Ausgerechnet ein Extrembergsteiger hat die wohl krasseste Rennradtour in den Alpen entworfen: Hervé Barmasse. Der Ausnahmekletterer aus Italien fuhr die 13 Gipfel in den Dolomiten in nur 15 Stunden ab. Dafür musste er mehr als 8400 Höhenmeter erobern, erklimmen und erstürmen, 285 Kilometer im Sattel sitzen. Warum hat der Mann, der sonst Achttausender im Himalaya besteigt, die “Supermaratona” gemacht? Er ist der festen Überzeugung, dass wir alle nur einen begrenzten Zeitraum haben, um unsere Ziele und Träume zu verwirklichen. Daher solle man versuchen, unbedingt etwas Denkwürdiges zu schaffen. In erster Linie machte er das also für sich selbst. Und aus diesem Grund habe auch ich den Höllenritt in Alta Badia abgefahren – wenn auch nicht am Stück und auch nicht alleine. Aber der Reihe nach.
Das Abenteuer beginnt in der Eingangshalle des Bike-Hotels Melodia del Bosco, in der Nähe von Pedraces. Dort steht “Bokšić”, unser Guide für die nächsten drei Tage. “Bokš”, wie alle ihn rufen, heißt mit bürgerlichem Namen Richard Feichtner, sieht dem kroatischen Fußballstar gleichen Namens aber zum Verwechseln ähnlich. Feichtner hat früher auch gekickt, beim U.S. Alta Badia beackerte er die linke Außenbahn wie kein Zweiter. Einzig mit der Technik haperte es. Das lag aber nicht an Richard, sondern daran, dass der Fußballplatz im Winter immer meterhoch mit Schnee bedeckt war, somit fast nie Training stattfinden konnte. So standen die Alta-Badia-Kicker im Frühjahr nach Dutzenden Skitagen zwar topfit auf dem Fußballplatz, aber in den ersten Spielen kam kein einziger Ball dort an, wo er ankommen sollte. “Zu Anfang der Saison haben wir mit Skischuhen an den Füßen gespielt”, erinnert Feichtner sich lachend.
Luck, der Mechaniker, möchte mein Rad inspizieren, bevor wir aufbrechen. Er schaut mich streng an und sagt nur: “Dirty”
Nun dirigiert “Bokšić” uns durch das Melodia del Bosco. Wer denkt, das sei ein normales Hotel, in dem man nur ein paar Rennräder ausleihen könne, der irrt. Der Radkeller, der so gesichert ist wie das Gefängnis Alcatraz in San Francisco, hat gerade ein paar ganz besondere Schätze gebunkert. Dort haben die Gäste aus aller Welt ihre neuesten Pinarellos und Bassos abgestellt. Also schiebe ich mein Cannondale auch hinein. Luck, der australische Mechaniker, möchte noch mein Rad inspizieren, bevor wir am nächsten Tag aufbrechen. Ich bin gespannt, was Luck sagen wird. Er schaut erst mein Rad skeptisch an, dann mich, streng, wie einst meine Grundschullehrerin. “Dirty”, sagt er nur. Dreckig. Gemeinsam entscheiden wir, dass ich es vor unserem Höllenritt putze.
Blitzblank mein Cannondale, ich frisch frisiert, stehen wir am nächsten Morgen mit den anderen Journalisten vor dem Hotel, die zur Kennenlern-Runde der neuen “Supermaratona” eingeladen sind. Mit am Start: Edward vom britischen Cycling-Magazin “Rouleur”, Andreas von der “FAZ”, Robin von “Lonely Planet”, dem wohl bekanntesten Reiseblatt auf diesem Planeten. Zusammen wollen wir die Runde abfahren.
Nicht die Strecke des “normalen” Dolomiten-Marathons mit “läppischen” 138 Kilometern und 4200 Höhenmetern, sondern den völlig verrückten “Supermaratona”, den Barmasse ins Leben gerufen hat. Das bedeutet, wie schon erwähnt: 285 brutal anstrengende Kilometer, 8400 brutal steile Höhenmeter, 13 brutale – und zugleich wunderschöne – Pässe. Also: Grödner Joch, Sellajoch, Passo Fedaia, Duran, Staulanza, Giau, Tre Croci, Falzarego, Valparola, Campolongo, Pordoi – und dann wieder Grödner Joch und Sellajoch.
Wie sagt Bergsteiger-Legende Reinhold Messner immer so gerne: “Hügel gibt es viele auf der Welt. Schöne Berge hingegen nur wenige. Die schönsten sind die Dolomiten.” Aus eigener Erfahrung weiß ich: Man kann Messner widersprechen, sollte es aber tunlichst vermeiden. In diesem Fall muss man es vielleicht auch gar nicht, denn: Messner hat recht.
Messners deutlich jüngerer Bergsteigerkollege Barmasse ist die Supermaratona im vergangenen Jahr zum ersten Mal gefahren. Nonstop. Einem altgedienten Radprofi hätte man so etwas sicher zugetraut, aber einem Kletterer aus dem Aostatal? Der erst vor vier Jahren mit dem Rennradfahren begonnen hat?
Der Spross einer Bergsteiger-Familie aus dem Aosta-Tal, auf der italienischen Seite des Matterhorns, hat sich dem Sport gleich mit Haut und Haaren verschrieben. Den ganzen Winter über trainiert er auf der Rolle und den Sommer auf der Straße, um eine “gute aerobe Basis für das Alpin-Training zu schaffen”. Obwohl er gar nicht mal so viel im Sattel sitzt, spürt Barmasse immer mehr das Bedürfnis, die Welt des Radsports ernsthafter zu erkunden und strukturierter zu trainieren, weil er die positiven Effekte deutlich wahrnimmt. Die Supermaratona hat er in 15:09 Stunden absolviert. “Auf dem Rad war ich mir nicht sicher, ob ich diese Kilometer und Höhenmeter an einem so intensiven Tag gut bewältigen könnte. Doch dank der Erfahrung, die ich im Himalaya gesammelt habe, ist alles gut verlaufen”, sagt der Mann, der 2017 zusammen mit dem Münchner David Göttler auf dem Shishapangma stand, einem der 14 Achttausender.
Reinhold Messner betont immer, dass es für eine Gesellschaft, die Produktivität und Profit zum Maßstab des Wohlstandes erhoben hat, völlig absurd sei, auf irgendwelche Berge zu steigen. Schließlich würde er nichts herstellen, keine Dienstleistung anbieten. Barmasse stimmt Messner zu. “Aus utilitaristischer Sicht hat das Besteigen von Bergen keinen wirklichen Nutzen. Zum Glück bemisst sich das menschliche Wohlbefinden aber nicht nur in Profit oder greifbaren Ergebnissen. Emotionen kann man nicht kaufen – man muss sie erleben”, sagt er: “Die Supermaratona war daher eine unglaubliche Gelegenheit, mich in einem Umfeld herauszufordern, das nicht mein gewohntes Terrain ist. Um meine Komfortzone zu verlassen.”
Inzwischen ist Barmasse der Meinung, dass Radsport die einzige Sportart sei, die dem Gefühl nahekommt, das man beim Besteigen eines Achttausenders erlebt. Bevor wir zu unserem Rad-Abenteuer aufbrechen, haben es lediglich acht Radsportler geschafft, die Strecke an nur einem Tag zu fahren: Zwei Italiener, darunter Barmasse, ein Holländer sowie fünf Deutsche. Nachzulesen in der “Hall of Fame” der Supermaratona. Auf dieser Website kann man seine Befahrung des Monster-Marathons dokumentieren, in dem man den Strava-Link der Aufzeichnung hochlädt. Wichtig: ehrlich sein! Das Organisations-Team behält sich vor, Aufzeichnungen mit unrealistischen Geschwindigkeiten, wenn man beispielsweise mit dem Auto fährt, auszuschließen. Und: Die Strecke muss exakt dem festgelegten Verlauf folgen. Schon kleine Abweichungen führen zur Ablehnung. Was natürlich auch verboten ist: E-Bikes.
Ob wir nun auch Denkwürdiges erleben, wenn wir die Route von Barmasse abfahren, werden wir sehen. Was hingegen feststeht, sind die Rahmendaten: Wir kleine Reporter-Meute fahren die Strecke über drei Tage verteilt, schließlich wollen wir uns ja alles anschauen, mit den Leuten reden, recherchieren. Am ersten Tag stehen trotzdem 3800 Höhenmeter auf der Agenda. Also rollen wir los, erst Richtung Corvara, dann rauf aufs legendäre Grödner Joch, einen der schönsten Pässe der Welt. Ich mache das, was ich immer mache, ich fotografiere. Während ich nach zwei Omelettes und drei Espressi schon nach zehn Minuten wie ein altes Kamel keuche, frage ich mich, wie viele Bilder ich schon von dem Pass gemacht habe? Hunderte? Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, habe ich keine. Unsere Truppe drückt echt hart auf die Pedale. Dranbleiben ist angesagt. Also rauf auf den Pass, runter, dann links Richtung Sellajoch.
Oben angekommen beginnen die ernsthaften Probleme des Lebens. Das Hirschgulasch mit Polenta sieht klasse aus, aber auch alle Pastagerichte.
Oben pfeifen wir uns im Hotel Mariaflora erst einmal ein Aprikosen-Brioche und einen weiteren Espresso rein. Dann steht der Fedaia-Pass auf dem Plan, den ich bisher noch nie gefahren bin – was sich als Versäumnis herausstellt. Die Strecke schlängelt sich wunderschön bergwärts, man tritt und sammelt Meter für Meter. Einfach schön. Oben angekommen, kehren wir im Rifugio Castiglioni zum Mittagessen ein. Nun beginnen die ernsthaften Probleme des Lebens. Das Hirschgulasch mit Polenta sieht klasse aus, ebenso jedes Pastagericht. Ich entscheide mich für die Trüffel-Variante, dann noch einen Apfelstrudel.
Mit 84 Kilo plus rausche ich wie ein Torpedo ins Tal. Ich habe so eine Abfahrt wie vom Fedaia noch nie erlebt. Mich erinnert die Strecke an einen Mountainbike-Trail: so flowig, so entspannt, so cruisig. Dann ist wieder schnell Schluss mit lustig, wir fahren in den Duran-Pass; die Straße saumäßig eng, die Rampen saumäßig steil. Zudem ist die Straße voll der Sonne ausgesetzt. Okay, das sind die anderen Pässe auch. Aber hier steht die Luft. Ich fühle mich wie ein Backhendl im Ofen. Dazu diese verdammte Steilheit!
Sag mal, spinnen die italienischen Straßenbauer völlig? Ich rege mich so sehr auf, dass ich vergesse, mir ein Gel reinzustopfen. Kurze Zeit später merke ich, wie mein Tank leerer wird. Zu spät. Also rechts ran. Alles, was irgendwie Zucker hat und ich in meinen Trikottaschen finden kann, stopfe ich in mich rein. Der Duran weckt in mir eine Erinnerung. Auf die gleiche Weise hat mir auch schon mal der Mortirolo-Pass den Stecker gezogen. Genauso eklig, genauso anstrengend ist der Duran, dessen Name doch so lieblich klingt. Ein Wolf im Schafspelz ist er jedoch. Noch einmal, so schwöre ich mir, werde ich diese Hauswand nicht mehr hochkurbeln. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich meine Mordgedanken schnell verwerfe, da sich die Abfahrt erneut als Highlight entpuppt.
Während ich bergab fahre, merke ich, dass irgend etwas anders ist. Dann registriere ich, dass viele Kurven zum Rand hin leicht überhöht sind, fast wie auf einer Radrennbahn. Ein kolossaler Spaß! Dann steht unser letzter Climb für diesen Tag an. Wieder kurbelt sich Robin, der aus Südengland kommt, an die Spitze. Wer sich darüber wundert verkennt, dass britische Straßenbauer im ländlichen Großbritannien Spezialisten für kurvenarme Rampen und Steilstücke sind. Und trotzdem: Ich will mich nicht abhängen lassen, lutsche mich an den hellhäutigen Schlaks heran, hole ihn ein. The bill comes at the end, my friend! Ich stürme in das Rifugio Palafavera, bestelle gleich mal ein paar Bier. Dann machen wir das, was Rennradfahrer immer machen, vergleichen Wattzahlen, Kalorienwerte, alles was die Garmins und Strava an Zahlen so hergeben. Tag 1: Check! Oder wie unsere Freunde aus UK sagen: The first day is in the books. Völlig fertig, dafür mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl, schreibe ich an dieser Geschichte und schlafe darüber irgendwann ein.
Zum zweiten Frühstück gönnen wir uns einen leichten Anstieg, dann geht es zum Passo Giau
Am nächsten Morgen wachen wir mit ein wenig schweren Beinen auf. Das Frühstück im Palafavera ist ganz wunderbar, der Espresso köstlich. Wir sind ja aber nicht (nur) wegen des Dolce Vita hier, sondern weil wir die Pässe hier in den Dolomiten erobern, erklimmen, erstürmen wollen. Zum zweiten Frühstück gönnen wir uns einen leichten Anstieg, dann geht es zum Passo Giau – und zwar von der fiesen Seite aus Richtung Cortina d’Ampezzo.
Alter, nach 50 Metern zeigt der Berg einem schon, wer der Chef ist. Im Bergsteiger-Lexikon heißt es ja immer, dass der Berg entscheidet, wen er hoch lässt und wen nicht. Wir Rennradfahrer dulden aber keine Widersprüche, pedalieren deshalb einfach hoch. Zwar ist die Nordost-Strecke des Giau nicht so lang wie die südliche Brutalo-Rampe mit durchschnittlich 8,9 Prozent, dafür deutlich steiler. Selbst Tadej Pogačar soll vor dem Ding Bammel haben. Weil wir unseren geschundenen Körpern gestern noch genügend Mineralstoffe und Vitamine (Weizenbiere inklusive) spendiert haben, kurbeln wir den Giau hoch – auch wenn es weh tut. Der oft zu bezwingende höchste Pass beim Giro d’Italia sei der “atemberaubendste Balkon über den Dolomiten”, so der Maratona-Veranstalter. Atemraubend war die Strecke zweifellos, weswegen wir uns einig sind, dass wir uns jetzt mal einen leckeren Kuchen und einen Espresso verdient haben.
Es dauert keine 30 Sekunden, da haben wir alles inhaliert. Und weil die Aussicht auf Nuvolau und Averau wirklich so phänomenal ist, beschließen wir, gleich noch einen Strudel mit Eis, Vanillesauce und Sahne zu bestellen. Sicher ist sicher. Voller Zucker im Tank steigen wir wieder auf unsere Rennmaschinen, fahren Richtung Cortina d’Ampezzo. Dass dort die Olympischen Winterspiele 2026 stattfinden, ist nicht zu übersehen. Das Städtchen putzt sich gerade wirklich heraus, wird sich bald von seiner schönsten Seite zeigen. Überall wird gebohrt und gehämmert. Deshalb: Schnell weg, schnell rauf auf den Tre Croci, unseren nächsten Summit, den es zu erklimmen gilt.
Die Strecke ist nach dem Hardcore-Aufstieg auf den Giau einigermaßen entspannt zu fahren, dennoch schwitzen wir unsere hochkalorienhaltigen Getränke in Strömen wieder aus. Ich sehe mit meinem neuen schwarzen Trikot aus, als wäre ich gerade im Toten Meer schwimmen gewesen. Wahrscheinlich bin ich der Welt schwerster “Loup de mer” in Salzkruste, so viele Schweißränder zieren mein Jersey. Ausgehungert sind wir auch schon wieder, wie eigentlich die ganzen drei Tage. Sie bestehen eigentlich nur aus treten, schlafen und schlürfen.
Folglich kehren wir gleich ins nächste Restaurant Baita San Zuogo ein, das unser Guide empfiehlt. Das Fleisch? Köstlich! Die Pasta? Ein Traum! Die Buchteln und das Tiramisu? Super lecker! Noch schnell einen Espresso, dann müssen wir weiter zum Misurina-See. Die letzten Meter machen mich sprachlos: Ich habe freien Blick auf die Drei Zinnen, den weltbekannten Gebirgsstock in den Sextner Dolomiten an der Grenze zwischen den italienischen Provinzen Belluno im Süden und Südtirol im Norden.
Wahrscheinlich hat schon jede Outdoor-Marke dieser Welt ihre Models dort hoch geschleppt, um sie fotografieren zu lassen. Wir sind hin und weg und bleiben stehen. Um uns herum essen die Menschen Eis, sitzen in der Sonne. Wir haben Helme auf, unsere Trikots kleben an uns wie bei einem Wet-T-Shirt-Contest. Und wir sind glücklich. Deswegen geht es knapp 20 Kilometer Vollschuss runter nach Cortina, dann noch mal sechs Kilometer rauf nach Pocol, einem Mini-Ort auf dem Weg zum Falzarego-Pass. Endlich sitzen auch wir in der Sonne, schlürfen einen Aperol und futtern dem Hotel seinen Chips-Vorrat weg.
Was wir gestern schlau angefangen haben – locker einrollen, dann den ersten Berg bezwingen – will tags darauf nicht so recht klappen. Wir fahren gleich mal aus der kalten Hose auf den Falzarego. Mein Körper merkt kurz nach dem Frühstück nicht nur, dass er ein Müsli und zwei Pistazien-Cornettos sowie zwei doppelte Espresso verbrennen muss, sondern dass er doch auch schon 51 Jährchen auf dem Buckel hat. Oben ein Selfie, dann rechts an der Lagazuoi-Bahn vorbei, Richtung Valparola-Pass. Mein Lieblingspass.
Wenn ich mit meiner Tochter Marie in La Villa wohne, nimmt sie ein E-Bike, ich mein Rennrad, und wir pedalieren gemeinsam auf den 2168 Meter hohen Valparola, um einen Espresso und eine heiße Schokolade zu trinken. Das machen wir Presseleute auch, aber erst nach der Abfahrt – im Bio Lüch Ruances. Mit gespannten Bäuchen voller Käsekuchen und Strudel rauschen wir nach La Villa, dann Richtung Corvara wieder links hoch. Dort nehmen wir am Schluss der Supermaratona eben noch die klassische Sellaronda mit: 1800 Höhenmeter, 58 Kilometer. Oder wie die Touren-Plattform Komoot schreibt: “Vier Pässe für ein Halleluja“.
Also erst auf den Campolongo-Pass, dann auf den Pordoi, das Sellajoch und zum Grande Finale auf das Grödner Joch. Als wir vom Sellajoch runterballern, kommt mir der Gedanke, dass die lange flache Fahrt – auch “kalte Wand” genannt – Richtung Grödner Joch doch genau mein Ding ist. Als ehemaliger Skirennfahrer weiß ich: drücken kann ich! Also drücke ich wie der dänische Super-Sprinter Mads Pedersen, lasse alle anderen stehen. Meine Strategie geht auf. Sogar länger als gedacht. Fünf Kehren vor dem Joch holt mich jedoch Rouleur-Kollege Edward ein, Klaus Irsara im Schlepptau, den Chef vom Melodia del Bosco. Verdammte Axt! Ich hole nochmal alles aus mir raus, schaffe es aber einfach nicht. Wenige Meter vor dem Gipfel explodieren mir die Oberschenkel. Bam!
Wenige Sekunden später sind wir alle vereint, wir Super-Männer vom Supermaratona. Wir umarmen uns, jubeln. Würde man nicht sehen, dass wir alle Best Ager sind, könnte man meinen, hier findet ein Kindergeburtstag statt. Wir sind geschafft, aber glücklich. Das liegt auch daran, weil wir wissen: Ab jetzt geht’s nur noch abwärts. Erst runter nach Corvara, dann nach La Villa und zu Klaus ins Hotel. Und wie es sich für ein Rennrad-Hotel gehört, sind die 200 Meter von der Hauptstraße zum Passo Melodia natürlich ein Strava-Segment. Den KOM hält mit 19 Sekunden ein Rennrad-Guide aus La Villa, dahinter folgt Klaus. Durchschnittsgeschwindigkeit: 32 Sachen. Wo aber ist eigentlich Bokšić? Unserem Guide ging genau am Abzweig zum Hotel der Strom seiner Schaltung aus. “Bokšić” stört das nicht. Er kommt zwar kurz nach uns an, fährt die 16, 17 Prozent aber auf dem großen Kettenblatt hoch. “Wo ist das Problem?”, fragt er. Radfahren kann der Ex-Fußballer, besser kicken konnten andere.
Die “Supermaratona” wurde gemeinsam vom Veranstalter der Maratona dles Dolomites und Hervé Barmasse ins Leben gerufen. Sie verbindet 13 berühmte Dolomiten-Pässe zu einer Runde über 285 Kilometer und 8400 Höhenmeter. Wer die Supermaratona in einem Tag bewältigt, kann in die “Hall of Fame” aufgenommen werden; dazu muss man den Link seiner Strava-Aufzeichnung zur Prüfung bei den Organisatoren einreichen. Wer als Absolvent anerkannt wird, erhält außerdem eine Mütze mit Supermaratona-Emblem und fortlaufender Nummerierung. Man kann die Tour auch auf zwei oder drei Etappen verteilen – so wie die Reporter-Truppe; der Reiseveranstalter holimites.com hilft auf Wunsch beim Gepäcktransport und der Organisation von Unterkünften.