Sandra Schuberth
· 03.12.2023
Gestartet ist Wiebke Lühmann direkt an ihrer Haustür in Freiburg im Breisgau. Als sie Anfang Oktober aufbrach, heute vor genau zwei Monaten, war sie nicht allein. Auf den ersten Kilometern begleiteten sie Freundinnen, Freunde, Bekannte und Menschen, die sie von Social Media kennen. Bald war der Trubel vorbei, die Reise ging los. Bis zum Jahresende reist Wiebke gemeinsam mit einer Freundin: Hannah Rapp. Danach führt ihr Weg sie allein weiter, immer in Richtung Süden an der Westküste Afrikas entlang. Geplant ist eine Reisedauer von 14 Monaten.
Ich plane 14 Monate unterwegs zu sein. Weihnachten 2024 will ich wieder bei meiner Familie sein. – Wiebke Lühmann
2022 ist Wiebke von Hamburg ans Nordkap gefahren. In Zusammenarbeit mit Fabienne Engel ist ein beeindruckender Film entstanden, der zahllose Menschen inspiriert, eigene kleinere und größere Abenteuer anzugehen. Hätte man 2023 eine Umfrage unter Radreisenden mit Ziel Nordkap gemacht und die Frage gestellt, “warum zum Nordkap?“ hätte man nicht selten eine Antwort wie diese bekommen: “durch Wiebke Lühmanns Tour und ihren Film On Her Own habe ich Inspiration und Mut gefunden, es auszuprobieren.”
Der ein oder andere Vergleich zu Jonas Deichmann wurde schon gezogen. Nicht zuletzt, weil beide einige Überschneidungen bei Sponsoren haben. Aber Wiebke ist nicht Jonas, Wiebke hat ihre eigenen Ideen, ihre eigenen Vorstellungen, ihre eigene Geschwindigkeit. Jonas Deichmann bereist die Welt, meist mit beeindruckenden Rekorden im Kopf und später im Gepäck. Wiebke geht es nicht um Rekorde, sie will Reisen, unterwegs sein, Menschen begegnen und zeigen, dass es geht. Auch als Frau. Wer sie kennt, weiß, wie die Ideen aus ihr heraussprudeln, wie aktiv sie ist, wie spontan und gleichzeitig gut organisiert sie ist.
Weil sie es am besten beschreiben kann, haben wir Wiebke gefragt. Hier ist ihr Warum:
“Der Weg ist das Ziel. Ich möchte Afrika auf dem Rad durchqueren. Das sind 19 Länder. Unzählige Orte, an denen ich noch nie war und die ich sehen will. Meine Vorstellungskraft reicht nicht aus, um mir all diese Orte, Menschen, Gerüche, den Wind und die Weite auszumalen und deswegen zieht mich eine abstrakte Sehnsucht dahin. Nachdem ich letzten Sommer am Nordkap war ist das Kap der Guten Hoffnung ein schönes Ziel, womit ich den nördlichsten Punkt Europas mit dem südlichsten Punkt Afrikas verbinden kann.”
Mal eben seine sieben Sachen zusammenkramen und in Fahrradtaschen stopfen, um mit dem Rad nach Südafrika zu fahren, das ist ganz sicher nichts, was wir alle uns trauen und zutrauen würden. Wiebke schon. Naja, mal eben ist wohl nicht richtig formuliert, denn es bedarf schon einiges an Vorbereitung wie Reiseschutzimpfungen und das ein oder andere Equipment-Update. Es braucht auch eine gehörige Portion Mut, überhaupt aufzubrechen.
Aber wie sahen die Vorbereitungen aus, die im Vorfeld an ein solches Reisevorhaben zu treffen sind? Grob lassen sich daraus drei Kategorien kreieren.
Organisatorisch waren das vor allem einige Impfungen und die Anschaffung einer etwas umfangreicheren Reiseapotheke, die zum Beispiel Malariaprophylaxe enthält. Außerdem beantragte Wiebke Lühmann einen zweiten Reisepass, meldete ihren Wohnsitz um und informierte sich über Reiseversicherungen.
Eine so lange Reise bis ins kleinste Detail im Voraus zu planen ist schwierig bis unmöglich. So viele Dinge können die Planung zunichte machen. Ganz detailliert zu planen würde auch gar nicht zu Wiebkes Art passen. Sie hat eine Makroplanung von Freiburg bis nach Kapstadt, die Tagesetappen werden aber unterwegs geplant. Nicht nur Wetter oder Krankheit können ein Umplanen unumgänglich machen, mitunter kann sich auch die politische Lage schnell ändern.
Die sich schnell ändernden politische Situationen habe ich grob im Blick aber entscheide kurzfristig, wie und wo es weitergeht. – Wiebke Lühmann
Auch um nötige Visa kümmert sich Wiebke erst, wenn sie genau weiß, wann sie wo einreisen wird. Mit der App Sicher Reisen vom Auswärtigen Amt bleibt man beispielsweise immer up-to-date, was Einreisebestimmungen, Sicherheitshinweise etc. angeht. Und dazu sollten regelmäßig Nachrichten der entsprechenden Regionen verfolgt werden.
Mental ist es vor allem das Abschiednehmen und Verlassen von einem schönen Zuhause gewesen, was mir zu meiner Überraschung schwerer gefallen ist als erwartet. – Wiebke Lühmann
Wie das gelungen ist und wann sie wirklich in der Reise angekommen ist, dazu später mehr. Eine spezielle körperliche Vorbereitung, sprich Training, fand nicht statt. Klar, Wiebke ist regelmäßig Touren gefahren, von Sonnenuntergangstouren rund um Freiburg über eine Solo-Tour auf dem Radweg Eiserner Vorhang, auch bekannt als Grünes Band bis zu einer Bikepackingtour von München zum Comer See mit mir. Eine präzisere Vorbereitung braucht sie nicht, davon ist Wiebke Lühmann überzeugt - aus eigener Erfahrung.
Ich reise ja in meinem Tempo und aus Erfahrung weiß ich, dass mein Körper sich den Belastungen anpasst. – Wiebke Lühmann
Bisher war Wiebke meistens mit einem Gravelbike unterwegs, in der ersten Jahreshälfte erstmals mit einem Mountainbike - ein Abenteuer in Georgien. Für ihre Radreise nach Südafrika vereint sie nun das Beste beider Kategorien in einem Rad - ein wenig wie auch das Supergravel, das Biketuner Dangerholm kürzlich aufgebaut hat. Rad der Wahl ist das Adlar von Wilier Triestina. Aber nicht so, wie man es kaufen kann. Sie hat es mit einem Flatbar aufbauen lassen. Im Vergleich zu einem Dropbar ist so nämlich viel mehr Platz, um eine Lenkertasche vollzupacken. Rennlenker schränken das Packvolumen ein. Auch lassen sich Licht, Fahrradcomputer etc. besser anbringen, da es an einem Flatbar mehr Platz dafür gibt. Gerade bei kleinen Personen ist der Platz am Dropbar sehr begrenzt und der Lenker bereits voll, wenn Licht und Navi angebracht sind. Durch den Flatbar wird die Haltung auf dem Rad aufrechter und der breite Lenker bietet ein anderes Handling. Beides ebenfalls Punkte für Wiebke, die für diese Variante sprechen.
Neben der Lenkertasche von Ortlieb ist die Bikepackerin dieses Mal mit Gepäckträger und Seitentaschen - Ortlieb Backroller Plus - unterwegs. Die bieten reichlich Platz für ein komfortables Zelt, eine größere Küche und vor allem für das Homeoffice, das aus Laptop und Kameraequipment besteht. Gerade beim Laptop kommen Bikepackingtaschen an ihre Grenzen. Fork Packs - also Gabeltaschen - komplettieren ihr Taschen-Setup und sorgen für eine gute Gewichtsverteilung. Für Zahlenfans: Zwischen 28 und 30 Kilo wiegt das Gepäck am Rad. Das Zuhause für 14 Monate.
Wer die Stories auf Instagram verfolgt hat, hat gesehen, morgen geht es los aber irgendwie sind die Räder noch gar nicht fertig? Da steigt direkt das eigene Stresslevel, ohne involviert zu sein. “Es war nicht einfach, loszukommen. Der Stress war groß trotz eigentlich langer Vorbereitungszeit”, beschreibt Wiebke die Zeit vor der Abfahrt. Konkret heißt das, die Räder kamen kurz vor knapp in Freiburg an, die Lichtanlage mit Ladesystem für Navi oder Smartphone musste installiert werden, ... am Tag vor der Abreise waren die Fahrräder erst spätabends fertig. Zeit für eine Probefahrt? Fehlanzeige. Stattdessen gab es eine Abschiedsfeier und viele überwältigende Emotionen. Kaum verwunderlich, dass der erste Tag auf dem Rad von Kopfweh und innerer Unruhe geprägt war. Gleichzeitig war das Gefühl, loszufahren aber auch sehr schön, beschreibt Wiebke einen emotionalen Zwiespalt.
Wir wurden von Freund*innen und Follower*innen aus der Stadt begleitet. Das war sehr besonders für mich. Und unterm Strich ist Losfahren für mich auch immer ein toller Moment. – Wiebke Lühmann
Wer kann schon von sich behaupten, der Wahlheimat, Freundinnen und Freunden und Familie den Rücken zu kehren für 14 Monate. Das Gefühl der Abreise ist sicher surreal, ist man doch noch so nah - und doch so fern.
Wiebke Lühmann hat auch einige Zeit gebraucht, um anzukommen in ihrer bisher größten Reise. “Als wir am Atlantik angekommen sind, auf der anderen Seite von Frankreich, gut zwei Wochen und einige kleine Herausforderungen später, war die Heimat endlich weit genug weg für mich, um zu checken, dass ich jetzt unterwegs bin und erstmal nicht zurückkomme. Ich wusste, jetzt rollts und ich bin froh unterwegs zu sein. Jetzt bin ich auf der Reise angekommen.”
Hier soll wieder Wiebke Lühmann selbst zu Wort kommen, meine Frage an sie lautete, wie ist es 24/7 zu zweit unterwegs zu sein?:
“Schön! Hätte es fast nicht zu träumen gewagt, dass Hannah und ich so gut auskommen und so viel Rücksicht nehmen können, ohne dass es sich wie eine Einschränkung anfühlt. Wir haben unseren Rhythmus gefunden, lachen viel, treffen neue Leute und haben eine unvergessliche Zeit als Freundinnen zusammen. Außerdem ist Hannah eine meiner engsten Connections zu Freiburg, meiner Wahlheimat, was meine Bindung zu der Stadt weiter stärkt und was auch enorm wichtig für mich ist, um so lange so weit weg zu sein. Das ist für mich alles nicht selbstverständlich und ich bin sehr dankbar, dass wir zusammen diese Reise machen können. Gleichzeitig freue ich mich sehr auch auf die Zeit alleine und die unvorhersehbaren, neuen Erlebnisse, die mich nach Europa erwarten. Die Vorfreude wächst täglich.”
Gerade auf langen Reisen sind viele Dinge nicht planbar und noch weniger vorhersehbar. Aber wenigstens darüber herrscht Gewissheit. Und so führten persönliche Gründe dazu, dass Hannah ihre Reise nach 3000 Kilometern beenden musste. Mit vielen Erlebnissen, ihrem Rad sicher verpackt im Karton und einer gewachsenen Freundschaft ist sie heim geflogen. Und Mittlerweile radelt Hannah nicht mehr unter der Sonne Portugals, sondern im Schnee rund um Freiburg.
Bei Wiebke hat sich mit Hannah auch die Sonne erst einmal verabschiedet. Strömender Regen prasselt auf sie ein. Frohen Mutes und gespannt auf das, was kommt, setzt sie ihre Reise fort. Bald bekommt sie Besuch von ihrer Schwester.
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Vor Dingen, die ich nicht kontrollieren kann, die mit hoher Wahrscheinlichkeit passieren werden. Vor allem gesundheitliche Probleme, wie potentielle Lebensmittelvergiftungen und die Gefahr Malaria zu bekommen. Unschön können sicher auch bürokratische Hürden beim Einreisen oder technische Probleme mit dem Rad werden. Ansonsten mache ich mich wenig verrückt und habe ein großes Vertrauen.
Ich freue mich auf die vielfältige Natur und endlose Weite auf über 15.000 Kilometern, die mich auf der Route über den afrikanischen Kontinent erwarten. Und auf das Gefühl von Freiheit auf meinem Fahrrad und mich Verbunden zu fühlen im Unbekannten. Außerdem bin ich gespannt auf neue, kurze und lange Bekanntschaften und voller Vorfreude viele Menschen kennenlernen zu dürfen, die zu Freund*innen werden könnten.
Bettwanzen. Und Dauerregen. Beides ist jetzt aber schon überstanden und wir rollen fröhlich in Richtung Süden.
Wir wünsche Wiebke Lühmann weiterhin eine gute Reise. Bei TOUR wird es regelmäßig Updates geben mit spannenden Einblicken, schönen Begegnungen, Höhen und Tiefen.