Frühlingszeit ist Rennradzeit! Wenn die Straßen allmählich vom scharfen Rollsplitt befreit sind und die Temperaturen wieder zweistellig werden, drängt es viele Pedaleure nach draußen – oft verbunden mit dem Wunsch nach einem neuem “Arbeitsgerät”. Die Vorfreude darauf kann aber schneller wieder verflogen sein, als die Krokusse aus dem Boden sprießen. “Das ist nicht mehr meine Rennradwelt”, bekommen wir von nicht wenigen Lesern und Leserinnen zu hören – ausgelöst durch die Preisentwicklung für Rennräder, die über alle Kategorien und technischen Qualitäten hinweg nur eine Richtung kennt: nach oben. Dem können wir uns als Fachmagazin nur bedingt entziehen.
TOUR testet, was der Markt bereithält. Trotzdem suchen wir regelmäßig nach Themen und Rädern, die aufzeigen, dass Rennradfahren nicht nur dann Spaß macht, wenn der Renner Zigtausende Euro kostet. Zum Saisonstart 2024 rollten vier Modelle mit klarem Fokus auf Preis und Rahmenmaterial zum Test heran: Die Räder kosten laut Liste weniger als bzw. um 2000 Euro und basieren auf modernen Carbonrahmen. Diese beiden Kriterien vereinen sich nur noch in ganz wenigen Rennrädern. Bei den namhaften internationalen Marken wie Giant, Specialized oder Trek kosten solche Räder mindestens 2500 Euro und mehr.
Ein Blick nach Italien ist vergeblich, Traditionshersteller wie Bianchi, Colnago, Pinarello oder Wilier konzipieren und produzieren ihre Rennräder fast ausschließlich im superteuren High-End-Segment. Auch andere große Fachhandelsmarken wie Bulls oder Merida haben keine Carbonrenner unter oder um 2000 Euro im Angebot. Direktversender Radon unterzog sein Sortiment im Testzeitraum einer Modellpflege. Bleiben die vier Räder im Test von Canyon, Cube, Stevens und Van Rysel.
Kleines Budget, kleine Auswahl: Die Anzahl an Rennrädern mit Carbonrahmen unter 2000 Euro ist überschaubar, nur noch wenige Hersteller bieten Modelle zu diesem attraktiven Preis an. Selbst große Fachhandelsmarken oder Direktversender hängen ihren günstigsten Carbonrennern bereits Preisschilder mit deutlich höheren Beträgen um. Dabei zeigen unsere vier Testkandidaten zwischen 1599 und 2058 Euro, dass man auch zu diesen Preisen richtig gute Sportgeräte auf die Räder stellen kann.
Neben Preis und Rahmenmaterial ist dem Quartett die Ausrichtung als langstreckentaugliche Marathonräder gemeinsam, mit individuellen Abweichungen. Durch eine vergleichsweise gestreckte Sitzposition tendiert beispielsweise das Stevens in Richtung Wettkampfrad. Auch auf dem Van Rysel sitzt man durchaus sportlich. Canyon und Cube schicken prototypische Vertreter der Endurance-Kategorie mit betont aufrechter Sitzposition ins Rennen, womit sie für lange Tage im Sattel prädestiniert sind.
Im wichtigsten Kriterium eines Marathonrads, dem Fahrkomfort, zeigen die Räder teils deutliche Unterschiede. Fast schon traditionell federt das Endurace CF 6 am besten über Unebenheiten. Das günstigste Carbonmodell im Sortiment der Koblenzer profitiert dabei von hochwertigen Anbauteilen aus Carbon: Sowohl die flexible Sattelstütze als auch das schicke One-Piece-Cockpit sind in der 2000-Euro-Klasse ein Alleinstellungsmerkmal. Die einfacheren Alu-Komponenten der Konkurrenten geben Vibrationen deutlicher spürbar an den Fahrer weiter.
Speziell das Stevens erfährt dabei kaum Unterstützung durch die Reifen. Der Grund: Das Izoard bremst mit Felgenbremsen, wodurch die maximale Reifenfreiheit beschränkt wird. Zwar reizen die Hamburger diese mit nominell 28 Millimeter breiten Reifen auf dem Testrad aus, auf der schmalen Alu-Felge bleiben die aufpreispflichtigen Pneus aber schmal. Die anderen Räder rollen effektiv mindestens auf 30-Millimeter-Pneus. Im Stile moderner Allroadbikes sind das Canyon und Van Rysel für bis zu 35 Millimeter breite Reifen freigegeben, was ihr Revier um Schotterstraßen erweitert. Auf Asphalt liegt das Quartett bei den Fahreigenschaften eng beieinander.
Die Rahmen-Sets erzielen auf dem Steifigkeitsprüfstand fast identische Ergebnisse und sind auch für schwerere Piloten gemacht. Laut Herstellerangaben bewegt sich das maximale Fahrergewicht knapp über 100 Kilogramm. Das macht die Räder zu unkomplizierten Begleitern in allen Rennrad-Lebenslagen, auch Neulinge und weniger routinierte Radler müssen keine exaltierten Lenk- oder Fahreigenschaften fürchten, ruhiger Geradeauslauf ist die prägende Charaktereigenschaft. Tribut fordern die robusten Räder in Form relativ hohen Gesamtgewichts – ausgenommen das Stevens, das dank der Felgenbremsen rund ein Kilogramm leichter ist als Canyon, Cube und Van Rysel.
Diesen Gewichtsnachteil schleppen die drei auch im Vergleich zu den nächstteureren Rädern ihrer jeweiligen Modellpalette mit, was neben den vergleichsweise schweren Rahmen auch an den günstigeren Aluminium-Komponenten liegt. Vor allem die Laufräder der Scheibenbrems-Renner fallen bleischwer aus. Der Laufradsatz des Canyon erreicht mit fast 3800 Gramm das Niveau stabiler Gravel-Laufräder. Die verwendeten Schalt- und Bremskomponenten – überwiegend Shimanos mechanische Zehn- und Elffach-Gruppen – sind technisch nicht auf dem allerneuesten Stand, was ihrer Funktionalität und damit auch dem Fahrspaß aber kaum Abbruch tut.
Zeitgemäß und auch bei allen Herstellern im Angebot sind inzwischen freilich mechanische oder elektronische Getriebe mit zwölf Ritzeln und größerem Gangspektrum. Vorteil von Shimanos Tiagra- und 105-Gruppe ist deren unkomplizierte und wartungsfreundliche Technik. Über die Ersatzteilversorgung muss man sich wenig Gedanken, da Verschleißteile von Shimano erfahrungsgemäß über Jahre problemlos erhältlich sind.
Als Resümee bleibt, dass die Hersteller grundsolide Rennräder anbieten. Für ein überschaubares Budget verzichten die Modelle weitestgehend auf technische Spielereien, brauchen aber bei den Basics den Vergleich mit teureren Rädern nicht unbedingt zu scheuen. Ein mehr als siebenmal (!) so teures Pinarello Dogma X (siehe Test in TOUR 4/2024) landet wegen geringerer Steifigkeitswerte in der TOUR-Note noch hinter Canyon und Stevens, die sich knapp vor dem Cube und Van Rysel behaupten. Der Frühling kann kommen.
Große Emotionen rufen die günstigen Carbonräder nicht hervor, aber sie punkten mit grundsoliden Fahreigenschaften, die an das Niveau deutlich teurerer Rennräder heranreichen. Funktionale, eher einfache Ausstattungen machen die Räder relativ schwer. - Julian Schultz, Test-Redakteur
Rot sind die Teilnoten ab 4,0. So sehen Sie, welche Räder wegen schwächerer Einzelnoten für Sie nicht infrage kommen.
*LL=lebenslang, CR = Crash Replacement, RA = Rennausschluss