Das Cinelli verdient sich seinen Platz in unserem Best of Test 2023 dank seiner hohen Exklusivität. Laut des italienischen Traditionsherstellers gab es weltweit nur 20 Exemplare des Sondermodells, das anlässlich des 75-jährigen Bestehens von Cinelli aufgelegt wurde. TOUR hatte die Möglichkeit, den Jubiläumsrenner auf Basis eines auffällig dekorierten und leichten Edelstahlrahmens zu testen.
Gäbe es so etwas wie eine Ruhmeshalle für legendäre Rennräder, mindestens ein Cinelli stünde sicherlich darin. Das 1948 bei Mailand gegründete Unternehmen gehörte mit Rennradrahmen und Komponenten über Jahrzehnte zu den prägenden Marken im Rennsport; ein frühes Supercorsa oder das damals futuristisch anmutende Laser aus den 1980ern sind heute ebenso begehrte wie teure Sammlerstücke. Zwar nahm die Bedeutung der Marke im Profisport in den letzten Jahrzehnten stetig ab; im Alu- und Carbonzeitalter konnte Cinelli nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Doch die Räder und Komponenten genießen unter Fans bis heute Kultstatus.
2023 feierte die Marke ihr 75-jähriges Jubiläum und beging dies mit einem Sondermodell, das in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes ist. Das signalisiert schon der Rahmen aus glänzendem Edelstahl, zieht sich über die Geometrie bis hin zur extravaganten Ausstattung – doch dazu später mehr. Herzstück ist ein Rahmen aus XCr-Stahl von Columbus. Gegenüber klassischen Stahlrahmen sind die Durchmesser der Rohre üppig, die Wandstärken dafür außergewöhnlich gering – ein Patentrezept, um hohe Steifigkeit und geringes Gewicht zu vereinen.
Der daraus geschweißte Rahmen bringt knapp 1800 Gramm auf die Waage und ist der leichteste Stahlrahmen im TOUR-Test seit Beginn des Scheibenbremsen-Zeitalters. Dabei geizt er nicht mit hübschen Details: Die Leitungen sind innen verlegt, die Ein- und Ausgänge dafür sauber eingelötet. Die geschmiedeten Ausfallenden zeigen das Cinelli-Logo, eine Plakette aus Titan am Steuerkopf rundet das edle Erscheinungsbild ab. Unverwechselbar ist auch die in die Sitzstreben integrierte Sattelstützenklemmung, eine Reminiszenz an das legendäre Supercorsa. Weil Edelstahl nicht rostet, ist eine Lackierung überflüssig. Der Rahmen ist stattdessen von Hand auf Spiegelglanz poliert und mit verschiedenen Firmenlogos aus der Unternehmensgeschichte verziert.
Die Geometrie ist laut Hersteller beeinflusst von den Supercorsa-Modellen der 1950erJahre, die unter Fahrern wie Fausto Coppi berühmt wurden. Die Winkel fallen etwas flacher, der Radstand länger und die Reifenfreiheit größer aus als bei modernen Rennmaschinen – bei aktuellen und auf Vielseitigkeit getrimmten Allroad-Bikes ist das indes wieder modern. Dabei fährt sich das Rad keineswegs unsportlich, gerade die Sitzposition ist gegenüber Rädern vergleichbaren Zuschnitts deutlich gestreckt. Auf der Straße ist die Rennsport-Tradition trotz der Anpassungen spürbar: Das Rad rollt spurstabil und gut berechenbar, aber keineswegs langweilig; nur das im Vergleich zu modernen Carbonboliden hohe Gewicht bremst sportliche Ambitionen etwas ein.
Der Aufbau des Sondermodells ist originell, besonders der Antrieb sticht ins Auge. Die Italiener kombinieren eine elektronische SRAM-Red-Schaltung mit einer Zwei-Gang-Nabe von Classified im Hinterrad, die den Umwerfer ersetzt. Auffällige, gefräste Alu-Kurbeln der italienischen Custom-Schmiede Ingrid übertragen die Pedalkraft. Das Ensemble funktioniert tadellos; lediglich die Position des Schalters für die Nabe im Lenkerbogen ist diskutabel, er ließe sich aber an einer beliebigen Stelle positionieren. Komplettiert wird das Rad mit ebenso edel wie klassisch anmutenden Teilen: Die Gabel dreht sich in einem Chris-King-Steuersatz, die zarten Reifen von René Herse rollen besonders geschmeidig ab und bieten mit 32 Millimetern Breite viel Komfort, der farblich passende Brooks-Sattel mit Carbongestell ist eine exklusive Anfertigung für das Jubiläumsrad. Lenker, Vorbau und Sattelstütze steuert Cinelli selbst bei.
Die 14900 Euro Sonderedition war schnell vergriffen. Zum Jahresende waren über die Website von Cinelli nur noch gewöhnliche Ausstattungsvarianten des XCr bestellbar. Den “Preis” für das teuerste Rennrad im TOUR-Test 2023 sicherte sich das Liebhaberstück übrigens nicht. Das Trek Madone SLR9 AXS war nochmals 800 Euro teurer.