Text: Baschi Bender
Es soll eine epische Vater-Sohn-Tour werden: 240 Kilometer und 2600 Höhenmeter an einem Tag. Von Freiburg nach Bodman am Bodensee und zurück. Für mich ist es vor allem die Gelegenheit, mal wieder intensive Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, Sport zu machen und sich gemeinsam einer Herausforderung zu stellen. Was kann es Schöneres geben? Es ist der längste Tag des Jahres, als Nathan und ich in den frühen Morgenstunden unsere Rennräder packen. Doch leider ist vom Hochsommer wenig zu spüren: Es herrschen 15 Grad und Nieselregen. Dementsprechend ist die Stimmung eher durchwachsen und die Motivation für unsere große Tour ganz klar noch ausbaufähig. Nicht gerade ein perfekter Start.
Seit Nathan zehn Jahre alt ist, suchen wir immer wieder neue Ziele für unsere Radtouren. Unsere erste gemeinsame Tour führte uns von Freiburg nach Neu-Breisach in Frankreich, etwa 60 Kilometer. Für ihn fühlte es sich an, als hätten wir einmal Frankreich durchquert, und er war mächtig stolz auf sich. Und ich wahrscheinlich noch ein bisschen mehr auf ihn. Danach radelten wir von Freiburg nach Basel, ungefähr 80 Kilometer. Wir fuhren durch Frankreich in die Schweiz, überquerten den Rhein und zwei Landesgrenzen. Mit zwölf Jahren dann Nathans erster Hunderter, einmal um Elba herum.
Jetzt steht die bis dato größte Herausforderung an: einmal Bodensee und zurück. Und obwohl Nathan in letzter Zeit nicht viel Rennrad gefahren und das Wetter alles andere als perfekt ist, hat er sich in den Kopf gesetzt, das durchzuziehen. Na dann: Wenn ein 13-Jähriger so motiviert ist, darf man das nicht ungenutzt lassen! Kurz nach dem Start in Freiburg führt unsere Route über den Thurner; ein anspruchsvoller Anstieg über rund 800 Höhenmeter. Im Aufstieg ist die kalte Morgenluft noch angenehm, und die Nebelschwaden im Schwarzwald erzeugen mal wieder eine ganz besondere Atmosphäre.
Es beruhigt mich, dass Nathan mit der Steigung gut klarkommt. Seine Größe von 1,78 Meter und weniger als 60 Kilogramm Gewicht erweisen sich als gute Voraussetzungen am Berg. Er bleibt lange hinter mir, nur um mich dann kurz vor dem Gipfel zu überholen und die Bergwertung klar für sich zu entscheiden. Diesen Erfolg gönne ich ihm gerne, hoffe ich doch, dass der ihn für die vielen Kilometer motiviert, die uns noch bevorstehen.
Nach dem Thurner führt unser Weg nach Waldau. Auf über 1000 Metern Höhe macht uns die Kälte zusehends zu schaffen, die erste Abfahrt des Tages ist eisig. Die Euphorie verfliegt binnen Minuten. Nathan beginnt am ganzen Leib zu zittern, und seine Beine sind wohl noch müde vom Aufstieg zum Thurner. Zweifel kommen auf, ob wir die Tour schaffen können. Es liegen ja noch mehr als 200 Kilometer vor uns, und von der wärmenden Sonne und den angesagten 23 Grad ist noch nicht viel zu sehen.
Es hilft erst mal, dass bald der nächste Anstieg kommt. Die Anstrengung wärmt uns etwas. Wir erreichen den “magischen Wald” bei Bräunlingen. Als wir vor einem Jahr mit dem Rennrad unterwegs waren, hatten wir hier einen der schönsten gemeinsamen Momente. Wir wurden von der Natur regelrecht verzaubert. Der dichte, von schmalen, kurvigen Straßen durchzogene Wald war wunderschön, und wir fühlten uns mit der Natur im Einklang. Mit 40km/h rollten wir locker bergab und jodelten vor Glück!
Es war einer dieser besonderen Momente, die Vater und Sohn zusammenschweißen und für immer in Erinnerung bleiben. Heute fahren wir zwar dieselbe Strecke – aber von Magie keine Spur: Schweigend treten wir hintereinander her und haben nur einen Gedanken: “Wann wird es endlich wärmer?!” Unsere Trikottaschen sind mit allerlei Snacks gefüllt: Energieriegel, Nüsse, Gummibärchen, Gels. Es ist an der Zeit für eine erste kurze Pause. Regelmäßige Energiezufuhr ist auf langen Strecken wichtig – besonders für den jungen Kerl, an dem ja nichts dran ist. Aus Sorge, er könne den berühmten Hungerast bekommen, habe ich mir zur Sicherheit eine regelmäßige Erinnerung im Handy eingestellt, damit wir jede Stunde etwas essen und trinken.
Nach dem Wald bei Bräunlingen führt unser Weg durch den Hegau, eine Region bekannt für ihre vulkanischen Hügel und malerischen Dörfer. Die Strecke wird flacher – und die Temperaturen steigen allmählich. Endlich zeigt sich mal die Sonne und wärmt unsere durchgefrorenen Glieder. Mit der Temperatur steigt auch die Laune, und wir fühlen uns wieder gestärkt und motiviert, als wir Bodman am Bodensee erreichen.
Einmal in den See springen und dann wieder zurück: Das war die Idee für unsere Tour. Also steuern wir jetzt direkt das Strandbad von Bodman an. Kaum angekommen, sehen wir, dass wir die einzigen Badegäste sind. Wegen des verregneten Sommers führt der See Hochwasser, mit der Folge, dass das halbe Strandbad überschwemmt ist. Dazu gibt es eine aggressive Mückenplage, wie ich sie noch nicht erlebt habe! Baden fällt also aus. Wir entscheiden uns, lieber in eine Pizzeria zu gehen und einen ordentlichen Teller Pasta zu essen, denn wir müssen ja noch 120 Kilometer zurückfahren.
Nach unserer ausgiebigen Pause machen wir uns auf den Rückweg nach Freiburg. Die Sonne steht nun hoch am Himmel und begleitet uns auf unserem Weg zurück, endlich! Die beeindruckende Landschaft des Hegau zieht wieder an uns vorbei, doch dieses Mal, bei Sonnenschein, zeigt sie ihr freundliches Gesicht. Und so bemerken wir gar nicht, wie wir fleißig Kilometer für Kilometer wegpedalieren.
Die Stimmung ist entspannter, und wir haben endlich Zeit und Muße zum Quatschen. Vom Rennrad-Tech-Talk über Gott und die Welt... - Baschi Bender
Mit den warmen Temperaturen kommt Nathan voll in Fahrt. Die Stimmung ist entspannter, und wir haben endlich Zeit und Muße zum Quatschen. Vom Rennrad-TechTalk über Gott und die Welt, gemeinsam tauchen wir in die Themen ein, die Nathan gerade beschäftigen. Wann hat man sonst schon mal 14 Stunden Zeit, um neben seinem Sohn herzufahren? Es beeindruckt mich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt Kilometer um Kilometer abspult. Und das, obwohl er dieses Jahr insgesamt erst an die 300 Kilometer Rennrad gefahren ist und keine 3000 wie ich!
Als wir uns Freiburg nähern, führt uns unsere Route über die wundervolle Alte Spirzenstraße. Für mich eine der schönsten Rennradstrecken im Schwarzwald. Unser Timing könnte nicht besser sein, als sich der Blick nach Freiburg weitet: Der Sonnenuntergang taucht die Straße in ein warmes, goldenes Licht. Es ist ein Moment der puren Glückseligkeit, als wir gemeinsam diese letzten Kilometer hinunterrollen. Nathan fährt wie entfesselt, die Erschöpfung der langen Fahrt ist wie weggeblasen und hat Platz gemacht für ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Wir sind einfach nur noch stolz, dass wir es geschafft haben!
Es ist fast 21 Uhr, als wir zu Hause in Freiburg ankommen. Gerade noch rechtzeitig zum EM-Fußballspiel Deutschland gegen die Schweiz. Wir sind ausgelaugt und müde, aber glücklich. Diese Tour war mehr als nur eine sportliche Herausforderung. Die gemeinsame Anstrengung, die überwundenen Hürden und die geteilten Momente der Sorge und der Freude haben die Beziehung zwischen Nathan und mir auf eine ganz besondere Weise gestärkt. Ich fühle mich glücklich und auch privilegiert, dass ich so etwas mit meinem Sohn erleben durfte. Ich kann nur jedem empfehlen, sich mit seinen Kindern auf den Weg zu machen und gemeinsam zu entdecken, was alles in ihnen steckt. Egal wie hoch und wie weit, Hauptsache: machen.
Nathan wird sich für immer an diese Tour erinnern. Und wer kann schon von sich behaupten, mit 13 Jahren eine Radtour über 240 Kilometer gemacht zu haben! Ich bin mir sicher, das Erlebnis und die Erinnerung bringt ihm viel Energie und Selbstbewusstsein für alles, was in seinem Leben noch auf ihn zukommen wird. Und klar, eine Radtour ist aufwendig, und das passende Equipment kostet Geld. Aber es muss nicht teuer sein: Nathans Rad, seine Schuhe, Pedale, kurz fast seine gesamte Ausrüstung haben wir gebraucht gekauft, alles zusammen für weniger als 500 Euro. Man muss sich nur etwas umsehen. Ganz nach dem Motto: “Machen ist wie wollen, nur krasser.”