Staub hängt in der Luft, und ich wische mir zum gefühlt hundertsten Mal die Stirn und die Augen frei. Endlich ist das nervige Quad, das eben noch hinter mir fuhr und mich mit Lärm und Staub quälte, vorbei. Bald sehe ich nur noch seine Staubwolke, dann ist auch die verschwunden und der Motorenlärm verebbt. Jetzt herrscht wieder Stille, und ich stelle mir die Frage, die sich wohl jeder bei solchen herausfordernden Touren irgendwann stellt: Warum mache ich das eigentlich? Es ist heiß, und die staubige Luft fühlt sich an, als würde ich ohne Mundschutz in einem Sandsturm atmen. Meine Lippen sind so trocken, dass ich sie ständig befeuchte, was ungefähr so hilfreich ist wie eine Gießkanne in der Wüste. Aber das gehört wohl zum Abenteuer dazu, denke ich mir, während ich versuche, mir den restlichen Staub aus den Augen zu reiben.
Dieses Mal wollte ich weiter, wollte sehen, was hinter den Bergen und Tälern liegt. Wollte wirklich reisen, über Grenzen hinweg.
Seit unzähligen Jahren bin ich als Mountainbike-Guide unterwegs, habe schon zahllose nette Menschen durch atemberaubende Täler geführt, habe anstrengende Berge erkundet – und bin jedes Mal wieder ins Tal zurückgekehrt. Doch dieses Mal wollte ich mehr. Dieses Mal wollte ich weiter, wollte sehen, was hinter den Bergen und Tälern liegt. Ich wollte mit dem Gravelbike wirklich reisen, von einem Punkt zum anderen, über Grenzen hinweg, durch verschiedene Kulturen und Länder auf einer geschichtsträchtigen Strecke. Und ich hatte beim britischen Veranstalter Pannier eine entsprechende Graveltour entdeckt: von Turin durch die Berge nach Nizza. Das klang nach Abenteuer.
Ich war sofort Feuer und Flamme. Eine epische Strecke durch die Alpen, teils über berühmte Pässe, teils über kaum bekannte Berge und durch abgelegene Täler. 620 Kilometer vom Nordwesten Italiens bis zur schillernden Côte d’Azur in Südfrankreich. Es sollte eine Reise werden, die zwei Welten miteinander verbindet: die raue Schönheit der italienischen Alpen und die malerische Eleganz der französischen Bergwelt.
Und so sind wir hier, eine Gruppe von Abenteurern und Liebhabern des Bikens, die unterschiedlicher kaum sein könnten, aus den verschiedensten Ecken der Welt, aber alle mit dem gleichen Ziel vor Augen. Zwei Burschen aus Südafrika, zwei Engländer, eine Italienerin. Dazu Stef vom Veranstalter, unser Mann für alles, was Rad, Magen und Beine benötigen, und natürlich meine Freundin und Fotografin Moni, die jede Etappe mit ihrer Kamera festhält. Jedes Bild, das sie aufnimmt, erzählt eine Geschichte von der Anstrengung, dem Staub und der Schönheit, die uns auf jedem Meter dieses Abenteuers begleiten.
Alle fahren Gravelbikes; eine Wahl, die ich in den ersten Tagen nicht bereue, weil wir viel auf Asphalt fahren und die Gravelabschnitte fahrbar bleiben. Diese Wahl erscheint mir aber hier, am siebenten Tag sehr fragwürdig. Heute liegt nämlich eine noch größere Herausforderung als an den letzten Tagen vor uns – und die hat einen Namen: Via del Sale. Diese alte Salzstraße, auch “Hohe Salzstraße” genannt, weil sie zwischen 1800 und 2100 Metern über dem Meer pendelt, ist eine spektakuläre ehemalige Militärstraße in den Seealpen. Die gänzlich unbefestigte 30 Kilometer lange Strecke verbindet Limone Piemonte mit Monesi und Triora im bergigen ligurischen Hinterland. Sie führt uns hinein in eine mondartige Landschaft, durchquert die Naturparks Marguareis und Ligurische Alpen und führt vorbei an einigen Militäranlagen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Die Via del Sale bietet zwar viele spektakuläre Ausblicke, ihr grober Schotter ist aber auch dafür bekannt, Gravelbiker an ihr Limit zu bringen. Früher wurden hier mit Salzsäcken beladene Maultiere durch die Berge getrieben. Wenn ich daran denke, dass diese Tiere denselben Schotterweg gemeistert haben, während ich mit meinem modernen Gravelbike um jeden Meter kämpfe, frage ich mich, ob die Maultiere sich damals auch schon über den schlechten “Straßenzustand” beschwert haben. Damals wurde das Salz von Nizza oder Genua über die Berge in die Po-Ebene transportiert; Salz war eines der wertvollsten Handelsgüter.
Und heute? Heute schleppen wir uns mit unseren Fahrrädern über denselben Weg – ohne Salz auf dem Rücken, höchstens auf der Haut, aber dafür mit einem ordentlichen Vorrat an Abenteuerlust im Gepäck.
Nach einer erholsamen Nacht in einem sympathischen Berghotel und einem für italienische Verhältnisse ausgiebigen Frühstück sind wir am Morgen in Limone Piemonte gestartet. Die Königsetappe unserer Graveltour mit rund 130 Kilometern und fast 3000 Höhenmetern wartet auf uns. Auf den ersten Kilometern gibt uns ein Asphaltsträßchen zum Col de Tende, das stetig, aber angenehm ansteigt, Zeit, die von den anstrengenden sechs zurückliegenden Tagen müden Muskeln langsam aufzuwärmen. Es ist noch kühl, wir sind in aller Frühe aufgebrochen. Die Morgensonne blitzt gerade erst über die Berge und wirft die ersten Strahlen auf die sich schlängelnde Straße.
Nach gut einer Stunde erreichen wir an einer Berghütte das Ende der Asphaltstraße, hier gabelt sich der Weg. Wir treffen auf eine Gruppe Mountainbiker, die zu einem Radverein gehören, der heute, am Samstag, einen Wochenendausritt macht. Am linken, nach Osten führenden Abzweig steht ein Schild mit der Aufschrift “Via del Sale”. Alle füllen noch schnell die Wasserflaschen, denn ab hier gibt es auf den nächsten 70 Kilometern keine Möglichkeit, Wasser nachzufüllen. Und obwohl es noch Morgen ist, brennt die Sonne mittlerweile sehr heiß. Wir bezahlen brav unseren Euro für Fahrräder an der Mautstelle. Nun dürfen wir sie betreten, die Hohe Salzstraße.
Die Via del Sale mag legendär sein, aber sie ist definitiv zu bockig für Gravelbikes. Der grobe Schotter rüttelt mich durch wie einen Cocktail in einem Shaker. Jeder Stoß schlägt mir direkt in die Arme, die sich bald anfühlen, als würde ich sie abmontieren müssen. Eine Federgabel? Bitte, ja! Die würde hier wahre Wunder bewirken. Mein sonst so flottes Gravelbike, das sich auf den asphaltierten Straßen der ersten Tage und auch an diesem Morgen noch so leicht und elegant anfühlte, wirkt unter mir jetzt wie ein störrisches Pferd, das jeden Stein als persönlichen Angriff betrachtet. Der bockige Ritt über die Höhenstraße ist ein einziges Auf und Ab.
Auch die Abfahrten sind eine Herausforderung – wenn man “Herausforderung” als freundlichen Ausdruck betrachtet für: “Ich hoffe, ich überlebe das mit dem ganzen Gepäck ohne Sturz und ohne Reifenpanne.” Ohne Federung spüre ich jeden Kieselstein, als wäre er ein Felsen, obwohl ich meine Reifen schon mit so wenig Luftdruck wie möglich fahre. Meine Hände krallen sich permanent an den Bremshebeln fest, weil ich nicht die geringste Lust habe, unfreiwillig den Boden zu küssen. Erstaunlicherweise macht sich das Gepäck nicht unangenehm bemerkbar – scheint alles sehr gut festgezurrt zu sein.
Hinter mir fährt Moni, die Kamera immer griffbereit. Sie schafft es, selbst die Momente auf der Graveltour festzuhalten, in denen wir aussehen, als wären wir gerade einem Sandsturm entstiegen. Sie fotografiert aber auch die wenigen Pausen, in denen wir versuchen, so zu tun, als würden wir die grandiose Aussicht genießen, und nicht heimlich über eine Abkürzung nachdenken; die es aber hier tatsächlich nicht gibt. Einmal drin, bleibt einem nichts anderes, als durchzuziehen.
Die Via del Sale bietet viele spektakuläre Ausblicke, ist aber auch dafür bekannt, Gravelbiker an ihr Limit zu bringen.
Die Via del Sale führt uns auf über 2000 Meter Höhe, wo die schroffen Felswände und tief eingeschnittenen Täler wie Kulissen aus einem Abenteuerfilm wirken. Sie ist nirgends asphaltiert, auf der gesamten unbefestigten Strecke liegt kein einziges Rifugio, nur eine einzige Wasserstelle. An manchen Stellen kann ich noch die alte Struktur der Salzstraße erkennen, ein schmaler sich windender Pfad der früher die Hauptroute durch diese raue Landschaft war.
Wie es damals wohl gewesen sein muss? Wahrscheinlich genauso anstrengend, nur ohne die modernen Funktionsklamotten. Neben den steilen Anstiegen und dem unnachgiebigen Schotter machen uns auch Geländewagen und Motorräder zu schaffen, die immer wieder an uns vorbeirasen und uns in eine Staubwolke hüllen. Dann halten wir die Luft an, fahren blind weiter und hoffen, dass wir nicht versehentlich in den Abgrund rollen.
In diesen Momenten fühlt sich die Via del Sale eher an wie eine Mutprobe als ein Bikepacking-Abenteuer. Mittlerweile klebt der Staub an meiner Haut, meine Beine brennen und mein Kopf platzt bald, weil ich mich die ganze Zeit konzentrieren muss, den richtigen Weg zu finden. Zwischendurch muss ich mich immer wieder daran erinnern, warum ich diese Schinderei hier eigentlich mache. Ach ja, Abenteuer und so…
Aber dann gibt es auch diese besonderen Augenblicke: Wir halten inne, schauen uns um, und ich merke, dass ich hier etwas Einzigartiges erlebe. Nach Stunden voller Schotter-Kämpfe und endloser Anstiege und dem schlimmen, nicht enden wollenden 15 Kilometer langen Downhill, der eher einer Mountainbike-Enduro-Piste gleicht als einer schönen Gravelroute, durchsetzt mit groben Felsbrocken, Stufen und Absätzen, erreichen wir endlich unser Tagesziel.
Wir halten inne, schauen uns um, und ich merke, dass ich hier etwas Einzigartiges erlebe.
Wir rollen hinein nach La Brigue, einem kleinen, romantischen französischen Dorf mit nicht mehr als 700 Einwohnern, gelegen auf über 700 Metern Höhe in den Alpes-Maritimes. Auf der rechten Seite taucht ein kleines, einladendes Café auf. Wir halten an. Und entdecken Stef, der uns aus dem schattigen Garten des Cafés zuwinkt. Unser Mann für alles.
Er hat es auch bis hierher geschafft. Aber er ist in großem Bogen um die Berge gefahren. Stef fährt den Transporter, der unser großes Gepäck mitführt. Und er hat uns einen schönen Tisch ausgesucht. Wir decken uns sofort mit allem ein, wonach es uns gelüstet: Cola, Kaffee, Eiscreme, Sandwiches. Alles der Reihe nach und durcheinander. Wir sind ausgehungert und die eiskalte Cola schmeckt unseren ausgetrockneten Kehlen wunderbar. Wie die Teilnehmer bei Paris–Roubaix sind wir über und über mit Staub bedeckt. Es fühlt sich an, als wäre der Dreck jetzt ein Teil von uns.
Ich spüre die Erschöpfung in meinen Knochen, aber auch die Erleichterung und den Stolz, es bis hierher geschafft zu haben. Nach weiteren Colas und einem wohlverdienten Bierchen kommen die Gespräche wieder in Gang. Und wir lachen herzlich darüber, dass alle die Strecke mit ungefederten Rädern bewältigt haben – das Lachen war uns zwischendurch vergangen.
Die Via del Sale war hart, viel härter, als ich sie mir vorgestellt hatte. Aber sie war auch eines der Highlights der gesamten Route. Die alte Salzstraße hat in früheren Zeiten Geschichte geschrieben, und heute haben wir ein kleines Stück unserer eigenen Geschichte dazugefügt. Nur noch ein Tag bis Nizza, ich freue mich. Aber die Via del Sale werde ich so schnell nicht vergessen – staubig, quälend anstrengend und trotzdem genial. Und ich komme mit Sicherheit wieder. Bis dahin besitze ich aber ein Gravelbike mit Federgabel.
Auf Asphalt geht es heraus aus der Großstadt Turin nach Nordwesten Richtung Alpen. Zeit zum Einrollen: 32 flache Kilometer führen durch das Tal der Stura di Lanzo bis Lanzo Torinese, wo unsere Route nach Westen abbiegt und dem Fluss Stura di Viù leicht bergauf folgt. Nach 47 Kilometern bietet sich Viù, letzter größerer Ort für lange Zeit, für eine Mittagspause an. Sieben Kilometer hinter Viù verlassen wir das Tal nach Süden. Es beginnt – zuerst noch auf Asphalt, bald auf Schotter – der 13 Kilometer lange Anstieg über den Colle del Colombardo zum höchsten, namenlosen Punkt auf nicht ganz 2100 Metern Höhe. Lange und kehrenreich vernichten wir 1700 Höhenmeter hinab nach Condove (Km 88). Von dort führen gute Nebenstraßen das Susatal leicht aufwärts bis Susa.
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Am zweiten Tag wird die Strecke deutlich anspruchsvoller: Die Höhenmeter nehmen zu und die Straßen schlängeln sich in Serpentinen die Berge hinauf. Die Landschaft wechselt von Wäldern zu steilen Felswänden. Das Tagesziel Cesana Torinese liegt nahe der französischen Grenze und ist im Winter ein beliebtes Skigebiet. Davor stellt sich uns mit dem legendären 2176 Meter hohen Colle delle Finestre eine der größten Herausforderungen der gesamten Graveltour in den Weg.
Er ist im Schnitt über neun Prozent steil, wobei die obersten acht Kilometer über eine Schotterpiste führen, was die Härte des Anstiegs zusätzlich erhöht. Die bei Bikepackern beliebte Passstraße sorgte aber auch schon beim Giro d’Italia für spektakuläre Bilder, seit 2005 insgesamt vier Mal. Nach einer Zwischenabfahrt klettert die Strecke auf der Assietta-Kammstraße schnell wieder auf über 2000 Meter Höhe und erreicht am Rifugio Casa Assietta 2523 Meter. Erst nach 35 Kilometern geht es für längere Zeit bergab nach San Sicario Borgo, einem Ortsteil von Cesana Torines auf 1560 Metern Höhe.
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Die dritte Etappe führt moderat bergauf zum asphaltierten Col de Montgenèvre (1850 Meter) und nach elf Kilometern über die Grenze nach Frankreich. Dieser Pass hat eine lange Geschichte und verbindet seit Jahrhunderten die beiden Länder. Auf der gut ausgebauten Straße beginnt der Tag vergleichsweise entspannt. Die Abfahrt hinunter in das malerische Briançon ist legendär.
Briançon ist von beeindruckenden Festungsanlagen umgeben und gilt mit ihrer Lage von 1200 bis 1326 Meter Höhe als höchstgelegene Stadt Frankreichs. Dort biegt unsere Strecke ab nach Südosten, später nach Süden. Die nächsten 19 Kilometer zum Col d’Izoard (2362 Meter) kennen nur eine Richtung: bergauf. Auf der Abfahrt nach Süden rauscht man durch eine karge, wüstenhafte Landschaft, die Casse Déserte – eine der schönsten Passabfahrten der Welt! Sie endet im Tal des Flusses Guil, wo es nach dem Abzweig bei Ville-Vieille noch sechs moderate Kilometer bergauf geht zum Tagesziel Molines-en-Queyras, einem schönen Bergdorf, mitten im Regionalen Naturpark Queyras.
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Am vierten Tag der Graveltour bleibt die Route anspruchsvoll: Fast 2000 Höhenmeter auf nur 60 Kilometer sprechen eine klare Sprache. Unsere Strecke verläuft überwiegend auf feinem Asphalt. Zeit zum Einrollen bleibt aber keine: Es geht sofort bergauf zum Col Agnel, dem Grenzpass nach Italien und mit 2744 Metern höchsten Punkt unserer Tour, an dem die dünne Luft deutlich Kräfte raubt. Es folgen 29 endlose Kilometer das Valle Vareita hinab, großteils auf Asphalt, immer im Blick die Gipfel rund um den 3840 Meter hohen Monte Viso. Wir rauschen am Stausee Lago di Castello vorbei, weichen, wo es geht, im Tal auf Schotter und Waldwege aus und biegen bei Sampeyre nach Süden in den asphaltierten Schlussanstieg: zehn Kilometer und fast 900 Höhenmeter zum abgelegenen Rifugio Meira Garneri.
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Vom Rifugio Meira Garneri klettern wir fast 500 Höhenmeter auf einem handtuchschmalen Asphaltsträßchen über den Colle di Sampeyre in das Valle Maira, eines der ursprünglichsten Täler der Alpen. Dort gibt es keine großen Skigebiete oder touristischen Zentren, nur Berge, das Tal und vereinzelte Dörfer. Ab Kilometer 26 geht es nur noch bergauf, auf einer schmalen Asphaltstraße über Marmora und Canosio und Borgata Breit zum Colle del Preit (2076 Meter), von dort weiter bergan, diesmal auf feiner Naturstraße, bis zum Rifugio Gardetta (2337 Meter), das auf einer weiten Hochebene liegt, umrahmt von felsigen 2600 bis knapp 2900 Meter hohen Gipfeln.
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Vom Rifugio Gardetta geht es 13 Kilometer in stetigem Auf und Ab über die Gardetta-Ebene – ein anspruchsvoller Gravelride. Breite Reifen, mit etwas weniger Luftdruck gefahren, helfen. Kurz vor dem Colle Valcavera (Km 12,8) beginnt der Asphalt. Auf schmaler Straße geht es bergab, vorbei an den Valcavera-Hügeln bis zum Rifugio Carbonetto (Km 18,8), das sich nach den Strapazen der Gardetta als schöne Einkehr anbietet.
Danach rauschen wir weiter auf dem schmalen Asphaltsträßchen mit wunderschöner Aussicht ewig lange bergab ins Valle Stura bis zu dem kleinen Städtchen Demonte. Dann folgen wir dem Sturatal ostwärts und leicht bergab für 20 Kilometer auf schmalen Nebenstraßen und biegen am Alpenrand in Borgo San Dalmazzo nach Süden. Die Strecke taucht wieder in die Berge ein. Leider begleitet uns ein wenig mehr Verkehr bis nach Limone Piemonte, eine Stadt, bekannt für ihre Skigebiete.
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Die Königsetappe unserer Graveltour, mit fast 3000 Höhenmetern, startet auf einer schönen Asphaltstraße, die 14 Kilometer angenehm zum Col du Tende (1871 Meter) klettert, dem Grenzpass nach Frankreich. Dort gibt es nochmals die Möglichkeit, Wasser aufzufüllen. Unsere Etappe führt aber nicht über die Grenze nach Süden, sondern folgt vor dem Knick nach Süden erst einmal 20 Kilometer einem Bergkamm nach Osten.
Wir fahren über eine lange und fordernde Gravelroute, die Via del Sale, die uns alles abverlangt. Wer die Via del Sale betritt, sollte genug Wasser, Verpflegung und auch Ersatzschläuche mitnehmen. Auf 70 Kilometern gibt es nur eine einzige Stelle zum Nachfüllen: bei Kilometer 38 das Rifugio Barbera. Und die extrem ruppige Abfahrt nach La Brigue fordert Material und Fahrtechnik. In La Brigue, einem kleinen französischen Bergdorf, gibt es dann wieder alles: feinen Asphalt, Essen, Trinken und Schatten. Stärkung ist auch notwendig, denn vor dem Tagesziel Sospel warten noch 570 Höhenmeter hinauf zum Col de Brouis.
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Nach einem französischen Frühstück starten wir in Sospel. Die Route beginnt sofort mit Klettern: Zuerst auf Asphalt, bald auf Schotter über den Pas de l’Agrée (dort wieder auf Asphalt) zum Col de l’Abléus. Von dort geht’s 40 Kilometer asphaltiert hinab via L’Escarène und La Trinité nach Nizza ans Meer, wobei wir den allmählichen Wechsel von alpiner zu mediterraner Vegetation genießen. Verkehr begleitet uns durch die Vororte von Nizza, zum Hafen und an den Strand.
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Die Route von Turin nach Nizza zählt zu den schönsten Bikepacking-Strecken Europas. Der größte Teil verläuft in der italienischen Region Piemont; sie erreicht am dritten Tag das französische Departement Hautes-Alpes und verlässt sie am vierten Tag wieder ins Piemont. Am siebten Tag betreten wir – nach einem hauchzarten Abstecher in Ligurien – wieder Frankreich: diesmal das Departement Alpes-Maritimes, in dem auch Nizza liegt. Die Strecke von rund 620 Kilometern und fast 14000 Höhenmetern lässt sich in fünf bis acht Tagesetappen unterteilen, je nachdem wie fit man ist und wie viel Zeit man für Erkundungen und Erholung zur Verfügung hat.
Es sind zahlreiche Varianten möglich, und man kann sogar Abschnitte mit öffentlichen Verkehrsmitteln überbrücken. Start und Ziel der Tour liegen in Großstädten. Deren Verkehr kostet zwar Nerven, dazwischen verebbt er aber, von wenigen Kilometern abgesehen; auf manchen Abschnitten teilen wir uns kleine Schotterpfade nur mit Bergwanderern. Jeder Tag ist anders: Mal klettern wir über namhafte Alpenpässe der Tour de France wie den Col d’Izoard, mal über einsame Bergstraßen, mal ist der Weg asphaltiert, mal geschottert.
Die Strecke bietet alles, was man sich von einer Alpen-Tour und Bikepacking-Reise als Radsportler erhoffen kann: majestätische Landschaften, schroffe Berge, großartige Panoramen, idyllische Bergdörfer und als Abschluss die sanften Hügel und Olivenhaine der Provence samt sonnenverwöhnter Mittelmeerküste. Die Route durchquert mehrere National- und Naturparks, darunter etwa der Parco Naturale delle Alpi Marittime auf italienischer Seite und der Parc National du Mercantour in Frankreich. Ebenfalls spannend sind die Spuren der Via del Sale, die früher als Salzhandelsroute genutzt wurde und der wir am siebten Tag folgen.
Die Route wurde 2015 als komoot-Turin-Nizza-Rally entwickelt, eine jährlich stattfindende Gruppenfahrt mit der Möglichkeit, Sponsorengeld für die Smart Shelter Foundation zu sammeln, eine Stiftung, die in Entwicklungsländern erdbeben- und sturmsichere Häuser baut. Infos unter torino-nice.weebly.com, dort unter “Smart Shelter Foundation”.
Die Alpen sind für ihr wechselhaftes Wetter bekannt, besonders an schwülheißen Sommertagen kann es in den Bergen schon früh am Nachmittag Gewitter geben. Und bei Schlechtwetter wird es auch im Sommer in höheren Lagen oft unangenehm kühl. Deshalb ist es sehr wichtig, warme Kleidung und Regenschutz mitzunehmen.
Auf unserer Route findet man Unterkünfte für unterschiedliche Budgets, vom Stadthotel über die einfache Agritourismus-Unterkunft – mit meist sehr guter lokaler Küche – zu Berghütten wie dem Rifugio Gardetta oder kleinen, gemütlichen Berghotels in Skiorten und schönen Campingplätzen. Und wer es noch abenteuerlicher mag, bringt das Zelt mit und schläft einfach draußen. Dann lassen sich auch die Etappen gleichmäßiger aufteilen; das gelingt nämlich schlecht, wenn man mit Unterkünften plant.
Wer unsere Strecke lieber organisiert und dadurch vielleicht entspannter angehen möchte, ist sehr gut aufgehoben beim britischen Veranstalter Pannier aus Birmingham. Pannier bietet die Reise in kleiner Gruppe an. Man startet meist zusammen, ohne Guide, aber mit GPS-Track, jeder kann sein Tempo fahren. Pannier liefert zudem manchmal (nicht täglich) Essen unterwegs, übernimmt den Gepäcktransport von Unterkunft zu Unterkunft und organisiert die Übernachtung: 2024 kostete der Achttage-Trip mit Übernachtung 1595 Euro. Info: pannier.cc
Aufgrund der Mischung aus Asphaltstraßen und Schotterpisten ist ein Gravelbike oder ein leichtes Mountainbike ideal für diese Tour. Eine bergtaugliche Übersetzung für lange Anstiege und robuste, griffige und möglichst breite Reifen (mindestens 40 Millimeter) helfen, um die teils geschotterten Pässe zu meistern.
Da man durch abgelegene Regionen fährt, sollte man genügend Proviant und Wasser mit sich führen, vor allem an Tagen mit langen Anstiegen. Ein leichtes Zelt oder ein Biwaksack kann nützlich sein, falls man im Freien übernachten möchte oder muss.