der ersten Überquerung des Stelvio 1953 den Journalisten in die ­Notizblöcke. Oder die berüchtigte Gavia-Etappe von 1985, nach der die Gazetten titelten: „Der Tag, an dem die großen Männer weinten“. Ein Wintereinbruch mit Schnee­gestöber und Minustemperaturen ließ viele Fahrer fast erfrieren. Sie mussten sich an der Passhöhe dreißig, vierzig Minuten lang in den Teamfahrzeugen auftauen, um überhaupt weiterfahren zu können. Der spätere Sieger Andrew Hampsten war besser vorbereitet und nahm die Abfahrt mit Schal, Skimütze und Neoprenhandschuhen bekleidet in Angriff. Überhaupt ist Schneechaos beim Giro-Termin im Frühjahr fast immer ein Thema, wenn Stelvio und ­Gavia auf dem Etappenplan stehen.

Herausfordernde Höhenmeter

Als wir uns am nächsten Tag auf den Weg zum Passo di Gavia machen, treibt uns das Wetter ebenfalls Tränen in die Augen. Aber vor Freude! Der blaue Himmel spendet jedenfalls Motivation für die anstehenden Höhenmeter, denn wie üblich bei Touren rund um Bormio steht eine sportliche Drei vor der Tagessumme. Und zum Auftakt verwöhnt uns der Gaviapass mit einsamer Kletterei und einer Bergwelt von rauer Schönheit. Ein angenehmer Gegenpol zum Rummel am Stilfserjoch. An der Passhöhe quellen dramatische Wolkenformationen aus dem Tal von Ponte di Legno herauf. Noch mehr Respekt flößt uns allerdings der Gedanke an die Steilrampen des Passo del Mortirolo ein, der auf der zweiten Hälfte der Runde wartet. Wobei der heutige, ostseitige Anstieg über das Bergdorf Monno nur ein Vorgeschmack auf das ist, was Radler auf seiner Westseite erwartet. Alleine die Geschichten jagen einem bereits Schauer über den Rücken. Die Entdeckung des Mortirolo im Jahr 1990 war im Prinzip die Konsequenz aus Horror-Etappen wie der von 1985. Die Organisatoren benötigten ganz einfach eine Ersatz-Sensation für die im Frühjahr oft verschneiten Giganten. Und deren Motto lautet: Steil ist geil. Zumindest für die Zuschauer, die bei Rampen von 18 Prozent und mehr die Fahrer ein paar Sekunden länger leiden sehen können. Ausgenommen vielleicht Bergflöhe wie Marco Pantani, der die klassische Rampe von Mazzo im Jahr 1994 mit einem Schnitt von 17 km/h hinauf flog und sich die Bergwertung holte. Daran erinnert bis heute ein Denkmal in Serpentine Nummer 11. Das allerdings werden wir an einem anderen Tag würdigen. Wenn die Beine sich wieder etwas erholt haben von der Pässejagd rund um Bormio.

Infos & Tipps Bormio

​Anreise

Bahn

Ob Bahn oder Auto – wegen seiner versteckten Lage im Herzen der Alpen ist Bormio nicht einfach zu erreichen. Der nächste Bahnhof liegt in Tirano, rund 38 Kilometer südlich im Valtellina. Tirano ist an Mailand angeschlossen, aber auch über die Schweiz erreichbar (Bernina Express). Fahrzeit ab München (via Mailand) bis zu neun Stunden mit fünf Umstiegen. Für die Fahrradmitnahme im Fernverkehr benötigt man eine internationale Fahrradkarte und eine Stellplatzreservierung, am besten frühzeitig unter www.bahn.de informieren. Der Transfer zwischen Tirano und Bormio läuft über das Busunternehmen Perego (www.busperego.com), dessen Flotte großteils mit Fahrradträgern ausgestattet ist. Telefonische Buchung wird empfohlen: +37/(0)342/701200

Auto

Der direkteste Weg aus dem östlichen Süddeutschland führt über die Route Innsbruck, Landeck, Reschenpass und Stilfser Joch nach Bormio. Alternativ bietet sich auch die Route über den Brenner und via Bozen und Meran an. Aus Südwestdeutschland wählt man die Schweiz-Route über Chur, Julierpass, St. Moritz, Berninapass und Tirano nach Bormio. In jedem Fall stehen einige Pass-Überquerungen und Mautkosten an. Entfernung von München rund 300 Kilometer (Reschen-Route), von Stuttgart 480 Kilometer (Chur-Julier-Route).

Beste Reisezeit

Da die Touren über einige der höchsten Alpenpässe führen, öffnet sich für einen Aufenthalt in Bormio nur ein relativ kleines Zeitfenster. Stilfser Joch und Gaviapass sind in der Regel von Juni bis Oktober geöffnet. Wer kann, sollte jedoch die Monate Juli und August meiden, in denen ­besonders am Stilfser Joch extrem hoher Ausflugsverkehr herrschen kann. Tipp: Je nach Wetterlage können in der Periode von Mitte September bis Mitte Oktober ideale Bedingungen herrschen.

Event

Unter dem Motto „Enjoy Stelvio National Park“ gibt es seit 2018 verschiedene Tage im Jahr, an denen die Pässe Stelvio, Gavia und Cancano (Torri di Fraéle) für den motorisierten Verkehr gesperrt werden. Beispiel Stilfser Joch 2025: Am 25. August die Nordseite ab Trafoi, die Südseite ab Bormio, Bagni Vecchi und der Anstieg über den Umbrailpass ab Santa Maria im Val Müstair. Alle Infos auf www.enjoystelviopark.it

200 Jahre Stilfser Joch

Im Mai 2025 jährte sich die Eröffnung der Stelvio-Straße zum zweihundertsten Mal. Über die Saison verteilt haben die Talgemeinden Veranstaltungen zum Thema geplant. Einen Eventkalender findet man unter anderem auf der Website des Vinschgau unter www.venosta.net

Essen & Trinken

Berühmte Spezialität: Pizzoccheri della ValtellinaFoto: Matthias RotterBerühmte Spezialität: Pizzoccheri della Valtellina

​Das inneralpin gelegene und somit vom Wetter ziemlich abgeschirmte Veltlin ist klimatisch durchaus vergleichbar mit dem Südtiroler ­Vinschgau. Und so breiten sich auch zwischen dem Nordende des Comersees und der talaufwärts gelegenen Stadt Tirano große Apfel- und Obstplantagen aus. Angebaut werden hauptsächlich die Sorten Golden Delicious und Gala, beide von eher süßem Aroma. Wie jede Alpenregion besitzt auch das Veltlin seine ganz eigenen Käse- und Trockenfleisch-Sorten. Die Bresaola ist ein extrem fettarmer Rinderschinken, der dünn geschnitten zusammen mit Parmesanspänen auf einem Teller angerichtet wird. Darüber gibt man etwas Olivenöl und ­Zitronensaft. Dazu ein knuspriges, ringförmiges Roggenbrot und ein lombardischer Rotwein. Die typischen Käsesorten heißen Bitto, hergestellt aus Kuh- und Ziegenmilch, sowie Valtellina Casera. Letzteren findet man häufig als Zutat im berühmtesten Teigwaren-Gericht der Region: Pizzoccheri della Valtellina. Dabei handelt es sich um eine Art Buchweizen-Spätzle, die in Kombination mit verschiedenem Gemüse zubereitet werden. Eine besondere Erwähnung verdient der Kräuterlikör Braulio, der im Jahr 1875 erstmals vom Apotheker Francesco Peloni in Bormio hergestellt wurde. Für den zweijährigen Reifeprozess lagert dieser würzige Amaro, ­abgefüllt in Eichenfässer, in riesigen Keller­gewölben unter der Altstadt. Selbstverständlich wird das Rezept des Destillats bis heute streng gehütet und von Generation zu Generation ­weitergegeben.

Reife im Eichenfass: Braulio-DestillerieFoto: Matthias RotterReife im Eichenfass: Braulio-Destillerie

Bormio Agriturismo Rini

Via Cavalier Pietro Rini 2, Telefon +39/(0)342/901224, www.agriturismobormio.it

In einer warmen Atmosphäre aus Holz lassen sich die regionalen Spezialitäten von Pasta bis Fleisch besonders genießen. Alle Käse- und Wurstwaren stammen aus ­eigener Produktion.

Unterkunft

Als bekannter Wintersportort – in Bormio fanden bereits zwei alpine Weltmeisterschaften statt – bietet der Ort eine große Auswahl an Unterkünften. Und viele davon sind in der Sommersaison auf Radsportler eingerichtet. Für Wohnmobilisten hat Bormio einen Stellplatz am südlichen Ortsrand eingerichtet, der nächste Campingplatz (Cima Piazzi) liegt vier Kilometer talabwärts. Übersicht unter www.bormio.eu

Bormio Hotel Meublé Sertorelli Reit

Via Monte Braulio 4 Telefon +39/(0)342/910820 www.hotelmeublebormio.com
Familiengeführtes Frühstückshotel am Rand der Altstadt. Abschließbarer Radkeller mit Werkzeug-Ausstattung. Doppelzimmer mit Frühstück ab 89 Euro.

Hotel Funivia

Via Funivia 34, Telefon +39/(0)348/3237483, www.hotelfunivia.it
Als erstes Hotel in Bormio spezialisierte sich Chef Daniele Schena auf Radfahrer. Tourentipps gibt’s vom „Stelvioman“ höchstpersönlich. Perfekt ­eingerichtete Radwerkstatt. Doppelzimmer mit Frühstück ab 99 Euro.

Radservice Bormio

Stelvio Experience Via Stelvio 5, Telefon +39/(0)342/238933, www.stelvioexperience.it
Rundum-Service für Radler: Shop, Café, Werkstatt, Verleih und geführte Touren.

Infos

Bormio Tourismus, Via Roma 131/B, I-23032 Bormio, Telefon +39/(0)342/903300, www.bormio.eu

​Nicht verpassen

Thermalbäder

Bad mit Aussicht in der alten ThermeFoto: Matthias RotterBad mit Aussicht in der alten Therme

Bormios heiße Quellen sprudeln nördlich des Ortes mit einer Temperatur von bis zu 41 Grad an die Oberfläche. Besonders stilvoll genießt man das warme Wasser in der alten Therme „Bagni Vecchi“, die aussichtsreich an der Stelvio-Straße liegt (www.qcterme.com). Direkt am Ortsrand ist das neue Bad „Bormio Terme“ besser für Familien geeignet (www.bormioterme.it). Geheimtipp: Die Einheimischen legen sich für ein schnelles Aufwärmen ins öffentliche Naturbecken der „Terme Libere“ (Vasche di Leonardo). Es liegt am Fluss Adda, unweit der Straße nach Livigno (SS301), etwa zwei Kilometer hinter Bormio in einer scharfen Linkskurve. Man folgt ab der Parkbucht einem schmalen Fußweg entlang einer Felswand.

Stadtmuseum

Das Museo Civico ist mehr als ein Ersatzprogramm an einem Regentag! In den Räumen des Palazzo de Simoni aus dem 17. Jahrhundert ­bekommt man einen authentischen Eindruck des harten Lebens unserer Vorfahren. Gezeigt werden unter anderem viele Gegenstände des täglichen Lebens und Objekte aus Kunst und Kirche. Auch Handel und Verkehr über die Pässe ist ein Thema. Zu den olympischen Winterspielen 2026 ist eine neue Ausstellung geplant, die sich dem Thema Krieg am Stilfser Joch widmet. Auch der Klimawandel spielt dabei eine Rolle. Denn Anlass ist die Entdeckung eines Forts auf dem 3.095 Meter hohen Monte Scorluzzo, das bislang unter dem Eis verborgen war. www.museocivicobormio.it

Orientierung: Die Touren auf der Karte

Übersichtskarte BormioFoto: Printmaps.net /OSMÜbersichtskarte Bormio

​Die rund 4.000 Einwohner zählende Gemeinde Bormio liegt am Südfuß des Stilfer Jochs im oberen Tal des Flusses Adda, genannt Veltlin (Valtellina). Die Adda mündet 100 Kilometer talabwärts in den Comersee. Bormio zählt zur Region Lombardei und zur Provinz Sondrio. Der geräumige Talkessel liegt auf 1.225 Metern Meereshöhe und ist Kreuzungs- und Ausgangspunkt wichtiger historischer Handels­wege, sowohl in Richtung Schweiz/Engadin als auch über den Alpenhauptkamm in Richtung Vinschgau und Österreich. Bormio hat eine lange Tradition als Wintersportort und ist regelmäßig Etappenort des Giro d’Italia, zuletzt in diesem Jahr im Rahmen der 17. Etappe. 2026 werden am Hausberg zahlreiche alpine Wettbewerbe im ­Rahmen der Olympischen Winterspiele Mailand/Cortina ausgetragen.

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Tour 1: Stelvio Extrem

Tour 1: ​102 Kilometer / 3200 Höhenmeter / max. 12 % SteigungFoto: Anner GrafikTour 1: ​102 Kilometer / 3200 Höhenmeter / max. 12 % Steigung

​102 Kilometer | 3200 Höhenmeter | max. 12 % Steigung

​Mit 2.758 Metern Höhe ist das Stilfser Joch der zweithöchste Alpenpass – und gehört damit ins Pflichtenheft jedes Pässefahrers. Im Blickpunkt liegt meistens die Nordrampe, die mit ihren 48 Kehren Kultstatus genießt. Im Vergleich zu vielen anderen Passstraßen lässt sich das Stilfser Joch gut in Rundtouren einbinden, da mit Umbrail und Ofen zwei weitere Übergänge in der Nähe liegen. Auf dieser Runde bietet der Umbrailpass die Gelegenheit, die begehrte Nord­ostseite des Stelvio mit Abfahrt auf einer etwas ruhigeren Straße zu erreichen. Die Auffahrt von Bormio aus zum Stelvio, die zugleich zur Umbrail-­Passhöhe führt, gilt als geringfügig leichter als die berühmte Rampe von Prad. Das mag zum Auftakt ein kleiner Vorteil sein. Auf jeden Fall sollte man sich eine Not-Beleuchtung ans Rad klemmen, denn es gibt auf der Strecke einige, wenn auch nur kurze Tunnels. Landschaftlich hat das Valle del Braulio seinen ganz eigenen, rauen Charme. Mit jeder Serpentine öffnet sich das karge Hochtal weiter, bis auf knapp 2.500 Metern Höhe links die Straße ins schweizerische Val Müstair abzweigt. Gleichzeitig überquert man auf der kleinen Hochebene den Umbrailpass. Im Münstertal ist es für ­Rennradler sinnvoll, weiter bergab auf der Hauptstraße zu fahren, da die Nebenstrecken teilweise nicht asphaltiert sind. An der Abzweigung nach Laatsch ist die Radroute Richtung Meran ausgeschildert. Dieser folgt man bis Prad. Nun heißt es tief Luft holen – und die anstehenden Fakten am besten ausblenden: 1.844 Höhenmeter, verteilt auf rund 25 Kilometer und die legendären 48 Serpentinen. Eine Fahrt in Himmel und Hölle zugleich. Umso ­schöner, wenn man am Abend nach 3.200 Höhenmetern und insgesamt weit über hundert Serpentinen wieder in Bormio einrollt.

Tour 2: Zwei Giganten

Tour 2: ​108 Kilometer / 3000 Höhenmeter / max. 15 % SteigungFoto: Anner GrafikTour 2: ​108 Kilometer / 3000 Höhenmeter / max. 15 % Steigung

​108 Kilometer | 3000 Höhenmeter | max. 15 % Steigung

Der Kultstatus des Stilfser Jochs überstrahlt alle Straßen in der Region Bormio. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn dadurch herrscht auf den anderen Pässen spürbar weniger Trubel. Der Passo di Gavia ist unter den Einheimischen jedenfalls ganz klar der Favorit. Und mit 2.621 Metern Scheitelhöhe ebenfalls ein Riese. Nur eben ein etwas sanfterer, besonders auf der Nordseite. Die Straße ist schmaler, die Steigung menschlicher, die Landschaft weitläufiger. Sobald man den Skiort Santa Caterina hinter sich gelassen hat, kann der Gavia mit seiner rauen Schönheit begeistern. Sogar einen Gletscher gibt es zu bewundern, während man sich durch das karge Hochtal zur Passhöhe arbeitet. Diese wird zudem vom Lago Bianco veredelt, auf dem selbst im Sommer an manchen Tagen vereiste Stellen zu finden sind. Vorsicht auf der Abfahrt nach Ponte di Legno! Im unteren, bewaldeten Abschnitt ist die Straße teilweise extrem ­schmal. Ponte ist ein etwas schmuckloser Skiort, den man aber zur Verpflegung nutzen ­sollte. Bis zum nächsten Anstieg bleiben dann noch einige Kilometer Zeit, um wieder in Tritt zu kommen. Der Passo del Mortirolo ist nämlich ebenfalls ein Gigant, aber auf andere Art und Weise. Wenngleich die Ostrampe nur ein Vorgeschmack darauf ist, was dieses Schreckgespenst auf der Westseite noch zu bieten hat. Der Anstieg über das Bergdorf Monno ist dennoch nicht zu unterschätzen und endet erst auf 1.852 Metern Höhe. Die Abfahrt nach Grosio zählt ebenfalls zu den moderateren der sechs Varianten am Mortirolo. Die 500 Rest-Höhenmeter durchs Valtellina zurück nach Bormio verteilen sich zwar auf 25 Kilometer, müssen aber auch erst einmal weggedrückt werden. Immerhin fährt man verkehrsfrei auf einem perfekten Radweg.

Tour 3: Schmugglerparadies Livigno

Tour 3: ​106 Kilometer / 3400 Höhenmeter / max. 12 % SteigungFoto: Anner GrafikTour 3: ​106 Kilometer / 3400 Höhenmeter / max. 12 % Steigung

106 Kilometer | 3400 Höhenmeter | max. 12 % Steigung

Die Gemeinde Livigno liegt in einem Hochtal auf rund 1.800 Metern Höhe zwischen dem schweizerischen Engadin und Bormio. Aufgrund der Unzugänglichkeit wurde Livigno bereits 1805 zum Zollausschlussgebiet erklärt, weshalb seit jeher Handel und Schmuggel eine große Rolle spielten. Bis heute lebt der Ort fast ausschließlich vom Tourismus. Das Hochtal ist lediglich über zwei Pässe, Foscagno und Forcola, oder einen Tunnel erreichbar. Zwei davon nutzt diese Runde, die man sinnvollerweise gegen den Uhrzeigersinn fährt. Denn so kann man den verkehrsreichen Passo di Foscagno am Ende entspannt nach Bormio hinunterrauschen. Es gilt zu beachten, das für die Durchquerung des Tunnels zwischen Ofen-Passstraße und Livigno zwingend ein Fahrrad-Shuttle-Bus zu benutzen ist, der nur in den Monaten Juni bis August verkehrt (stündlich). Die Tour startet identisch zur Stelvio-Runde mit der Überquerung des Umbrail-Passes. In Santa Maria jedoch biegt man links ab und folgt dem ansteigenden Val Müstair. Die Ostseite des Ofenpass (2.149 Meter) ist mit einer durchschnittlichen Steigung von unter 6 Prozent und 775 Höhenmetern im Vergleich zum Umbrail fast schon erholsam. Die Tunnelpassage – ebenfalls entspannt. Im Anschluss geht es 10 Kilometer am Lago di Livigno entlang, meist unter Lawinenschutz-Galerien. Diese sind zwar nicht ganz dunkel, dennoch ist eine Notbeleuchtung am Rad empfehlenswert. Wer sich den Trubel im Ort sparen will, nimmt den Radweg, der entlang des Flusses direkt wieder zum „Ausgang“ des Tals führt. Der Anstieg zum Passo di Foscagno (2.291 Meter) führt zwangsläufig über den Passo d’Eira (2.210 Meter) mit anschließender Zwischenabfahrt von 200 Höhenmetern.

Tour 4: Mortirolo-Kammstraße

Tour 4: ​115 Kilometer / 2370 Höhenmeter / max. 18 % SteigungFoto: Anner GrafikTour 4: ​115 Kilometer / 2370 Höhenmeter / max. 18 % Steigung

115 Kilometer | 2370 Höhenmeter | max. 18 % Steigung

Der Höhenzug des Passo del Mortirolo ist von einem Netz asphaltierter Almwege überzogen, viele davon sind Überreste alter Militärstraßen. Heute dienen diese einsamen Routen zum Glück nur noch dem Zweck, die Aussicht zu genießen. Und die ist auf der Kammstraße besser als am Mortirolopass selbst, denn der verläuft größtenteils im dichten Wald. Aber genussvolle Panoramen sind auch nicht die Kernkompetenz dieses Passübergangs. Eher schon, Radfahrer an ihre Leistungsgrenzen zu bringen. Nach erholsamer Einrollphase bergab durchs obere Valtellina sollte man sich auch genau darauf gefasst ­machen! In Mazzo biegt die Route links ab und folgt der klassischen Auffahrt des Giro d’Italia, die ob ihrer unmenschlichen Steigungsprozente selbst gestandene Radprofis erzittern lässt. Die nummerierten Kehren, eine steiler als die andere, wollen einfach kein Ende nehmen. Bei Nummer 11 passiert man ein rostiges Denkmal, das an den großen Marco Pantani erinnert. Der italienische Kletterheld schrieb am Mortirolo mit denkwürdigen Fluchten Geschichte. An der Passhöhe rauschen wir im Gegensatz zum ­Peloton aber nicht gleich wieder ins andere Tal hinunter, sondern biegen rechts auf einen unscheinbaren Weg ab, der nach Trivigno ausgeschildert ist. Diese Kammstraße schlängelt sich nun kilometerlang über den gesamten Bergrücken Richtung Süden. Nicht ganz ohne Wellen, aber dafür wunderbar ruhig. Die enge Abfahrt ab Alp Trivigno erfordert Konzentration und endet in Tirano, wo man sich Kaffee und Kuchen redlich verdient hat. Auf dem Valtellina­-Radweg geht es autofrei zurück nach Bormio.

Tourencharakter

Pässe, Pässe, Pässe – es geht bergauf, egal in welche Richtung man von Bormio aus startet.Foto: Matthias RotterPässe, Pässe, Pässe – es geht bergauf, egal in welche Richtung man von Bormio aus startet.

Pässe, Pässe, Pässe – es geht bergauf, egal in welche Richtung man von Bormio aus startet. Ausnahme ist nur der Radweg talabwärts durchs Valtellina. Aber auch dort ­lauern links und rechts weitere Passstraßen. Zum Beispiel der gefürchtete Mortirolo, oder der mächtige Berninapass mit fast 2.000 Höhen­metern hinüber ins schweizerische Engadin. Fakt ist: Es gibt kaum einen anderen Ort in den Alpen, der so zentral inmitten eines Netzwerks von Pass- und Bergstraßen liegt. Und es sind nicht irgendwelche Pässe! Stilfser Joch, Gavia und Umbrail belegen Platz zwei, sechs und acht in der Top-Ten-Rangliste der Alpen. Hinzu kommen Stichstraßen wie die Torri di Fraéle und zu weiteren Bergdörfern. Fazit: Wer nach Bormio kommt, muss Höhenmeter machen können und wollen. Eine entsprechende Übersetzung am Rad – mit Rettungsritzel – und adäquate Fitness sind Pflicht. Und wer einen der vorgestellten Rundkurse in Angriff nimmt, muss sich im Klaren darüber sein, dass es ab der ersten Passhöhe keine leichten Abkürzungen mehr gibt. Auch das Wetter spielt im Hochgebirge eine wichtige Rolle. Man sollte definitiv auf alles vorbereitet sein.

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