Die Ochsen hatten schwer an der Muttergottes zu schleppen. Kein Wunder. Die alte Steinstatue, die man vor den Wirren der französischen Revolution im Dörfchen Oberlag versteckt hatte und nun an den alten Standort im Kloster von Lucelle zurückbringen wollte, wog schließlich ordentlich was. Und der Anstieg auf dem rumpligen Karrenpfad war steil. “Die Biester wollten einfach nicht mehr weiter. Da ließ man die Statue hier oben stehen und baute eine Kapelle”, erzählt Prosper Ruetsch grinsend.
Auch wir brauchen reichlich Muskelkraft, um den kleinen Pass zwischen Oberlarg und Winkel zu erklimmen. Aber anders als das Ochsengespann gleiten wir sanft auf einer perfekt asphaltierten Fahrbahn bergauf und rasten oben eine Weile auf der Bank vor der Marienkapelle. So lässt es sich aushalten. Zumal der Blick weit über das sanft geschwungene Hügelland des Sundgau schweift. Hmm. Ein Augenschmaus!
“Ehrlich, davon kann ich nie genug kriegen”, sagt auch unser Begleiter. Prosper Ruetsch stammt aus dem kleinen Dorf Bouxwiller mitten im Sundgau. Der Landstrich liegt idyllisch zwischen den Gebirgsketten von Vogesen und Jura und reicht von Mulhouse bis zur Schweizer Grenze. Der Sundgau verbindet außerdem die Oberrheinische Tiefebene mit dem Rhônetal und ist zugleich der südlichste, der abgeschiedenste Teil des Elsass. “Le Sündgo”, betont Prosper, der uns heute auf seinem soliden, alpenpasserprobten Trekkingrad durch seine Heimat begleitet: “Für Radfahrer ist der Sundgau einfach komplett. Flach, hügelig und Richtung Jura und Vogesen richtig bergig. Da ist alles dabei”, schwärmt er: “Ich fahre seit 45 Jahren Tourenrad. Fast 1500 Pässe habe ich erklommen, in ganz Europa. Aber die Strecken vor meiner Haustür begeistern mich bis heute.”
Direkt vor unseren Augen entfaltet sich das volle Breitbildpanorama: “Im Süden des Sundgau liegen die Bergketten des elsässischen Jura”, erklärt er: “Die sind geschwungen wie eine riesige Banane.” Viele kleine Landstraßen und Radwege fern vom Verkehr führen uns von der Spitze der Banane mitten hinein ins Jura Alsacien. In Ferrette kommen wir ordentlich ins Schwitzen: Keine richtige Bergtour, aber schon ganz schön gespickt mit steilen Rampen! Je mehr wir uns dem Jura nähern, desto steiler werden die Rampen und desto mehr türmt sich die Sundgauer Dauerwelle auf. Oder, wie Prosper auf Elsässisch sagt: “Ä bitzele s‘ Loch hoch!” Prospers Lieblingsstrecke? “Gibt es nicht, ich bin auf den Straßen im ganzen Sundgau zuhause.”
Tatsächlich würde die Wahl der besten Route schwerfallen: Die Jahrhunderte alte Kulturlandschaft ist durchzogen von ruhigen Nebenstraßen, asphaltierten Wirtschaftswegen und zu Radrouten ausgebauten einstigen Bahnstrecken. In weit ausladenden Schwüngen führt die Strecke der Radreise zwischen den bewaldeten Hügelketten stets sanft auf und ab, wir atmen den intensiven Duft der Streuobstwiesen ein, genießen die schattige Kühle der kleinen Wäldchen und kommen durch charmante kleine Fachwerkdörfer mit üppigen Bauerngärten.
Viele Ortsnamen sind deutsch: Liebsdorf. Hippoltskirch. Oder Waldighofen. “Der Sundgau wechselte mehrmals in der Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich, zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg”, erklärt Prosper. Der elsässische Dialekt ähnelt den alemannischen Mundarten auf der anderen Rheinseite: “Wir sind die letzte Generation, die Elsässisch spricht. Mit meiner Frau spreche ich Elsässisch, unsere Kinder sprechen Französisch. Schade, dass das verloren geht.”
Die Straße der Radreise verliert sich in sanften Wellen am Horizont. Hinter jeder zweiten Kurve liegt ein Fischteich – in denen werden hauptsächlich Karpfen gezüchtet, die in den Lokalen und Restaurants der Region zur kulinarischen Spezialität des Sundgau verarbeitet werden: Carpe frité – gebackener Karpfen. Der wird meist mit Pommes frites und reichlich Mayonnaise gereicht. Dazu einen guten Elsässer Riesling – lecker, aber in der Mittagspause keine gute Idee. Schließlich geht es hinter der nächsten Biegung zuverlässig wieder bergauf.
In der “Sundgauer Dauerwelle” geht es steig auf und ab. Die sanft gewellte Hügellandschaft wird mit jedem Kilometer Richtung Süden bergiger: Schluchtartig eingeschnittene Täler und kurvige Anstiege warten dort, wo die geschwungenen Kuppen des Sundgau nahtlos in die schrofferen Höhenzüge des elsässischen Jura übergehen. Höchster Punkt der Tour ist der unscheinbare Straßenpass zwischen Oberlarg und Winkel mit einer tollen Aussicht auf die Juraketten. Auf diese Weise kommen gut 820 Höhenmeter beisammen. Die Strecke verläuft zumeist über ruhige Nebenstraßen und Radwege.
Durch die schöne Hügellandschaft des Sundgau vor der imposanten Vogesenkulisse lässt‘s sich perfekt einrollen: ein paar Hügel, aber gut machbar. Doch nach zehn Kilometern geht’s zur Sache. Die Fahrt auf den 816 Meter hohen Glaserberg nahe der Schweiz, einer der höchsten Gipfel des elsässischen Jura, fordert Wumms in den Beinen oder einen starken Motor. Der rasanten Abfahrt zum Grenzfluss Lucelle folgen zwei weitere knackige Rampen, ehe wir zum Schluss langsam ausrollen. In den ruhigen Dörfern gibt es die ein oder andere Einkehrmöglichkeit. Die Tour verläuft über ruhige Straßen und Radwege.
Die GPX-Tracks zu den zwei Tourenvorschlägen im Sundgau finden Sie in der MYBIKE Collection bei komoot oder hier zum direkten Download.
Weiher, Flüsse und grüne Hügel prägen die stille Landschaft zwischen Jura, Rheinebene und Vogesen im äußersten Süden der französischen Region Elsass. In verträumten Dörfern findet man viel Fachwerk und eine bodenständige Gastronomie. Der Sundgau liegt in unmittelbarer Nähe zur Schweiz und Deutschland, im Westen reicht das lieblich gewellte Hügelland bis zur Wasserscheide von Rhein und Rhone. Diese entspricht zugleich der historischen Sprachgrenze zwischen dem romanischen und germanischen Sprachraum. Einst sprach der Großteil der Elsässer einen alemannischen Dialekt, der dem badischen sehr ähnlich ist. Heute sprechen nur noch wenige Menschen das Elsässerditsch: “S ditschsprochiga Teil vum Elsàss un vu Lothrìnga hàt mehrmols sina Nàtionàlität müeßa wachsla.” Die Region wechselte mehrmals in der Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich.
Auto: Frankfurt / Main via A5 und A36 (Frankreich) bis Lutter, 350 km, ca. 4 Std.
Mitte April bis Mitte Oktober
Die Burg Ferrette (Tour 1) zählt zu den ältesten des Elsass. Sie wurde erstmalig im Jahr 1100 erwähnt. Von dort hat man einen herrlichen Panoramablick auf die Vogesen, den Schwarzwald und den Jura. Für Freunde der Feuerwehr: Das Musée du sapeur pompier ist eines der größten Feuerwehrmuseen in Frankreich und liegt gleich in der Nähe der Burg. 12-14 rue de Luppach, 68480 Vieux Ferrette.
Die Freude an gutem Essen und Trinken, am liebsten in geselliger Runde, teilen alle Elsässer. Das gilt auch für den Sundgau. Spezialität schlechthin ist dort der frittierte Karpfen, die Sundgauer haben dem Backfisch sogar eine eigene kulinarische Route geweiht: die “Routes de la Carpe Frite”. Was nicht verwundert, die Region ist schließlich bekannt für die vielen idyllischen Karpfenteiche, die hinter fast jedem Hügel liegen. Am besten genießen mit einem guten Elsässer Riesling oder Pinot Gris. Der Karpfen wird meist dick geschnitten und in Grieß, Sesam oder Mohn gewendet — jeder Koch schwört auf sein eigenes Rezept. Kreativere Küchenchefs servieren gar Maki-Sushi oder ein Carpaccio vom Karpfen.
Auberge Paysanne 1 rue de Wolschwiller 68480 Lutter - Telefon: 0033 389407167 (www.aubergehostellerie-paysanne.com)
Schön herausgeputzte Auberge mit feinen, gemütlichen Zimmern. Das Restaurant bietet köstliche und raffinierte regionale Küche.
Restauranttipp: Restaurant Au Cheval Blanc 21 rue Principale 68480 Kiffis -Tel: 00 33 3 89 40 33 05 (www.auchevalblanckiffis.com/)
Die Karte ist klein, aber sorgfältig ausgewählt: Typisch elsässische Speisen mit saisonalen Zutaten und alles hausgemacht, auch das Brot!
Einkehr Tour 1: À l‘ombre du Château Für den schnellen Happen zwischendurch – im Schatten der Burg von Ferrette. 1A rue de la première Armée Ferrette, France
Tour 2: Bistrot Chez Mamie Flo Nettes kleines Cafe mit Kuchen und Snacks - 19 Rue Principale 68480 Biederthal