Meist sind beide Auffahrten zum Col du Tourmalet von Juni bis November geöffnet. Man sollte sich aber unbedingt im Vorfeld nochmal darüber informieren. Der Col du Tourmalet liegt auf 2115 Metern und ist damit die höchste Pass-Straße in den französischen Pyrenäen.
7 Uhr, der Wecker klingelt. Ich öffne die Augen, müde von den letzten Tagen, die von morgens bis Abends voller Action, Eindrücke und Termine waren. Ich bin bei der Tour de France Femmes 2023. Heute steht für die Fahrerinnen die Queens Stage an, die Etappe mit den meisten Höhenmetern der gesamten Tour. Und auch für mich heißt es heute: Jede Menge Höhenmeter abspulen am Col d’Aspin und am Col du Tourmalet - da werden später auch die Profis hochfahren.
Erst einmal gehe ich zum Frühstück, dann Zähneputzen und umziehen. Pünktlich 8:30 Uhr treffen sich alle im Eingangsbereich des Hotels. Fahrräder werden eingepackt und ich lerne die Gesichter kennen, die mir noch unbekannt sind. Mit einem Bus geht es von Pau nach Sarrancolin. Dort bekomme ich mein Leihrad:
Zugegeben, ich hatte mich im Vorfeld nicht wirklich mit der Route und dem Höhenprofil auseinandergesetzt. Ich wusste, es stehen etwa 49 Kilometer mit gut 2000 Höhenmetern auf dem Programm.
Und dann geht die Fahrt los, wir sind eine Gruppe aus etwa 15 Personen. Gemeinsam rollen wir die ersten Kilometer. Noch ist es flach. Nach gut 7 Kilometern geht es kurz vor Arreau scharf nach rechts - hier beginnt das Klettern. Ich versuche, mit der Spitze der Gruppe mitzuhalten. Das geht ganz gut - jedenfalls am Anfang. Dann befürchte ich, das Tempo nicht über 2000 Höhenmeter halten zu können und lasse es etwas ruhiger angehen. Außerdem merke ich jetzt, dass mein Sattel einen guten Zentimeter zu niedrig ist. Unangenehm.
In großen Serpentinen schlängelt sich die Straße den Berg hinauf. Ich habe mein Tempo gefunden und genieße die Ausblicke, während der Schweiß aus allen Poren rinnt. Es ist heiß, teilweise über 40 Grad.
Ich fiebere dem Moment entgegen, an dem sich die Gruppe nochmal versammelt. Da gibt es neue Verpflegung und sicher auch ein Multitool, mit dem mein Sattel ein Stück höher gerückt werden kann. Zwischendurch schaue ich auf mein Navi (Garmin Edge 1040 solar) und stelle erstaunt fest, dass schon mehr als 600 Höhenmeter hinter mir liegen. Auf einem Rennrad und ohne Gepäck klettert es sich wohl schneller als mit Gravelbike und Bikepacking-Taschen. Dann ist die Passhöhe erreicht. Ein schnelles Foto, dann geht’s direkt in die Abfahrt.
Auf der Abfahrt vermisse ich meine breiten Reifen. Der Asphalt ist gut, aber etwas holperig; die Reifen des Rennrads schmal und vielleicht auch der Luftdruck etwas zu hoch für mich. Jedenfalls rüttelt es. Dann erreiche ich Sainte-Marie de Campan. Hier treffe ich auf die Spitze unserer Gruppe. Meine erste Handlung: Werkzeug finden, Sattelhöhe anpassen. Danach: Flaschen auffüllen mit Wasser und Elektrolytpulver. Dann wird gequatscht, gelacht. Wir warten auf alle aus unserer Gruppe und lassen allen Zeit, um Riegel zu essen und Wasser aufzufüllen. Nach der Abfahrt und der Pause ist mir fast kalt, gut, dass gleich die nächste Kletterpartie startet.
Dann geht es weiter. 17 Kilometer und 1290 Höhenmeter bis zur Passhöhe. Ich sitze jetzt viel besser auf dem Rad und genieße jede Sekunde der Fahrt. Überall, wo es möglich ist, stehen Camping-Autos. Die dazugehörigen Menschen essen, dekorieren oder vertreiben sich anderweitig die Zeit bis die Tour de France Femmes hier vorbei kommt. Viele machen sich auch schon warm und feuern alle Leute, die auf Rädern vorbeifahren, an. Was für ein Gefühl. Und dazu die Aussichten!
Irgendwann machen sich die Beine etwas bemerkbar; es wäre auch komisch, wenn die gänzlich unbeeindruckt wären. Nach oben hin wird es immer steiler, aber noch nichts im Vergleich zu Rampen, wie ich sie aus meinen Ultracycling-Events kenne. Ich hebe mir etwas Energie für den Schluss auf, der richtig steil sein soll.
Ab fünf Kilometer vor der Passhöhe stehen nicht nur die obligatorischen Kilometermarkierungen am Rand, sondern die werden ergänzt von orange-pinken Bögen, die das nahende Etappenziel der heutigen Tour de France Femmes ankündigen.
Ich freue mich, bald oben zu sein, habe ich doch langsam genug geschwitzt. Ein kaltes alkoholfreies Bier wäre auch nicht schlecht. Und Essen, ich habe Hunger. Trotzdem genieße ich jeden Zentimeter der Auffahrt, ich sauge die Aussichten und die Anfeuerungsrufe auf und fahre weiter in meinem Tempo. Die letzte Kurve ist steil, aber nur kurz. Erst auf den letzten 200 Metern denke ich mir, jetzt kann ich doch einmal Gas geben, jetzt muss ich mir keine Energie mehr aufheben.
Oben angekommen werde ich herzlich begrüßt, es werden Fotos gemacht und es gibt Getränke. Dann zieht Nebel auf und es wird kalt. Wie großartig es ist, an ein und dem selben Tag den Col du Tourmalet in prallem Sonnenschein zu erleben und wenig später in komplett veränderter mystischer Stimmung durch den Nebel?
Definitiv ein anspruchsvoller Pass. Wenn er nicht gerade von Nebel umhüllt ist, bieten sich grandiose Aussichten. Ich bin froh, beim Gravelbiken oft steilere Anstiege hinaufzufahren, so war der Col du Tourmalet in erster Linie eins:
Ein Genuss. Es war weniger hart als ich dachte.