Seit dem 3. Oktober 1990 zählt Deutschland 16 Bundesländer. Durch die sind wir mit dem Rennrad gefahren, um die Provinz zu entdecken. GPS-Daten gibt's hier, die ganze Geschichte in TOUR 10/2020
Wer alle 16 Bundesländer mit dem Rad besuchen will, muss rein rechnerisch mindesten 1.700 Kilometer zurücklegen. Schöne Straßen, wenig Verkehr und interessante Spots bekommen Rennradler aber nur, wenn sie etwas drauflegen. Unser Reporter fuhr in 24 Etappen knapp 2.500 Kilometer, die sich in folgende Regionen unterteilen lassen:
Nordwestlich von Berlin sind Menschen und kleine Straßen dünn gesät. Deshalb sollte man Verpflegung und Unterkünfte bis zum Ende Mecklenburgs im Voraus planen. Die seltenen spontanen Begegnungen sind umso herzlicher, weil die Menschen unvoreingenommen und locker sind. Nach dem Hügel-Intermezzo in der Holsteinischen Schweiz schaffen Abstecher an die einstige Zonengrenze ebenso Abwechslung wie das Kulturland entlang der Elbe, bis hinüber zur Weser. Bremens Blockland, ein von der Landwirtschaft geprägter Stadtteil, ist für den Rest der Republik ein Geheimtipp – und erweiterbar mit Abstechern ins Teufelsmoor. Hinter Bremen führt die Tour durch Niedersachsen, das zweitgrößte Bundesland. "Nieder" ist dort wörtlich zu nehmen, das Land ist flach und weit. Erst im Süden Niedersachsens zwingt das Wiehengebirge in den längst fälligen Wiegetritt.
Am Rande des Ruhrgebiets kann man sich von seinen Vorurteilen über das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen befreien. Dort warten bäuerliche Landschaften und idyllische Flusstäler – und jede Menge Herausforderungen für die Oberschenkel. Erst führt die Strecke durchs Sauerland, dann (in Rheinland-Pfalz und Hessen) durch Westerwald und Taunus. Danach, hinter dem ehemaligen römischen Limes, darf man sich auf lieblichere Landschaft einstellen: Weinreben, so weit das Hügelland reicht. Denn schon die Römer holzten im Rheinland massiv ab, legten die Saat für gute Lebensart. In der Pfalz nimmt die Walddichte wieder zu und das Biosphärenreservat Bliesgau darf als kleiner grüner Radfahrhimmel des Saarlands gelten. Ein Jammer wäre es, den Abstecher in die Nordvogesen auszulassen.
Im Nordschwarzwald kommen an der sogenannten Kaltenbronner Wand (Anstieg auf die Schwarzmiss, 750 Höhenmeter am Stück) diejenigen auf ihre Kosten, die auf einer Deutschlandrunde richtig klettern wollen. Was nicht heißt, dass das Hügelland zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb weniger kräftezehrend wirkt. Im zersiedelten Dunstkreis von Stuttgart kommt es darauf an, sich durch geschickte Routenwahl nicht von den irren Verkehrsströmen das Fahrvergnügen verderben zu lassen. Jenseits des Neckars, wo es stracks auf Bayern zu geht, entspannt der bunte, dichte Mix aus Kleinstädten und winzigen Weilern; die Beine schmerzen dort jedoch wegen der zahllosen, giftigen Anstiege. In Franken (Bayern) wird das Relief zahmer, die Einkehrmöglichkeiten sind zahlreich, das Leben läuft gemütlich. Schroffe Täler warten danach im südlichsten Terrain der einstigen DDR: Das Thüringer Schiefergebirge ist eine faszinierende, verkannte Schönheit.
In Sachsen mischt sich kleinteiliges Relief mit gewachsener Kultur. Im Vogtland zum Beispiel lohnt sich der Stopp im urigen Plauen. Dahinter hauchen die Mittelgebirge ihr Leben aus, die Gegend um Leipzig ist flacher als der moränenreiche Norden Deutschlands, besitzt dafür aber riesige Seen – dort, wo einst Riesenbagger Kohle schürften. Elbseitig setzen das UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz und UNESCO-Weltkultur- und Naturerbe Lutherstadt Wittenberg die letzten Kulturakzente. Nördlich des Stroms führt die Route durch Gebiete, in denen die heißesten Sommertemperaturen Deutschlands gemessen werden: 2019 knapp 40 Grad im Schatten. Richtung Berlin wird Brandenburg grüner, aber auch verkehrsreicher. Hinein in die deutsche Hauptstadt fährt es sich auf der Mauerroute von Südost her ruhig und kommod. Im quirligen Zentrum zählt nach Länderfahrt sowieso nur das Doppelpaket aus Stolz und Freude, alle 16 Bundesländer geschafft zu haben.