Weit im Süden Italiens liegen die Abruzzen. Hier schwingt sich der Apennin zu alpinen Höhen auf, bis zu 3.000 Meter. Ein stilles, vielseitiges Revier mit mäßigen Steigungen und grandioser Landschaft.
Es ist Viertel vor eins in der Nacht, der Inhaber des kleinen Fischlokals räumt endlich die letzten von einem Dutzend Tellern ab. Zuvor gab es alles aus der Adria, was sich grillen, frittieren und abknabbern lässt, dazu drei Sorten Dessert und frischen, kühlen Weißwein. "Noch einen Kaffee?" Die Aktiven vom S. C. Ovidiano strecken die Beine unterm Tisch, die Bäuche sind voll, richtig voll. "Sonst noch etwas?" Höchst befriedigtes Abwinken. Aber doch, ein Kaffee muss sein, denn jetzt wird es ernst: Es ist der Vereinsabend des Radclubs aus Sulmona. Also werden Mitgliedsbeiträge in bar eingesammelt und die Designs des Trikots für die nächste Saison erörtert. Um zwei schlendert die Truppe plaudernd und sehr langsam über die uralten, blankgewetzten Steinplatten der Altstadt heimwärts. Die Luft ist mild, die Flaniermeile noch voller Menschen. Man zeigt sich, grüßt sich, plaudert Unverbindliches. Die Schuhe sind geputzt, die Haare gegelt.
Es ist das Italien, in das sich Menschen von nördlich der Alpen sehnsuchtsvoll wünschen, wenn ihnen dort die sommerliche Heiterkeit wegbröselt. Doch es ist auch das Italien, das sie selten besuchen – tausend Autokilometer ab München sind eben eine Ansage. Tommaso Paolini, grauhaarig und der "professore" im Club, will das ändern. Er lehrt Tourismus an der Universität der Provinzhauptstadt L’Aquila und hat ein schwelgerisches Fachbuch über die Gegend veröffentlicht: "Radfahren im Paradies". Und natürlich hat der Professore einige Tourentipps, die seine stolze These beweisen sollen. Doch wo beginnen, in einer Stadt, die von Nationalparks geradezu umstellt ist? Die Entscheidung fällt zugunsten des Südwestens, wo die Rennrad-Touristiker im Sommer 2014 die "Wolf Bike Tour" installiert hatten. Der Rundkurs ist nach Kartenansicht so logisch, dass man ihn auf Regierungsdeutsch als "alternativlos" bezeichnen könnte.
Den gesamten Artikel und diese Touren sowie die GPS-Daten finden Sie unten als Download:
• Tour 1: Über den Kaiseracker (130 Kilometer, 2.200 Höhenmeter, max. 11 % Steigung)
• Tour 2: Zum Blockhaus (80 Kilometer, 2.050 Höhenmeter, max. 13 % Steigung)
• Tour 3: Durch die Maiella (90 Kilometer, 1.400 Höhenmeter, max. 11 % Steigung)
• Tour 4: Die grünen Berge (124 Kilometer, 2.000 Höhenmeter, max. 10 % Steigung)
Die Region Abruzzen gehört geographisch zu Mittelitalien, wird aber aus historischen Gründen zu den Regionen Süditaliens gezählt. Im Westen grenzt sie an die Region Latium mit der Hauptstadt Rom, im Osten an die Adria, entlang der sich ein flacher Küstenstreifen erstreckt, der in eine Hügellandschaft übergeht. Zwei Drittel der Region nimmt aber das zum Apennin gehörende Gebirge ein, in dem drei Nationalparks liegen: der Gran Sasso im Norden, südlich davon der Maiella und ganz im Süden der Abruzzesische Nationalpark. Im Gran-Sasso-Massiv liegt auch der höchste Berg der Abruzzen, der 2.912 Meter hohe Corno Grande ("großes Horn") – abgesehen vom Ätna auf Sizilien der höchste Berg Italiens südlich der Alpen. Am 6. April 2009 bebte in der Region die Erde, das Epizentrum lag südwestlich von L’Aquila, 308 Menschen verloren ihr Leben. Die früher prächtige Altstadt liegt noch heute teilweise in Ruinen.
Trotz ihrer südlichen Lage bekommen die Abruzzen oft reichlich Schnee ab – dort liegen die Skigebiete der Römer. Der höchste Punkt unserer Touren liegt jenseits der 2.000 Meter. Alle Runden enthalten lange und eher gleichmäßige Anstiege, häufig mit Flachstücken. Deutlich über zehn Prozent steil ist nur der Giro-Anstieg Richtung Blockhaus. Außerhalb der oft sehr heißen Sommerferien sind viele Abschnitte kaum befahren, lediglich die SS 5 Richtung Pescara sowie kurze Stücke auf der SS 17 um L’Aquila erfordern Nerven. Die Straßenbeläge sind generell gut bis befriedigend. Wer auch Tour 2 und 4 von Sulmona aus fahren will, muss zusätzlich viele verkehrsreiche Kilometer einplanen.